Titelthema

29. Apr. 2024

Unruhiges Fahrwasser

Mit Donald Trump müssten die Europäer beim Thema Handel erneut mit großen transatlantischen Spannungen rechnen. Eine EU-Politik der Stärke wäre die richtige Antwort.

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Bild:  Katherine Tai, Gina Raimondo, Antony Blinken, Margrethe Vestager,  Valdis Dombrovskis und Thierry Breton beim Treffen des EU-US Trade and Technology Council, April 2024.
Vorläufige transatlantische Harmonie: Katherine Tai, Gina Raimondo, Antony Blinken, Margrethe Vestager, Valdis Dombrovskis und Thierry Breton beim Treffen des EU-US Trade and Technology Council, April 2024.
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Unter Präsident Donald Trump verfolgten die USA zwischen 2017 und 2021 eine aggressive, unilaterale Handelspolitik, die von protektionistischen Drohungen und Maßnahmen gekennzeichnet war, auf der Ausbeutung bilateraler wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Abhängigkeiten beruhte und zumeist auf die Erringung handels­politischer Konzessionen ausgerichtet war. Auf der globalen Ebene kündigte sie die Verhandlungen zur Gründung eines transpazifischen Freihandelsabkommens (Trans-Pacific Partnership) auf und setzte das Streitbeilegungsverfahren der Welthandelsorganisation (WTO) außer Kraft. Diese Maßnahmen zielten nicht nur darauf ab, Beschränkungen von Amerikas handelspolitischer Macht zu verringern, sondern auch die heimische Industrie zu schützen. Unter anderem führte die Trump-Regierung Strafzölle auf Importe von Waschmaschinen, Solar­anlagen sowie Stahl und Aluminium ein. 

Drohungen führten zur partiellen Reform der US-Freihandelsabkommen mit Korea (KORUS), mit Kanada und ­Mexiko (NAFTA, später USMCA) sowie zum Abschluss eines „Mini-Handelsabkommens“ mit Japan (USJTA). Die Trump-Regierung entfachte außerdem einen auf Eskalation ausgerichteten Handelskonflikt mit China, der Peking zu wirtschafts- und handels­politischen Konzessionen zwang. In ähn­licher Weise veranlasste die Androhung von US-Strafzöllen auf europäische Automobilimporte die EU dazu, Verhandlungen über ein etwaiges bilaterales Handelsabkommen zuzustimmen. Darüber hinaus verschärfte die Trump-Regierung auch ihre Exportkontrollpolitik, vor allem gegenüber China. Dabei ging es allerdings hauptsächlich um nationale Sicherheits­interessen.

Die Tatsache, dass Freihandelspolitik in den Vereinigten Staaten schon lange nicht mehr konsensfähig ist, liefert Amts­inhaber Joe Biden und seinem wahrscheinlichen Herausforderer Anreize, protektionistische Maßnahmen zu befürworten. In diesem Sinne gibt es Parallelen zwischen Trumps’ „America First“-Politik und Bidens Prämisse einer „Foreign Policy for the Middle Class“.

Natürlich sollte man die Aussagen von Präsidentschaftskandidaten nicht überbewerten, zumal diese oftmals darauf abzielen, die Parteibasis zu mobilisieren. Die Handelspolitik, die ein US-Präsident später verfolgt, wird auch von Beratern beeinflusst und den sogenannten „adults in the room“, den oft gemäßigteren Technokraten. Gleichzeitig hat die Trumpsche Handelspolitik 1.0 unter Beweis gestellt, dass die Exekutive über weitreichenden Spielraum verfügt, was protektionistische Maßnahmen betrifft. Deswegen wäre es ein Fehler, die handels­politischen Äußerungen Trumps als reine Wahlkampf­rhetorik abzutun. 


Konturen der Trump-Handelspolitik

Die konzeptionellen Umrisse einer „Trump 2.0“- Handelspolitik werden allmählich erkennbar. Eine zweite Trump- Regierung beabsichtigt, einen „universal baseline tariff“ von 10 Prozent auf alle Importe und einen Zoll von 60 Prozent auf Importe aus China einzuführen. Dies erinnert an die Entscheidung Präsident Richard Nixons von 1971, Amerikas Handelspartner mit einem zusätzlichen Zoll von 10 Prozent zu belegen, um sie so zur Neuverhandlung der internationalen Wechselkurse zu zwingen. 

Die Details sind noch unklar, aber die grundsätzliche Idee, Amerikas handelspolitische Macht im Hinblick auf Konzessionen auszuspielen, ist weitgehend im Einklang mit Trumps früherer Handels­politik. Unter einer zweiten Trump-­Regierung ­würde es außerdem aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer Verschärfung bestehender transatlantischer Handelskonflikte kommen (Airbus-Boeing-Subventionsstreit, Stahl- und Aluminiumzölle und europäische Digitalsteuern).

Es wäre ein Fehler, die handelspolitischen Äußerungen Trumps als reine Wahlkampfrhetorik abzutun

Darüber hinaus wird offenbar eine noch schärfere Politik gegenüber China in Betracht gezogen. Die geplante Außerkraft­setzung des Meistbegünstigungsprinzips („most favored nation status“) gegenüber China würde es den USA erlauben, Peking mit weitreichenden protektionistischen Maßnahmen zu belegen. In diesem Kontext wird auch ein kompletter Stopp von bestimmten chinesischen Importen wie Stahl und Pharmaprodukten in Erwägung gezogen, der über einen Zeitraum von vier Jahren implementiert werden soll. 

Zugleich hat Trump den Inflation Reduction Act (IRA) der Biden-Regierung stark kritisiert. Inwieweit eine zweite Trump-Regierung willens und in der Lage wäre, das Gesetz teilweise oder vollständig außer Kraft zu setzen, ist ungewiss. Aber sie würde wohl versuchen, über administrativ-regulatorische Maßnahmen Teile des IRA de facto außer Kraft zu setzen. Ein Kassieren des Gesetzes könnte zu einer Verringerung der transatlantischen Spannungen und des damit verbundenen Subventionsstreits beitragen. Aber das wäre bestenfalls ein geringer Trost, solange europäische Waren mit einem 10-prozentigen Zoll belegt werden. 

Die Handelspolitik unter der ersten Trump-Regierung zeigte eine Tendenz zur handelspolitischen Ausbeutung wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Abhängigkeiten. Sie zeigte aber auch eine gewisse Bereitschaft, protektionistische Drohungen zurückzunehmen, wenn auch nicht in allen Fällen (China), wenn ein Handelspartner bereit war, mehr oder weniger große Konzessionen zu machen (KORUS, NAFTA, EU). In einigen Fällen akzeptierte die Trump-Regierung sogar Ausnahmen ohne handelspolitische Gegenleistung (zum Beispiel bei der Frage von Zöllen auf australische Stahlimporte).

Die Exportabhängigkeit der EU gegenüber den USA ist größer als die der USA von der EU. 2022 beliefen sich die EU-Exporte in die USA auf 2,8 Prozent des europäischen BIP, während US-Exporte nach Europa nur 1,4 Prozent des amerikanischen BIP betrugen. Theoretisch schafft dies eine asymmetrische Interdependenz zugunsten der USA. Aber in der Praxis sind die durchschnittlichen Zölle von etwa 3 Prozent im bilateralen Handel unter den niedrigsten weltweit, sodass die potenziell hohen Kosten eines Handelskonflikts schwer zu rechtfertigen sind. 

Das bedeutet natürlich nicht, dass eine zweite Trump-Regierung nicht versuchen würde, durch die Androhung von höheren Zöllen auch die EU zu handelspolitischen Konzessionen zu bewegen, wie dies schon 2018 geschehen ist, als die Androhung von höheren Zöllen auf europäische Automobilimporte die EU ursprünglich dazu zwingen sollte, ihren Agrarmarkt für ­amerikanische Exporte zu öffnen. 


Eine EU-Handelspolitik der Stärke

Die Europäische Union sollte deshalb eine Politik der handelspolitischen Stärke verfolgen, die darauf abzielt, eine Trump-Regierung davon abzuhalten, gegen Europa gerichtete protektionistische Maßnahmen zu ergreifen. In Erwartung möglicher US-Maßnahmen sollte die EU schon vor einer Amtseinführung Trumps unzweideutig signalisieren, dass sie bereit ist, prompte Gegenmaßnahmen zu ergreifen und die Kosten eines handelspolitischen Konflikts mit den USA in Kauf zu nehmen. Brüssel sollte amerikanischen Ent­scheidungsträgern auch zu verstehen geben, dass die EU über neugeschaffene handelspolitische Instrumente verfügt, beispielsweise das „Anti-Coercion Instrument“, das eine effektivere und glaubwürdigere handelspolitische Abschreckung und Verteidigung ermöglicht.

Gleichzeitig sollte solch eine geoökonomische „Abschreckungspolitik“ von einer Bereitschaft zu Verhandlungen begleitet werden, nicht zuletzt, um einer zweiten Trump-Regierung die Möglichkeit für einen gesichtswahrenden Kompromiss zu geben, der innenpolitisch als Erfolg verkauft werden kann. Wie schon während der ersten Trump-Regierung sollte die EU auch auf Verhandlungsangebote setzen, die eine weitere Liberalisierung der trans­atlantischen Handelsbeziehungen in Aussicht stellen. Eine Kombination aus Härte und Flexibilität sollte helfen, einen für beide Seiten wirtschaftlich kostspieligen Handelskonflikt zu vermeiden.

Die EU verfügt über neugeschaffene handelspolitische Instrumente, die Abschreckung ermöglichen

Könnte eine zweite Trump-Regierung sicherheitspolitische Abhängigkeiten ausspielen? Die im Vorwahlkampf von Donald Trump ausgesprochene Drohung, NATO-Mitglieder, die das 2-Prozent Ziel für Verteidigungsausgaben nicht erreichen, nicht zu verteidigen, scheint die Ausbeutung sicherheitspolitischer Abhängigkeiten zu einer konkreten Möglichkeit zu machen. Schon im Rahmen der Neuverhandlung des Korea-USA-Freihandelsabkommens wurde Seoul mit dem Abzug amerikanischer Truppen gedroht. (Spieltheoretiker nennen dies „cheap talk“, im Unterschied zu „costly signaling“.) Es gibt dennoch gute Gründe zu bezweifeln, ob eine solche Drohung gegenüber der EU wirklich glaubwürdig wäre. 

Natürlich könnte eine Trump-Regierung zunächst kleinere Schritte umsetzen, ohne gleich das NATO-Bündnis aufzukündigen. Die Bereitstellung weiterer Ukraine-Hilfe könnte von handels­politischen Konzes­sionen abhängig gemacht werden, und das könnte die EU-Position schwächen. Aber handelspolitische Verhandlungen dauern viele Monate bis Jahre, sodass geringere sicherheitspolitische Unterstützung, die zu einer Destabilisierung Osteuropas führen könnte, nicht sonderlich gut geeignet wäre, um Konzessionen beispielsweise hinsichtlich der Rindfleischeinfuhr zu erlangen. 

Solche Drohungen würden weitgehend der Proportionalität und Glaubwürdigkeit entbehren. Und selbst ein Präsident Donald Trump würde sicherlich zögern, die sicherheitspolitische Destabilisierung Osteuropas für niedrigere EU-Agrarzölle zu riskieren. Sollte hingegen eine zweite Trump-Regierung weitere Ukraine-Hilfen und anderen sicherheitspolitischen Rückhalt kategorisch ausschließen, würden auch das damit verbundene Drohpotenzial und der Verhandlungsvorteil der USA wegfallen. 

Aber selbst wenn eine zweite Trump-­Regierung sicherheitspolitische Unterstützung explizit an Handelskonzessionen knüpfen sollte, wäre eine EU-Politik, die handelspolitische Stärke und Konzilianz vereint, dennoch die beste Strategie, um einer aggressiveren und unilateralen US-Handelspolitik zu begegnen. Das gilt auch dann, wenn die EU am Ende zu größeren handelspolitischen Konzessionen gezwungen würde als in einem Szenario, in dem Amerika Europas sicherheitspolitische Abhängigkeit nicht ausspielt.                  

 

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2024, S. 40-43

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Dr. Markus Jaeger ist Research Fellow beim Zentrum für Geopolitik, Geoökonomie und Technologie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Adjunct Professor an der Columbia-Univer­sität in New York.

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