IP

01. Apr. 2006

Fehlentwicklungshilfe

Mit eigenständigen Lösungen kann Afrika eine neue Rolle spielen

Traditionelle Entwicklungshilfe hat Afrika nicht vorangebracht. Stattdessen hat sie Volkswirtschaften geschwächt, autoritäre Führer gestärkt, freies Unternehmertum ausgehebelt und Möglichkeiten zu eigenständigen afrikanischen Lösungsansätzen untergraben. Wirtschaftliche Liberalisierung im Verbund mit Rechtsstaatlichkeit und einer stabilen Eigentumsordnung wäre die wesentlich bessere Form der Entwicklungshilfe.

Nach mehr als einem halben Jahrhundert Entwicklungshilfe ist Afrika stärker verschuldet und wirtschaftlich labiler als jemals zuvor. Bevor die internationale Hilfsindustrie aufkam, gab es in Afrika blühende wirtschaftliche Inseln, die sich in der Nähe von Seen, Flüssen, Bergbaugebieten und Küstenhäfen ballten. Ende des 17. Jahrhunderts betraten europäische Händler den Kontinent und ebneten dem Kolonialismus den Weg, der die traditionelle afrikanische Wirtschaftsweise zerstörte und Afrika willkürlich aufteilte.

Der Rückzug der Kolonialmächte in den fünfziger und sechziger Jahren führte zum Zusammenbruch der Wirtschaft und zu politischem Chaos. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass Afrika nicht der einzige Kontinent ist, der jemals kolonialisiert wurde. Auch die britischen Inseln erlebten einen wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch, als sich die römischen Herrscher zurückzogen, erholten sich später bekanntlich aber wieder.1 In Afrika machte die Kolonisierung den Stammesgesellschaften, die zuvor nicht wussten, was sich hinter den Bergen und dem Dschungel befand, plötzlich die ungeheure Weite ihres Kontinents und seinen Reichtum an Menschen und Bodenschätzen bewusst. Auch der verstorbene Ökonom Peter Bauer hat darauf hingewiesen, dass im Laufe der Weltgeschichte die meisten Gesellschaften den Weg aus der Armut ohne Hilfsgaben von außen geschafft haben. Jedes entwickelte Land war einmal unterentwickelt. Stimmte die Theorie des Teufelskreises, hätte die Menschheit die Steinzeit niemals hinter sich gelassen.2

Wenn ich im Folgenden den schädlichen Einfluss der Entwicklungshilfe kritisiere, meine ich nicht humanitäre Hilfsaktionen im Falle etwa von Naturkatastrophen, die außerhalb der menschlichen Kontrolle liegen. Was wir Entwicklungshilfe nennen, besteht aus Darlehen, Subventionen, Zuschüssen und Official Development Assistance (ODA). Entwicklungshilfe hat die Grenzen aus der Kolonialzeit aufrechterhalten, den Afrikanern die Wirtschaftssysteme der Industrieländer oktroyiert und ihnen so die Chance genommen, ihren eigenen Entwicklungsweg zu bestimmen. Entwicklungshilfe nützt vor allem den Gebern, den afrikanischen Eliten und Teilen der Mittelklasse. Eigenständige privatwirtschaftliche Initiativen werden zugunsten eines regierungsamtlich installierten Privatsektors verdrängt. Daher zieht jeder Regierungswechsel in Afrika stets auch einen beachtlichen Personalwechsel in diesem Privatsektor nach sich. Letzten Endes profitiert nicht Afrika von der Hilfsindustrie, sondern die internationale Rohstoffindustrie, Banken, Wirtschaftsprüferfirmen und lokale Filialen von auswärtigen Unternehmen.3 Paradoxerweise liegt es nicht im Interesse der Hilfsindustrie, einheimische afrikanische Lösungsansätze zu fördern, da sie von den afrikanischen Problemen lebt.

Die Mehrheit der afrikanischen Länder ist in großem Maßstab von Hilfe abhängig. 34 von ihnen zählen zur Kategorie der am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries – LDC).4 In Uganda und Tansania etwa speisen sich 50 Prozent des Staatshaushalts aus Entwicklungshilfe. In solchen Fällen hört die Führung nicht auf ihre Wählerschaft, sondern auf die Geldgeber. Afrikanische Politiker verbringen ihre Zeit lieber in Verhandlungen mit Geldgebern als mit der Entwicklung eigenständiger Lösungsansätze.

Der Weltbank zufolge stieg der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt aller subsaharischen Länder von 3,4 Prozent im Jahr 1980 auf 16,3 Prozent im Jahr 1995. Mit diesen Geldern werden grundlegende Regierungsprogramme sowie fast alle Entwicklungsausgaben der Regierungen finanziert. Der Anteil des subsaharischen Afrikas am Welthandel ist von 3,1 Prozent im Jahr 1955 auf 1,2 Prozent gesunken. Die Abhängigkeit von Entwicklungshilfe hat Afrika die Fähigkeit genommen, effektiv am Welthandel teilzunehmen, was zu geringerer Produktivität und damit zu noch mehr Abhängigkeit führt. Der Unternehmergeist der Bevölkerung wird damit stillgelegt.

Noch schlimmer ist zweckgebundene Hilfe, da der Zwang zum Bezug von Material und Expertenwissen von den Geberländern den Re-Export der Spendengelder in das Geberland zur Folge hat. Die Weltbank schätzt, dass an Bedingungen geknüpfte Hilfe den Wert der gewährten Hilfsleistungen um 25 Prozent verringert.5 Zwischen 1986 und 1990 erfolgte ein Nettotransfer von 4,7 Milliarden Dollar an IWF und Weltbank. Es wird geschätzt, dass Afrika 20 Milliarden Dollar durch Kapitalflucht verliert, 15 Milliarden für Waffen und Militär ausgibt, 18 Milliarden für Nahrungsmittelimporte aufwendet und noch einmal 216 Milliarden in unzähligen Lecks versickern.

Zweifellos kam staatlicher Entwicklungshilfe beim Aufbau der Infrastruktur in Afrika oder bei Großprojekten wie dem Bau von Straßen, Staudämmen und öffentlichen Gebäuden eine bedeutende Rolle zu. Eine ebenso bedeutende Rolle spielte sie leider auch beim Untergraben politischen und ökonomischen Ideenreichtums. Das Hauptargument, das für Entwicklungshilfe angeführt wird, lautet, dass damit ärmeren Ländern die Möglichkeit zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung gegeben werden soll. Doch in zahlreichen Diskussionen mit Freunden aus reichen Ländern hatte ich den Eindruck, die Hauptgründe für Entwicklungshilfe seien Altruismus, Mitleid und der Wunsch, großzügig zu sein und die Welt zu verbessern. Selten wird gesehen, dass meist vor allem strategische Interessen der Geberländer dahinter stehen.

Entwicklungshilfe stört die Balance zwischen Regierungen und Regierten, da erstere sich auf Hilfsgelder verlassen, statt ihre Bürger zu fördern. Diese wiederum erwarten von ihrer Regierung, alle Probleme für sie zu lösen, die sie viel besser selber lösen könnten. So werden ihre gesamte Eigeninitiative, ihre Kreativität und ihr Unternehmergeist aufgezehrt. Infolgedessen entwickeln die Bevölkerungen immer größere Distanz zur Regierung, die natürlich reicher ist als der Rest der Gesellschaft, was zu Patronage und Vetternwirtschaft führt. Die Akkumulation von Wohlstand funktioniert überhaupt nur noch über das System der Vetternwirtschaft und fast gar nicht mehr über Märkte. Entwicklungshilfe hat die Wirtschaft vieler armer Länder politisiert, indem sie Aufmerksamkeit, Energie und Ressourcen von produktiver Tätigkeit auf politische und bürokratische Vorgänge lenkte.

Die meisten afrikanischen Staatsoberhäupter sind Produkte westlicher Universitäten und haben daher den Kontakt zu ihren Bevölkerungen verloren. Die wenigen, die nicht im Ausland studiert haben, umgeben sich mit Beratern aus den Industrieländern, die natürlich die Interessen ihrer Herkunftsländer vertreten. Sich zu sehr auf fremde Ratschläge zu verlassen bedeutet aber, Entscheidungen aus der Hand zu geben. Das führt zur notorischen Führungsschwäche vieler afrikanischer Regierungen.

Was gegen Entwicklungshilfe spricht

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Entwicklungshilfe aus den folgenden Gründen kontraproduktiv ist:

  1. Sie stellt tyrannischen Staatsoberhäuptern die Mittel zur Verfügung, ihre Bevölkerungen zu unterdrücken. Steigende Hilfszuwendungen haben zur Stabilisierung staatlicher Institutionen beigetragen und sie gleichzeitig ihrer Entscheidungsfähigkeit beraubt. Das führte in vielen Fällen zur Verfestigung einer Politik, die andernfalls durch Marktkräfte korrigiert worden wäre. Die Leistungsfähigkeit staatlicher Institutionen wurde gebremst, indem politische Entscheidungen ausgelagert wurden. Gleichzeitig hat Entwicklungshilfe feudale Tendenzen verstärkt, indem statt einer übergreifenden Entwicklungsstrategie zahlreiche unkoordinierte Einzelprojekte gefördert wurden, von denen nur einzelne Staatsbeamte profitierten.6 Entwicklungshilfe wurde als Ersatz für privates Kapital missbraucht und erlaubte es Regierungen, Wirtschaftskrisen zu überstehen, ohne Reformen vornehmen zu müssen.
  2. Sie zerstört traditionelle demokratische Institutionen. Geberländer haben eigene strategische Interessen und unterstützen von daher politische Gruppen, die ihnen nützlich erscheinen. Das Konzept der Entwicklungshilfe wurde als strategisches Instrument im Kalten Krieg erfunden, um Vorherrschaft und Einfluss aufrechtzuerhalten. Auch wollte man damit Migrationsströme aus den armen in die reichen Länder verhindern. Zudem ist Hilfe oft zweckgebunden. Dem Empfängerland kann etwa die Bedingung gestellt werden, Güter und Dienstleistungen vom Geberland zu beziehen.
  3. Sie untergräbt die Kapazitäten von Regierungen, öffentliche Dienste ohne ausländische Geldmittel zur Verfügung zu stellen.7 Darüber hinaus bringt Entwicklungshilfe Bürokraten statt der benötigten Techniker nach Afrika. Sie zwingt Regierungen, ausschließlich mit den Bürokratien von Hilfsorganisationen zusammenzuarbeiten. (Schätzungsweise leben 40 000 Mitarbeiter ausländischer Hilfsorganisationen in Afrika.) Das führt dazu, dass das Pozential einheimischer Experten nicht ausreichend gefördert oder gar nicht erst wahrgenommen wird.
  4. Sie begünstigt Korruption. 1982 hatte Zaire (die heutige Demokratische Republik Kongo) eine Auslandsverschuldung von fünf Milliarden Dollar angehäuft. Gleichzeitig hatte der Präsident Mobutu Sese Seko ein Privatvermögen von vier Milliarden Dollar beiseite geschafft.8 Wenn Afrika so arm ist, woher, wenn nicht aus Hilfsgeldern, stammen dann die 148 Milliarden Dollar, die Afrika durch die Korruption seiner Eliten verliert?9
  5. Sie schafft ausgedehnte Bürokratien und zentralisierte Planwirtschaften. Staatliche Unternehmen werden finanziert, die private Unternehmen auskonkurrieren.
  6. Staatliche Hilfsleistungen hemmen die Produktivität der Nehmerländer, indem sie staatlichen Dirigismus fördern, ausschließlich staatliche Maßnahmen finanzieren und systematische Korruption hervorbringen. Sie verhindern genau das, was die eigentliche Rolle des Staates in armen Ländern sein sollte, nämlich seinen eigenen Bürgern die Gelegenheit zu geben, Reichtum hervorzubringen, und bremsen somit bestehende Entwicklungs- und Reformpozentiale.
  7. Sie wird zum Kauf von Waffen verwendet. Schätzungen zufolge geben afrikanische Regierungen pro Jahr 15 Milliarden Dollar für Waffen aus.10 Zwischen 1981 und 1996 erlebte fast die Hälfte aller afrikanischen Länder gewaltsame Konflikte zwischen Regierung und Oppositionsgruppen. Bis 1998 sind schätzungsweise vier Millionen Menschen darin zu Tode gekommen, drei Millionen weitere wurden zu Flüchtlingen. In den achtziger Jahren gab es in 29 afrikanischen Ländern mindestens 92 mehr oder weniger erfolgreiche militärische Putschversuche. Sieben afrikanische Staatsoberhäupter starben in den achtziger und neunziger Jahren während ihrer Amtszeit.11 In solchen Konflikten geht es um die Teilhabe am nationalen Reichtum, der meistens aus Entwicklungshilfegeldern besteht.
  8. Sie ermöglicht monströse Projekte, die die Umwelt zerstören und menschliche Tragödien anrichten. 1977 stellte die Weltbank Kenia 40 Millionen Dollar für das Bewässerungsprojekt in der Region Bura zur Verfügung. 16 000 Morgen Land entlang des Tana-Flusses im semiariden Ostteil des Landes sollten bewässert und damit Arbeitsplätze für 5000 Familien unter anderem im Baumwollanbau für den Export geschaffen werden. Innerhalb von neun Jahren hatten sich die Kosten des Projekts vervierfacht, die Bewässerung funktionierte nicht richtig, und 20 Prozent der Siedler verließen die Gegend aufgrund von Überschuldung, Malariaepidemien, Unterernährung und hoher Sterblichkeitsraten.12
  9. Sie schwächt die Eigeninitiative und Kreativität der Bürger, indem sie sie von Regierungsprojekten abhängig macht. Nahrungsmittelhilfe ersetzt die einheimische landwirtschaftliche Produktion, zerstört die Märkte und führt somit zu immer weiterer Abhängigkeit von Nahrungsmittelhilfe. Afrika hat die Fähigkeit zur Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln verloren, die es durchaus hatte, bevor Entwicklungshilfe erfunden wurde. Die Pro-Kopf-Nahrungsmittelproduktion ist seit 1962 Jahr für Jahr gefallen.13 Zwischen 1980 und 1986 fiel das Pro-Kopf-Einkommen um durchschnittlich 3,4 Prozent pro Jahr14 – in einem Zeitraum, in dem Afrika der Kontinent war, der die meiste Entwicklungshilfe erhielt.
  10. Das unproduktive Entwicklungshilfebusiness absorbiert zahlreiche potentielle Unternehmer und Intellektuelle und bildet sie lediglich zu Angestellten und Verwaltern von Entwicklungshilfeprojekten aus.
  11. Durch projektgebundene Hilfsgelder können die Geberländer alle afrikanischen Länder zwingen, praktisch dieselben Waren (für den Export) zu produzieren und Handelsbarrieren gegeneinander aufzubauen. Nur zwölf Prozent aller afrikanischen Produkte sind für den afrikanischen Binnenhandel bestimmt.15 Importzölle innerhalb der subsaharischen Länder betrugen 1997 durchschnittlich 33,6 Prozent.
  12. Die Regierungen der Empfängerländer sind kaum auf Steuern angewiesen und haben somit keinen Anreiz, die Produktivität der einheimischen Wirtschaft zu steigern, um das Steueraufkommen zu erhöhen.

Wer zahlt an wen?

Caufield weist darauf hin, dass die reichen Länder trotz des Transfers von Hilfsgeldern seit den frühen achtziger Jahren Nettoempfänger von Geldern aus der „Dritten Welt“ sind. Grund dafür sind der krasse Rückgang neuer Kredite durch private Banken im Verbund mit der fortwährenden Rückzahlung alter Schulden zu immer höheren Zinssätzen. Anfangs war der Nettogewinn des Nordens noch schmal: Im Jahr 1983 betrug er 300 Millionen Dollar. 1984 stieg er dramatisch auf 12,5 Milliarden. Seit 1985 stieg der Nettotransfer des Südens in die reichen Länder auf 30 Milliarden Dollar pro Jahr.16

  1. Im Zeitraum zwischen 1986 und 1988 erhielt der IWF Nettozahlungen von insgesamt acht Milliarden Dollar aus Ländern der „Dritten Welt“.
  2. Die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD) erhielt im Fiskaljahr vom 1. Juli 1987 bis zum 30. Juni 1988 1,9 Milliarden Dollar von Entwicklungsländern.
  3. Von 1982 bis 1987 nahmen britische Banken mehr als 80 Milliarden Pfund an Schuldendienst aus Lateinamerika ein. Damit transferierte jeder einzelne Lateinamerikaner – Männer, Frauen, Kinder – jährlich im Durchschnitt 40 Pfund nach London. Im gleichen Zeitraum zahlte jeder Brite per Entwicklungshilfe weniger als acht Pence pro Jahr an Lateinamerika.
  4. 1992 betrug die gesamtafrikanische Auslandsverschuldung 282 Milliarden Dollar. Kreditrückzahlungen verzehrten 24 Prozent der afrikanischen Exportgewinne.

Verantwortung oder Blame Game

Wer aber ist schuld an der aktuellen Situation? Es ist kaum möglich, die derzeitige wirtschaftliche und soziokulturelle Misere Afrikas nicht mit den Spätwirkungen des Kolonialismus in Verbindung zu bringen. Thomas Sowell hat in „Cultures and Conquests“ dargelegt, wie sich zu allen Zeiten Länder gegenseitig erobert und unterworfen haben. Aber solche früheren Eroberungen sollten im Falle Afrikas keine Entschuldigung dafür sein, sich heute auf dem Wege der Entwicklungshilfe der „freundlichen“ Unterjochung durch dieselben Mächte zu beugen.

Es gibt zwei gegensätzliche Denkschulen, die sich mit Afrikas Misere beschäftigen. Die „Externalisten“ schieben alle Probleme Afrikas auf die Kolonialisten. Die „Internalisten“ dagegen geben den Afrikanern selbst und ihren Führungen die Schuld an der derzeitigen Lage. Vielleicht könnte eine Mischung aus beiden Richtungen einen Weg in die Zukunft weisen. Die Externalisten haben zum Teil Recht mit ihrem Hinweis, dass überkommene Institutionen aus der Kolonialzeit es den Afrikanern erschweren, ihre Probleme zu lösen. Viele afrikanische Regierungen schielen noch immer auf die ehemaligen Kolonialmächte, von denen sie Hilfe und Handelsbeziehungen erwarten. Sie produzieren immer noch vor allem für den Export und tun wenig für den Ausbau innerafrikanischer Märkte. Die Internalisten bestehen darauf, dass die Afrikaner ihre politischen und wirtschaftlichen Institutionen schon längst hätten reformieren können, um auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu sein.

George Ayittey zufolge sind für die Externalisten Afrikas Probleme externen Faktoren geschuldet, im Klartext: westlichem Kolonialismus und Imperialismus, den Nachwirkungen des Sklavenhandels, Rassismus, Verschwörungen, multinationalen Konzernen, mangelnder Entwicklungshilfe und ungerechten Handelsbedingungen.17 Ayittey gehört zu den Internalisten, er hält die afrikanischen Probleme für hausgemacht.18 Die Ursachen sind für ihn etwa schlechte Regierungspolitik, Korruption und die oben erwähnte Führungsschwäche der Regierungsspitze. Ich persönlich glaube, dass sowohl interne als auch externe Faktoren eine Rolle spielen, aber da die Lösung letztendlich nur bei den afrikanischen Menschen liegen kann, sollten wir uns getrost auf die Seite der Internalisten schlagen.

Hunger in Afrika: Wie schlechte Gesetze Menschen töten

Sehen wir uns anhand einiger Beispiele an, wie sich das Armutsproblem in meinem Heimatland Kenia aus internalistischer Perspektive darstellt. Als ich mit meinem afroamerikanischen Freund Koshin in die Stadt Busia fuhr, entdeckten wir einen einfachen Maßstab für Armut: Tragen die Kinder Schuhe oder laufen sie barfuß? Die meisten der Schulkinder, denen wir auf ihrem Heimweg in die Mittagspause begegneten, waren barfuß. In der Rift Valley Province dagegen trugen die meisten Kinder, die wir sahen, Schuhe.

Ich hatte meinem amerikanischen Freund schon erzählt, wie arm Westkenia ist. Laut einem Bericht der Weltbank vom vergangenen Jahr herrscht im ländlichen Westkenia eine Armutsrate von 60 Prozent. „Wie kann das sein?“, fragte mich Koshin. „Trotz all dieser fruchtbaren Felder sind die Leute arm? Gehört ihnen das Land denn nicht?“ Ich erklärte ihm, dass die meisten Westkenianer sich kaum Medikamente, ausgewogene Ernährung, bessere landwirtschaftliche Produktionsmethoden und Bildung für ihre Kinder über die Grundschule hinaus leisten können – obwohl ihnen das Land gehört.

Ein anderes Mal reiste ich mit Geschäftsfreunden aus der Schweiz durch Ukambani in Ostkenia. So trocken und öde wie es dort aussah, war mir klar, dass sie zu dem Schluss kommen würden, dass Dürre das Hauptproblem in Afrika sei. Wir kamen ins Dorf Ikaalasa, in einer Gegend mit unregelmäßigem Niederschlag, und besichtigten Maisfelder, die wegen der Dürre vor sich hinwelkten.

Viele Länder im subsaharischen Afrika sind mit dem Hungerproblem konfrontiert. Es ist die traurige Geschichte von Afrikanern, die ihr Leben verlieren, weil unfähige Führungen und übereifrige Spendenorganisationen kein Interesse an langfristigen Lösungen haben. Zum Beispiel Ukambani: Jemand, der ein Bohrloch für die Wasserversorgung der Kleinbauern graben wollte, würde auf zahlreiche Hindernisse stoßen. Nicht nur, dass er für die Bohrlizenz zahlen müsste, er hätte auch für die Kosten des Transports und der Lebensmittel für die Ingenieure aufzukommen, die die Wasserversorgung erschließen würden. Er müsste von der kenianischen Strom- und Lichtgesellschaft einen elektrischen Transformator kaufen und für die Strommasten, den Strom-anschluss und die monatlichen Stromrechnungen zahlen. Man beachte, dass der „gekaufte“ Transformator nicht dem Käufer, sondern weiterhin der kenianischen Strom- und Lichtgesellschaft gehören würde. Jetzt wissen Sie, warum Kenianer in ländlichen Gebieten keinen Strom beziehen und warum potenzielle private Wasserversorger in Ukambani keinen Zentimeter vorankommen.

Durch restriktive Gesetze, die bestimmte Leistungen staatlich monopolisieren, sterben viele Menschen an Armut. Vor der Liberalisierung des Telefonsektors kannten Menschen aus ländlichen Gebieten Telefonzellen nur von ihren Besuchen in der Stadt. Viele Menschen starben, weil sie ihre Söhne und Töchter nicht mehr rechtzeitig anrufen konnten, damit diese sie ins Krankenhaus brachten. Momentan verschreckt das miserable Straßennetz jeden risikofreudigen Investor, der sich in die hungergeplagten Gegenden vorwagen möchte.

Laut der Konferenz der Landwirtschaftsminister der Afrikanischen Union erleidet Afrika Ernteverluste von 30 Prozent. 10 bis 15 Prozent der Ernteerträge werden verschwendet, weil sie nicht sicher gelagert werden können.19 27 Prozent der afrikanischen Bevölkerung sind unterernährt und verfügen über eine derart niedrige Kaufkraft, dass sie um sechs Prozent erhöhte Nahrungsmittelpreise nicht bezahlen können.

Die Afrikanische Union zählt zu den Ursachen der Armut die übergroße Abhängigkeit von Subsistenzwirtschaft und das Fehlen von Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft; des weiteren bewaffnete Konflikte (Bauern stellen einen Großteil der zwangsverpflichteten Soldaten in Kriegsgebieten), marode Infrastruktur, Krankheiten (HIV/Aids, Malaria), hohe Auslandsverschuldung, Bodenerosion, zunehmenden Wassermangel, Wüstenbildung und Klimawandel.

„Wenn ich mich entschließen würde, einen Generator zur Stromversorgung aufzustellen und mit der Landbevölkerung als Zielgruppe richtig Geld zu machen, würde die Regierung das erlauben?“, fragte mich Koshin. „Man stößt immer wieder auf das Hindernis des staatlichen Monopols auf die Energieversorgung in Kenia“, antwortete ein am Stadtrand von Mumias niedergelassener Geschäftsmann auf die Frage, warum Mumias Zuckerkonzern mit seinem hauseigenen Elektrizitätswerk nicht die ganze Stadt mit Strom versorgt. Die Kenianer und die übrigen Afrikaner müssen ihre Regierungen für jeden einzelnen an Hunger Gestorbenen zur Rechenschaft ziehen. Denn Hunger in Afrika ist ein künstliches Problem.

Afrikas Zukunft

Der Schlüssel zur ökonomischen Entwicklung in Afrika sind die Afrikaner. Wenn man ihnen die Freiheit lässt, ihre eigenen Probleme zu lösen, kann Afrika zu einem florierenden Kontinent werden. Die Schuld in der Geschichte zu suchen, beruhigt sicherlich die Nerven der derzeit noch orientierungslosen Afrikaner. Doch Verschwörungstheorien über Neokolonialismus oder die Ursachen von Krankheiten und Armut sind eine schlechte Vorbereitung auf den steinigen Weg, der noch vor ihnen liegt. Die Afrikaner müssen Verantwortung übernehmen, um auf ihrem Kontinent Wohlstand zu schaffen. Das kann auf folgenden Wegen geschehen:

  1. Die schwierige Frage der Eigentumsrechte an Grund und Boden muss auf friedliche Weise gelöst werden. Eine Möglichkeit wäre, Stammesland, das heute in Regierungsbesitz ist, in Kommunaleigentum zu überführen – als Übergangslösung auf dem Weg zum Privateigentum. Grundbesitz muss gesetzlich besser geschützt und von den Politikern auch respektiert werden.
  2. Sowohl für einheimische als auch für ausländische Investoren müssen Anreize geschaffen werden. Sich allein auf ausländische Investoren zu konzentrieren, würde wahrscheinlich nicht die kritische Masse an Konsumenten hervorbringen, die für das Wirtschaftswachstum notwendig ist. Verbesserungen der technischen und rechtlichen Infrastruktur müssen zum Ziel haben, sowohl Produktion als auch Konsumtion zu erhöhen. Gesetzesreformen müssen Vertragssicherheit herstellen.
  3. Für afrikanische Erfinder und Unternehmer muss die Gewährung von Krediten erleichtert werden.
  4. Der innerafrikanische Handel muss ausgebaut werden, um Produktion und Konsumtion auf niedriger Ebene anzukurbeln – als ein Schritt in Richtung Weltmarkteintritt. Eine Strategie der Öffnung für den Weltmarkt braucht beides: die Öffnung der Grenzen für innerafrikanischen als auch für internationalen Handel.

Afrika ist keineswegs arm, es verfügt über immense unerschlossene Reichtümer, 40 Prozent der potenziellen weltweiten Wasserkraftversorgung, den Großteil der weltweiten Diamanten- und Chromvorkommen, 64 Prozent der Manganvorkommen, 50 Prozent des Goldes, 90 Prozent des Kobalts, 50 Prozent des Phosphats, 40 Prozent des Platins, 13 Prozent des Kupfers, 7,5 Prozent der Kohle, 8 Prozent der bekannten Erdölreserven, 12 Prozent des Erdgases, 3 Prozent des Eisenerzes sowie große Bauxit-, Nickel- und Bleivorkommen. Zudem gibt es Abermillionen Hektar unbebauter landwirtschaftlicher Nutzfläche. Afrika stellt 70 Prozent des weltweit gehandelten Kakaos her, 60 Prozent des Kaffees und 50 Prozent des Palmöls. Mit seiner großartigen und unberührten Landschaft ist Afrikas dritte natürliche Ressource neben Landwirtschaft und Bodenschätzen der Tourismus.20

Aus all diesen Ressourcen kann nur Reichtum gewonnen werden, wenn den Afrikanern endlich erlaubt wird, frei zu wirtschaften und Profite zu erzielen. Ökonomische Freiheit würde die Menschen selber zu einer Ressource machen, wenn die jeweiligen Regierungen effiziente Rechtsformen schaffen, Genehmigungsverfahren erleichtern und verbilligen und eine unternehmerfreundlichere Politik machen würden. Die Menschen produzieren einfach mehr, wenn sie wissen, dass sie die Früchte ihrer Arbeit auch genießen dürfen.

Um der ökonomischen und politischen Herausforderung zu begegnen, die die Globalisierung darstellt, sollte sich Afrika dringend auf seine komparativen Vorteile besinnen, Infrastruktur und technische Ausrüstung verbessern sowie sein Humankapital fördern. Ebenso müssen die einheimischen Institutionen reformiert werden, damit Afrika in der globalisierten Weltwirtschaft eine eigenständige Rolle spielen kann.

Die beste Hilfe der reichen Länder für Afrika wäre demnach, die „Armutsgefängnisse“ aufzulösen, die die aus der Kolonialzeit geerbten Grenzen darstellen. Europa kann seine Kolonialgeschichte ins Positive wenden, indem es mithilft, dass ein neues Afrika entsteht, das als ein großer Markt agiert. Die Globalisierung sollte die Afrikaner befähigen, am weltweiten Wettbewerb teilzunehmen. Mit anderen Worten: Entwicklungshilfe, die den Status quo aufrechterhält, einzustellen und ein Klima zu schaffen, das sowohl einheimische als auch internationale Unternehmer anzieht, wäre die beste Hilfe für Afrika. Würden die reichen Länder ihre Märkte für die am wenigsten entwickelten Länder öffnen, brächte das den Entwicklungsländern geschätzte zusätzliche Einkünfte von 700 Milliarden Dollar.21

Afrikas 54 Staaten und seine Bevölkerung von 800 Millionen Menschen wären ein hervorragendes Betätigungsfeld für Innovatoren. Die derzeitige Situation – jeder Nationalstaat hat ein anderes Geschäftsumfeld und Rechtssystem – erschwert es sowohl afrikanischen als auch internationalen Unternehmern, den afrikanischen Markt zu erschließen. Afrika sollte die Chance der Liberalisierung nutzen und sich dem Markt öffnen. Protektionismus ist keine Lösung für Einzelstaaten, sondern wäre allenfalls sinnvoll für einen kontinentübergreifenden Markt.

Allmählich werden auch die afrikanischen Führungen vom Gedanken an eine Integration des afrikanischen Marktes beeinflusst. Regionale Gruppierungen wie die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC), die Economic Community of West African States (ECOWAS), der Common Market for Eastern and Southern Africa (COMESA), die Southern African Development Community (SADC) und – auf kontinentaler Ebene – die NEPAD und die Afrikanische Union (AU) nehmen sich der Aufgabe der Integration des afrikanischen Marktes an.

Ein Problem sind die negativen Auswirkungen des Stammesbewusstseins. Eine wichtige Aufgabe ist es daher, den Blick des Durchschnittsafrikaners von seinem Dorf auf den gesamten Kontinent zu richten. Ein übergreifender Markt böte Afrikanern die Möglichkeit, in „unsichtbaren“ Wohlstand zu investieren, statt um Land und Bodenschätze zu kämpfen. Investitionen im Kommunikationssektor, etwa verbesserter Zugang zu Telefondiensten, Radio, Fernsehen und Printmedien, würde Despoten schwächen, die von der Ignoranz der Menschen abhängen.

Eine wichtige Rolle käme dabei den Exilafrikanern zu: Angesichts von Armut, Krankheiten und disfunktionalen Staaten sind Afrikaner zu Tausenden in wohlhabende Nationen ausgewandert. Einige Staaten in Westafrika haben das Potenzial möglicher Remigranten erkannt und bieten ihnen Anreize zur Rückkehr und Investitionstätigkeit. Auslandsafrikaner mit starken Bindungen an ihre Familien könnten eine große wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung für Afrika erlangen. Sie unterstützen ihre Verwandten mit Geldüberweisungen im Wert von vier Milliarden Dollar jährlich und konfrontieren sie gleichzeitig mit anderen Weltsichten und Lebenseinstellungen.

Afrika ist das „Last Frontier“ für Investoren. Unternehmen finden in Afrika Arbeit, Naturschätze und Konsumenten vor. Asien wird sich im Hightech-Bereich, der bislang europäisch und nordamerikanisch dominiert ist, als bedeutender Partner für Afrika erweisen. Die Zusammenarbeit mit den drei Wirtschaftszentren – Europa, Nordamerika und Asien – böte Afrika die Möglichkeit einer ökonomischen Verjüngungskur. Afrika wird eine führende Rolle in der WTO spielen, nicht nur in Abstimmungen, sondern auch indem es neue Handelswege bietet. Afrika beeinflusst auch die internationale zivilgesellschaftliche Debatte mit Themen wie Klimawandel, Umweltschutz, Armut und der Rolle der Industrieländer im globalen Dorf.

Afrika und der Rest der Welt müssen die Chance nutzen, die ein florierendes Afrika bietet. In dem Maße, wie sich Regierungen aus der Wirtschaft zurückziehen, werden Investoren angelockt. Wenn die Entwicklungshilfe eingestellt würde, wären die politischen Eliten das erste Opfer, weil ihre Machtstrukturen dadurch gesprengt würden. Die Frage nach einer eigenständigen afrikanischen Lösung würde dann aufgeworfen. Die afrikanischen Länder würden plötzlich erkennen, dass sie auch mit ihren Nachbarn Handel treiben können. Lokale Unternehmer würden auftauchen. Es würden sich Institutionen zur Harmonisierung der Wirtschaftssysteme von 54 Ländern herausbilden und ein wirklicher Privatsektor könnte entstehen, auf dem sich Probleme wie Analphabetismus, Bildung, Gesundheit und Hungersnöte angehen ließen. Die Einstellung der Entwicklungshilfe würde die Afrikaner keineswegs vom Erdboden verschwinden lassen. Sie würden einfach ihre Geschäfte wieder aufnehmen. Eine Einstellung der Hilfe wird an den Tag bringen, dass die meisten internationalen Agenturen die afrikanische Misere dazu genutzt haben, um Spenden zu sammeln und sich einen humanitären Anstrich zu geben.

JAMES SHIKWATI, geb. 1970, ist Direktor des Inter Region Economic Network (IREN) in Kenia (www.irenkenya.org) und Herausgeber des Sammelbands „Reclaiming Africa“ (2004).

  • 1Thomas Sowell: Conquests and Cultures, New York 1999, S. 25.
  • 2James A. Dorn, Steve H. Hanke und Alan A. Walters (Hrsg.): The Revolution in Development Economics, Washington DC 1998, S. 26.
  • 3Brian Cooksey: Elixir or Poison Chalice? The Relevance of Aid to East Africa, Nairobi 2004, S. 7.
  • 4United Nation Conference on Trade and Development: Statistical Profile of the Least Developed Countries, New York 2005.
  • 5www.worldbank.org/research/aid/overview.html.
  • 6Nicolas van de Walle: African Economies and the Politics of Permanent Crisis, 1979–1999, Kapstadt 2001, S. 59-60.
  • 7Brian Cooksey: Can Aid Agencies Really Help Combat Corruption?, Forum on Crime and Society, Nr. 2/2002, S. 48.
  • 8Cooksey, (Anm. 7), S. 132.
  • 9George Ayittey: Africa Unchained, New York 2005, S. 326.
  • 10Ayittey, (Anm. 9), S. 326.
  • 11Arthur A. Goldsmith: Foreign Aid and Statehood in Africa, International Organization, Nr. 55/2001, S. 123–148.
  • 12William Easterly: The Cartel of Good Intentions, Foreign Policy, Juli/August 2002, S. 94.
  • 13Stephen Devereux: Famine in Africa, in: S. Devereux und S. Maxwell: Food Security in Sub-Saharan Africa, London 2001.
  • 14Graham Hancock: Lords of Poverty, Nairobi 2001, S. 192.
  • 15Commission for Africa: Our Common Interest. Report of the Commission for Africa, März 2005, S. 53.
  • 16Marian Tupy: Reclaiming Africa, Nairobi 2004, S. 188.
  • 17George Ayittey: Africa in Chaos, New York 1998, S. 38.
  • 18Ayittey, (Anm. 17), S. 44.
  • 19African Union Ministerial Conference of Ministers of Agriculture: Status of Food Security and Prospects for Agriculture Development in Africa, Konferenzpapier, Bamako, Mali, 31.1.–1.2.2006.
  • 20David Lamb, zit. nach Ayittey (Anm. 17), S. 5.
  • 21www.gatt.org/trastat-e.html.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, April 2006, S. 6 - 15

Teilen

Mehr von den Autoren