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01. Juli 2013

Wachsen, aber wie?: Das Wachsen können wir uns nicht sparen

Eine Doppelstrategie für Europas Wirtschaftsaufschwung

Der makroökonomische Zustand des Euro-Raums außerhalb Deutschlands ist und bleibt miserabel. Die OECD geht in ihrem aktuellen Ausblick von Ende Mai davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) weiter schrumpft (um 0,6 Prozent im Jahr 2013) und die Arbeitslosigkeit weiter steigt (um 0,9 Prozent von 11,2 Prozent für 2012 auf 12,1 Prozent für 2013). Vor allem in Südeuropa ist die Beschäftigungssituation verheerend.

Die ohnehin bereits hohe Arbeitslosigkeit soll in den kommenden Monaten ungebrochen weiter anschwellen: in Griechenland von 24,2 (2012) auf 28,4 Prozent (2014), in Spanien von 25,0 (2012) auf 28,0 Prozent (2014) und in Portugal von 15,6 (2012) auf 18,6 Prozent (2014). 

Die dramatischen Entwicklungen im Euro-Raum machen eines deutlich: Die bisher verfolgte Spardoktrin ist gescheitert. „Erst sparen, dann wachsen“ hat nicht funktioniert. Allen Anstrengungen zum Trotz wird die Staatsverschuldung nicht geringer, sondern höher. Gemessen am BIP (nach den Definitionen der Maastrichter Kriterien) steigt die Staatsverschuldung in Spanien von 69 (2011) auf 91 Prozent (2013), in Portugal von 108 (2011) auf 128 Prozent (2013), in Italien von 120 (2011) auf 132 Prozent (2013) und in Griechenland von 170 (2011) auf 175 Prozent (2013). In Deutschland hingegen mit seiner vergleichsweise stabilen Wirtschaftlage bleibt die Staatsverschuldung unverändert bei leicht über 80 Prozent.

Ursache des Versagens der bisherigen Doktrin ist der Echoeffekt einer Sanierungspolitik mittels Sparens. Die Strategie, in einer tiefen makroökonomischen Krise auf die Bremse zu treten, trägt für die strukturschwachen, nicht wettbewerbsfähigen und hoch überschuldeten Volkswirtschaften Südeuropas den Keim einer schleichenden und am Ende tödlichen Krankheit in sich. 

In Verbindung mit strukturellen Verwerfungen und konjunkturellen Schwierigkeiten haben die staatlichen Sparprogramme und die Steuer- und Abgabenerhöhungen die Arbeitslosigkeit dramatisch eskalieren lassen. Wenn aber mehr Erwerbsfähige ohne Beschäftigung bleiben, zahlen weniger Menschen Einkommenssteuern und mehr Arbeitslose bedürfen stärkerer staatlicher Transfers. Zusammengenommen steigen die Staatsausgaben und fallen die Steuerereinnahmen. Das laufende Defizit wird größer – nicht kleiner. 

Den Teufelskreis der Überschuldung durchbrechen

In Südeuropa wird offensichtlich, dass es nur eine Lösung gibt, um den eigendynamischen Teufelskreis einer Staatsüberschuldung zu durchbrechen. Es braucht eine Doppelstrategie, die beides – Wachstum und Sanierung – gleichermaßen, aber zeitlich abgestuft verfolgt und zwar gerade in umgekehrter Abfolge als bisher. Also: „erst wachsen, dann sparen“. Was wir brauchen, ist kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch; beides mit Verstand und Vernunft: eine Wachstumsstrategie und eine Sparpolitik.

Für die kurze Frist bedarf es einer erfolgreichen Beschäftigungspolitik. Sie ist Voraussetzung, um über eine bessere wirtschaftliche Entwicklung aus den Staatsschulden wachsen zu können. Ohne eine Makroökonomie, in der die Menschen Jobs finden, sind keine nachhaltige Sanierung defizitärer Staatshaushalte und ein Schuldenabbau möglich. Nur wenn die Bevölkerung Einkommen erzielt, das der Staat direkt in der Lohntüte und indirekt beim Konsum besteuern kann, ist eine Besserung möglich. 

Gleichzeitig müssen die Weichen für strukturelle Reformen gestellt werden. Sie müssen jedem Land ermöglichen, seinen eigenen Weg der Haushaltssanierung einzuschlagen. In Griechenland bedarf es institutioneller Reformen, um feudalistische, aristokratische Verkrustungen zu beseitigen; einer politischen Elite, die das Gemeinwohl und nicht ihr Eigeninteresse verfolgt; einer funktionierenden Verwaltung. Nötig ist eine Steuerbehörde, die Steuergelder einzieht und Steuerhinterziehung bestraft. Ohne eine bessere Staatlichkeit gibt es für Griechenland keine Hoffnung auf eine nachhaltige Gesundung der Wirtschaft und damit eine Grundsanierung der Staatshaushalte.

In Spanien geht es um die Zukunft der Banken. Dank des Euro sanken zunächst die Risikoprämien bei Kreditgeschäften. Dadurch wurde es für Staat wie Private deutlich billiger, sich zu verschulden. Das wurde insbesondere für den Erwerb von Grundstücken und Immobilien genutzt. 

Als Folge stieg die Binnennachfrage. Ein Boom heizte Lohnsteigerungen und damit Kosten an. Das ging so lange gut, bis die Blase platzte, Spekulanten Pleite gingen, Baufirmen insolvent wurden und Beschäftigte massenweise ihre Jobs verloren. Nun steckte die private Überschuldung erst die Finanzinstitute, dann die öffentlichen Haushalte an. Weil der Staat als Retter auftrat, der Konjunktur und Banken stützte sowie zusätzliches Arbeitslosengeld ausschüttete, wurden die staatlichen Schuldenlöcher rasch tiefer.

Vor Ausbruch der Finanzmarktkrise 2008 lag die spanische Staatsverschuldung deutlich unterhalb von 50 Prozent des BIP und damit bei Weitem innerhalb der Maastrichter Stabilitätskriterien. Erst in den vergangenen Jahren ist sie auf über 70 Prozent gestiegen. Dazu trugen auch die finanziell relativ autonomen spanischen Regionen bei, auf die rund die Hälfte aller öffentlichen Ausgaben entfällt. Das Staatsdefizit stieg seit 2010 auf rund 100 Milliarden Euro pro Jahr heute. Das sind rund 10 Prozent des spanischen BIP. Zur Erinnerung: Nach den längst zur Illusion gewordenen Maastrichter Stabilitätskriterien der Euro-Vereinbarungen dürfte der Fehlbetrag nicht über 3 Prozent des BIP liegen. 

Bei der spanischen Grippe zeigt sich eindrücklich, dass alte Heilmittel nicht wirken können. So wichtig die insbesondere von Deutschland geforderte Grundsanierung der öffentlichen Haushalte langfristig ist, so tödlich wirkt eine entbehrungsreiche Austeritätspolitik der Budgetkürzungen und Steuererhöhungen kurzfristig. Das gilt im Übrigen auch für das südeuropäische Kostenproblem. 

Ursache für die fehlende südeuropäische Wettbewerbsfähigkeit sind die unterschiedliche Produktivitätsentwicklung auf der einen und die starren Wechselkurse innerhalb der Euro-Zone auf der anderen Seite. Zusammen haben sie die südeuropäische Attraktivität insbesondere gegenüber Deutschland im letzten Jahrzehnt massiv verschlechtert. Das lässt sich durch keine Sparpolitik beseitigen, schon gar nicht kurzfristig. 

Nobelpreisträger Joseph Stiglitz hat Recht, wenn er fordert, „etwas Neues zu probieren“. Austerität ist keine Wachstumsstrategie. Budgetkürzungen und Steuererhöhungen zum jetzigen Zeitpunkt strangulieren die südeuropäischen Wirtschaften. Die Rezession dauert an. Nichts wird besser, nur alles schlechter. Erst implodiert die Wirtschaft, dann die Gesellschaft und schließlich die Staatlichkeit. 

Deshalb kann es – gerade aus deutscher Sicht – nicht darum gehen, zum x-ten Mal das Unmögliche zu fordern und von den Südeuropäern zu verlangen, was sie nicht leisten können. Es bringt nichts, darauf zu pochen, dass kurzfristig die Steuereinnahmen erhöht und die Staatsausgaben reduziert werden, wenn nicht zuallererst die elementarsten Voraussetzungen für eine langfristige Gesundung der Wirtschaft und ein starkes Wachstum geschaffen werden. Oder, wie es Stiglitz formuliert: „Es braucht vor allem Wachstum, um aus der Krise zu kommen.“

Prof. Dr. Thomas Straubhaar ist Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI) und lehrt Volkswirtschaft an der Universität Hamburg.

 
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2013, S. 10-13

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