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01. Febr. 2005

Stolz und Misstrauen

Wie der Konflikt mit dem Westen im Iran gesehen wird

Die jüngsten Drohungen aus Washington bestärken Teheran darin, sich von Feinden umzingelt zu fühlen. Dabei orientiert man sich viel stärker an den USA als an Europa und möchte vor allem als gleichberechtigte Regionalmacht anerkannt werden. Mittelfristig wird es ein regionales Sicherheitsarrangement in der Golf-Region geben müssen, deren Teilnehmer explizit darauf verzichten, einander militärisch zu bedrohen.

„Wenn man dem iranischen Diskurs zuhört“, sagt ein Diplomat aus dem Teheraner Außenministerium, „dann hört man das Wort ‚Feind‘ so oft. Der Feind macht dies, der Feind plant jedes. Ein anderes Wort, das man ganz oft hört, ist ‚Verschwörung‘.“ Wohl wahr. In offiziösen Verlautbarungen, Reden und Predigten der konservativ-religiösen Führungselite, in Kommentaren vor allem konservativer Zeitungen oder in Parlamentsdebatten geht es oft um die Konfrontation der Islamischen Republik mit all denen, die feindliche Pläne und Komplotte gegen sie aushecken und verfolgen, vor allem die USA und den „zionistischen Feind“ – nicht jeder mag Israel beim Namen nennen. Zu Khomeinis Zeiten sprach man gleich vom „großen“ und vom „kleinen Satan“. Das ist irgendwann verschwunden, auch bei denen, die ihre revolutionäre Gesinnung gern noch mit „Tod Amerika“-Rufen betonen.

Das schlechte Verhältnis zu den USA beruht natürlich auf Konflikten, die in der Geschichte der iranisch-amerikanischen Beziehungen wurzeln. Im Iran erinnert man sich noch sehr gut an die Unterstützung des Schah-Regimes und des irakischen Erzfeinds Saddam Hussein während des iranisch-irakischen Krieges. In den USA hat man die Geiselnahme amerikanischer Diplomaten in Tehe-ran nicht vergessen und wirft der iranischen Regierung vor, radikale palästinensische und libanesische Gruppen wie Hamas und Hisbollah zu unterstützen, die den Friedensprozess torpedieren.1

Wenn die iranisch-europäischen Beziehungen im Ganzen weniger spannungsgeladen sind, liegt das zum einen daran, dass die europäischen Staaten eher auf Dialog denn auf Konfrontation mit Iran gesetzt haben. Es hat aber – was europäische Akteure gelegentlich übersehen – auch damit zu tun, dass Europa im Positiven wie Negativen nicht so bedeutend ist: Es bedroht iranische Interessen weniger, hat im Zweifelsfall aber auch weniger zu bieten, wenn es um harte außen- und sicherheitspolitische Themen geht wie beispielsweise regionale Sicherheitsarrangements in der Golf-Region oder die Suche nach einer gesichtswahrenden Lösung im Streit um das iranische Atomprogramm. Hier können Europäer zwar Verhandlungen führen; letztlich aber, so sieht man das zumindest in Teheran, werden sie ihre Position immer mit Washington abstimmen müssen.

Am iranisch-amerikanischen Verhältnis zeigt sich auch sehr viel deutlicher als etwa an den Beziehungen Irans zu Deutschland, Frankreich, der EU oder anderen internationalen Akteuren, wie komplex iranische Politik ist. Hier vermischt Außenpolitik sich mit innenpolitischen Konflikten, mit ideologischen Grundpositionen und mit Fragen der Identität – verlässt also die Sphäre realpolitischer Interessen- oder Nützlichkeitskalkulationen.

Auch im Iran wird Außenpolitik nicht allein im Außenministerium formuliert. Der religiöse Führer, der Präsident, das Parlament, Militär und Sicherheitsdienste spielen je ihre Rolle; diverse Interessen sind zu berücksichtigen, das Außenministerium übernimmt dabei die Funktion einer Schnittstelle, an der die unterschiedlichen Meinungen zusammenfließen und ausgeglichen werden. Regierungsinstitutionen wägen naturgemäß eher ab, was den diplomatischen, sicherheitspolitischen oder wirtschaftlichen Interessen des Landes nutzt oder schadet. Andere Gruppen, die Einfluss auf die Außenbeziehungen nehmen, folgen anderen Denkschulen. Die gut organisierten Kriegsveteranen, die Wohlfahrtsorganisationen (bonyads) sowie die Geistlichkeit verlangen hingegen eine stärkere Verpflichtung auf die ideologischen, revolutionären Ziele der Islamischen Republik, oder auch eine speziell schiitische Dimension in der Außenpolitik: Der Iran solle für die Interessen und Rechte schiitischer Minderheiten in anderen Staaten eintreten oder den Schutz schiitischer Heiligtümer im Irak zu einer Sache des eigenen nationalen Interesses erklären.

Unter den Kräften, die Irans Außenpolitik mitbestimmen, lassen sich grob zwei Tendenzen unterscheiden: jene, die überaus misstrauisch sind und deshalb eine kompromisslose Linie in allen entscheidenden Fragen verlangen, und solche, die misstrauisch sind, aber sich dennoch internationalen Spielregeln unterwerfen wollen, um das Land nicht völlig zu isolieren. Mit Misstrauen und Skepsis begegnet man deshalb nicht nur den USA oder Russland, arabischen Staaten, die den Irak unterstützten, oder Israel. Mit äußerster Vorsicht betrachtet man auch europäische Intentionen: Gäbe es denn wirklich so große Unterschiede zwischen amerikanischen und europäischen Ansätzen, wird in Teheran häufig gefragt. Spräche Europa nicht nur eine andere Sprache, um letztlich dieselben Interessen durchzudrücken?

Außenpolitik ist Innenpolitik

Den Pragmatikern in der Regierung und im Außenministerium geht es auch bei hoch politisierten Themen wie dem Umgang mit der amerikanischen Truppenpräsenz im Irak, der Unterstützung militanter Organisationen in Palästina oder dem eigenen Atomprogramm darum, eine Isolation des Landes zu vermeiden. Sie betonen deshalb das Interesse Irans an regionaler Zusammenarbeit und Stabilität. Ideologische Hardliner, im Parlament etwa, haben ihnen deshalb wiederholt vorgeworfen, die Souveränität des Landes nicht ausreichend zu verteidigen oder gar ausländischen, feindlichen Kräften eine Einflussnahme auf den Charakter oder die islamische Identität der Republik zu ermöglichen.

Pragmatiker und Ideologen, Konservative und Reformer sind sich allerdings einig, wenn sie auf die regionale und internationale Bedeutung des Iran zu sprechen kommen. Für alle politischen Richtungen ist es ein Teil der nationalen Identität, sich als regionale Großmacht zu verstehen. Daraus leiten sich verschiedene Interpretationen ab. Für manche heißt das, dass sich der Iran wie andere Mächte auch, insbesondere die USA, Freiheiten im Umgang mit internationalen Abkommen und Gepflogenheiten erlauben darf. Für einen Pragmatiker wie Außenminister Kamal Kharrazi hingegen bedeutet dieser Großmachtanspruch in erster Linie, dass iranische Außenpolitik auch den Ansprüchen genügen muss, die an eine Großmacht gestellt werden. Iran, erklärte er seinen eigenen Diplomaten auf einer internen Konferenz, sei ein „mächtiges und wichtiges Land, in der Region wie auch in der Welt.“ Revolutionäre Gesinnung alleine genüge daher nicht. Vielmehr sei Professionalität gefragt.

Tatsächlich orientiert man sich vor allem an den USA und verlangt, im-plizit oder explizit, dass Amerika als einzige Supermacht Iran als regionale Macht und als gleichberechtigten Akteur akzeptiert. Für iranische Nationalisten ergibt sich dieser Anspruch aus dem wirtschaftlichen Gewicht, der geopolitischen Lage und aus der historischen und zivilisatorischen Bedeutung Irans. Religiös orientierte Politiker betonen eher die Bedeutung Irans als Kernland des Schiismus. Die Schia, argumentiert etwa der ehemalige stellvertretende Außenminister Abbas Maleki, sei schließlich ein potenzieller Alliierter des Westens in der Region und habe – ob westliche Politik das nicht begreife? – einfach viel mehr Potenzial als die Israelis, die die USA zum bevorzugten Partner gemacht hätten.

Dies sind nicht unbedingt widersprüchliche Positionen. Anhänger des islamischen Regimes in Iran können gleichzeitig überzeugte iranische Nationalisten sein. Bei den Schiiten, erklärt Maleki, gebe es – anders als bei vielen sunnitischen Ideologen – keine panislamische Orientierung, die den Nationalstaat in Frage stellt oder gering schätzt und alle Muslime in einem Gemeinwesen zu vereinigen sucht. Khomeini selbst habe wiederholt auf den Spruch des Propheten verwiesen: „Die Vaterlandsliebe ist Teil des Glaubens.“

Es spricht einiges dafür, dass mancher Konflikt zwischen Teheran und Washington sich beilegen oder entschärfen lassen würde, wenn die USA dem Iran wie zu Zeiten des Schah als Großmacht im Mittleren Osten, gewissermaßen auf gleicher Augenhöhe, zu begegnen bereit wären. Bestimmte Entwicklungen nach dem Irak-Krieg unterstreichen dies.

Die iranische politische Elite zeigte sich zunächst nicht unglücklich, dass die USA, wie ein konservativer Journalist es formuliert, „uns von unserem größten Feind Saddam Hussein befreit hat“. Dass man die USA allerdings als regionale Landmacht nun in der unmittelbaren Nachbarschaft dulden muss, macht niemanden glücklich. Offiziell fordert die iranische Regierung seit dem Sturz des alten irakischen Regimes den Abzug der Besatzungstruppen. Im privaten Gespräch machen konservative wie reformorientierte Pragmatiker aber deutlich, dass sie es mit Blick auf die Stabilität des Nachbarlands und der Region gleichwohl „schwierig“ fänden, wenn die amerikanischen Truppen den Irak überstürzt verließen.

Das iranische Establishment hat auch die von Washington in der Folge des Irak-Krieges angestoßene Reformdebatte für den „größeren“ oder „weiteren“ Nahen und Mittleren Osten mit Interesse verfolgt. Der Grundgedanke dieser Initiative, meint Kazim Sajjadpour vom Institut für politische und internationale Studien, sei nicht so schlecht, denn wenigstens erkenne sie die zentrale Bedeutung des Mittleren Ostens als eine Region an, „in der das Schicksal der Welt gestaltet wird“. Allerdings stört iranische Diplomaten an der Reforminitiative vor allem, dass sie Iran zu ignorieren scheint, der sich als zentraler Gestalter dieser Schicksalsregion betrachtet: Anstatt iranische Beiträge zur Stabilisierung Afghanistans zu honorieren, habe die Bush-Administration Iran zum Element einer „Achse des Bösen“ erklärt, moniert ein iranischer Diplomat. Wenn Washington von der notwendigen Veränderung des Nahen und Mittleren Ostens spreche, versuche es sich auf Kleinstaaten wie Bahrain oder Katar zu stützen. Es sei ja richtig, dass der Mittlere Osten ein Modernisierungsdefizit habe; aber gerade hier, bei der umfassenden Modernisierung der Region, könne Iran eine wichtige Rolle spielen: „Wir haben uns schließlich schon verändert und haben die Demokratie im Mittleren Osten eingeführt.“ Keine Demokratie nach westlich-liberalen Kriterien, so muss der Beobachter anfügen, wohl aber ein pluralistischeres System als andere Staaten im Mittleren Osten es bislang hatten. Denn obwohl der zur Hälfte vom Geistigen Führer, Ali Khamenei, ernannte Wächterrat Parlamentskandidaten ausschließen und Gesetze annullieren kann, gibt es in Iran anders als in den meisten arabischen Staaten eben durchaus, wie auch die kommenden Präsidentschaftswahlen wieder zeigen dürften, echten Wettbewerb um hohe Staatsämter.

Iranische Diplomaten, Politiker und Kommentatoren sind sich bewusst, dass eine Verbesserung des iranisch-amerikanischen Verhältnisses nützlich wäre. Es würde die Einwerbung von Auslandsinvestitionen und eine stärkere Einbindung Irans in die Weltwirtschaft erleichtern (noch blockieren die USA die iranischen Bestrebungen, Mitglied der Welthandelsorganisation zu werden). Vor allem aber würde der größte Teil der Bevölkerung eine Wiederherstellung guter Beziehungen zu den USA begrüßen. Die ideologisierte Amerika- und Israel-Feindschaft des Regimes dagegen ist immer weniger geeignet, Zustimmung zu generieren. Vermutlich genießen die USA im Iran sogar höhere Sympathiewerte als in jedem anderen Land des Mittleren Ostens.2 Niemand will zwar von Amerika „befreit“ werden. Genauso wenig möchte man aber eine Regierung im Dauerkonflikt mit den USA.

Um das Verhältnis zu den USA in Ordnung zu bringen, müsste das Regime u.a. seine anti-israelische Rhetorik zurückschrauben und palästinensischen Terrororganisationen die Unterstützung entziehen. Ideologen, die darin einen Verrat an der revolutionären Mission der Republik sehen, sind heute offensichtlich in der Minderheit. Zwar herrsche, erklärt Professor Masoud Islami, der Studenten für eine Karriere im Staatsdienst vorbereitet, eine gewisse Animosität gegenüber Israel, bei denen religiöse Gefühle und die menschliche Solidarität mit den Palästinensern eine Rolle spielten. Nur wolle eigentlich niemand die wahren Interessen des Landes – u.a. bessere Beziehungen mit den USA und ein Ende der Isolation – für die palästinensische Sache opfern.

Jede Regierung, der eine Verbesserung der Beziehungen zu den USA gelänge – darin sind sich iranische Beobachter einig –, könnte sich großer Unterstützung sicher sein. Das könnte, so widersprüchlich das klingen mag, erklären, warum Präsident Khatami und seine Anhänger es nicht vermochten, einen Ausgleich mit Wa-shington zu finden: Seine konservativen Gegner konnten ihm diesen Erfolg schlicht nicht erlauben und haben sich dementsprechend bemüht, jeden Schritt, der nach Ausgleich mit den USA aussah, frühzeitig zu torpedieren. Wenn die Konservativen nach den Parlamentswahlen von 2004 auch die Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden können, wird man von ihnen erwarten, pragmatische Beziehungen zu den USA herzustellen. Vertreter des konservativen Flügels schließen eine solche Entwicklung nicht aus. In den nächsten zehn Jahren, so Amir Mohibbiyan, Mitherausgeber der konservativen Zeitung Resalat, könnten die Beziehungen zu den USA sich durchaus wieder herstellen lassen. Europa könne eine hilfreiche Rolle bei der Verbesserung des Verhältnisses zwischen Iran und USA spielen. Aber nur so lange, wie direkte Gespräche nicht möglich wären, etwa in der Frage der iranischen Nuklearanlagen.

Irans Atomprogramm

Der wichtigste Konfliktpunkt Irans mit der EU und den USA seit dem Irak-Krieg ist das iranische Atomprogramm. Iran hatte – mit deutscher Hilfe – bereits unter dem Schah begonnen, ein Atomkraftwerk in Bushehr am Persischen Golf zu bauen. Die neue religiös-revolutionäre Führung wollte anfangs nicht mehr auf diese „westliche“ Technologie setzen; der Rohbau des Kraftwerks wurde zudem während des irakisch-iranischen Krieges stark beschädigt.

Die anhaltende Sorge vor dem hochgerüsteten Nachbar Irak veränderte das iranische Denken in dieser Frage. Als die Regierung den Reaktor nach dem Krieg fertigstellen lassen wollte, gab es auf deutscher und insgesamt auf westlicher Seite allerdings kein Interesse mehr, der Islamischen Republik zur Nuklearfähigkeit zu verhelfen. Iran setzte fortan auf russische Hilfe beim Bau des Kraftwerks und begann darüber hinaus ein geheimes Programm, das ihm die Fähigkeit geben sollte, den Nuklearkreislauf vollständig zu beherrschen – also nicht nur ein Atomkraftwerk zur Energiegewinnung zu betreiben, sondern verbrauchte Brennstäbe auch wieder aufzubereiten oder durch die Anreicherung von Natururan selbst Nuklearbrennstoff herzustellen. Da diese Technologie einem Staat auch die Fähigkeit gibt, Atomwaffen herzustellen und Iran zudem weitreichende Raketen zu erwerben oder zu entwickeln suchte, geriet das Land im Westen und vor allem in den USA zunehmend in den Verdacht, sich entgegen seinen Verpflichtungen als Mitglied des Atomwaffensperrvertrags in den Besitz von Atomwaffen bringen zu wollen. Westliche Sorgen beziehen sich im Übrigen weniger darauf, dass Iran Atomtechnologie an nichtstaatliche Gruppen weitergeben könnte – dazu ist Iran viel zu sehr Nationalstaat mit traditionellen Vorstellungen nationaler Sicherheit – wohl aber auf die Möglichkeiten weiterer regionaler Proliferation. Iranische Atomwaffenfähigkeit würde vermutlich auch Saudi-Arabien und Ägypten veranlassen, über den Erwerb oder die Entwicklung eines solchen Potenzials nachzudenken.

Die iranische Regierung dementiert solche Bestrebungen immer wieder. Doch ist der Verdacht keineswegs unbegründet. Selbst in iranischen Publikationen gibt es Stimmen, die eine eigene Atomwaffenkapazität fordern. Dabei wird auf die Sicherheit des Landes in einer gefährlichen regionalen Umgebung verwiesen. Nach dem Irakkrieg verweisen manche darauf, dass Iran die USA oder auch Israel von einem Angriff auf die Islamische Republik abschrecken können müsse. Natürlich werden in diesem Zusammenhang amerikanische Äußerungen über die Möglichkeiten militärischer Schläge gegen Iran ausführlich zitiert. Zudem kommt der Anspruch Irans ins Spiel, eine regionale Führungsmacht zu sein, die letztlich nicht schlechter dastehen kann als Pakistan oder andere regionale Mächte

Nach dem Irak-Krieg, den die USA schließlich mit dem Argument geführt hatten, dass mit dem Irak ein gefährlicher mittelöstlicher Staat Massenvernichtungswaffen entwickele und zwangsweise entwaffnet werden müsse, kam das iranische Atomprogramm zunehmend ins Schlaglicht der internationalen Öffentlichkeit – zumal weil iranische Oppositionskreise Informationen bekannt gaben über bestimmte, bislang geheim gehaltene Standorte und über offensichtlich recht fortgeschrittene Versuche, die Technologie eines geschlossenen Atomkreislaufs zu beherrschen. Aufgrund dieser Vorwürfe ließ Teheran Inspektoren der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) einreisen, um diese Anlagen zu überprüfen – insbesondere die im Aufbau befindliche Atomfabrik in Natanz, in der Zentrifugen zur Anreicherung von Uran produziert werden.

Die internationalen Inspekteure waren mit den Auskünften, die sie von der iranischen Seite erhielten, keineswegs voll zufrieden; der Verdacht, dass Iran mit voller Kraft auf die Herstellung von Atomwaffen hinarbeite, nährte sich immer mehr; die amerikanische Regierung forderte, die Angelegenheit vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen. Um die Krise friedlich zu lösen und gleichzeitig das vermutete iranische Atomwaffenprogramm eindeutig zu Ende zu bringen, reisten im Oktober 2003 die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens gemeinsam nach Teheran. Die ungewöhnliche Mission führte zu einem Abkommen, in dem sich Iran verpflichtet, das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen, das jederzeit auch unangekündigte Inspektionen der internationalen Atominspekteure ermöglicht. Gleichzeitig versprach die iranische Führung freiwillig, den Bau von Zentrifugen zur Urananreicherung zu suspendieren. Die europäischen Außenminister sagten im Gegenzug zu, Iran bei der Aufgabe seiner Bemühungen, den ganzen Atomkreislauf zu beherrschen, mit der Bereitstellung fortgeschrittener Technologien zu unterstützen. Die Mission der drei Minister und das Abkommen, das auffälligerweise nicht mit der iranischen Regierung, sondern mit Hassan Rohani, Chef des Nationalen Sicherheitsrats und Mitglied des konservativen Führungszirkels, geschlossen wurde, waren ein Kompromiss, der das Gesicht aller Beteiligten wahren konnte. Auch die Amerikaner waren zwar skeptisch, aber bereit, dem europäischen Vorgehen eine Chance zu geben: Wenn Iran freiwillig auf seine Ambitionen als Nuklearmacht verzichte, würde auch Washington in dieser Angelegenheit keine Konfrontation suchen. Ein halbes Jahr nach dem Einmarsch in Bagdad war die US-Führung eher an einer stillschweigenden Kooperation mit Teheran interessiert als an einem neuen Konflikt am Golf.

Nur verlief die Kooperation mit der Atomenergieorganisation nicht gerade optimal. Offenbar war der Iran mit seinem Anreicherungsprogramm weiter fortgeschritten als bislang zugegeben, und die Inspekteure der IAEO beklagten sich über eine zurückhaltende oder nicht ausreichende Zusammenarbeit mit den iranischen Behörden. Die Europäer kritisierten, dass der Iran das Zusatzprotokoll zwar unterzeichnet, nicht aber im Parlament ratifiziert hatte und dass die iranischen Behörden nur eine Zusage zur Suspendierung, nicht aber zur Aufgabe des Versuchs, einen vollen Brennstoffkreislauf herzustellen, gegeben hatten; amerikanische Stellen vermuteten weiterhin heimliche Aktivitäten, die über die den Inspekteuren zugänglich gemachten Stellen hinausgingen. Die iranische Regierung wie auch Irans Medien wiederum beschwerten sich, dass Europa trotz „guter Kooperation“ nicht bereit sei, Know-how und Technologie zur friedlichen Nutzung der Atomenergie, zur Verfügung zu stellen.

Erst Ende 2004 erreichten die EU-3 und Iran eine neue Vereinbarung: Iran und Europa würden über ein Langfristabkommen zur technischen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit, auch bei der friedlichen Nutzung der Atomenergie, sowie über wirtschaftliche und politische Kooperation verhandeln. Während der Verhandlungen würde Iran als vertrauensbildende Maßnahme seine Aktivitäten zur Anreicherung oder Wiederaufbereitung von Uran freiwillig aussetzen. Die Verhandlungen halten an – und sie werden auch anhalten müssen, bis ein neuer iranischer Präsident gewählt und installiert ist. Solange Iran sich im Wahlkampf befindet und der amtierende Präsident von einem mehrheitlich konservativen Parlament in Schach gehalten wird, dürfte ein haltbares Abkommen kaum zu erreichen sein.

Tatsächlich berührt die Auseinandersetzung über die Atomfrage das Selbstverständnis der Islamischen Republik. Hardliner im Parlament und die konservative Presse verweisen nicht auf nur das Recht Irans auf Nutzung atomarer Technologien. Einige verlangen sogar einen Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag, weil dieser die Souveränität des Landes einschränke. Wenn der Westen Iran nicht helfe, so der Tenor, dann sei er letztlich selbst schuld, wenn Iran seinen eigenen Weg gehe und sich alle Optionen, auch die einer militärischen Nutzung des Atoms, offen halte. Vertreter von Regierung und Regimeführung versuchen hingegen deutlich zu machen, dass man allein eine friedliche, aber keine militärische Nutzung der Atomenergie anstrebe.3 Zum Teil wird dies auch mit religiösen Motiven begründet: Der Einsatz von Nuklearwaffen, erklärte Präsident Khatami, verstoße „gegen islamische Prinzipien und die iranische Moral.“ Auch der Geistige Führer sprach vom „Verbot der Nutzung von Massenvernichtungswaffen“ im Islam.4 Skepsis ist gegenüber solch offiziellen Erklärungen politischer Führer zweifellos angebracht. Gerade weil die iranische Elite immer versucht, ihre eigene Politik in einen islamisch-ideologischen Begründungszusammenhang zu stellen, ist ein Wort des Führers über die Unvereinbarkeit von Islam und Atomwaffen aber nicht ganz unwichtig.

Vertreter der iranischen „Atomlobby“ sehen in der Atomkraft in erster Linie eine Fortschrittstechnologie, auf die der Iran wie jeder andere wichtige Staat ein Anrecht hätte. Zu ihnen gehört der Wissenschaftler und Diplomat Ali Asghar Soltaniyeh, der in den frühen siebziger Jahren in den USA zum Nuklearphysiker ausgebildet wurde und seit Ende der neunziger Jahre als leitender Beamter im Außenministerium mit der Atomfrage beschäftigt ist. Iran solle seiner Ansicht nach einem Verzicht auf die eigene, volle Beherrschung des Atomkreislaufs nicht zustimmen. Sehr wohl aber könne man den Anreicherungsprozess unter die Aufsicht der Internationalen Atomenergieorganisation stellen. Das Misstrauen der Europäer will er nicht akzeptieren, man habe doch „als vertrauensbildende Maßnahme“ schon die Produktion von Zentrifugen zur Urananreicherung in Natanz suspendiert, der IAEO erlaubt, dort Kameras zu installieren, den Inspekteuren sogar zugestanden, militärische Einrichtungen zu besuchen. Urananreicherung sei ein legitimes Recht, das der Atomwaffensperrvertrag jedem Mitglied zugestehe: Hoch angereichertes, waffenfähiges Uran würde Iran überhaupt nicht produzieren, und Atomwaffen wolle man nicht. Verhielte es sich anders, wäre es ein leichtes für den Iran, den Atomwaffensperrvertrag zu kündigen und atomwaffenfähiges Material zu produzieren.

Die „doppelten Standards“ nach denen, so der Wissenschaftler, der Iran im Vergleich mit Israel und Pakistan gemessen werde, störten ihn nicht, denn dieses Argument würde vor allem von Extremisten im eigenen Land benutzt, denen es tatsächlich um Atomwaffen gehe. Ihn störe vielmehr die Ungleichbehandlung Irans vor und nach der Revolution. Zu Schah-Zeiten hätten die westlichen Länder dem Iran die Türen eingerannt, um das Land mit nuklearer Technologie zu versorgen. Nicht nur Deutschland habe den Reaktor in Bushehr bauen wollen, die ersten Geräte zur Urananreicherung seien vielmehr aus den USA geliefert worden. Nach der Revolution aber habe man das Land unter Sanktionen gestellt und sei nicht einmal bereit, dem Iran eine sichere Versorgung mit Brennelementen für den im Bau befindlichen Reaktor zu garantieren. Wäre dies anders gewesen, so spekuliert Soltaniyeh, dann hätte der Iran die technisch-politische Entscheidung für den vollen Brennstoffkreislauf möglicherweise gar nicht getroffen. Und natürlich wolle man sich für diese „Technologie des Fortschritts“ lieber auf deutsches als auf russisches Know-how stützen. Nur die Sanktionspolitik Europas und des Westens treibe Iran dazu, den Reaktor in Bushehr mit der wenig ausgereiften – und, wie dies impliziert, weniger sicheren – russischen Technologie fertigzustellen.

Natürlich bleibt die Auseinandersetzung um das iranische Atomprogramm auch eine Frage des nationalen Stolzes. Spekulationen in amerikanischen Medien, die US-Armee oder gar Israel könnten die iranischen Atomanlagen bombardieren – und jüngste Berichte, dass schon amerikanische Agenten zur Vorbereitung solcher Luftschläge im Lande seien;5 europäische Äußerungen, man „erwarte“, dass der Iran Anreicherung und Wiederaufbereitung ein für alle Mal aufgäbe, haben in Teheran ganz ähnliche Effekt. Aus der Perspektive vieler Iraner zeigen solche Äußerungen die arrogante Haltung des Westens insgesamt, den mangelnden Respekt nicht nur der USA, sondern auch Europas gegenüber einem souveränen Staat, der nach wirtschaftlicher Entwicklung und wissenschaftlichem Fortschritt strebt.

In gewisser Weise hilft der internationale Druck so dem Regime, und macht seine eigene Propaganda, wonach Iran einer allgemein feindlich gesinnten Umwelt allein gegenübersteht, ein ganzes Stück glaubwürdiger. Viele Iraner, auch eher nationalistisch-säkular orientierte, die das islamische Regime nicht unterstützen, teilen im Übrigen den von der Regierung vertretenen Anspruch, dass einem Staat wie Iran nicht verboten werden kann, modernste atomare Technologie zu nutzen. „Wir haben in diesem Feld Fortschritte gemacht“, so Khatami, „und wir werden niemanden um Erlaubnis bitten.“6 „Grüne“, umweltorientierte Einwände stoßen auf Unverständnis. Für Islamisten wie für Nationalisten steht die Frage der Souveränität – des Rechts, wie andere Staaten behandelt und zudem als Staat mit einigem Gewicht anerkannt zu werden – im Vordergrund.

Die Verantwortung der EU-3 ist insofern besonders hoch: Sie verhandeln mit Iran, nicht weil sie dessen Nuklearprogramm leicht nehmen, sondern weil sie es mit Sorge betrachten. Ziel ist ein zwar freiwilliger, aber permanenter Verzicht Irans auf nukleare Aktivitäten, die den Brennstoffkreislauf schließen und eine militärische Nutzung möglich machen können. Europa kann im Gegenzug politische, wirtschaftliche und technische Kooperation einschließlich einer Zusammenarbeit in Forschung und Wissenschaft anbieten, die dem Anspruch Irans, ein aufstrebendes, modernes Schwellenland zu sein, gerecht werden. Sicherheit gegen mögliche amerikanische Absichten für einen Regime-wechsel kann die EU Iran allerdings nicht bieten; sie kann allenfalls versuchen, Washington als stillen, vierten Partner eines Langfristabkommens ins Boot zu bekommen. Mittelfristig wird es ein regionales Sicherheitsarrangement in der Golf-Region und im weiteren Mittleren Osten geben müssen, dessen regionale und außerregionale Parteien explizit darauf verzichten, andere Teilnehmer militärisch zu bedrohen. Amerikanische Zustimmung für einen solchen Prozess wird es jedoch allenfalls geben, wenn Teheran gerade auch in seinen Verhandlungen mit den EU-3 Glaubwürdigkeit beweist.

1 Vergleiche zur amerikanischen Außenpolitik gegenüber dem Mittleren Osten zuletzt vor allem Douglas Little: American Orientalism. The United States and the Middle East since 1945, Chapel Hill and London, 2002.

2 Katajun Amirpur: Realexistierender Islamismus: Der Iran nach dem Wahlsieg der Konservativen, Blätter für deutsche und internationale Politik, April 2004, S. 462–472.

3 Vgl. etwa das Interview von Hussein Mousavian, Leiter der iranischen Delegation bei der IAEO, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 14.1.2005.

4 Die Äußerungen Khatamis sind zitiert nach BBC, Global Monitoring Global Newsline Middle East, 11.8.2004; die Khamene’is nach MEMRI Special Dispatch, 24.8.2004.

5 Seymour M. Hersh, The Coming Wars, The New Yorker, 24.1.2005.

6 BBC, Global Monitoring Global Newsline Middle East, 11.8.2004.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, Februar 2005, S. 56 - 65.

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