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02. März 2018

Von der Pax Americana zur Pax Sinica?

Der Weltmachtanspruch der chinesischen Energie- und Klimapolitik

Mit immer größerem Tempo und Selbstbewusstsein beansprucht China die Rolle einer Weltmacht. Der Energiepolitik kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Der enorme Ausbau erneuerbarer Energien macht die chinesischen Städte sauberer und sichert der Wirtschaft Vorteile. Mit dem Petro-Yuan könnte China den Dollar als Leitwährung angreifen.

Die Machtverschiebung auf der Welt, bedingt durch den Rückzug der USA und den rasanten Aufstieg Chinas, hängt unmittelbar mit den gewaltigen Veränderungen in der Energiepolitik zusammen. Die Vereinigten Staaten sind durch die Erschließung gigantischer Öl- und Gasvorkommen aus Schieferformationen inzwischen weit weniger abhängig von Energieimporten. Das hat es ihnen ermöglicht, aus der globalen Führungsverantwortung abzudanken; teilweise ist es sogar ursächlich dafür.

Das enorme amerikanische Engagement in der Welt beruht seit jeher auf ganz unterschiedlichen Motiven: auf dem Wunsch, die Welt für die Demokratie sicher zu machen (Woodrow Wilson), auf humanitären Interventionen gegen Völkermord und auf der Sorge vor der Ausbreitung von Massenvernichtungswaffen. Ohne Zweifel gründete die amerikanische Bereitschaft zur Einmischung auch auf eigenem nationalen Interesse, zum Beispiel der Sicherung von lebenswichtigen Energiequellen.

Dank der rapiden Entwicklung einheimischer Energiequellen durch die Schieferrevolution ist die amerikanische Gesellschaft nicht mehr im selben Umfang gewillt, finanzielle Lasten für die Stabilität in anderen Teilen der Welt zu schultern oder gar die eigenen Söhne und Töchter in ferne Kriege zu entsenden. Die absehbare Energieunabhängigkeit der USA stellt die ökonomische Basis für die Politik des Rückzugs dar. Donald Trump ist mit seiner „America First“-Rhetorik zum Symbol dieser Politik geworden. Begonnen hat sie aber schon während der Präsidentschaft Barack Obamas. Die Wiedergeburt isolatio­nistischer Traditionen in den USA geht Hand in Hand mit der Entwicklung der eigenen Energieressourcen.

Umgekehrt verhält es sich mit China. Die Volksrepublik braucht für ihr Wirtschaftswachstum gigantisch viel Energie, und diese Tatsache prägt die Außenpolitik Pekings seit Jahren. Ähnlich wie früher die USA ist nun ­China ­weltweit unterwegs, um Importmöglichkeiten zu identifizieren und mit gewaltigen finanziellen und diplomatischen Mitteln abzusichern. Flüssiggas aus Katar, Öl aus Venezuela, Uran aus Zentralasien, Kohle aus Australien – die aufstrebende Weltmacht dürstet nach immer neuen Quellen, um die wachsenden Bedürfnisse von 1,3 Milliarden Chinesen zu befriedigen. Der entschiedene Ausbau der militärischen Fähigkeiten Chinas, nicht zuletzt seine Machtpolitik im Südchinesischen Meer, deutet darauf hin, dass sich die Volksrepublik – wie früher die USA – darauf einstellt, ihre Lieferwege notfalls auch mit Hilfe von Flotte und Luftwaffe zu schützen. Pekings internationale Energiepolitik stößt somit in das Vakuum, das der amerikanische Rückzug hinterlassen hat. Während China bis vor Kurzem nur allmählich und zögerlich in die Weltmachtrolle rückte, hat der Rückzug Trumps das Tempo und das Selbstbewusstsein Chinas auf dem Weg zur Weltmacht enorm befördert. Von der Pax Americana zur Pax Sinica?

Drei aktuelle Entwicklungen zeigen, wie die Energiepolitik dazu führt, dass sich die globalen Gewichte zugunsten Chinas verschieben.

Petro-Yuan gegen Dollar-Hegemonie

Seit dem Abschluss des Bretton-Woods-Abkommens im Juli 1944 hat der US-Dollar den Status der globalen Leitwährung genossen. Den USA hat dies unübertroffene Macht verliehen, und die Globalisierung hat diesen Trend nur verschärft. Öl ist der mit Abstand meistgehandelte Rohstoff; nach aktuellen Preisen beträgt das Handelsvolumen über 1,5 Billionen Dollar. Öl wird mit Bezug auf die Sorten Brent oder West Texas Intermediate Futures bepreist – beides in Dollar angegeben. Das führt dazu, dass sich die USA immer auf eine hohe globale Nachfrage ihrer Währung verlassen können. Dollar können gegen Sachgüter und Dienstleistungen getauscht werden, aber auch als Waffe – wie im Falle der Sanktionen gegen Russland und den Iran – eingesetzt werden.

Seit 2009 entwickelt China einen eigenen Rohöl-Future, womöglich auch, um sich davor zu schützen, selbst einmal Ziel solcher Strafmaßnahmen zu werden. Der Petro-Yuan, der für Anfang dieses Jahres angekündigt wird, soll in Yuan bepreist und mit Gold konvertibel sein. Er ist ein erster Schritt in Richtung der „Entdollarisierung“. Mit China als dem weltweit größten Ölimporteur könnte er schon bald zur wichtigsten asiatischen Rohöl-Benchmark werden. Angesichts einer Importabhängigkeit, die in den nächsten Jahrzehnten von derzeit 69 auf 80 Prozent steigen wird, ist der Petro-Yuan der Versuch Chinas, die Hoheit mindestens über den eigenen Öl-Handel zu erlangen.

In Anerkennung dieser Entwicklung wurde der Yuan bereits in den Währungskorb des Internationalen Währungsfonds und kürzlich auch mit einem Gegenwert von 500 Millionen Euro in die Fremdwährungsreserven der Europäischen Zentralbank aufgenommen. Andere Länder haben signalisiert, nachziehen zu wollen. Damit erlangt die chinesische Regierung in internationalen Währungsangelegenheiten eine immer einflussreichere Position.

Die Tragweite dieser Entwicklung ist allerdings noch größer. Der ­Petro-Yuan könnte weitere Währungskriege schüren und die Diversifizierung weg von der US-Währung beschleunigen. Milliarden Dollar würden dann aufgrund der fallenden globalen Nachfrage in die USA zurückgeführt. Die Fähigkeit der USA, losgelöst von einheimischer Inflation die Geldmenge auszuweiten, wäre langfristig und ernsthaft eingeschränkt. Dies würde der Federal Reserve entscheidend mehr fiskalische Disziplin abverlangen. Ob der Yuan als Herausforderer erfolgreicher sein wird als der Euro – der vor nunmehr 16 Jahren mit ähnlichem Hoffen und Bangen eingeführt wurde, die Dominanz des Dollar aber im Kern unberührt ließ – bleibt abzuwarten.

Die klimapolitische Führungsrolle

Der chinesische Führungsanspruch zeigt sich auch im Bereich der Klima­politik. Während Donald Trump im Wahlkampf den Klimawandel als „chinesischen Schwindel“ bezeichnete und bereits zu Beginn seiner Amtszeit über den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen philosophierte, positionierte sich Präsident Xi Jinping als neuer globaler Klimaanführer. Bereits auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2017 erklärte er mit Blick auf Washington, sein Land werde die Pariser Vereinbarung verteidigen. Bei der Eröffnung des 19. Parteitags der Kommunistischen Partei im Oktober 2017 forderte Xi später sogar, dass sein Land „das Steuer“ im Kampf gegen den Klimawandel übernehmen müsse. Inzwischen hat der Kapitän in Peking dafür auch Offiziere und Mannschaften angeheuert: Die EU, allen voran Deutschland, Kanada, Kalifornien und zahlreiche amerikanische Großstädte haben sich bereiterklärt, gemeinsam mit dem Reich der Mitte die Klimaführung zu übernehmen. Durch den Rückzug der USA gelang China innerhalb weniger Monate ein globaler Imagewandel: vom kohlelastigen Sündenbock zum visionären Champion der globalen Klimapolitik.

Es wäre zu kurz gegriffen, diese Wendung lediglich als Ausdruck geschickter PR oder cleverer Schachzüge abzutun. China ist vielmehr ernsthaft dabei, die beanspruchte Führungsrolle mit konkreten Maßnahmen zu unterlegen. Zwei Beispiele: Am 28. Dezember 2017 wurde in Jinan die erste mit Solarzellen gepflasterte Straße des Landes dem Verkehr übergeben. Etwas über einen Kilometer lang, bedeckt sie fast 6000 Quadratmeter auf dem südlichen Teil der Stadtautobahn. Sie produziert 820 Kilowatt Strom pro Stunde, die in das Netz der Provinz Shandong eingespeist werden. Und 500 Kilometer südlich, in der Nähe von Huainan, haben die Chinesen das größte schwimmende Solarkraftwerk der Welt gebaut. 165 000 Solarpaneele, montiert auf Plastikpontons, produzieren 40 Megawatt Leistung und können damit 15 000 Haushalte versorgen. Allein die Symbolkraft ist eindringlich, denn der schwimmende Solarpark wurde auf einem früheren Kohletagebau errichtet. In diesem Jahr soll in seiner Nähe ein weiteres schwimmendes Solarkraftwerk errichtet werden, allerdings vier Mal so groß.

Es ist wahr: Chinas Energiemix ist immer noch stark von Kohle dominiert – und das wird noch lange so bleiben. Die chinesischen Kraftwerke verbrennen so viel wie die übrige Welt zusammen. Große Teile des Landes sind nicht an das Stromnetz angeschlossen; sie sind auf Kohle für die Industrieproduktion angewiesen. Doch gingen die kohlebasierten Emissionen in den vergangenen drei Jahren kontinuierlich zurück, und der aktuelle Fünf-Jahres-Plan sieht ein zweijähriges Moratorium für die Genehmigung neuer Kohlekraftwerke vor. Vor allem aber zeigen der rapide Ausbau intelligenter Netze, die Einführung eines modernen Marktdesigns für die Strommärkte einschließlich eines Emissionshandelssystems und der entschiedene Ausbau der erneuerbaren Energien, dass in China eine echte Energiewende, ja eine Energierevolution stattfindet. China plant, in den nächsten drei Jahren 317 Milliarden Euro in erneuerbare Energien zu stecken, der Zubau ist enorm. Inzwischen hat China fast 200 Gigawatt installierte Windkraft im Land, mehr als doppelt so viel wie die zweitplatzierten USA. Zwei Drittel der weltweiten Solarzellenproduktion findet in China statt, fast die Hälfte der neu installierten Windräder stammt aus der Volksrepublik.

Der chinesischen Führung liegt dabei weniger die Reduzierung von Treibhausgasen zur Rettung der Erde am Herzen als die Bekämpfung des unerträglichen Smogs in den chinesischen Großstädten. Zugleich geht es ihr um internationale Anerkennung und technologische Innovation. Auch hier sind die USA im Begriff, den Chinesen den ersten Platz zu überlassen. Die Trump-Regierung plant, dem Kongress eine 72-prozentige Reduzierung der Programme für Energieeffizienz und erneuerbare Energien für das Fiskaljahr 2019 vorzuschlagen. Unter anderem das National Renewable Energy Laboratory müsste dann die Forschung in den Bereichen Solarenergie, Bioenergie und effiziente Mobilität um etwa 80 Prozent zusammenstreichen. Das ist ein Geschenk an China, denn dort wird der Forschungsetat aufgestockt. Allein für die Effizienzsteigerung bei erneuerbaren Energien kommen die Chinesen auf zwei Milliarden Dollar und überholen die Vereinigten Staaten.

Nirgendwo wird der chinesische Führungsanspruch deutlicher als in der Automobilindustrie. Gerade hat China angeordnet, die Produktion von 500 Automodellen im Land zu stoppen, da sie nicht mehr den Umweltstandards entsprechen. Chinas Führung ist sich bewusst, wie sehr der größte Automarkt der Welt darauf vertrauen kann, dass sich alle nach den in Peking gesetzten Effizienzstandards richten werden. Peking fordert Elektromobilität – und alle anderen ziehen nach. Die enormen Forschungsaufgaben, die nach den Interessen der chinesischen Industrie (und der Smog-Situation in den Innenstädten) gesetzten Anforderungen, die technologieorientierte Kaufoffensive im Westen, nicht zuletzt auch die Lernerfolge aus der Zusammenarbeit mit den größten Automobilherstellern und -zulieferern der Welt legen nahe, dass China auch auf dem Gebiet von sauberer Mobilität schon bald uneinholbar weit vorne liegen wird.

Das Strom-Supernetz

Während die USA glauben, bedeutende Länder wie Russland oder den Iran isolieren und mit Sanktionen klein halten zu können, sucht China nach Mitteln und Wegen, so viele Länder wie möglich in ein weltumspannendes Netz wirtschaftlicher und technischer Beziehungen einzubinden. Durch Chinas Belt-Road-Initiative (BRI), eine Art neuer Seidenstraße, soll die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt mit Südostasien, Eurasien, dem Mittleren Osten, Europa und Afrika verbunden werden. Geplant ist ein Netzwerk von Öl- und Gaspipelines, Strom- und Glasfasernetzen, Autobahnen, Zugverbindungen, Flug- und Seehäfen.

Der chinesische Plan eines Strom-Supernetzes findet in Europa und den USA bisher kaum Beachtung. Im Mai 2016 hat Liu Zhenya, Vorsitzender der State Grid Corporation of China (SGCC), eine der größten Firmen der Welt, den Vorschlag für ein 50 Billionen-Dollar-Projekt gemacht: die Schaffung eines weltumspannenden Energie­netzes zur Bekämpfung von Umweltverschmutzung und Klimawandel. Er wird unterstützt vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Der Plan sieht vor, bis 2050 die Solar- und Windfarmen, Geothermie- und Wasserkraftwerke auf der Welt nach und nach durch ein Super-Grid zu verbinden.

Gigantische Windparks in Kasachstan, der Mongolei, aber auch an den Polen unserer Erde würden in das Netz einspeisen, genauso wie riesige Sonnenfarmen aus den Wüsten. Mittelfristig soll die regenerative Produktion von Strom entlang der Seidenstraße ausgebaut werden, um den Anrainerländern zu wirtschaftlichem Aufschwung und ihrer alten Bedeutung zu verhelfen. SGCC hat bereits zehn transnationale Übertragungsnetze ins Visier genommen, die China zum Beispiel mit Russland oder der Mongolei verbinden. Im Februar 2018 wurde bekannt, dass SGCC plant, 20 Prozent des deutschen Netzbetreibers 50Hertz zu erwerben, was eine „Zäsur in den Wirtschaftsbeziehungen Berlin–Peking“ darstellen würde. Erstmals wäre ein chinesisches Unternehmen an kritischer Infrastruktur, an Telekommunikations- und Stromnetzen, beteiligt.

Die Chinesen haben ein Netzwerk aus wissenschaftlich-technischen Kooperationen mit deutschen und europäischen Institutionen errichtet, die sie nun offenbar durch Firmenbeteiligungen ergänzen wollen. Auch entlang der Seidenstraße haben sie zahlreiche Projekte angestoßen. Finanziert werden die Vorhaben – genau wie die BRI – vornehmlich von chinesischen Geldgebern, unter anderen der Asian Infrastructure Development Bank, der New Development Bank und des Silk Road Fund. Sie erhalten den Vorzug vor IWF und Weltbank. So deutet sich auch auf diesem Gebiet ein tiefgreifender Wandel an, der für Chinas wachsendes Selbstvertrauen steht. Jedenfalls ist das Jahrhundertprojekt BRI eine enorme strategische Machtprojektion der Chinesen. Dies ist nicht zuletzt deshalb so wirkungsvoll, weil es als Soft-Power-Projekt für erneuerbare Energien, Kommunikation, Verkehr und die Bekämpfung des Klimawandels daherkommt. Selbst wenn alle zur Mitarbeit eingeladen sind: Es bleibt doch klar, wer das Projekt begonnen hat und wer es letztlich beherrscht. Eine strategische Antwort Europas oder der USA gibt es bisher nicht.

Die Antwort Europas

Wie könnte eine deutsche beziehungsweise europäische Reaktion auf die chinesische Jahrhundertinitiative einer neuen Seidenstraße aussehen? Diese Antwort kann sich naturgemäß nicht nur auf den energiepolitischen Teil beziehen, auch wenn dieser im Rahmen der BRI einen bisher unterschätzten Raum einnimmt. Fünf Gedanken dazu:

Die Belt-Road-Initiative bedarf einer langfristigen strategischen Antwort aus Deutschland und Europa. BRI ist keine kurzfristige Idee der gerade amtierenden Führung, sondern wird voraussichtlich auf lange Zeit ein integraler Bestandteil, ja ein Kernbereich chinesischer Außen- und Wirtschafts-, Energie-, Verkehrs- und Finanzpolitik sein. Die Initiative muss als ernstzunehmender Versuch Pekings verstanden werden, die eigene Macht zu demonstrieren und Einfluss zu gewinnen – zunächst in der Region, letztlich aber auch global. Angesichts des entschiedenen Willens und der gewaltigen Ressourcen, die hinter dem Projekt stehen, macht es wenig Sinn, BRI zu negieren, zu bekämpfen oder den Versuch einer Eindämmung zu unternehmen.

Vielmehr geht es um Engagement, Mitarbeit, Zusammenarbeit. Für unsere Forscher, Ingenieure, Manager, Banker und Händler eröffnen sich hier ungeahnte Möglichkeiten. Auch die alte Seidenstraße war ja keine Einbahnstraße, sondern bot allen Ländern, die sie durchlief – und nicht zuletzt Europa – die Möglichkeit, den Handel zu intensivieren. Chinas Politiker, Unternehmer und Diplomaten werben in Deutschland und Europa darum, dass sich unsere Firmen und Forschungseinrichtungen stärker engagieren und dass solche Kooperationen politische Rückendeckung erfahren. Die State Grid Corporation of China veranstaltete im vergangenen Jahr in Frankfurt eine große Konferenz, auf der sie ihre Vision eines Ausgreifens bis nach Europa vorstellte und gleichzeitig ein Angebot zu umfassender politischer, wirtschaftlicher und technologischer Kooperation unterbreitete. In der Wissenschaft wurde dieser Appell bisher stärker wahrgenommen als in der Politik.

Ganz konkret könnte die Bundesregierung einen Seidenstraßen-Beauftragten benennen, der mit einer kleinen Task-Force und gemeinsam mit den Verbänden der deutschen Industrie, den Finanz- und Außenhandelsinstitutionen, den Forschungseinrichtungen sowie der Politik und Diplomatie Konferenzen und Workshops entlang der Seidenstraße veranstaltet, Projekte der Zusammenarbeit identifiziert und deren Umsetzung koordiniert. Ein solcher Beauftragter könnte im Außen- oder Wirtschaftsministerium angesiedelt sein. Im Auswärtigen Amt gibt es inzwischen immerhin eine Arbeitsgruppe „Konnektivität“, die sich mit dem Seidenstraßen-Konzept beschäftigt. Aber eine allein deutsche Antwort reicht nicht aus. Wichtig ist das Zusammenwirken mit der EU. Eine ähnliche Koordinationsstelle könnte deshalb bei der Kommission eingerichtet werden.

Auch Russland sollte in das Konzept integriert sein. Auf der erwähnten Konferenz der SGCC in Frankfurt waren führende russische Vertreter des Stromnetzbetreibers Rosetti anwesend und informierten über die enge Zusammenarbeit mit China. CEFC China Energy Company Limited hat im vergangenen Jahr 14 Prozent der Anteile der russischen Ölfirma Rosneft gekauft. Russlands zweitgrößte Bank VTB finanziert das Geschäft. Auch die Gaspipeline „Kraft Sibiriens“ zwischen Russland und China, von der bereits über 1300 Kilometer gebaut sind und die schon bald 38 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr nach China transportieren soll (inzwischen gibt es schon Vereinbarungen über eine „Kraft Sibiriens 2“-Pipeline), zeigt, dass China und Russland energiepolitisch eng zusammenarbeiten.

Auch sollte der Versuch unternommen werden, Indien für eine Zusammenarbeit zu gewinnen, gerade um den Eindruck zu vermeiden, die Kooperation mit der Belt-Road-Initiative richte sich gegen Delhi. Indien hat sich am Rande des ASEAN-Treffens in Manila im November 2017 mit Australien, Japan und den USA zu einem strategischen Dialog für eine indo-pazifische Sicherheitszusammenarbeit verabredet, um die als aggressiv empfundene chinesische Expansion in der Region einzudämmen. Gerade wegen der realen Ängste und manifesten Spannungen in Asien wäre es wichtig, Indien als weitere Großmacht in eine solche Initiative einzubinden und – neben Maßnahmen zur sicherheitspolitischen Eindämmung Chinas – zumindest technologisch und wirtschaftlich zusammenzuarbeiten.

Ohne Zweifel wäre es vor allem wünschenswert, dass die Vereinigten Staaten sich an solchen Initiativen beteiligen. Sie könnten das Seidenstraßen-Konzept auch für sich und ihre Industrie als Chance ansehen. Allerdings wäre das nur auf der Grundlage einer gleichberechtigten Kooperation und einem sensiblen Verständnis für die Traditionen und Denkweisen der unterschiedlichen Partner vorstellbar. Ein „America First“-Ansatz, der vor allem mit Ellenbogen, Freund-Feind-Denken, Ausgrenzung, Sanktionen und Einmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten daherkommt, verträgt sich nicht mit der BRI-Grundidee. Deutschland und Europa dürfen deshalb nicht auf die USA warten, sondern müssen ihre eigene Antwort formulieren und danach handeln.

Prof. Dr. Friedbert Pflüger, Staatssekretär a.D., lehrt am Department of War Studies, King’s College London, wo er das European Centre for Energy and Resource Security (EUCERS) leitet.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März-April 2018, S. 30 - 36

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