Über das reaktionäre Denken
Kultur
Ein Blick zurück zum Großmeister Joseph de Maistre
Was haben Eva Hermann, Bernhard Bueb und Bischof Walter Mixa gemeinsam? Sie glauben nicht an die grenzenlose Veränderbarkeit der grundlegenden menschlichen Verhältnisse, und das sind jene, die mit der Weitergabe des Lebens im biologischen Sinn zu tun haben, aber auch mit den kulturellen Aufgaben, die daraus erwachsen.
Der zweite Irrtum, auf den man hier trifft, mag beim Reaktionär selber liegen. Tatsächlich gibt es ja auch die „dumpfe“ Rechte, von der ihre Gegner so oft sprechen. Dumpf ist jede Haltung, bei der aus dem bloßen Sein schon das Sollen folgt, nach Art einer Tautologie. Wenn das reaktionäre Denken keine anderen Gehalte hat als die Selbstbehauptung eines Stammes, einer Ethnie, dann ist es zu arm, um intelligente Menschen weiter zu beschäftigen: „1 = 1“ ist nicht abendfüllend. Eine Idee muss schon dabei sein.
Nun trifft es sich, dass man in diesen Tagen das reaktionäre Denken noch einmal bei einem Großmeister studieren kann. Von Joseph de Maistre ist soeben ein Auswahlband erschienen („Vom Papst“), dessen Titel zwar ein wenig irreführend ist – man vermutet eine Gesamtübersetzung seiner Schrift „Du Pape“, findet diese aber nur in Auszügen –, dafür aber sind die Texte so beschaffen, dass sie einen guten Eindruck von der Breite seiner Gedankenwelt verschaffen. In Deutschland erinnert man sich nur alle hundert Jahre an ihn: Eine erste Ausgabe erschien 1824, eine zweite 1924, und seit dem Jahr 2002 wird das Interesse wieder lebhafter. In diesem Denken findet man nun das Äußerste und Erschreckendste des Reaktionären und zugleich seine höchste Vernunft. Unvergleichlich ist die Wucht seiner Rhetorik, die Französische Revolution sieht er schlechthin als „satanisch“, aus der Aufklärungsphilosophie von John Locke weht ihn ein „eisiger Hauch“ an. Weil die Revolution satanisch ist, stellt ihr de Maistre den Papst entgegen, den einzigen, legitimen Garanten der Ordnung. Und weil der Terror der Jakobiner von der Aufklärung vorbereitet wurde, sucht er nach einem geistigen Fundament, das den Attacken der Philosophen standhalten kann. Es kommt noch etwas hinzu, was ihn vom angelsächsischen Konservativismus unterscheidet, vom gemäßigteren Edmund Burke: Das ist seine unvergleichliche Kraft der Provokation. Manchmal, etwa wenn er vom Henker schreibt, ist man nicht weit davon entfernt, ein irres Lachen mitzuhören: „Alle Größe, alle Macht und alle Unterordnung ruhen auf dem Henker: er ist der Schrecken und das Band der menschlichen Vereinigung. Entfernt diesen unfassbaren Funktionär aus der Welt, und Ihr werdet erleben, dass sie augenblicklich dem Chaos anheimfällt, dass die Throne stürzen und die Gesellschaft verschwindet.“ Er lobt die Inquisition, er preist die „Göttlichkeit des Krieges“. Ist das „antimodern“? Ach nein. Wenn Edgar Allan Poe und Charles Baudelaire eine politische Theorie verfasst hätten, dann wäre sie der von de Maistre sehr ähnlich gewesen.
De Maistre schrieb französisch, aber er war kein Franzose. 1753 wurde er im Südwesten der Alpen in Chambéry geboren, im Herzogtum Savoyen, das zum Königreich Sardinien gehörte. In St. Petersburg wirkte er als Gesandter Sardiniens. Seine Philosophie ist die katholische, deren Sinn er neu definiert. Katholisch, das heißt universell. Die katholische Kirche ist ihm keine Sonderform des religiösen Bewusstseins, sondern in ihr ist aufgehoben, was die Menschen seit jeher vom Kultus und vom Göttlichen angenommen haben. Der Messias ist von einer Jungfrau geboren – ja, schreibt de Maistre, die ältesten Gesetzeswerke der Inder wie der Römer halten die Jungfrau in höchstem Ansehen. Das antike Heidentum und seine Philosophie sind für diesen allerkatholischsten Denker nicht polytheistische Gräuel, sondern, um es mit einem Wort von Martin Mosebach zu sagen, das „andere Alte Testament“. Schließlich besaß de Maistre etwas, das den wahren Reaktionären gemeinsam ist: Mit Misan-thropie verbinden sich großer persönlicher Charme, Wärme und Witz. Was ist das reaktionäre Denken? Es leuchtet vor tiefschwarzem Hintergrund.
Internationale Politik 4, April 2007, S. 110 - 111.
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