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01. Nov. 2004

Was bringt die Doha-Runde?

Weltmarktintegration ist kein Entwicklungspessimismus

Welche Rolle kann die aktuelle Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation (WTO) für die
Entwicklungsländer spielen? Kann die Marginalisierung
der am wenigsten entwickelten Länder durch ihre stärkere Mitwirkung in der WTO
überwunden werden? Antworten auf diese Fragen gibt Georg Koopmann vom Hamburger Welt-
Wirtschaftsarchiv, der für eine entwicklungspolitische Gesamtstrategie plädiert, deren Kernstück
die Armutsbekämpfung bilden müsse.

Die Entwicklungsländer haben ihre Stellung im Welthandel erheblich verbessert. Seit Mitte der achtziger Jahre ist ihr Anteil am Weltexport fast kontinuierlich von etwa einem Viertel auf rund ein Drittel gewachsen. Dieser Anstieg war mit einem dramatischen Wandel der Exportstruktur von agrarischen und mineralischen Rohstoffen zu Manufakturwaren – und zunehmend auch zu Dienstleistungen – verbunden, so dass bereits vier Fünftel des Warenexports der Entwicklungsländer Industriegüter sind.1 Das überkommene Nord-Süd-Modell der Weltwirtschaft, in dem die Länder der Dritten Welt hauptsächlich Primärgüter gegen Verarbeitungsprodukte tauschen, hat einen fundamentalen Wandel erfahren. Dieser Paradigmenwechsel ist auch ein Grund dafür, dass Entwicklungsländer heutzutage sehr viel aktiver am multilateralen Handelssystem teilnehmen als früher.

Parallel zum steigenden Gewicht der Entwicklungsländer im Welthandel hat sich der Anteil des Süd-Süd-Handels am globalen Warenaustausch seit Beginn der neunziger Jahre von rund sechs Prozent auf etwa zwölf Prozent verdoppelt. Damit handeln die Entwicklungsländer inzwischen zwei Fünftel ihrer internationalen Warenströme untereinander. Den Löwenanteil nehmen dabei Industrieprodukte ein, die zugleich vermehrt horizontal innerhalb der gleichen Branche (intraindustrieller Handel) und vertikal im Rahmen grenzüberschreitender Produktionsverbünde (Netzwerkhandel) ausgetauscht werden.2

Die aufgezeigten Strukturen und Entwicklungen verdecken jedoch eine hohe Heterogenität in der Dritten Welt und damit verknüpfte Marginalisierungstendenzen in der Weltwirtschaft. Hiervon sind in erster Linie die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) wie z.B. südlich der Sahara gelegene afrikanische Staaten betroffen.3 In dieser Ländergruppe ist die Spezialisierung auf Rohstoffexporte im internationalen Handel weiter vorangeschritten.

Die LDCs sind auch unterproportional an der Dynamik des Süd-Süd-Handels beteiligt, der in hohem Maße von den Schwellenländern Asiens dominiert wird.4 Der LDC-Anteil am gesamten Welthandel beträgt weniger als ein Prozent (bei einem Anteil an der Weltbevölkerung von über zehn Prozent). Insbesondere jene LDCs, die hauptsächlich agrarische und mineralische Rohstoffe (ohne Rohöl) exportieren, verzeichnen starke Einbußen beim Handel. Dem entspricht eine Stagnation der Pro-Kopf-Einkommen und ein sehr hoher Anteil extremer Armut in den LDCs.

Vor diesem Hintergrund stellen sich folgende Fragen: Welche Rolle kann das in der WTO verkörperte multilaterale Handelssystem für die Entwicklungsländer spielen? Inwieweit trägt die WTO zum Handelswachstum in diesen Ländern und zur Umsetzung des Handelswachstums in nachhaltige Entwicklung bei? Kann die Marginalisierung der LDCs im Welthandel durch eine stärkere Mitwirkung dieser Länder in der WTO überwunden werden? Welchen Beitrag kann die WTO zur Armutsbekämpfung leisten? Ist möglicherweise Süd-Süd-Handel besser als globaler Handel geeignet, Armut zu verringern und Entwicklung zu fördern?

Das multilaterale Handelssystem betreibt die Integration der Entwicklungsländer in den Weltmarkt auf dreifache Weise:

–  Abbau in- und ausländischer Handelsschranken;

–  „Disziplinierung“ der Handelspolitik im In- und Ausland;

–  technische Hilfestellung bei der handelsrelevanten Kapazitätsbildung.

In der Uruguay-Runde (1986 bis 1994), der letzten multilateralen Handelsrunde vor dem Übergang vom GATT zur WTO im Jahr 1995, vollzogen die Entwicklungsländer einen grundlegenden Strategiewechsel: Sie beteiligten sich aktiv am „Spiel“ des Austauschs von Marktzugangsrechten, das die Essenz multilateraler Liberalisierungsverhandlungen bildet, und machten eigene „Zugeständnisse“; das „Grundrecht“ auf Nichtreziprozität ruhte (partiell). Dadurch wurde der Weg für weiter reichende Zollsenkungen und den Abbau nichttarifärer Handelshindernisse gegenüber Produkten frei, bei denen die Entwicklungsländer komparative Vorteile besitzen. Darüber hinaus unterwarfen sich die Entwicklungsländer in der Uruguay-Runde einer Fülle neuer handelspolitischer Disziplinen, die insbesondere bei Dienstleistungen, beim Schutz geistiger Eigentumsrechte und bei Produkt- und Produktionsstandards (wie z.B. Hygienestandards in der Landwirtschaft) in das Regelwerk der WTO eingeführt wurden und grundsätzlich für alle WTO-Mitglieder verbindlich sind. Die Differenzierte Sonderbehandlung der Entwicklungsländer wurde wesentlich modifiziert: Der Akzent liegt seither nicht mehr auf vollständiger und dauerhafter Befreiung von multilateralen Verpflichtungen, sondern auf zeitlicher Streckung der Regeln und technischer Unterstützung bei der Einhaltung.

Im Zuge dieser Entwicklung ist allerdings eine doppelte Kluft entstanden:

–  Die Übernahme weit reichender Verpflichtungen kontrastiert zu der begrenzten Fähigkeit der Entwicklungsländer, die Verpflichtungen auch tatsächlich zu erfüllen (Einhaltungslücke).

–  Die eingegangenen Verpflichtungen sind bindend (und einklagbar), während die Bestimmungen zur technischen Unterstützung vorwiegend unverbindliche Absichtserklärungen enthalten (Verbindlichkeitslücke).

Verschiedene Programme, an denen auch die WTO beteiligt ist, sollen dazu dienen, diese Lücken zu schließen. Beispiele sind das Joint Integrated Technical Assistance Programme (JITAP) für afrikanische Länder und das Integrated Framework for Trade-Related Technical Assistance für die LDCs insgesamt.5 Die Lücken können zugleich als Signal verstanden werden, das multilaterale Regelwerk insgesamt vorerst nicht weiter auszudehnen; ein Moratorium könnte hier angebracht sein.

Konzentration auf Marktzugang

Die politische Brisanz einer weiteren regulatorischen Expansion der WTO spiegelt sich deutlich in der Kontroverse über die Singapur-Themen (Wettbewerbspolitik, Politik gegenüber ausländischen Direktinvestitionen, Transparenz im öffentlichen Auftragswesen und Erleichterungen bei der Handelsabwicklung) wider. Diese bei der ersten WTO-Ministertagung 1996 in Singapur neu aufgeworfenen Fragen waren bei der Konferenz in Doha (November 2001) zunächst zurückgestellt worden; über ihre Weiterbehandlung sollte zur Halbzeit der Doha-Runde in Cancún (September 2003) entschieden werden. Dort wurden sie jedoch zur Bruchstelle für das Scheitern der Konferenz.

Ein entscheidendes Argument – neben dem Vorwurf einer Einmischung in innere Angelegenheiten – war dabei eine Überforderung der Entwicklungsländer bei der Umsetzung und Anwendung solcher Regelungen. Beim Neustart der Verhandlungsrunde in Genf (Juli/August 2004) blieb von den genannten Singapur-Themen nur das letzte – Erleichterung bei der Handelsabwicklung – übrig.

Der neue Verhandlungsrahmen setzt den Schwerpunkt bei Marktzugangsthemen; Regulierungsfragen sind in den Hintergrund getreten. Uneinigkeit über den Marktzugang, insbesondere im Agrarsektor, war in Cancún neben den Singapur-Themen die zweite Bruchstelle der Verhandlungen. Eine wesentliche Rolle spielte dabei die von Brasilien, China, Indien und Südafrika geleitete Koalition der etwa 20 Entwicklungsländer, die eine glaubwürdige Drohung repräsentierte, die Verhandlungen zu blockieren. Nach Wiederaufnahme der Verhandlungen müsste die G-20 aber von einer rein „distributiven“ Strategie zu einer „integrativen“ Strategie übergehen und ihrerseits Konzessionen anbieten, damit ein „Positivsummenspiel“ zustande kommt, bei dem alle Beteiligten gewinnen.6 Im Nachhinein könnte „Cancún“ sich dann als ein kreativer Fehlschlag herausstellen, der die WTO auf ihr Grundgeschäft – die gegenseitige Marktöffnung durch regelgebundenes Verhalten7 – zurückgeführt hat.

Das Potenzial für beiderseits vorteilhafte Liberalisierungsschritte in Industrie- und Entwicklungsländern ist beträchtlich. Entwicklungsländer würden in hohem Maße von einem Abbau der Agrarimportzölle in Industrieländern profitieren. Deren negative Wirkung auf den Agrarexport der Entwicklungsländer wird höher eingeschätzt als die Wirkung der in Industrieländern geleisteten Agrarsubventionen. Auch bei arbeitsintensiv hergestellten Industrieprodukten besteht in Industrieländern weiterhin ein hoher und mit dem Verarbeitungsgrad der Erzeugnisse steigender Zollschutz, dessen Fortfall den Export der Entwicklungsländer erheblich stimulieren würde. Darüber hinaus wäre eine stärkere Liberalisierung des Dienstleistungssektors in Industrieländern für Entwicklungsländer vorteilhaft. Dies gilt vor allem im Hinblick auf „Modus 4“ des internationalen Dienstleistungsverkehrs und entsprechende Wanderungserleichterungen für ungelernte Arbeitskräfte.8 Umgekehrt liegen die Marktzugangsbarrieren in den Entwicklungsländern selbst meist wesentlich höher als in den Industrieländern,9 und die Entwicklungsländer behindern dabei – insbesondere im Agrarsektor – Importe aus anderen Entwicklungsländern häufig noch stärker als Importe aus Industrieländern. Ein Abbau der eigenen Handelsbarrieren (Eigenliberalisierung), einschließlich Erleichterungen bei der Handelsabwicklung, wäre gesamtwirtschaftlich nicht minder vorteilhaft als ein verbesserter Zugang zu den Exportmärkten.

Die Eigenliberalisierung in Entwicklungsländern begann Mitte der achtziger Jahre in größerem Maßstab im Rahmen unilateraler Handelsreformen und wurde in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre im Zuge der Umsetzung der Ergebnisse der Uruguay-Runde fortgesetzt. Diese Entwicklungen haben wesentlich zu der beschriebenen Dynamik des Süd-Süd-Handels und – zusammen mit der induzierten stärkeren Marktöffnung in Industrieländern – des Entwicklungsländerhandels insgesamt beigetragen.

Von präferenziellen Handelsregelungen zwischen Entwicklungsländern auf regionaler oder bilateraler Ebene sind dagegen keine zusätzlichen Impulse für den Süd-Süd-Handel ausgegangen. Der Anteil der entsprechenden Warenströme am gesamten Süd-Süd-Handel hat sich seit 1990 kaum verändert.10 Stärkere Handelseffekte lösen anscheinend Präferenzhandelsabkommen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern aus. Hierauf lässt das Beispiel Mexikos im Nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA schließen. Gemeinsam ist den Präferenzhandelsregimen jedoch, dass sie in zentralen Bereichen nicht greifen (wie z.B. bei den Agrarsubventionen), dass sie zu einem Regelungsdschungel führen, der die Transparenz des Handelssystems untergräbt und die Transaktionskosten im internationalen Handel in die Höhe treibt, und dass sie politisch Sonderinteressen bedienen, die sich tendenziell der multilateralen Handelsliberalisierung widersetzen.

Liberalisierung und Armutsbekämpfung

Dass Liberalisierung Handel schafft, bedeutet indes nicht automatisch, dass sie auch die wirtschaftliche Entwicklung voranbringt und insbesondere die Armut in den LDCs vermindert. Direkte empirische Evidenz über den Zusammenhang zwischen Handelsliberalisierung und Armut ist spärlich. Angesichts der Heterogenität von Armut und der unterschiedlichen Wirkungen einzelner handelspolitischer Reformschritte und des Umfelds, in dem sie stattfinden, sind generelle Aussagen der Art, dass Handelsliberalisierung Armut vergrößert oder verringert bzw. die Armen Verlierer oder Gewinner der Handelsliberalisierung sind, nicht möglich.

Befürchtungen, dass Handelsliberalisierung generell Arbeitsplätze und Löhne der Armen oder – aufgrund sinkender Zolleinnahmen – staatliche Ausgaben zu ihren Gunsten gefährdet, sind nicht fundiert, wenn auch jedes dieser Probleme mit Einzelbeispielen belegt werden kann. Im Einzelfall kann die positive Wirkung von Handelsliberalisierung jedoch von komplementären Maßnahmen abhängen, die „Verlierer“ entschädigen oder die Fähigkeit armer Haushalte stärken, die Vorteile der Liberalisierung zu nutzen.

Insgesamt ist aus vorliegenden theoretischen und empirischen Analysen der Schluss zu ziehen, dass Handelsliberalisierung ein wichtiges Element einer Entwicklungsstrategie für die Armen sein kann. Demnach könnte die Doha-Runde einen signifikanten Beitrag zur Erreichung des Millenniumsziels leisten, die extreme Armut in der Welt bis 2015 (gegenüber 1990) zu halbieren.

Die WTO ist jedoch keine „umfassende Entwicklungsinstitution“, sondern ein Forum zur Aushandlung von Marktzugangsverbesserungen und Festlegung von Spielregeln für die Handelspolitik ihrer Mitgliedsländer. Inwieweit hieraus entwicklungspolitischer Nutzen entsteht, hängt von mehreren Faktoren ab:

–  Einflussnahme der Entwicklungsländer auf die Gestaltung des Marktzugangs und der Spielregeln;

–  effektive Umsetzung und Anwendung der Regeln sowie Nutzung der durch Liberalisierung gebotenen Möglichkeiten;

–  Einbindung der Handelspolitik in die allgemeine Entwicklungspolitik.

Entwicklungspolitik und Weltmarktintegration

In Cancún haben die Entwicklungsländer wie erwähnt erhöhte Verhandlungsmacht durch Koalitionsbildung bewiesen. Notwendig wären zudem institutionelle Reformen, die zu mehr Transparenz in der WTO führen und stärker inklusive Verhandlungen (und damit auch eine Beendigung der Geheimdiplomatie in „green rooms“) gewährleisten.

In der Sache ist die Weiterentwicklung der Differenzierten Sonderbehandlung ein wichtiger Prüfstein für die entwicklungspolitische Relevanz der WTO und Doha-Runde. Im Hinblick auf die Marktzugangskomponente dieser Strategie sollte am Meistbegünstigungsgrundsatz festgehalten werden und Vorzugsbehandlung für Entwicklungsländer sich hauptsächlich darin manifestieren, dass bei typischen Entwicklungsländerprodukten die Handelsbarrieren überproportional abgebaut werden. Bezüglich der Regelkomponente wären die Kriterien der Länderauswahl neu zu bestimmen, so dass im Wesentlichen LDCs und einige weitere Niedrigeinkommensländer mit schwacher institutioneller Kapazität für eine Lockerung handelspolitischer Disziplinen in Frage kämen.

Ähnliches sollte auch für die Einschränkung der Reziprozitätsverpflichtung gelten. Einseitige Forderungen der Entwicklungsländer wecken in Industrieländern den Widerstand inländischer Branchen. Durch die Bereitschaft zur Reziprozität lässt sich hiergegen das Interesse der Exportwirtschaft ins Spiel bringen und ein politisches Gleichgewicht herstellen, bei dem der Marktzugang für Entwicklungsländer deutlich besser ist, als er es bei Nichtreziprozität wäre.

Bei der Umsetzung und Anwendung multilateraler Regeln auf nationaler Ebene ist zwischen Maßnahmen, die „mit einem Federstrich“ in Kraft gesetzt werden können (wie z.B. Zollsenkungen), und solchen Maßnahmen zu unterscheiden, die institutionelle Veränderungen implizieren und einen erheblichen (mit alternativer Mittelverwendung konkurrierenden) Ressourceneinsatz erfordern.

Die ressourcenintensive Regulierung in der Handelspolitik – und eine Stärkung entsprechender Kompetenz in Entwicklungsländern – ist daher auch eine wichtige Aufgabe im Bereich der handelsbezogenen technischen Hilfe. Durch Kooperation bei technischen Vorschriften kann z.B. verhindert werden, dass der Marktzugang in Industrieländern für Unternehmen aus Entwicklungsländern an Verbraucher-, Tier- oder Umweltschutzhürden scheitert. Die Vorteile, die Entwicklungsländer aus der Teilnahme an einem regelbasierten multilateralen Handelssystem ziehen können, würden insoweit erst durch internationale Zusammenarbeit realisiert. Ähnliches gilt für andere Arten der „aid for trade“ wie Hilfestellung bei der Entwicklung des Handels (z.B. durch Erstellung von Marktanalysen) und der Handelsinfrastruktur (Transport, Lagerung, Kommunikation, Energieversorgung usw.).

Auf den Inlandsmärkten erzeugt Handelsliberalisierung Anpassungsdruck. Deshalb wären komplementäre Maßnahmen notwendig, die u.a.

–  im Rahmen einer Reform der sozialen Sicherungssysteme negative Einkommens- und Beschäftigungseffekte (teilweise) kompensieren;

–  im Rahmen fiskalischer Reformen Einnahmeausfälle aufgrund von Zollsenkungen ausgleichen;

–  im Rahmen einer Ausbildungsreform die berufliche Qualifizierung der Arbeitnehmer fördern; und

–  im Rahmen von Technologieförderprogrammen die technologische Qualifizierung der Unternehmen verbessern.

WTO-Regeln sind häufig ein wichtiges Werkzeug für Regierungen bei der Durchsetzung notwendiger Reformen, die im nationalen Interesse liegen, aber von mächtigen Lobby-Gruppen hintertrieben werden. Die Einbindung in das multilaterale Handelssystem unterstützt dabei eine regelorientierte Wirtschaftspolitik und verbessert die Qualität der wirtschaftspolitischen Institutionen. Dies schafft zugleich Vertrauen bei wirtschaftlichen Akteuren wie z.B. ausländischen Investoren.

Gute Entwicklungspolitik ist jedoch keine einfache Resultante der Handelspolitik oder der Integration des jeweiligen Landes in die WTO. Entscheidend ist die Schaffung geeigneter („erstklassiger“) Institutionen in Entwicklungsländern. Dabei ist an erster Stelle die verlässliche Regelung von Eigentumsrechten und Etablierung einer stabilen Rechtsordnung zu nennen. Zur Institutionenbildung gehört wesentlich auch die Institutionalisierung eines effizienten handelspolitischen Entscheidungsprozesses in dem jeweiligen Land. Dadurch wird es möglich, multilateral vereinbarte Handelsregeln in Entwicklungsfortschritte und Erfolge bei der Armutsbekämpfung umzusetzen.

Die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) spricht in diesem Zusammenhang von einem neuen „Entwicklungspessimismus“, der zu der Sicht geführt habe, dass nicht Entwicklung, sondern Weltmarktintegration der beste Weg zur Armutsreduzierung in Entwicklungsländern und speziell in den LDCs sei.11 Tatsächlich sind Entwicklung und Integration aber keine Alternativen. Die Integration der Entwicklungsländer in den Weltmarkt und in das internationale Handelssystem sollte vielmehr Teil einer entwicklungspolitischen Gesamtstrategie sein, deren Kernstück die Armutsbekämpfung bildet.

Anmerkungen

1 Vgl. Will Martin, Developing Countries’ Changing Participation in World Trade, in: The World Bank Research Observer, Bd. 18, Nr. 2/2003, S. 187–203, hier S. 193–199.
2 Letzteres gilt insbesondere für Produkte der Büro- und Informationstechnik, vgl. WTO, World Trade Report 2003, Genf, S. 30.
3 Die Anzahl der LDCs ist seit 1971 von 24 Länder auf heute 50 Länder gestiegen, vgl. UNCTAD, The Least Developed Countries Report 2004, Genf/New York, S. 46–47.
4 Die asiatischen Entwicklungsländer vereinigen mehr als zwei Drittel des gesamten Süd-Süd-Handels auf sich; der Anteil Afrikas beträgt nur ca. 5% (WTO, Anm. 2, S. 27).
5 Koopmann, Der Trade Policy Review Mechanism der WTO, in: Nord-Süd aktuell, Jg. 17, Nr. 1/2004, S. 134–146, hier S. 136 f.
6 Amrita Narlikar, Diana Tussie, The G20 at the Cancún Ministerial: Developing Countries and Their Evolving Coalitions in the WTO, in: The World Economy, Bd.27, Nr. 7, Juli 2004, S. 947–966.
7 Heinz Hauser, Die WTO nach Cancún, in: Außenwirtschaft, Heft IV, 2003, S. 469.
8 Im Allgemeinen Dienstleistungsabkommen (GATS) der WTO wird zwischen vier Arten der internationalen Dienstleistungserbringung unterschieden: grenzüberschreitendes Angebot (z.B. Transport), Konsum im Ausland (z.B. Tourismus); geschäftliche Präsenz im Ausland (z.B. Bankniederlassung); Tätigkeit inländischer Arbeitskräfte im Ausland (z.B. Baukolonne).
9 Jagdish Bhagwati, Don’t Cry for Cancún, in: Foreign Affairs, Januar/Februar 2004, S. 52–63, hier S. 59.
10 Deshalb sind auch die Initiative zur Wiederbelebung des Allgemeinen Systems von Handelspräferenzen zwischen Entwicklungsländern auf der diesjährigen UNCTAD-Konferenz in São Paulo und die vom brasilianischen Präsidenten Lula da Silva propagierte „neue Handelsgeographie“ eher skeptisch zu betrachten.
11 Siehe UNCTAD (Anm. 3), S.XV–XVI.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 11-12, November/Dezember 2004, S. 73‑79

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