Vielfach verletzlich
Wer den Menschen in den vom Klimawandel betroffenen Regionen helfen will, muss auf vulnerable Gruppen schauen. Einige dieser Gruppen sind gleich in mehrfacher Hinsicht marginalisiert, wie das Paradebeispiel Indien zeigt.
Eines ist in der Debatte um die Leitlinien des Auswärtigen Amtes zur feministischen Außenpolitik deutlich geworden: Zur Lösung globaler Herausforderungen in unserer krisenbehafteten Welt kann ein Perspektivwechsel enorme Chancen bieten. Das gilt gerade für eines der größten Probleme: die Klimakrise.
Eine konsequente Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik an feministischen Prinzipien sollte sich deshalb auch in der deutschen Klimaaußenpolitik widerspiegeln. Von zentraler Bedeutung für diesen Perspektivwechsel ist das andere, umfassendere Sicherheitsverständnis, das feministischer Außenpolitik zugrunde liegt – weg von nationalstaatlich geprägtem Sicherheitsdenken hin zu einem an menschlicher Sicherheit ausgerichtetem Handeln. Im Zentrum stehen dabei nicht der Staat und die Verteidigung seines Territoriums, sondern das Wohlergehen von Menschen.
Besonderes Augenmerk gilt den Sicherheitsbedürfnissen und Rechten von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen. Feministische Außenpolitik hinterfragt Machtstrukturen und setzt sich für die Beseitigung struktureller Ungerechtigkeiten ein, sie will befähigen und bestärken. In den Leitlinien findet sich dieser Anspruch in drei grundlegenden Zielen: Rechte, Ressourcen und Repräsentanz. Durch diese „drei Rs“ soll auf eine gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Prozessen hingewirkt werden. Ein wichtiger Baustein ist dabei die Förderung von Diversität.
Die Leitlinien führen aus, dass Gesellschaften, in denen alle Menschen teilhaben könnten, nicht nur gerechter, sondern auch friedlicher seien. Feministische Außenpolitik ist also im Sicherheitsinteresse Deutschlands, und eine Klimaaußenpolitik, die zentrale Elemente einer solchen Außenpolitik aufgreift, kann neue und nachhaltigere Wege zur Lösung der Klimakrise aufzeigen. Anpassungsstrategien und Lösungen, die geschlechtergerecht und inklusiv gestaltet sind, tragen der Tatsache Rechnung, dass Frauen und Mädchen in weiten Teilen der Welt besonders hart von Klimafolgen betroffen sind, etwa bei klimabedingter Migration durch erhöhte Risiken für körperliche und sexualisierte Gewalt.
Verhängnisvolle Mischung
Ein wichtiger Aspekt im Sinne gerechter und ganzheitlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise und ihrer Folgen ist Intersektionalität, also das Zusammenwirken verschiedener Formen von Ungleichheit und Unterdrückung. Neben dem Geschlecht gehören Alter, Herkunft, Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Religion oder Behinderung zu Identitätsmerkmalen, die sich wechselseitig beeinflussen können. Die Kombination mehrerer dieser Faktoren kann Diskriminierung verstärken und Menschen noch vulnerabler gegenüber Klimafolgen machen. Ein intersektionaler Ansatz gibt besonders marginalisierten Individuen und Gruppen eine Stimme. Ziel ist es, verstärkter sozialer Ausgrenzung entgegenzuwirken.
Wie wichtig es ist, die Auswirkungen von Mehrfachdiskriminierungen zu verstehen und in der Klimaaußenpolitik zu berücksichtigen, zeigt sich am Beispiel Indiens. Die Gesellschaftsstruktur im bevölkerungsreichsten Land der Erde ist ausgesprochen vielschichtig und komplex, das soziale Gefüge für Außenstehende kaum zu begreifen. Religiöse, kulturelle und ethnische Vielfalt prägen das Land. Historisch gewachsene Formen sozialer Unterdrückung, darunter das offiziell abgeschaffte Kastensystem, bestimmen die Lebensrealität vieler Inderinnen und Inder. Trotz Fortschritten bei der Gleichstellung der Geschlechter in den vergangenen Jahrzehnten sind Frauen und Mädchen nach wie vor in mancherlei Hinsicht aufgrund traditioneller Geschlechterrollen benachteiligt.
Eine deutsche Klimaaußenpolitik, die intersektionalen und feministischen Ansprüchen gerecht werden will, muss all diese Aspekte bei der Ausgestaltung der bilateralen Beziehungen mit dem vom Klimawandel besonders betroffenen Land beachten. Sie muss Klimagerechtigkeit ins Zentrum von Austausch und Handlungen stellen. Dies geschieht nicht nur, indem sie sich für besonders Vulnerable einsetzt.
Eine ambitionierte Klimaaußenpolitik sollte sich in den Beziehungen mit einem Land des Globalen Südens auch der eigenen historischen Verantwortung für globale Treibhausgasemissionen stellen, etwa durch die Bereitstellung finanzieller Mittel zur Kompensation von klimabedingten Schäden und Verlusten.
In der internationalen Klimapolitik hat sich Indien stets für Gerechtigkeit eingesetzt und das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten betont – weil die historische Verantwortung der Industrieländer für den Klimawandel einhergeht mit einer besonderen Verletzlichkeit der Schwellen- und Entwicklungsländer durch die Folgen der Erderwärmung.
In die indische Klimapolitik selbst sind diese Dimensionen jedoch nicht in ausreichendem Maße integriert worden. Gerade die geschlechtsspezifische und intersektionale Verletzlichkeit von Frauen und Mädchen erfordert mehr Aufmerksamkeit. Zwar weist man immer wieder allgemein darauf hin, wie wichtig eine Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rolle der Frauen in der Klimapolitik seien. In den meisten Fällen werden jedoch weder die intersektionalen Aspekte angesprochen, noch werden die Beiträge von Frauen zu Klimaschutzmaßnahmen und ihre Rolle als Akteurinnen des Wandels berücksichtigt.
Dimensionen der Diskriminierung
Durch strukturelle Ungleichheiten und Machthierarchien in der indischen Gesellschaft wird diese Verletzlichkeit noch verschärft. So sind viele Dalit-Frauen, Frauen aus der untersten Kaste, einer mehrfachen Diskriminierung in klimabedrohten Sektoren wie der Landwirtschaft ausgesetzt. Nicht nur, weil Dalits aufgrund der Kastenhierarchie der Zugang zu Bewässerungsanlagen verwehrt wird, sondern auch, weil Dalit-Frauen durch patriarchalische Regeln für Landbesitz besonders marginalisiert werden. Dalit-Frauen sind in ländlichen wie städtischen Gebieten aufgrund der Wasserknappheit klassen-, kasten- und geschlechtsspezifischer Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Die jüngsten Hitzewellen haben sie am stärksten getroffen, da sie gezwungen sind, bei extremer Hitze Wasser für ihre Haushalte zu holen. Zudem sind Dalit-Frauen in Bezug auf die Wasserrechte einer kastenbasierten Diskriminierung ausgesetzt.
Auch Adivasi-Frauen sind unverhältnismäßig stark vom Klimawandel betroffen. Adivasi ist die Selbstbezeichnung der indigenen Bevölkerung Indiens. Werden Adivasi allgemein diskriminiert, wenn es um Rettungs- und Hilfsmaßnahmen nach wetterbedingten Katastrophen geht, so sind Adivasi-Frauen darüber hinaus verletzlich durch häusliche und andere Formen der Gewalt. Gewalt, die auf ungleicher Wasserversorgung beruht, ist besonders in dürregefährdeten Bundesstaaten wie Maharashtra, Gujarat, Rajasthan und Madhya Pradesh zu beobachten. Auch Frauen mit Behinderungen werden diskriminiert.
Da Indien seine Klimaschutzagenda auf der internationalen Bühne mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung verknüpft, spielt die Gleichstellung der Geschlechter eine entscheidende Rolle. Auch ein Schwerpunkt wie Armutsbekämpfung macht es den Regierungsbehörden schwer, die Gender-Aspekte zu ignorieren. Diese Überschneidungen zwischen verschiedenen Politikbereichen ermöglichen es der Regierung, einige ihrer Programme als Indikatoren für Gender-Mainstreaming in der Klimapolitik darzustellen.
Dazu gehört Pradhan Mantri Ujjwala Yojna (PMUY), ein Programm, das Frauen in ländlichen Gebieten sauberen Brennstoff wie Flüssiggas zum Kochen zur Verfügung stellt, sowie das Ausbildungs- und Beschäftigungsprogramm für Frauen (STEP) für geschlechtergerechte Haushaltsplanung. Diese Initiativen wurden auch in einer indischen Eingabe an die Klimarahmenkonvention (UNFCCC) erwähnt, in der die Annahme des Gender-Aktionsplans begrüßt wurde. Zwar weist Indien in seinen Eingaben implizit darauf hin, dass Frauen nicht als homogene Gruppe behandelt werden können, was darauf hindeuten würde, dass man das Prinzip der Intersektionalität verstanden hat. Doch weder in den national festgelegten Beiträgen noch im Nationalen Aktionsplan zum Klimawandel wird ein intersektionaler oder gar geschlechtsspezifischer Ansatz zur Erreichung der Klimaverpflichtungen explizit erwähnt.
Lokal erfolgreich: die „Solar Mamas“
Die Basisbewegungen und -organisationen in Indien verfolgen dagegen seit Langem einen intersektionalen Ansatz für sozioökologische Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. Das hat auch Auswirkungen auf die Klimabewegung. So hat das Programm „Solar Mamas“, eine Bottom-up-Initiative des Sozialunternehmens Barefoot College (Rajasthan), mehreren Dalit-Frauen in ländlichen Gebieten geholfen, durch eine Ausbildung in Solartechnik soziale Barrieren zu überwinden. Das College bildet Frauen aus ländlichen Gebieten nicht nur in Indien, sondern auch aus anderen Ländern des Globalen Südens aus. Aus Tansania etwa gibt es Hinweise darauf, dass die von Frauen gesteuerte Elektrifizierung in ländlichen Gebieten patriarchalische Strukturen verändert hat.
Adivasi-Frauen haben auf lokaler Ebene eine führende Rolle bei der Bewältigung von Klimafolgen übernommen. Als Hüterinnen traditionellen Wissens nutzen sie ihre Kenntnisse, um klimafreundliche und sozioökologisch integrative Praktiken einzuführen. So haben sich die Bäuerinnen des Kondha-Stammes im Bundesstaat Odisha zusammengetan, um ihre Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten. Das hat die Ernährungssicherheit verbessert und die Stellung der Frauen gestärkt, insbesondere durch die Gewährung von Rechten an den natürlichen Ressourcen.
So erfolgreich derartige Initiativen auch waren und sind: Grundlegende Probleme wie der fehlende Zugang zu finanziellen und technischen Ressourcen trüben das Bild. Hinzu kommt der strukturelle Ausschluss von Entscheidungsprozessen. Um bei den Bemühungen, daran etwas zu ändern, weiterzukommen, brauchen wir eine bessere Koordinierung zwischen Interessengruppen und Rechteinhabern – einschließlich der Gemeinschaften und der politischen Leitungsebene. Lehren aus der Anwendung von traditionellem Wissen, partizipativen Methoden und inklusivem Ressourcenmanagement wären nicht nur wertvoll für eine geschlechtergerechte Klimapolitik auf nationaler und internationaler Ebene, sondern auch im Hinblick auf Intersektionalität.
Hilfe für Indiens Graswurzelbewegung
Eine feministische deutsche Klimaaußenpolitik sollte die indische Graswurzelbewegung finanziell und technisch unterstützen. Zudem könnte Deutschland marginalisierten Stimmen aus Indien Gehör auf internationaler Bühne verschaffen, damit sich mehr Frauen und marginalisierte Gruppen in internationalen Foren wie der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen engagieren können.
Die aufgeführten Beispiele aus Indien machen deutlich, wie wichtig es ist, dass eine an intersektionalen und feministischen Prinzipien ausgerichtete deutsche Klimaaußenpolitik die spezifischen Gesellschaftsstrukturen eines Landes versteht und berücksichtigt. Andernfalls könnten bestehende Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten durch klimapolitische Maßnahmen sogar noch verstärkt werden. Das Beispiel der „Solar Mamas“ zeigt, dass es sich lohnt, nach lokalen Lösungsansätzen zu schauen, um handlungsorientierte und menschenwürdige Klimaschutzprojekte zu finden und zu unterstützen.
Eine feministische deutsche Klimaaußenpolitik muss sich daran messen lassen, wie sie sich für den Schutz von Menschen einsetzt, die durch Klimafolgen unverschuldet in Not geraten. Gerade diese Gruppen können wichtige Impulse für naturbasierte Lösungsansätze liefern.
Eine intersektional und feministisch orientierte Klimaaußenpolitik muss althergebrachte Handlungsmuster und Machtstrukturen aufbrechen, auch bei Prozessen innerhalb des Auswärtigen Amtes. Zudem muss die Bundesrepublik aus Gründen der Glaubhaftigkeit im eigenen Land mit ambitioniertem Klimaschutz vorangehen und auch hierzulande Geschlechtergerechtigkeit und Intersektionalität als Zielsetzung glaubhaft verankern. Nur so kann sie als wichtige Impulsgeberin für eine an menschlicher Sicherheit orientierte Klimaaußenpolitik in bilateralen Beziehungen und bei internationalen Klimaverhandlungen auftreten.
Internationale Politik Special 6, November/Dezember 2023, S. 28-32