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05. Jan. 2018

Stets dieselbe Clique

Von der schlechten Stimmung in Italien profitiert ausgerechnet Silvio Berlusconi

Seit das Referendum zur Verfassungsreform im Dezember 2016 scheiterte, hat Italien kaum eine Schlagzeile produziert. Stattdessen herrscht landauf, landab schlechte Stimmung. Unreformiert blockieren sich beide Kammern des Parlaments gegenseitig. Wenn die Italiener überhaupt über Politik reden, dann wie jüngst ein Nachbar beim Cappuccino in der Bar: „Wir bräuchten eine starke Regierung; stattdessen dümpelt Italien so dahin.“

Woher aber sollte eine starke Regierung bei diesem lähmenden Bikameralismus kommen und bei einem neuen Wahlrecht, das Koalitionsregierungen geradezu erzwingt? Am Tag nach den nächsten Wahlen, die wahrscheinlich im März 2018 stattfinden werden, erscheint folgende Schlagzeile wahrscheinlich: „Berlusconis Forza wieder stärkste Kraft – unklare Machtverhältnisse“.

Da kann sich die derzeitige Koalition unter den Sozialdemokraten (PD) von Parteichef Matteo Renzi noch so anstrengen: Der Rückgang der Arbeitslosenzahlen und das ansehnliche Wachstum des Bruttosozialprodukts werden nicht gewürdigt. Dass PD-Regierungschef Paolo Gentiloni und Innenminister Marco Minitti gerade bei der Flüchtlingspolitik ordentliche Arbeit leisten, „hat sich bei mir nicht bemerkbar gemacht“, sagt der Nachbar in der Café-Bar und blättert in seinem Corriere. Dieses Gefühl, nichts ändere sich, stärkt die Verdrossenheit, und die daraus resultierende Wahlenthaltung trifft sogar schon die Internetpopulisten von der Fünf-­Sterne-Bewegung, die eben noch als sexy galten. „Letztlich stets dieselbe Politikerclique“, findet Silvia an der Kaffeemaschine.

Vor einem Jahr sagte mir Renzi kurz nach seinem Rücktritt: „Mit dem Nein zum Referendum hat die Nation gezeigt, dass sie offenbar keine Reformen will.“ Seitdem bekommt seine Partei tatsächlich keine Gesetzesnovelle mehr durchs Parlament: weder das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare noch die Regelung, dass sich im Land geborene Migrantenkinder mit 18 Jahren einbürgern lassen können.

Ins Bargespräch mischt sich nun auch ein Politikprofessor ein, der der hübschen Silvia an der Kaffeemaschine schöne Augen macht: Reformen würden kaum beachtet, weil sie wie die Regierungsarbeit selten sachgemäß debattiert würden. Gesetze oder soziale Entwicklungen seien „nicht so spannend wie Personen“ – eine Anspielung auf Ex-Ministerpräsident Massimo D’Alema und Renzis Vorgänger im Parteivorsitz, Pier Luigi Bersani.

Letzterer saß hier neulich mit einem ausgewiesenen Renzi-Gegner. Sie tuschelten leise, so dass niemand mithören konnte, was sie sagten. Als aber das Handy klingelte, sagte Bersani etwas zu laut: „Ciao, Massimo.“ D’Alema konnte es derweil Renzi nicht verzeihen, dass der ihm keinen EU-Job zuschieben wollte. „Dieser alte Quengelverein kommt ständig in der Zeitung vor“, sagt der Politologe.

Übrigens liegt D’Alemas Amtszeit schon zehn Jahre zurück. Doch bei so großer Politikverdrossenheit rücken kaum Nachwuchspolitiker nach, und gegen die wenigen Jüngeren – wie den 41-jährigen Renzi oder den 31-jährigen Chefkandidaten der „Sterne“, Luigi Di Maio – werden schon dieselben Vorbehalte laut wie gegen die Alten.

Unter Letzteren hat es der mittlerweile 81 Lenze zählende Silvio Berlusconi, der nach einem rückwirkenden und damit fragwürdigen Gesetz als verurteilter Steuerverbrecher selber nicht kandidieren darf, heute allemal leichter als ein problembewusster Reformer. Anders als Renzi forderte er die Nation nie mit tiefgreifenden Reformen heraus. „Berlusconi beruhigte und lächelte über Probleme hinweg“, meint der Politologe und geht.

Ein Richter sagte mir neulich abends beim Wein: „Reformer haben es schwer.“ Der Jurist hatte PD-Bürgermeister Ignazio Marino als Rechtsbeistand geholfen, die Stadt von der „Mafia Capitale“ zu säubern. „Auch der Kampf gegen Korruption ist unpopulär; denn er räumt Besitzstände bei Taxifahrern, Barbesitzern, der Müllabfuhr und den Stadtbeamten ab. So verlor der PD das Rathaus.“ (Heute stellen die „Sterne“ die Bürgermeisterin, aber Silvia kann immer noch keinen auf dem Amt bestechen, um vor der Bar Tische aufstellen zu dürfen.)

Was für Rom gilt, gilt praktisch für ganz Italien. Die Infrastruktur ist schlecht, bei der Bürokratie herrscht heilloses Chaos, aber zugleich ist die Steuerlast so hoch, dass Berlusconis Botschaft verfängt, den Staat wieder abzubauen. In einer Zeit, in der Zehntausend Migranten übers Meer kommen, erstarkt zudem die Rechte insgesamt, die in jedem Flüchtling ein ­Sicherheitsrisiko sieht.

Bei den Regionalwahlen in Sizi­lien machte es Berlusconi jüngst vor: Sein Charisma half, Konservative, Liberale und Neofaschisten zu verbünden, während sich die Linke zerlegte. Nicht Anti-Mafia-Jäger, sondern „unansehnliche“ Kandidaten, die wegen Mafia-Nähe nicht antreten sollten, siegten bei niedrigster Wahlbeteiligung. Sollte Berlusconi auch bei nationalen Wahlen gewinnen und die überfälligen Reformen ausbleiben, wird Italien bald wieder Schlagzeilen liefern. Wahrscheinlich recht große.

Dr. Jörg Bremer ist Italien-Korrespondent der Frankfurter ­Allgemeinen Zeitung.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar-Februar 2018, S. 128 - 129

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