IP

01. Nov. 2007

Wenn die Staatsräson Urstände feiert

Buchkritik

Quasi das Gegenstück zum „Handbuch zur deutschen Außenpolitik“ (vgl. die Rezension von Sven Bernhard Gareis in der IP-Ausgabe 6/2007) stellt der von Thomas Jäger, Alexander Höse und Kai Oppermann herausgegebene Sammelband dar. Der Vergleich beider Bände offenbart unterschiedliche Stärken und Schwächen.

Bietet das „Handbuch“ im Gegensatz zum hier besprochenen Sammelband einen rund 250 Seiten umfassenden Abschnitt, in dem einige der für Deutschland besonders wichtigen bilateralen Beziehungen abgehandelt werden – von Amerika bis Japan –, so fällt dafür die Darstellung der einzelnen Themen im vorliegenden Band ausführlicher und analytischer aus. Das hat gute und schlechte Seiten. Zu letzteren zählt das ziemlich krause Einführungskapitel, das arg tief schürfen möchte: „Da staatlich verfasste Gesellschaften miteinander in Beziehung treten können, stellen sie füreinander Umwelt dar“ – so beginnt das Einführungskapitel. Und endet 24 Seiten später: „Die Analyse der deutschen Außenpolitik auf den unterschiedlichen Gebieten hat also jeweils unterschiedliche Wirkungskräfte und Restriktionen aus der internationalen Umwelt zu berücksichtigen. Diese stellen einen Teil der Restriktionen für außenpolitisches Handeln und mehr noch für den Erfolg der außenpolitischen Maßnahmen dar“ (S. 37). Ja, doch, das kann man knapper und schöner sagen. Etwa wie Wilfried von Bredow in seinem abschließenden Essay: „Die entscheidenden Rahmenbedingungen für die deutsche Außenpolitik sind das Ende des Ost-West-Konflikts und die zunehmende Dynamik der Globalisierung“ (S. 631).

Gottlob überwiegt insgesamt bei weitem die nüchterne, dennoch reflektierte Darstellung, und in den Kapiteln, in denen die beiden Bände ähnliche oder die gleichen Fragestellungen behandeln, schneidet der vorliegende Band durch die stärker analytisch ausgerichtete Konzeption unter dem Strich sogar besser ab. Dagegen fällt auf, dass die europäische Integration als zentraler Rahmen der deutschen Außenpolitik und auch das Verhältnis zu Frankreich nur in zwei eigenen Kapiteln thematisiert werden.

Und noch eines kann das „Handbuch“ eindeutig besser als der hier besprochene Sammelband. Denn wenn im Abschlussteil mit dem Titel „Zwischen Amerika und Europa“ neben dem erwähnten Wilfried von Bredow noch Werner Link, Hans-Peter Schwarz, Lothar Rühl und Reinhard Rode zu Wort kommen, wird ein weiteres Manko deutlich: die theoretische Engführung. Hier streiten Realisten mit Realisten, man zitiert auch gerne einmal Bismarck, und die Idee der Staatsräson feiert fröhliche Urstände (Rainer Baumanns Beitrag zum Multilateralismus in der deutschen Außenpolitik bildet die einzige wirkliche Ausnahme). Im Handbuch finden sich im Gegensatz dazu eine insgesamt weitgehend repräsentative Palette von Autoren und Ansätzen und eine demgemäß umfassendere theoretische Reflexion der deutschen Außenpolitik in den letzten 20 Jahren. Schade, dass man da bei den Kölner Herausgebern nicht über den Schatten der eigenen Tradition springen wollte.

Thomas Jäger, Alexander Höse, Kai Oppermann (Hrsg.): Deutsche Außenpolitik, Sicherheit, Wohlfahrt, Institutionen und Normen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozial- wissenschaften 2007, 638 Seiten, € 34,90

Prof. Dr. HANNS W. MAULL, geb. 1947, lehrt Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Außenpolitik und Internationale Beziehungen an der Universität Trier.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 11, November 2007, S. 139 - 140.

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