IP Special

28. Apr. 2025

Von der Vision zur Wirklichkeit

Ein Jahrzehnt ist vergangen, seit die Afrikanische Union ihren Plan für die Zukunft des Kontinents ­präsentiert hat: die Agenda 2063. Wie steht es um die Umsetzung ihrer Ziele angesichts veränderter geopolitischer Vorzeichen? Eine Zwischenbilanz.

Bild
Bild: Menschen an einem Bahnhof
Zug um Zug: Neue Schienennetze und andere moderne Infrastruktur sollen den Weg für Afrikas Zukunft ebnen.
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten

Um der Entwicklung Afrikas einen strategischen Rahmen zu geben, rief die Afrikanische Union (AU) vor zehn Jahren die Agenda 2063 ins Leben. Ihre Wurzeln hat die Agenda im Panafrikanismus; sie zielt darauf, ein wohlhabendes, integriertes, friedliches und sicheres Afrika mit einer starken kulturellen Identität zu schaffen. Der Kontinent soll durch nachhaltige und inklusive Entwicklung zu einem globalen Kraftzentrum werden.

Heute sind die Ziele zwar immer noch die gleichen, doch der starke unipolare Rückenwind, der damals die Entstehung der Agenda beflügelte, hat sich inzwischen zu einem lauen Lüftchen abgeschwächt. In einer neuen geopolitischen Realität – geprägt von rivalisierenden Großmächten, dem Wettbewerb um kritische Rohstoffe, der Neuordnung globaler Lieferketten, technologischem Fortschritt und der Transformation der Arbeitswelt – steht die Agenda 2063 vor einem echten Härtetest: Gelingt es der AU, ihre Pläne für die Entwicklung Afrikas auch unter veränderten Bedingungen umzusetzen?

Die AU konnte im vergangenen Jahrzehnt bei mehreren wichtigen Projekten Fortschritte erzielen. Ein Meilenstein ist das 2019 von 54 Staaten unterzeichnete Abkommen über eine afrikanische kontinentale Freihandelszone (AfCFTA), das seit 2021 umgesetzt wird. Der innerafrikanische Handel macht derzeit nur rund 15 Prozent des gesamten afrikanischen Handelsvolumens aus und wird überwiegend von der Region Südliches Afrika getragen.

Noch in der Planungsphase befindet sich das integrierte Hochgeschwindigkeitszugnetz, das die Hauptstädte Afrikas verbinden und den panafrikanischen Handel stärken soll. 2016 unterzeichnete die AU ein Partnerschaftsabkommen mit China. Drei Pilotprojekte wurden bereits ausgewählt, darunter die Strecke zwischen der tansanischen Hafenstadt Dar es Salaam und Ruandas Hauptstadt Kigali sowie die Route zwischen Kampala in Uganda und Bujumbura in Burundi.

Ein weiteres Vorzeigeprojekt ist die 2019 gegründete panafrikanische virtuelle Universität, die afrikanischen Studierenden mithilfe von Fernunterricht und E-Learning den Zugang zu Hochschulbildung ermöglicht. Seit 2022 verfolgt die AU zudem eine Rohstoffstrategie, die darauf abzielt, die Wertschöpfung vor Ort zu steigern und Afrika stärker in globale Wertschöpfungsketten einzubinden. Außerdem setzt sich die AU weiterhin für Reparationen und für die Rückführung von Artefakten ein, die dem Kontinent gestohlen wurden. 


Das westliche Vorbild schwindet

Die Agenda 2063 steht allerdings auch vor enormen Herausforderungen: Veränderungen in der politischen Dynamik im Westen, Afrikas Abhängigkeit von externer Finanzierung, hohe Verschuldung, anhaltende Konflikte, separatistische Bewegungen, zerstrittene regionale Wirtschaftsblöcke und ein enormer geopolitischer Druck erschweren ihre Umsetzung.

In ihrem Streben nach Demokratie, guter Regierungsführung und Menschenrechten orientiert sich die Agenda 2063 an Idealen, die heute immer mehr an Einfluss verlieren. In den westlichen Hauptstädten stellen neue Bewegungen traditionelle Machtstrukturen infrage. Diese starke Fragmentierung hat dazu geführt, dass der Westen seiner missionarischen Wertepolitik und seinen Finanzierungs­initiativen für den afrikanischen Kontinent weniger Aufmerksamkeit schenkt. 

Zudem offenbaren die Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten, insbesondere in Israel, die Widersprüchlichkeit westlicher Staaten, wenn es um die Wahrung von Menschenrechten und die Einhaltung des Völkerrechts geht. Die moralische Autorität des Westens wurde dadurch massiv untergraben. 

Westliche Regierungsmodelle geraten auch anderweitig verstärkt unter Druck – sei es durch den Einsatz von Wirtschaftssanktionen, durch die Nutzung digitaler Technologien zur Einmischung in demokratische Prozesse oder durch die gezielte Verbreitung manipulativer Narrative, um den politischen Gegner zu schädigen. 

Afrika muss daher neue Inspirationsquellen für seine Transformationsagenda suchen und darf sich nicht allein auf Wahlprozesse verlassen, die oft nur bedingt den Willen der Bürger widerspiegeln.


Weniger statt mehr Stabilität

Mit der Initiative „Silencing the Guns“ (Die Waffen zum Schweigen bringen) hat sich die AU in ihrer Agenda zum Ziel gesetzt, Kriege und gewaltsame Konflikte auf dem Kontinent einzudämmen. Doch dieses Bestreben wird immer mehr zur Illusion. 

So gab es allein in Westafrika seit 2020 zahlreiche Militärputsche, darunter zwei in Mali und zwei in Burkina Faso. Diese Entwicklung ist auch darauf zurückzu­führen, dass sich regionale Wirtschaftsblöcke wie ECOWAS – die Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten – bei der Lösung von Sicherheitsproblemen wie Terrorismus und Aufständen als ineffektiv erwiesen haben.

Der Austritt der Sahel-Staaten Niger, Burkina Faso und Mali aus ECOWAS mit der Begründung, die Gemeinschaft diene kolonialen Interessen, ist ein schwerer Rückschlag für die Bemühungen der AU um Einheit und Integration. Die Länder der Sahelzone nähern sich immer weiter Russland als einem Gegengewicht zum Westen an. Ihr Ziel ist eine größere außenpolitische Autonomie und die bestmögliche Nutzung ihrer natürlichen Ressourcen. Der ungelöste Territorialkonflikt in der Westsahara birgt zusätzliches Spannungspotenzial in der Region.

Die moralische Autorität des Westens wurde untergraben; westliche Regierungsmodelle geraten unter Druck: Afrika muss nach neuen Inspirationsquellen für seine Agenda suchen

Im Osten bietet das Horn von Afrika, das an das Rote Meer und den Golf von Aden grenzt, Zugang zu den verkehrsreichsten Schifffahrtsrouten der Welt – Routen, die für den internationalen Handel zwischen Europa, Asien und Afrika von entscheidender Bedeutung sind. Auch geopolitische Interessen stoßen hier hart aufeinander, was sich indirekt auch auf die Position der Separatisten in Somaliland auswirkt. Die geografische Nähe zum Nahen Osten verleiht der autonomen Region im Nordwesten Somalias einen strategischen Wert für die Energiesicherheit externer Mächte.

Die gewaltsamen Konflikte zwischen ethnischen Gruppen im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) und im Sudan werden durch das komplexe Zusammenspiel historischer und wirtschaftlicher Faktoren angetrieben: Die Geschichte des Sudan ist geprägt von religiösen Spaltungen, die externe Mächte immer wieder ausgenutzt haben, um Zugang und Kontrolle über die riesigen Goldvorkommen und landwirtschaftlichen Flächen zu erlangen; auch die DR Kongo verfügt über riesige Rohstoffvorkommen, die von bestehenden und aufstrebenden Weltmächten benötigt werden.


Massive Schuldenkrise

Afrika hat in seiner Geschichte wiederholt Wirtschaftssystemen in die Karten gespielt, die es ausgebeutet, unter Druck gesetzt und manipuliert haben. Für die Agenda 2063 verheißt das nichts Gutes. 

Afrikanische Länder, die sich im Ausland in Fremdwährungen verschuldet haben, bleiben anfällig für Wechselkursschwankungen und Schulden. Die Situation wird durch ausländische Systeme der Bonitätsbewertung verschlimmert, deren Parameter die Komplexität afrikanischer Volkswirtschaften außer Acht lassen. Auf diese Weise werden die Kreditkosten in die Höhe getrieben: Laut einer Studie des UN-Entwicklungsprogramms kosten verzerrte Ratingsysteme Afrika schätzungsweise 74,5 Milliarden US-Dollar im Jahr. 

Im Jahr 2023 entfielen zwei Drittel der afrikanischen Schulden – also rund 1,2 Billionen US-Dollar – auf externe Kreditgeber. Besorgniserregend ist vor allem das Tempo, in dem Afrika Schulden angehäuft hat. Zwischen 2012 und 2022 stieg die Zahl der Länder mit einem hohen Risiko, ihre Kredite nicht bedienen zu können, von neun auf 23. Die Verschuldung des Kontinents im Verhältnis zum Bruttoinlands­produkt (BIP) ist zwischen 2010 und 2023 von 31 auf 67 Prozent gestiegen. Verschärft wird die Schuldendynamik zudem durch die Abwertung afrikanischer Währungen gegenüber dem US-Dollar. 

Während die Zinszahlungen aller Entwicklungsländer in den vergangenen zehn Jahren im Durchschnitt um 64 Prozent gestiegen sind, mussten die afrikanischen Länder im gleichen Zeitraum einen Anstieg um 132 Prozent verkraften. Das ist doppelt bitter, denn jeder US-Dollar, den Afrika für den Schuldendienst ausgibt, fehlt in den Etats für Bildung, Gesundheit und Investitionen. Kurzum: Afrikas Verschuldung untergräbt massiv die Umsetzung der Agenda 2063. 


Hürden für den Handel

Das große Versprechen der Freihandelszone AfCFTA, einen einheitlichen kontinentalen Markt mit mehr als 1,3 Milliarden Menschen und einem gemeinsamen BIP von 3,4 Billionen US-Dollar zu schaffen, steht ebenfalls vor großen Herausforderungen.

Afrika spielt in den globalen Wertschöpfungsketten hauptsächlich als Rohstofflieferant eine Rolle, was die Integra­tion des afrikanischen Marktes erschwert. Afrikas Anteil am Welthandel liegt bei dürftigen 3 Prozent des Gesamtvolumens von 33 Billionen US-Dollar. Im verarbeitenden Gewerbe, das weltweit 16,2 Billionen Dollar ausmacht, sind es nicht einmal 2 Prozent.

Gelder, die Afrika für den Schuldendienst ausgibt, fehlen in den Etats für ­Bildung und Gesundheit

Der Kontinent leidet unter einem großen Vertrauensdefizit, das seine Wurzeln zum einen im internationalisierten Sklavenhandel hat, der die alten, florierenden Handelssysteme ins Wanken gebracht hatte. Die zweite Ursache geht auf den Kampf der europäischen Mächte um Afrika zurück. Damals wurden die einheimischen Handels- und Marktsysteme weiter geschwächt und den Interessen der Kolonialmächte untergeordnet, die ein Handelssystem für sogenannte „Cash Crops“ und Rohstoffe schaffen wollten.

Afrikanische Unternehmer sollen sich eigentlich für die Weiterentwicklung der kontinentalen Freihandelszone einsetzen, doch sie stoßen auf zahlreiche Hürden: Die starke Konkurrenz aus dem Ausland, Banken im Auslandsbesitz, die ihnen den Zugang zu Krediten verwehren, und der Mangel an internationalen Soft Skills erschweren ihr Vorankommen. Afrikanische Unternehmer sind stattdessen gezwungen, auf nicht innovative staat­liche Dienstleistungen und informelle Wirtschaftsaktivitäten auszuweichen. 

Vor allem der Zugang zur Finanzierung bleibt ein großes Hindernis für den afrikanischen Privatsektor, der größtenteils aus Kleinst-, Klein- und Mittelunternehmen besteht. Es gibt zwischen 55 und 67 Millionen solcher Unternehmen, von denen schätzungsweise 70 Prozent unterfinanziert sind; ihr Finanzbedarf dürfte zwischen 385 und 455 Milliarden Dollar liegen. Die schlechte Verkehrsinfrastruktur, schwache logistische Rahmenbedingungen und unzureichende Einrichtungen zur Abfertigung an den Grenzen sind weitere große Hürden für das Streben nach einer kontinentalen Freihandelszone.

Der Zugang zur Finanzierung bleibt ein großes ­Hindernis für den afrika­nischen Privatsektor

Die AfCFTA-Initiative wird auch durch Spannungen zwischen und innerhalb regionaler Wirtschaftsblöcke gefährdet, die eigentlich strategische Einheiten zur Förderung des panafrikanischen Handels, der Infrastrukturentwicklung und der Konfliktlösung sein sollten. Sich überschneidende Mitgliedschaften führen jedoch zu Unstimmigkeiten, zusätzlichen Verpflichtungen und Herausforderungen bei der politischen Entscheidungsfindung. 

Wenn sich die regionalen Wirtschaftsgemeinschaften in Afrika als fragil erweisen, weil sie Handelsströme aufgrund militärischer Konflikte unterbrechen, untergräbt auch das die AfCFTA-Initiative. In Ostafrika zum Beispiel bürgerte sich der Ausdruck „Koalition der Willigen“ ein, als Kenia, Uganda und Ruanda eine ­Dreier-Initiative schmiedeten, um die regionale Integration voranzutreiben und dabei versuchten, Tansania und Burundi wegen angeblicher Abgehobenheit ins Abseits zu drängen. In Westafrika traten Niger, Mali und Burkina Faso aus ECOWAS aus, weil sie diese Organisation beschuldigten, ein Agent ausländischer Kolonialmächte zu sein. Die Arabische Maghreb-Union (UMA) mit fünf Mitgliedstaaten ist nur schwach integriert und leidet unter dem ewigen Konflikt zwischen Algerien und Marokko und dem Zusammenbruch der libyschen Regierung 2011.


Geopolitischer Druck

Afrika steht zudem unter erheblichem geopolitischen Druck, der die Umsetzung der Agenda 2063 gefährdet. In der multipolaren Welt von heute konkurrieren Großmächte wie die USA, China, Russland und die Länder des Nahen Ostens um Einfluss auf dem Kontinent. Das Ziel, die Waffen in Afrika zum Schweigen zu bringen, wirkt in der sich abzeichnenden Ära eines neuen kalten Krieges utopisch, wie die Zunahme von Terrorismus, Aufständen, Militär­putschen und offenen Kämpfen zeigt. 

Gleichzeitig schwindet die „Großzügigkeit“ des Westens, der seine Auslandshilfen teils massiv kürzt – eine Entwicklung, die Afrika unter Druck setzt, innovative Wege zur Finanzierung seiner Agenda zu suchen. Doch leider mangelt es dem ­Kontinent noch immer an der ­notwendigen Verhandlungsmacht, um mit externen Partnern auf Augenhöhe zu agieren.


Möglichkeiten für die Agenda 2063

Trotz aller Herausforderungen gibt es auch Grund zur Hoffnung, was die Erfolgsaussichten der Agenda 2063 betrifft: Dank fortschreitender Urbanisierung, einer jungen, wachsenden Bevölkerung und reichhaltiger Vorkommen an kritischen Rohstoffen verfügt der Kontinent über beste Voraussetzungen, um als Zulieferer, Produktionszentrum und globaler Markt weltweit an Bedeutung zu gewinnen. 

Der Kontinent kann sich im Bereich der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz den Aufstieg privater Akteure zunutze machen, die alte Strukturen in den globalen Beziehungen ins Wanken gebracht haben. Diesen Wandel gilt es zu nutzen, um neue wirtschaftliche Perspektiven zu erschließen. Digitale Plattformen eröffnen Afrika die Möglichkeit, neue ­Modelle der Entwicklungszusammen­arbeit zu verwirklichen – mit dem Ziel, den Kontinent als aktiven Gestalter und nicht nur als Empfänger internationaler Hilfe zu positionieren.
Wenn der Kontinent die richtigen Lehren aus seiner Geschichte zieht und das Wachstum von Unternehmen fördert, kann er außerdem die Grundlage schaffen, um die Vorherrschaft externer Mächte herauszufordern und sich aus der Rolle des bloßen Rohstofflieferanten zu lösen. 


Urbanisierungsboom 

Der Anteil der afrikanischen Bevölkerung, der in städtischen Gebieten lebt, ist in weniger als 60 Jahren von 15 auf 40 Prozent gestiegen – Europa brauchte für den Sprung 110 Jahre. Zwischen 2000 und 2020 befanden sich sechs der 20 am schnellsten wachsenden Städte der Welt in Afrika. 

Diese rasche Urbanisierung ist Ausgangspunkt für Wachstum und Marktchancen des Kontinents, denn: Wachsende Städte sind wichtige Knotenpunkte für Infrastrukturvorhaben wie die chinesische „Belt and Road“-Initiative oder auch das Global-Gateway-Projekt der EU.


Demografische Dividende

Der afrikanische Kontinent hat mit rund 1,5 Milliarden Menschen bereits doppelt so viele Bewohner wie Europa und nähert sich mit großen Schritten der Bevölkerungsgröße Asiens. Schätzungen zufolge wird die Bevölkerung in Asien bis 2100 um 285 Millionen zurückgehen, in Europa um 150 Millionen und in Lateinamerika und der Karibik um 50 Millionen. Im Gegensatz dazu wird Afrika bis zur Jahrhundert­wende einen Zuwachs von 2,2 Milliarden Menschen verzeichnen.

Voraussichtlich bis 2085 wird Afrika Asien als Re­gion mit der weltweit größten Jugendbevölkerung ­ablösen. Investitionen in ­junge Menschen sind daher ­Afrikas größtes Kapital

Afrika stellt etwas mehr als 15 Prozent der weltweiten Erwerbsbevölkerung. Heute liegt Asien in dieser Hinsicht noch vorn, aber Schätzungen zufolge wird sich der Anteil Afrikas bis 2100 fast verdreifachen. Außerdem wird Afrika voraussichtlich bis 2085 Asien als Region mit der weltweit größten Jugendbevölkerung ablösen. 

Investitionen in die Bevölkerung, deren Durchschnittsalter bei 19,7 Jahren liegt, sind daher Afrikas größtes Kapital. So kann der Kontinent viele hochqualifizierte Arbeitskräfte hervorbringen und Wirtschaftsleistungen anbieten, die sowohl auf dem afrikanischen Markt als auch global von großer Bedeutung sind. 

Es braucht die Ideen und Innovationen junger Menschen, um neue Marktchancen für Waren und Dienstleistungen zu schaffen, die ausländische Investitionen anziehen und den globalen Einfluss des Kontinents steigern.


Reich an natürlichen Ressourcen

Doch nicht nur Afrikas Humankapital ist gefragt. Der Kontinent beherbergt über 65 Prozent des weltweit noch nicht bewirtschafteten Ackerlands, schätzungsweise 30 Prozent der weltweiten Mineralien­reserven sowie zahlreiche Öl- und Gasvorkommen – natürliche Ressourcen, die für die Energiewende in Industrieländern ­unerlässlich sind.

Wenn etwa die EU ihren Green Deal vorantreiben und bis 2050 klimaneutral werden will, ist sie darauf angewiesen, dass die afrikanischen Länder alle wesentlichen Beiträge zu diesem Ziel liefern. So gibt es bereits Vereinbarungen zwischen der Europäischen Union und Ruanda, Sambia sowie der DR Kongo über den ­Zugang zu kritischen Rohstoffen.

Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels erfordern Investitionen in Höhe von schätzungsweise drei Billionen Dollar. Insbesondere die Abkehr von fossilen Brennstoffen führt zu einer verstärkten Nachfrage nach afrikanischen Bodenschätzen, die für saubere Energien benötigt werden. 

Auch der rasant wachsende Energie­bedarf von Rechenzentren, KI-Anwendungen und Kryptowährungen, der sich laut Schätzungen der Internationalen Energieagentur bis 2026 im Vergleich zu 2022 auf rund 1000 Terawattstunden verdoppeln könnte, rückt Afrikas reiche Vorkommen an kritischen Rohstoffen in den Fokus, die für Batterien, Prozessoren und andere Schlüsselkomponenten unerlässlich sind. 


Digitale Revolution 

Auch der technologische Fortschritt birgt für Afrika ein großes Potenzial – vom Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung bis hin zu wirtschaftlichen Chancen. 

Besonders vielversprechend ist in diesem Zusammenhang das Wachstum der digitalen Wirtschaft. Schätzungen zufolge werden digitale Zahlungen und Geldtransfers in Afrika bis Ende 2025 ein Volumen von mehr als 500 Milliarden Dollar erreichen; die Zahl der E-Commerce-Nutzer in Afrika dürfte in diesem Jahr die 500-Millionen-Marke überschreiten, was das BIP des Kontinents um 180 Milliarden Dollar erhöhen könnte.

Die Weltbank schätzt, dass die digitale Revolution allein in den Ländern südlich der Sahara bereits rund 21,7 Millionen digitale Gig-Worker hervorgebracht hat – also Menschen, die über Online-Plattformen kurzfristige, projektbasierte oder einmalige digitale Dienstleistungen anbieten. Davon sind rund 17,5 Millionen in Südafrika, Nigeria und Kenia tätig. Die digitale Gig-Wirtschaft wird auch in Zukunft Chancen für Wachstum, Unternehmertum und die Beschäftigung von Millionen Menschen in Afrika schaffen.


Afrika in einer multipolaren Welt 


Im Rahmen der Süd-Süd-Kooperation – der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Ländern des Globalen Südens – gewinnt Afrika in einer multipolaren Welt immer mehr an Bedeutung. So setzt die BRICS-Allianz, ursprünglich bestehend aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, auf Afrika als gleichgesinnten Verbündeten, wenn es um die Neugestaltung der globalen Handels-, ­Finanz- und Kreditbewertungssysteme geht. Vertreter Afrikas waren auch mit eigenen Initiativen erfolgreich, wie etwa die Klage Südafrikas gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof zeigt. 

Ein weiteres Erfolgsbeispiel ist der Vorstoß Nigerias, die internationale ­Steuerkooperation künftig nicht mehr bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OSZE), sondern bei den Vereinten Nationen anzusiedeln, um Entwicklungsländern mehr Mitspracherecht zu geben. Der entsprechende Resolutionsentwurf erhielt bei der Abstimmung in der UN-Generalversammlung 2023 eine breite Mehrheit.


Ein panafrikanischer Geist

Die unipolare Weltordnung, die die ursprüngliche Vision der Agenda 2063 prägte, gehört der Vergangenheit an. Heute drängen immer mehr Staaten, politische Organisationen und andere Player auf den afrikanischen Kontinent, um ihren Einfluss zu vergrößern.

Der Erfolg der Agenda 2063 hängt daher insbesondere von der Anpassungsfähigkeit der AU an eine sich rasch verändernde geopolitische Realität ab. Hierfür muss die AU in der Lage sein, die vorhandenen Stärken des Kontinents zu identifizieren und strategisch zu nutzen – sei es in Bezug auf die natürlichen Ressourcen, das Humankapital oder das kulturelle Erbe Afrikas. 
Darüber hinaus ist es an der Zeit, ein panafrikanisches Narrativ wiederzubeleben – einen kraftvollen, verbindenden Aufruf zum Handeln. Ein solcher pan­afrikanischer Geist ist entscheidend, um unterschiedliche Interessengruppen auf dem gesamten Kontinent zu mobilisieren und das Ziel der Agenda gemeinsam zu verfolgen: Afrika bis 2063 als einfluss­reiche globale Macht zu etablieren.


Aus dem Englischen von Bettina Vestring    

Für Vollzugriff bitte einloggen.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special 2, Mai 2025, S. 4-11

Teilen

Themen und Regionen

Mehr von den Autoren

James Shikwati ist Gründer und Direktor des Inter Region Economic Networks (IREN), einem Thinktank zur Entwicklung von Strategien für die Verbesserung der Lebensqualität in Afrika.

0

Artikel können Sie noch kostenlos lesen.

Die Internationale Politik steht für sorgfältig recherchierte, fundierte Analysen und Artikel. Wir freuen uns, dass Sie sich für unser Angebot interessieren. Drei Texte können Sie kostenlos lesen. Danach empfehlen wir Ihnen ein Abo der IP, im Print, per App und/oder Online, denn unabhängigen Qualitätsjournalismus kann es nicht umsonst geben.