Wandel muss wehtun!
Die von der Ampel vereinbarte „feministische Außenpolitik“ stellt die Diplomatie vor große Herausforderungen. In der Praxis braucht sie Härte nach Innen, Zuhören nach Außen und eine bessere Analyse der gesellschaftlichen Gegebenheiten vor Ort.
Wie soll eine feministische Außenpolitik für Deutschland aussehen? Die eine klare Definition, auf die sich alle Expert:innen einigen können, gibt es nicht – dafür sind sowohl der Feminismus als auch die Schnittstelle zur Außenpolitik zu vielgestaltig und zu Recht umstritten. Die große Meinungs- und Analysevielfalt unter Feminismusexpert:innen in der Diskussion mit dem außenpolitischen Establishment ist notwendig und gut. Alle, die Außenpolitik machen oder darüber reden, sind gefordert, gemeinsam die große Leerstelle zwischen feministischen Theoriedebatten und einer außenpolitischen Praxis zu füllen, die bislang weitgehend „genderblind“ war. Genderblindheit bedeutet, die realen Unterschiede im Zugang zu Macht, Geld, Sicherheit etc. zu ignorieren, die in der Zugehörigkeit zu Geschlechter- oder anderen Gruppen begründet sind. Oft wird die Position der Privilegierten so ein weiteres Mal gestärkt, während jene der Benachteiligten weiter geschwächt wird.
Feminismus ist ohnehin mehr als nur ein Etikett für Geschlechtergerechtigkeit oder Frauenförderung. Moderner Feminismus beruht auf der tausendfach nachgewiesenen Beobachtung, dass Benachteiligungen von Frauen vor allem in patriarchalen Gewalt- und Machtverhältnissen wurzeln, die meist auch andere Gruppen betreffen: Einwanderer:innen und ihre Nachkommen jeglichen Geschlechts, queere Menschen, arme Menschen und so weiter. Für Menschen, die mehreren benachteiligten Gruppen angehören, potenzieren sich so die Hürden. Ihnen helfen viele Förderangebote nicht weiter, wenn sie nicht besonders auf die Wechselwirkungen dieser Mehrfachdiskriminierungen ausgerichtet sind. Das ist mit „Intersektionalität“ gemeint. Der intersektionale Feminismus, dem sich die Bundesregierung mit ihrer Faustformel „3R+D“ in ihrer Außenpolitik verschrieben hat, will diese unfairen Macht- und Gewaltverhältnisse überwinden.
Gut geölte Abwehrreflexe gegen Paternalismus und Imperialismus
Das gelingt nicht, indem die üblichen paar „Frauenprojekte“ pro Botschaft einfach verdoppelt werden, am einfachsten im Kulturbereich. Wer sich als Land mit dem Reichtum und Gewicht Deutschlands eine feministische Außenpolitik auf die Fahnen schreibt, muss sich auch in der Praxis dem echten Ausmaß der Ungerechtigkeiten und ihrer massiven negativen Folgen für Frieden, Freiheit und Wohlstand stellen. Da reicht es nicht, ein paar Frauen aus der Oberschicht des Gastlands eine Bühne für ihr Kunstprojekt zu zimmern oder die ohnehin schon gebildeten und mobilen Laptop-Aktivist:innen regional zu vernetzen. Das wäre ein schneller Weg, zumindest die Faustformel von den „3R“ (Rechte, Repräsentation, Ressourcen) zu erfüllen, fördert aber weder das „D“ (Diversität) noch wird sich dadurch viel an den Macht- und Gewaltverhältnissen im Gastland ändern.
Das untrennbar mit dem Feminismus verbundene revolutionäre Moment steht in direktem Widerspruch zu einem Kernbestandteil diplomatischer Kultur. Auch wenn die absolute Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten nie für die Starken galt und auch völkerrechtlich schon lange Geschichte ist, ist der Kern von Außenpolitik nach wie vor das Verhältnis zwischen Regierungen, das ohne ein Mindestmaß an Respekt und Vertrauen nicht funktionieren kann. Ständige Belehrungen von außen und übergriffiges Herumschrauben an den innergesellschaftlichen Machtverhältnissen kennen die meisten Länder gut. Ihre Regierungen und Zivilgesellschaften haben geölte Abwehrreflexe gegen Paternalismus und Imperialismus.
Eine feministische Außenpolitik darf keine besserwisserische Außenpolitik sein, die mit der Selbstgerechtigkeit des reichen, weißen Deutschlands über das Leben der Menschen anderswo urteilt. Doch wenn die diplomatische Kultur von Respekt und Zurückhaltung direkt dazu beiträgt, durch die exklusive Zusammenarbeit mit den bestehenden Eliten deren Gewalt, Repression und Marginalisierung zu legitimieren und aufrechtzuerhalten, dann ist Deutschland Teil des Problems und bei Weitem nicht der Champion für Menschenrechte, als den wir uns gerne sehen.
Widersprüche sind kein Gegenargument
Das ist das Dilemma, das eine praxisorientierte feministische Außenpolitik überwinden muss. Bescheidenheit ist sicher ein Teil der Lösung: Ein Frauenanteil im Deutschen Bundestag von nur 35 Prozent, ein Gender Pay Gap von 18 Prozent (übrigens der viertschlechteste Wert in der EU) und wachsende Fallzahlen von häuslicher Gewalt und Femizid sollten uns vor Hochmut bewahren. Und weil das alles wieder Frauenbeispiele waren: Dasselbe gilt für die mangelnde Aufarbeitung der NSU-Morde, Rassismus, Homophobie sowie die kaum existente Auseinandersetzung mit unserer Kolonialgeschichte und der Raubkunst in deutschen Museen. Die Ampel hat sich einer feministischen Außenpolitik ohne feministische Innenpolitik verschrieben, auch diesen Widerspruch muss die Praxis aushalten.
Bescheidenheit darf aber nicht zur Ausrede werden. Wir verfolgen auch eine Menschenrechtsaußenpolitik trotz Polizeigewalt daheim, eine Klimaaußenpolitik ohne allgemeines Tempolimit und eine Kulturaußenpolitik trotz Pizza Hawaii. Kein Fortschritt ohne Widersprüche.
Das Ausmaß und die Prioritäten des nötigen revolutionären Anspruchs einer feministischen Außenpolitik sind ungeklärt und könnten noch viel expliziteren Streit vertragen. Es ist dringend zu klären, ob der Pazifismus zwingend zum Feminismus gehört und ob die radikale Abrüstungsagenda feministischer Theoretiker:innen schwerer wiegen soll als Deutschlands engste Bündnisse oder das gleichfalls feministische Schutzprinzip für Opfer von Gewalt, ob Deutschland noch Friedensverhandlungen ohne ehrgeizige Frauenquoten finanzieren darf (höchst umstritten während der Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans zu „Frauen, Frieden und Sicherheit“). Es muss diskutiert werden, ob alles vom Kontext abhängt und ein „feministischer Blick“ automatisch die nötigen Veränderungen anstößt (und wie man so einen Blick verordnet) oder ob es doch möglich und notwendig ist, zumindest erste praktische Schritte für eine feministische Außenpolitik quer durch alle Länder und Lagen zu formulieren.
Praxisorientiert, wirkungsorientiert, differenziert
Ein Grundprinzip mag dabei helfen: Wenn es nicht wehtut, dann geht es nicht voran – und wenn der Abwehrreflex im Gastland die Konterrevolution füttert und zu Rückschlägen beiträgt, dann war der Schmerzimpuls zu stark. Eine feministische Außenpolitik muss Machtverhältnisse angreifen, sie steht damit im Widerspruch zu Kerntraditionen der Diplomatie. Dieser Wandel muss wehtun, sowohl intern im Apparat als auch im Verhältnis zu anderen Regierungen. Aber nicht zu sehr: Feministische Außenpolitik braucht einen ambitionierten Pragmatismus, der anders ausbalanciert sein muss als der eines wirksamen zivilgesellschaftlichen Aktivismus. Auch hier bleibt der Streit notwendiger Motor der Weiterentwicklung.
Drei Vorschläge für die Suche nach dem richtigen Schmerzpunkt:
- Mit gutem Beispiel voranzugehen, erfordert Härte nach innen: In jeder Botschaft die mit dem mühsamen Weg zu einer feministischen Außenpolitik verbundene Arbeit einer der jüngsten und meist einer weiblichen Person zuzuteilen, ist der einfache Weg. Der richtige wäre, dass sich gerade Abteilungsleiter:innen und Botschafter:innen die Zeit nehmen, für ihr Land und ihre Themen eine Strategie im Sinne feministischer Außenpolitik zu entwickeln. Dasselbe gilt im Personalbereich: Harte Quoten für Führungspositionen sind der einzige Weg, strukturellen Wandel gegen die Interessen der bisherigen Mehrheit zu schaffen. Und eine feministische Außenpolitik macht, wie jede politische Priorität, Arbeit. Diese Arbeit wird nur erledigt, wenn entweder zusätzliches Personal dafür kommt oder andere Prioritäten hintangestellt werden.
- Die Betroffenen wissen am besten, was sie brauchen: Harte Quoten sind dann keine Lösung, wenn sie vom deutschen Oberlehrer aufgezwungen werden – einem Oberlehrer, der ohnehin nur mit mäßiger Glaubwürdigkeit vor der eigenen Tür kehrt. Aus der allgemeinen Erkenntnis, dass mehr Frauen in Friedensverhandlungen zu dauerhafterem Frieden führen, leitet sich keine simple Quote für jeden Einzelfall ab. Auch feministische Friedensförderung, wie die deutsche Außenpolitik sie künftig betreiben will, muss fallweise analysieren, an welchem Aspekt eines Friedensprozesses die besten Hebel liegen, um von außen Anreize für Inklusivität und Nachhaltigkeit zu setzen. Diese Analyse muss damit anfangen, eine möglichst große Vielfalt lokaler Perspektiven einzubeziehen – wieder etwas, das Zeit und Mühe kostet und nur zu schaffen ist, wenn die notwendigen Ressourcen intern dafür freigemacht werden.
- Lokal sind viele: Mehr, breiter und besser zuhören und politische Dynamiken verstehen zu lernen, muss eine höhere Priorität erhalten. Das Schlagwort der „local ownership“ ist dafür bei Weitem nicht genug. Schwierig wird es gerade dann, wenn sich die Frage stellt, welche lokalen „owner“ zu hören oder zu beteiligen sind, und wieviel Vielfalt nötig ist. Nirgends spricht die Regierung für alle, aber auch die Gebildeten, die Hauptstädter:innen, die Reichen vertreten gerade nicht die Gruppen, deren Marginalisierung eine feministische Außenpolitik helfen muss zu überwinden. Hier schlägt die feministische Außenpolitik in eine Kerbe, die schon länger besteht: die Analyseschwäche außerhalb der OECD-Länder, die aus der katastrophal schlechten Personalausstattung der dortigen Vertretungen rührt.
Anders als in der bisherigen Praxis der Frauen-, Gender- und in weiten Teilen auch der Menschenrechtspolitik erfordert eine glaubwürdige und effektive feministische Außenpolitik nicht nur symbolische Impulse und homöopathisch dosierte Konfliktbereitschaft. Sondern sie muss die Frage nach dem wahrscheinlichen Mehrwert für deutliche Veränderungen der Machtverhältnisse in der Gastgesellschaft in den Mittelpunkt stellen. Mit welcher materiellen Unterstützung, mit welchem politischen Impuls kann eine deutsche Regierung den größten erreichbaren Fortschritt zu einer inklusiven Gesellschaft unterstützen?
Das mag in einem Land ein klassisches Frauenrechtsthema sein, wie etwa die freie Berufsausübung, das Recht, Auto zu fahren oder der Einsatz gegen häusliche und sexuelle Gewalt. Das mag in einem anderen Fall aber auch den Blick auf unterdrückte indigene Völker oder enorme Einkommens- und Vermögensunterschiede lenken – oder darauf, erst einmal die eigene politische Arbeit samt Projektförderungen so umzusteuern, dass die Bundesregierung selbst weniger zur Aufrechterhaltung derjenigen Machtverhältnisse beiträgt, die eine feministische Politik eigentlich überwinden muss. Diese Entscheidung muss für jedes Land, jede Region getroffen werden. Sie erfordert den Mut zum Experimentieren, zum Ausprobieren und dazu, sich auch mal die Finger zu verbrennen.
Internationale Politik, online exklusiv, 19.10.2022