Kommentar

01. Nov. 2020

Stellung beziehen, Haltung wahren

Als starker Akteur einer selbstbewussten EU müssen wir eine Außenpolitik verfolgen, die Deutschlands globaler Verantwortung gerecht wird und den geopolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts begegnet. Dies ist auch als Angebot an unsere europäischen und internationalen Partner zu verstehen. Sie sollen wissen, wo Deutschland außen- und sicherheitspolitisch steht und wohin es sich bewegt.



Insbesondere die Entwicklungen im deutsch-amerikanischen Verhältnis unterstreichen, wie wichtig eine „Außenpolitik auf Augenhöhe“ und mit Führungsanspruch für unser Land ist. Nur ein fest gegründeter europäisch-amerikanischer Verbund kann unsere Freiheit auf beiden Seiten des Atlantiks wahren. Je weniger wir uns selbst um unseren Teil an Verantwortung in der Welt kümmern, desto weniger werden es die USA tun. Wir müssen in die Bundeswehr beherzter und zukunftsorientierter investieren und schneller das 2-Prozent-Ziel der NATO erreichen: So stellen wir ein Stück außenpolitische Handlungsfähigkeit her. Das ist notwendig für Deutschland und Europa – und ein wichtiges Signal auch gen Westen: Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit werden nur weiterbestehen, wenn die USA und Europa endlich enger, ernsthafter und von gegenseitigem Respekt getragen als gleichwertige Partner zusammenarbeiten.



Fest steht: Die USA werden Weltmacht bleiben. Daran werden weder Donald Trump noch die Covid-19-Pandemie etwas ändern. Es ist beruhigend zu wissen, dass die einzige Supermacht demokratisch verfasst ist, sonst würde unser Leben in Europa anders aussehen – weniger friedlich, geordnet und wohlhabend. Allerdings haben sich die Rahmenbedingungen geändert, vor allem durch das ökonomisch und politisch mächtiger werdende China. Darum ist ein vertieftes, kraftvolles, neu geschmiedetes transatlantisches Bündnis nicht nur für Europa sinnvoll, sondern auch für Amerika.

Deutschlands Position gegenüber China und Russland

Die EU beschreibt China als systemischen Rivalen. Die USA definieren China als neuen Konkurrenten um den Status der Supermacht. Der Konflikt „Demokratie versus China“ wird dieses noch junge Jahrhundert prägen. Wir befinden uns in den ersten Tagen eines neuen Kalten Krieges. China stellt den Westen vor besondere Herausforderungen. Wir haben es mit einer ökonomisch erfolgreichen Diktatur zu tun. China versucht jeden Tag aufs Neue, die EU zu spalten, einzelne Länder zu übervorteilen, während seine Cyberspione und Staatskonzerne unsere Industrie in die Zange nehmen und uns ein 5G-Netz aufdrängen wollen, mit dem Pekings Überwachungswahn in jeden deutschen Funkmast reicht. Die immer noch offene Frage, ob Huawei Hardware im deutschen 5G-Netz verbauen darf, gefährdet die Integrität unserer Netze. Verlässlichkeit und Vertraulichkeit der Informationswege sind eine Frage der Souveränität: Wer wollte mit Deutschland noch Informationen und Daten austauschen, wenn niemand weiß, wohin diese fließen?



Wir werden in Zukunft auch mit Sanktionen operieren müssen. Dabei sollten wir an eine europäische Sanktionsbehörde denken, ähnlich dem Office of Foreign Assets Control (OFAC) in den USA. Mindestens genauso wichtig ist das Thema Handel: Der Westen muss auf volle Reziprozität in allen Handelsfragen bestehen, von Investitions- und Niederlassungsfreiheit bis zum Schutz geistigen Eigentums.



Mit Russland verhält es sich anders. Der Kreml hat in Europa Fakten geschaffen, während maßgebliche Teile der deutschen Außenpolitik sich mit einer „Kultur der militärischen Zurückhaltung“ oder einer wie auch immer ohne die USA zu bewerkstelligenden „Allianz für den Multilateralismus“ beschäftigen. Russland hat 2014 mit dem Überfall auf die Ukraine und der Annexion der Krim einen Krieg in Europa vom Zaun gebrochen, der bis heute andauert. In Syrien bombt sich der Kreml ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung einen Platz im östlichen Mittelmeer herbei. Südlich von Europa zieht er den Kreis weiter nach Libyen, wo russische Söldner im Staatsauftrag ihr Unwesen treiben.



Vor allem aber hat Russland den Vertrag über das Verbot von Mittelstreckenraketen so lange gebrochen, bis die USA sich gezwungen sahen, diesen zu kündigen. Warum hat sich Russland in den vergangenen Jahren gegenüber dem Westen die nukleare Oberhand in Europa verschafft? Während wir dieser Frage ausweichen, verstärkt Moskau seine Spionageaktivitäten, auch in Deutschland, wo der Verfassungsschutz ein Niveau der Agententätigkeit wie zu Hochzeiten des Kalten Krieges verzeichnet. RT und Sputnik verbreiten Fake News und Kreml-Propaganda. Russland können wir einfacher begegnen als China. Unsere wirtschaftlichen Verflechtungen sind bei weitem nicht so eng, und Moskau hat niemandem etwas Konstruktives oder Innovatives zu bieten.

Mut zur Verantwortung

Deutschlands politische und volkswirtschaftliche Bedeutung schlägt sich nicht in seiner außenpolitischen Statur nieder. Unser Land muss sich endlich zutrauen, mehr Führung(sverantwortung) in der internationalen Gemeinschaft zu übernehmen – das erwarten nicht zuletzt unsere internationalen Partner von uns. Es wird Zeit, dass sich Deutschland dieser Herausforderung stellt. Führung anbieten heißt zum einen, prinzipientreu zu sein. Zum anderen heißt das, konkret zu handeln. Das bedeutet beispielsweise: In Libyen nicht nur vermitteln, sondern an Europas Südgrenze gemeinsam mit unseren Partnern für Frieden sorgen; gegenüber dem Regime im Iran erkennen, wenn der Spielraum für Worte und Diplomatie soweit eingeengt ist, dass es konkreter Konsequenzen bedarf; demokratischen Freunden aktiv helfen, wenn sie von China schikaniert werden, so wie jüngst Kanada. Und vor allem: Mit unseren Partnern in Europa für Sicherheit sorgen, wenn Russland oder China diese Sicherheit bedrohen. „Mit unseren Partnern“ heißt nicht, dass wir darauf warten können, dass andere vorangehen und die Aufgabe meistern. Im Gegenteil, von Washington bis Tallinn wartet man darauf, dass Deutschland nicht mehr nur Worthülsen bemüht, sondern konkret hilft, russischer Aggression und chinesischem Machtzuwachs aktiv etwas entgegenzusetzen. Nicht weil wir besser oder klüger als unsere Partner wären – und schon gar nicht, weil wir irgendeine generelle Skepsis gegenüber dem russischen oder chinesischen Volk hegten –, sondern weil es ohne Deutschland, das bevölkerungsreichste und wohlhabendste Land Europas, schlicht nicht geht.



Dazu müssen Verteidigungs-, Wirtschafts- und Wirtschaftsförderungspolitik sowie Entwicklungszusammenarbeit enger miteinander verzahnt sein, besser koordiniert und effizienter strukturiert werden. Probates Instrumentarium dafür ist ein Nationaler Sicherheitsrat, dem ein Nationaler Staatsminister für Äußere Sicherheit mit Kabinettsrang und entsprechenden Kompetenzen und Mitteln vorsteht. Der derzeit vornehmlich auf dem Papier stehende „Vernetzte Ansatz“ könnte dadurch verstärkt in die Tat umgesetzt werden. Zudem verlangsamt das Konkurrenzverhältnis zwischen Kanzleramt und Auswärtigem Amt den schwerfälligen außen- und sicherheitspolitischen Willensbildungsprozess. Beide Behörden müssen daher von Persönlichkeiten geleitet werden, die derselben Partei angehören.



Spätestens nach der nächsten Bundestagswahl müssen wir so weit sein. Denn wer sich der Welt nicht widmet, der wird von ihr schneller überrascht, als ihm lieb ist.



Peter Beyer ist Koordinator für die transatlantische Zusammenarbeit der Bundesregierung im Auswärtigen Amt und CDU-Bundestagsabgeordneter.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/Dezember 2020, S. 106-107

Teilen