Starre Schablone für weiche Faktoren
Buchkritik
Auch Staaten und Großregionen lassen sich von Gefühlen leiten, und die aktuelle Weltpolitik lässt sich nicht ohne Blick auf emotionale Befindlichkeiten begreifen. Hoffnung, Angst und Demütigung bilden das Analyseraster von Moïsis „Kampf der Emotionen“, nach dem er die Welt in drei Gefühlszonen einteilt – und an allzu großer Vereinfachung scheitert.
So richtig geheuer ist Dominique Moïsi sein eigener Ansatz wohl selbst nicht. Gleich zweimal wehrt er in seinem neuen Buch prophylaktisch mögliche Kritik an der Idee vom „Kampf der Emotionen“ ab. Dabei ist es gar nicht seine Idee, den Gefühlen und den psychologischen Triebkräften in der Analyse der internationalen Politik mehr Raum zu geben, die ihn am Ende scheitern lässt, sondern ihre wenig überzeugende Anwendung auf die Weltpolitik.
Seit Anfang der neunziger Jahre Joseph Nye den Begriff von der Soft Power prägte und damit eine mittlerweile kanonisierte Kategorie für die schlecht mess- und greifbaren Machtfaktoren im internationalen System schuf, ist der Blick auf den „weichen“ Unterbau der harten Politik zum Standard geworden. Selbst hartgesottene Realisten erkennen mittlerweile an, dass der Mensch (und also Gruppen von Menschen) mit seinem verletzbaren Ego, seiner Irrationalität, seinen Begierden und seiner Liebesbedürftigkeit auch in seinem politischen Handeln nicht allein in den Kategorien von Macht und Interesse verstanden werden kann.
Moïsi geht nun einen Schritt weiter: Indem er anhand der drei für ihn entscheidenden Gefühlslagen Angst, Demütigung und Hoffnung die Welt in drei emotionale Großregionen einteilt, versucht er Geografie und Psychologie zu einem globalen Analyseansatz zu verschmelzen. Doch trotz sensibler Beobachtung, zahlreicher kluger Einsichten und zum Teil origineller Interpretationen funktioniert sein Ansatz nicht richtig. Zum einen wirkt schon die Auswahl seiner drei Schlüsselemotionen willkürlich. Begründet wird die Auswahl von Angst, Demütigung und Hoffnung damit, dass allen dreien eine enge Verwandtschaft mit Selbstsicherheit oder Selbstbewusstsein gemein sei. Aber das gilt für andere, von ihm bewusst nicht verwendete Gefühle wie Liebe, Verzweiflung oder Hass ebenso. Hätte Moïsi sich statt auf Gefühle auf Selbstbewusstsein und Unsicherheit als Kategorien konzentriert, hätte sein Buch ein großer Wurf werden können, denn sie bieten ein viel flexibleres Gerüst für die psychologische Analyse internationaler Politik.
Gravierender aber ist seine statische Zuordnung von Staaten und Weltregionen in diese Dreierschablone. Der Westen ist im frühen 21. Jahrhundert für Moïsi die Zone der Angst, Asien die Zone der Hoffnung und der Nahe Osten, speziell die arabische Welt, die Zone der Demütigung und Erniedrigung. Und obwohl sich Moïsi der Gefahr von Simplifizierung bewusst ist und deshalb auf die jeweiligen Ausnahmen explizit hinweist – in einem Extrakapitel sogar einzelne Staaten, die sich seiner Kategorisierung entziehen, gesondert behandelt – bleibt am Ende eine große Vereinfachung.
Diese Vereinfachung führt dazu, dass in zwei seiner drei Hauptkapitel, welche die einzelnen Gefühlswelten untersuchen, die Analyse künstlich wirkt und sich zu sehr darum bemüht, die Welt in drei Kategorien einzupassen. Einzig das der Demütigung gewidmete Kapitel wirkt überzeugend, da Moïsi das in der arabischen Welt vorherrschende Gefühl der Unterlegenheit und der Zukunftslosigkeit auf hohem Niveau untersucht. Dies ist der stärkste Teil des Buches, da das amorphe, aber politikleitende Gefühl der Demütigung in seine historischen, kulturellen und politischen Grundbestandteile zerlegt und damit greifbar gemacht wird. Warum allerdings die Demütigung der Menschen in der Region durch ihre eigenen Eliten nur in einem Nebensatz erwähnt wird, statt diese zu einem der Hauptfaktoren zu machen, bleibt rätselhaft.
Natürlich könnte man trefflich über die Zuordnung einzelner Staaten zu ihren „Gefühlsräumen“ streiten. Amerikas Fähigkeit zur Hoffnung wird zwar gewürdigt, aber letztlich bleiben die USA auch nach der Wahl Obamas in der Angstkategorie; Russland wird als Mischfall gesehen, in dem sich Angst, Demütigung und Hoffnung die Waage halten – ein Befund, der angesichts des massiven Minderwertigkeitskomplexes eines sich als gedemütigt wahrnehmenden Landes dann doch verwundert.
Letztlich sind solche intellektuellen Feilschereien aber gar nicht notwendig, da so oder so am Ende von Moïsis Analyse kein wirklich neuer Befund steht. Im Grunde ist sein Buch ein flammendes Plädoyer für gegenseitiges Verständnis, das Wissen um die Befindlichkeiten des Gegenübers, die eigene Mäßigung im Moment der Stärke und die Besinnung auf die Eigenverantwortung im Moment der Schwäche. Die Werte der Aufklärung, des Humanismus und der christlichen Nächstenliebe sind die eigentlichen Stars von Moïsis teils sehr persönlich geschriebenem Essay. Es ist immer notwendig, an diese zeitlosen Botschaften zu erinnern und ihre Einhaltung anzumahnen. Eines am Ende doch etwas künstlich wirkenden „Kampfes der Emotionen“ hätte es dazu aber nicht bedurft.
Dominique Moïsi: Kampf der Emotionen. DVA Sachbuch, 2009, 240 Seiten, 19,95 €
JAN TECHAU leitet das Alfred von Oppenheim Zentrum für Europäische Zukunftsfragen im Forschungsinstitut der DGAP.
Internationale Politik 9/10, September/Oktober 2009, S. 136.