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01. März 2006

Überraschungen und Selbstkritik

Der Wahlsieg der Hamas und der Eklat um die dänischen Mohammed-Karrikaturen im Spigel arabischer Medien

Auch die arabischen Medien zeigen sich überrascht von einem derart eindeutigen Sieg der Hamas bei den palästinensischen Wahlen. So kommentiert der frühere ägyptische Außenminister Ahmad Maher in der panarabischen Zeitung Al-Sharq Al-Awsat: „Ich war nicht der einzige, der sich geirrt hat. Geirrt haben sich viele, darunter Forschungsinstitute führender Staaten und aus der Region selbst. Mir scheint, dass die Hamas selbst überrascht und überhaupt nicht darauf vorbereitet war.“

Die Hamas, die es immer abgelehnt hat, die PLO als Alleinvertreterin der Palästinenser anzuerkennen, steht nun selbst an der Spitze der Macht. Dies interpretieren auch die anderen islamistischen Bewegungen in der Region als Bestätigung ihres Kurses, insbesondere was ihre unversöhnliche Haltung gegenüber Israel betrifft. So berichtet Husayn Al-‘Adwi in der islamistischen ägyptischen Wochenzeitung Al-Shaab von einer öffentlichen Versammlung der den Muslimbrüdern nahe stehenden ägyptischen Arbeiterpartei in der Azhar-Moschee (Kairo). Dort sei der Sieg der Hamas mit Parolen wie „Oh Hamas, sag den Leuten, dass der Dschihad die Grundlage [des Wahlerfolgs] war“ oder „Der Islam ist die Religion der Gerechtigkeit und Stärke“ gefeiert worden. Auch der Kommentator Ali Hatar schreibt in der den jordanischen Muslimbrüdern nahe stehenden Wochenzeitung Al-Sabil: „Die Hamas hat gesiegt, weil sie eine Widerstandsbewegung gegen Besatzung und Vergewaltigung ist. Hamas folgt Prinzipien, von denen sie sich nicht lossagt und die nicht verhandelbar sind.“ Der Wahlsieg sei „von Gott gewollt“ und nicht zuletzt ein Ergebnis der Opfer im „Märtyrerkampf gegen das zionistische Israel“. Vor diesem Hintergrund sind arabische Islamisten auch nicht über das mögliche Einfrieren europäischer Finanzhilfen besorgt – man wähnt sich der Unterstützung aus anderen Ländern wie dem Iran und Saudi-Arabien sicher.

Aber auch eher linke Zeitungen wie die ägyptische Wochenzeitung Al-Ahali kritisieren die offizielle Haltung der ägyptischen Regierung, die von der Hamas fordert, die Verträge mit Israel einzuhalten und den Staat Israel anzuerkennen. Auch in der Al-Ahali wird der Sieg der Hamas als „Aufgang der Sonne von Recht, Gerechtigkeit und Freiheit in der Region“ gefeiert. Und Goda Abdelkhalik spricht sogar von einem „Sieg des Guten über das Böse“.

Etwas anders gewichtet die staatsnahe ägyptische Wochenzeitung Al-Osboa den Wahlausgang. Dort schreibt Al-Sayyid Al-Ghadban: „Ich glaube, dass das ‚Volksvertrauen‘ [in die islamistischen Bewegungen] eine Reaktion der Bevölkerung auf die Korruption ist, die sich wie ein Krebsgeschwür in Palästina, der Türkei und Ägypten ausgebreitet hat.“ So würden die Menschen im Nahen Osten weder dem Westen noch den eigenen Regierungen trauen. Mit der Auffassung, dass die amerikanische und europäische Haltung gegenüber der gewählten Hamas beweise, dass die Demokratisierung der Region in Wahrheit nur stattfinden soll, wenn sie westlichen Interessen diene, gibt Al-Ghadban eine in der gesamten Region verbreitete Einschätzung wieder.

Ähnlich interpretiert auch Zuhair Andrawus in der arabisch-nationalistischen Al-Quds Al-Arabi die „Botschaft des Westens“: „Die internationale Kampagne gegen die Hamas verfolgt inoffiziell das Ziel, das palästinensische Volk in die Knie zu zwingen, um neue Zugeständnisse zu erreichen. Ironie des Schicksals ist es dabei, dass die Geberländer mit dem Stopp der Finanzhilfen an die palästinensische Regierung die Hamas eher stärken. Mehr noch: Dieser Schritt würde die Palästinenser nach anderen Quellen suchen lassen und den Hass auf den Westen noch weiter schüren. Damit würden wir in einen neuen Strudel der Gewalt gezogen, nicht nur in Palästina und Israel, sondern im ganzen Nahen Osten.“

Auch die arabischen Medien fragen sich, wie sich die Hamas nun verhalten wird. Der liberale und reformorientierte Leiter des Satellitenkanals Al-Arabiya, Abdelrahman Al-Rashid, erwartet in Al-Sharq Al-Awsat, dass die Hamas vorsichtig und bedacht agieren wird. Als Oppositionsgruppe habe sie lauthals protestieren können, jetzt müsse sie Verantwortung übernehmen und politisches Geschick beweisen. Auch Nazih Al-Qusus erwartet in der staatsnahen jordanischen Tageszeitung Al-Dustour, dass die Hamas zu einem realpolitischen Kurswechsel gezwungen sei, der von der Anerkennung des Staates Israel bis zur Akzeptanz der Osloverträge und der Roadmap reiche. Andernfalls würde die Bewegung auf dem politischen Parkett scheitern.

„Mit diesem Sieg ist die Palästinenserfrage erneut an eine Weggabelung gelangt. Dabei halten sich Gefahren und Chancen die Waage“, resümiert Hasan Nafi’a in der in London erscheinenden Al-Hayat. Er geht davon aus, dass die internationalen Kräfte Druck auf die Hamas ausüben werden, damit sie Israel anerkennen. Nafi’a merkt dazu kritisch an, dass auch die israelische Siedlungspolitik thematisiert werden müsse und fragt sich: „Niemand weiß genau, welches Israel von Hamas anerkannt werden und mit welchem verhandelt werden soll. Handelt es sich um das Israel von heute, das palästinensisches, libanesisches und syrisches Gebiet besetzt hält? Oder geht es um den jüdischen Staat Israel, dessen Existenzrecht international in den Grenzen von 1947 anerkannt wurde? Oder geht es um das Israel in den Grenzen vor dem Krieg von 1967?“

Die Hamas selbst lässt in dieser Frage indes keinen Zweifel zu: In einer ganzen Reihe von Erklärungen in diversen arabischen Print- und TV-Medien betonten ihre Führer nach ihrem Wahlerfolg ein ums andere Mal, dass sie Israel nicht anerkennen werden und es ihnen um ganz Palästina gehe – „vom Jordan bis zum Ozean“.

Wer soll sich bei wem entschuldigen?

Eine sehr einhellige Botschaft verkündeten die arabischen Medien in ihren Statements zum Streit um die Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten: Die Bilder werden als Beleidigung des Islams und aller Muslime verstanden und verurteilt. Zum einen bezieht man sich dabei auf ein allgemeines Abbildungsverbot des Propheten. Zum anderen wird die Gleichsetzung des Islams mit dem terroristischen Islamismus als diffamierend kritisiert. Dazu wird vor allem jenes Bild herangezogen, das Mohammed mit einem Turban in Form einer Bombe zeigt. Mit ihrer sehr einseitigen und eindeutig Partei ergreifenden Darstellung haben die arabischen Medien – ob staatsnah oder unabhängig – zur Eskalation der Proteste beigetragen, ohne selbst direkt dazu aufzurufen.

Nur Amir Taheri weist in der Al-Sharq Al-Awsat darauf hin, dass im Koran kein Bilderverbot zu finden ist und diesbezügliche islamische Rechtsgutachten (Fatwas) das Thema nie endgültig klären konnten. So gäbe es auch in der islamischen Kultur selbst zahlreiche Abbildungen Mohammeds. Dennoch scheiterten die Versuche einiger weniger Zeitungen in Ägypten, Jordanien, Jemen und Malaysia, einzelne Karikaturen nachzudrucken und in der arabischen Öffentlichkeit zur Diskus-sion zu stellen. Die Medien wurden geschlossen, verantwortliche Redakteure entlassen. Der Chefredakteur der jordanischen Wochenzeitung Shihan musste sich entschuldigen und wurde in der staatsnahen jordanischen Zeitung Al-Dustour so zitiert: „Ich erkläre hier vor allen Menschen mein größtes Bedauern und mein tiefes Schuldgefühl angesichts des schweren Fehlers, den wir versehentlich gemacht haben. Wir begingen diesen Fehler in dem Wunsch, unseren Glauben und unseren Propheten zu verteidigen. Der Abdruck erfolgte in dem Bemühen, das Ausmaß der Beleidigung deutlich zu machen, mit der die unsägliche dänische Zeitung unser aller Gefühle verletzt hat. Wir bitten vor allem Gott inständig um Vergebung, und bitten all jene um Nachsicht, die uns als entschiedene Verteidiger der Sache der arabischen und islamischen Gemeinschaft kennen. Wir hoffen, dass sie unsere Entschuldigung und unser stärkstes Bedauern annehmen können.“

Trotzdem wurden auch Stimmen laut, die nach den Ursachen der Proteste fragen. So wundert sich Ramzy Baroud in der ägyptischen Wochenzeitung Al-Ahram Weekly, dass es die arabische Welt innerhalb kürzester Zeit schaffte, eine äußerst effektive Kampagne zu starten, die massive politische, diplomatische und wirtschaftliche Auswirkungen hat. Seit dem Krieg von 1973 habe nie eine solche Einigkeit zwischen den arabischen und muslimischen Ländern bestanden. Ramzy Baroud vermisst einen solchen Boykott allerdings, wenn es darum geht, sich gegen die Invasion der USA im Irak oder gegen Israel zu wenden. Andererseits befürchtet er, dass die Anti-Dänemark-Kampagne die Kluft zwischen Okzident und Orient noch weiter öffnen und sich der Ruf der Araber als intolerant noch verstärken könne.

Auch Rami G. Khouri verurteilt in der libanesischen Zeitung Daily Star die „sinnlosen Reaktionen“. Vor allem der iranische Aufruf zu einem Holocaust-Karikaturen-Wettbewerb würde sich schädlich auswirken. Der Kolumnist will auch nicht von einem Kampf der Kulturen im Sinne Samuel Huntingtons sprechen. Dies sei eine rein westliche Sicht des Konflikts, die politische Spannungen auf kulturell begründete Wertunterschiede zurückführe. Muslime und Nichtmuslime im Nahen Osten würden den Konflikt hingegen als politischen, nicht aber als kulturellen Kampf sehen. Für sie ginge es nicht um die Pressefreiheit in Europa, sondern um „die Freiheit arabisch-islamischer Gesellschaften von westlicher und israelischer Unterdrückung, von diplomatischen Doppelstandards und räuberischer neokolonialer Politik“. Im Westen würde die Pressefreiheit höher bewertet als das Bedürfnis der Muslime, ihren Propheten vor Blasphemie zu schützen.

Mona Eltahawy erinnert in der panarabischen Al-Sharq Al-Awsat daran, dass Muslime sich seit Jahren unter einem Generalverdacht wähnen und kritisiert, dass sie nun ihrerseits alle Dänen für die Veröffentlichungen einer Zeitung verantwortlich machen. Auch Ahmed Al-Rabei fordert in der gleichen Zeitung eine Unterscheidung zwischen dänischen Karikaturisten und solchen Dänen, die etwa in den palästinensischen Gebieten wichtige Hilfsdienste leisteten. Außerdem weist er darauf hin, dass den Arabern und Muslimen vor dem Hintergrund der ganz anderen Situation in ihren Ländern offenbar nicht klar sei, dass der dänische Premierminister entlassen werden könne, wenn er eine Zeitung zensieren wolle.

Andere Töne schlägt der Chefredakteur der in London erscheinenden Al-Quds Al-Arabi, Abd Al-Bari Atwan, an. Er begrüßt die wütenden Reaktionen von 1,4 Milliarden Muslimen auf die Karikaturen und bezeichnet die „zielgerichteten Beleidigungen“ durch die dänische Zeitung als „Wasser auf die Mühlen des Terrorismus“. Auf diese Weise würden die Beziehungen zwischen dem Islam und dem Westen vergiftet. Leicht sei es angesichts solcher Provokationen für Al-Qaida, „zornige junge Männer für Racheakte gegen die westlichen Gesellschaften zu rekrutieren.“ Weiter kritisiert Al-Atwan wie viele andere arabische Kommentatoren auch, dass im Westen in punkto Meinungsfreiheit offenbar mit zweierlei Maß gemessen werde. So sei es verboten, den Holocaust in Frage zu stellen, aber nicht, den Propheten von 1,4 Milliarden Muslimen zu beleidigen.

Moderatere Stimmen, wie die von Mohammed Al-Jazairy in der Al-Sharq Al-Awsat, fordern dazu auf, dänische Produkte nicht zu boykottieren, weil dies vor allem den saudi-arabischen Franchiseunternehmern schaden würde. Kolumnisten, die seiner Meinung nach zum Aufwühlen der Emotionen noch beitrügen, wirft er vor, ein falsches Heldentum zu propagieren. Al-Jazairy schlägt stattdessen vor, dass dänische Muslime in Dänemark Klage gegen die Karikaturen einreichen sollten. Schließlich habe auch die Pressefreiheit ihre Grenzen. Und statt damit Werbung zu machen, dass sie keine ausländischen Produkte verkaufen, sollten arabische Unternehmer lieber einen solchen Gerichtsprozess finanziell unterstützen.

Stimmen, die nicht nur die Eskalation der Proteste kritisieren, sondern die grundsätzliche Frage stellen, ob und warum sich eigentlich Muslime von den Karikaturen beleidigt fühlen müssten, waren hingegen kaum zu vernehmen. Umso wichtiger für die Etablierung eines selbstreflektierenden religiösen Diskurses in der arabischen Öffentlichkeit sind vor diesem Hintergrund Positionen wie die von Baha Al-Musawi. Auf der renommierten liberalen arabischen Nachrichtenwebseite Elaph kritisiert er, dass sich die Muslime im Karikaturenstreit wieder einmal nur mit Folgeerscheinungen und nicht mit den Ursachen von Ereignissen beschäftigen. Eigentlich, so Al-Musawi, müsse man doch die Frage stellen: „Warum beschäftigen wir uns nicht damit, was diesen kleinen Zeichner wirklich dazu bewegt hat, den Propheten Mohammed auf diese widerwärtige Art zu zeichnen? Entspricht denn das Verhalten von uns allen als Araber und Muslime den Prinzipien und Grundmotiven des Propheten? Haben wir den Islam in der Welt im besten Licht erscheinen lassen, so wie der ehrwürdige Prophet es vorgelebt hat? Waren wir so tolerant und nachsichtig, wie es unsere Religion eigentlich verlangt?“ Baha Al-Musawi kommt zu dem Schluss, dass sich nicht Dänemark bei den Muslimen entschuldigen solle, sondern letztere ihren Propheten um Vergebung dafür bitten müssten, dass das Bild von ihm und seiner Religion so schlecht sei.

WAEL EL-GAYAR, geb. 1974, ist Islamwissenschaftler und Politologe.

FELIX STRUENING, geb. 1982, ist Politikwissenschaftler. Beide arbeiten für das Middle East Media Research Institute (MEMRI) in Berlin.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, März 2006, S. 124 - 127.

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