Stadt, Land, Welt
Deutschlands Außen- und Entwicklungspolitik muss die Kommunen stärker in ihre Arbeit einbeziehen, sonst verliert sie den Anschluss – nach außen wie nach innen.
Deutschland hat über 2000 Städte, sie sind Orte der internationalen Vielfalt. In einer Großstadt wie Dortmund leben Menschen aus 178 Nationen. Städte entwickeln sich dynamisch, sie sind gezwungen, die zentralen Probleme unserer Zeit zu lösen – und das möglichst schnell. Bei allen Unterschieden in Sachen Wirtschaft, Geografie oder soziale Situation haben Städte weltweit ähnliche Probleme. Klimawandel, Corona-Pandemie, der Zugang zu Bildung, Integration, Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit: All das sind zugleich lokale wie auch grenzüberschreitende Herausforderungen. Da Städte daneben auch ganz unmittelbar von außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen betroffen sind, werden sie nicht umhin kommen, die internationale Zusammenarbeit noch stärker in den Fokus ihrer Arbeit zu stellen.
Wenn von Städtediplomatie („Urban Diplomacy“) die Rede ist, dann konzentriert sich die Diskussion häufig auf das Thema Städtepartnerschaften. Begründet im Gedanken der Völkerverständigung, der Freundschaft und des Austauschs, sind diese Partnerschaften Grundlage für vernetztes Handeln und Stabilität. Unter Einbeziehung einer engagierten Zivilgesellschaft sind sie im internationalen Austausch der Städte nicht mehr wegzudenken. Doch ist eine bloße Weiterentwicklung dieser Städtepartnerschaften geeignet, kommunale Außenbeziehungen auf eine andere Ebene zu führen?
Lokale Fragen global behandeln
Dortmund geht mit seiner kommunalen Außenpolitik über die Grenzen der Städtepartnerschaften hinaus. Die Stadt zählt zusätzlich zu ihren neun Städtepartnerschaften fünf strategische Partnerschaften mit verschiedenen Städten weltweit. Diese Projektpartnerschaften sind keine formellen Zusammenschlüsse, sondern fokussiert auf ausgewählte Themen.
Inspiriert sind sie durch lokale Fragestellungen. Nehmen wir das Beispiel Klima: Im Rahmen der 2008 von der Bundesregierung ins Leben gerufenen transatlantischen Klimabrücke erörtern in einer trilateralen Kooperation die Städte Dortmund, Vancouver (Kanada) und Pittsburgh (USA) klimapolitische Fragen wie Innenstadtmobilität, Ernährungspolitik und Energienutzung der Zukunft. Einen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Austausch zu Klimafolgenanpassung und Resilienz pflegen wir mit der rumänischen Stadt Cluj-Napoca. Weitere Klimapartnerschaften bestehen mit den Städten Kumasi in Ghana und Dabola in Guinea.
„Wenn Nationalstaaten nicht mehr miteinander reden, handeln die Städte“, ist eine in diesem Kontext oft genannte Formel, die heute aber der Aktualisierung bedarf. Städte pflegen Partnerschaften über Jahrzehnte hinweg – auch, wenn die Beziehungen zwischen den Staaten gut sind. Nur so lassen sich die Grundlagen dafür legen, dass die Partnerschaften auch dann funktionieren, wenn es auf der zwischenstaatlichen Ebene knirscht.
So ist etwa der kommunale Austausch zwischen deutschen und amerikanischen Städten gerade in den Jahren der Trump-Präsidentschaft ausgebaut worden. Vertreter der Stadt Dortmund reisten 2018 nach Buffalo, Pittsburgh und New York City, um die Kooperation mit den Städten wieder auf eine solide Basis zu stellen. Die Städtepartnerschaft mit Rostow am Don (Russland) existiert seit über 40 Jahren und wird immer wieder mit Leben gefüllt – trotz aller Widrigkeiten auf nationaler Ebene.
Internationale Kooperationen zwischen den Städten funktionieren weitgehend unabhängig von Ideologien und politischen Lagern. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister dieser Welt agieren häufig unabhängig und über Parteigrenzen hinweg. Sie stehen grenzüberschreitend nicht im Wettbewerb. Zudem beanspruchen sie keine geopolitische Macht – anders als es die Vertreter der nationalen politischen Ebene tun.
Außenpolitik im Alltag
Die Stadt Dortmund, kürzlich zur „Innovationshauptstadt Europas“ gekürt, folgt dem Leitgedanken, dass Städtediplomatie Motor von Innovationen ist. Dafür stehen nicht nur die erwähnten Projektpartnerschaften, sondern auch die Mitarbeit in Städtenetzwerken wie Eurocities und die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen.
Daneben ist Städtediplomatie ein strategisches Werkzeug, um den eigenen Standort attraktiver, besser und lebenswerter zu machen. Dortmund möchte als innovative europäische Großstadt auf der internationalen Landkarte verortet werden. An Themen für den Austausch mangelt es dabei nicht: Entwicklungs-, Wirtschafts- und Standortpolitik, wissenschaftlicher Austausch, interkulturelle Zusammenarbeit, Migration, Klimawandel, Menschenrechte, kommunale Dienstleistungen, Bildung, Sport, Gesundheit, Digitalisierung, europäische Politik und transatlantische Beziehungen.
Um diese Vielzahl an Themen im Alltag zu organisieren, hat man ein Büro für Internationale Beziehungen der Stadt Dortmund geschaffen, das im Amt des Oberbürgermeisters angesiedelt ist. Das Team von elf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern begleitet darüber hinaus internationale Konferenzen, aber auch Großveranstaltungen wie die Europameisterschaft 2024 in Dortmund oder die Internationale Gartenschau 2027. Als erste Stadt in Deutschland hat Dortmund seit 2020 zudem einen Koordinator für globale Städtediplomatie, der die Themen Mitarbeit in internationalen und kommunalen Verbänden und Gremien, die Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und strategische Projektpartnerschaften betreut.
Durch die Vernetzung mit anderen Städten und in den Netzwerken sieht es das Büro für Internationale Beziehungen auch als seine Aufgabe, Trends und Innovationen in der Welt zu erkennen und auf die Arbeit der Verwaltung zu übertragen. Dafür wurde etwa der „Urban Dialogue Dortmund“ eingerichtet. Hinzu kommen Sprachkurse oder eine verwaltungsinterne Vorlesung, die „Urban Diplomacy Lecture“. Hierbei berichten Gäste aus der ganzen Welt von ihren Erfahrungen. Gezielt suchen wir zudem den Kontakt zu den Institutionen der Stadt, ob Wirtschaft, Sport, Kultur, Jugend, Wissenschaft oder Gesellschaft – wir begleiten und beraten bei Internationalisierungsvorhaben und internationalen Aktivitäten in der Stadt.
Innen und außen zusammendenken
Dass Oberbürgermeister in Deutschland eine starke Stellung haben, hat sich weltweit längst herumgesprochen. Regierungsvertreter und Botschafter besuchen in wachsendem Maße auch die Vertreter der Städte, und nicht selten werden dabei auch innerstaatliche Konflikte und Krisen in die Kommunen hineingetragen, seien es Menschenrechtsdiskussionen mit China und Russland oder die vergangenheitspolitische Debatte zwischen Japan und Südkorea.
Auch die deutsche Außenpolitik ist gefordert, Städtediplomatie als strategisches Werkzeug einzusetzen. Leider ist eine formelle Integration der Städte in den Prozess der G7-Präsidentschaft Deutschlands bislang nicht vorgesehen, obwohl die Schwerpunktthemen – Klimakrise, Multilateralismus, Stärkung der Demokratie – sich eng mit kommunaler Arbeit verknüpfen ließen.
Natürlich, Außenpolitik ist originär Sache des Bundes. Die kommunale Selbstverwaltung ist ein hohes und durch das Grundgesetz geschütztes Gut. Die Städte sind den Ländern zugeordnet. Außenpolitische Verpflichtungen dürfen durch die kommunale Ebene nicht untergraben werden. Städte werden sich gewiss nicht an den Verhandlungen zum INF-Abrüstungsvertrag beteiligen. Dennoch sollten sie bei Projekten wie der Seidenstraße oder Nord Stream 2 nicht nur mitdiskutieren dürfen; sie können sie auch über lokalpolitische Entscheidungen vor Ort beeinflussen.
Städtediplomatie muss eine Ergänzung der bestehenden nationalen diplomatischen Werkzeuge sein. Ein bloßes „Nebeneinanderher“ muss unbedingt vermieden werden. Und: Städte und ihre Verantwortlichen sind nicht der Nabel der Welt. Städte brauchen Zusammenarbeit und kein „Schneller, höher und besser“ um jeden Preis – eher einen gesunden Wettbewerb, der Innovationen fördert.
Diskrete Debatten
Gerade heikle Themen wie Menschenrechte, Demokratieverständnis oder atomare Abrüstung eignen sich besonders, um sich über Grenzen hinweg mit anderen Städten zu vernetzen. Der von den Städten Hiroshima und Nagasaki begründete Zusammenschluss „Mayors for Peace“ – über 8000 Mitglieder weltweit, davon über 700 aus Deutschland –, der sich gegen die weltweite Verbreitung von Atomwaffen einsetzt, ist ein gutes Beispiel dafür. Oder der „Pact of Free Cities“, der, ausgehend von den Städten Prag, Bratislava, Warschau und Budapest, zeigt, wie Städte dem Populismus und antieuropäischen Tendenzen ihrer Regierungen gegenübertreten können. Gerade über eine mögliche Missachtung von Menschenrechten lässt sich innerhalb der Rathäuser diskret sprechen, ohne gleich eine Staatskrise auszulösen.
Ein weiteres gelungenes Beispiel einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Städte ist die Corona-Pandemie. Rasch wurde der internationale Austausch virtuell organisiert: Umgang mit Flucht- und Migrationsherausforderungen, Probleme des öffentlichen Personennahverkehrs, Aufnahme von Patienten aus anderen Städten. Finanzielle Soforthilfen wurden organisiert. So hat etwa das Wissenschaftsnetzwerk iKEN Expertinnen und Experten aus Städten darüber diskutieren lassen, mit welchen innovativen Ansätzen europäische Städte auf Corona reagiert haben.
Das Städtenetzwerk Eurocities hat zu Beginn des ersten Lockdowns auf seiner Website nachahmenswerte Beispiele von Kommunen im Kampf gegen die Pandemie veröffentlicht. Auch die Zusammenarbeit mit der Bundesebene hat hier funktioniert: Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat ein kommunales Solidaritätspaket zur Verfügung gestellt, aus dem Städte Gelder für ihre Projektpartnerschaften unkompliziert beantragen können.
Ernstfall der Demokratie
Kurz: Es wird Zeit, im Mehrebenensystem umzudenken und die Möglichkeiten anzuerkennen, die Städtediplomatie bietet. Der Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen 2021–2025“ gibt der neuen Bundesregierung den Auftrag dazu. Darin heißt es: „Wir stärken die Beziehungen zwischen den Städten und bauen Urban Diplomacy aus.“ Der Bund ist damit in der Pflicht, die Städte in die außenpolitische Arbeit zu integrieren.
Die Grundlagen dafür sind in den vergangenen Jahren gelegt worden, etwa bei der erwähnten transatlantischen Klimabrücke oder den Städtepartnerschaftskonferenzen von Auswärtigem Amt, Deutschem Städtetag und dem Verband Türkischer Kommunen in den Jahren 2020 und 2021. Derzeit wird ein Aktionsplan zwischen Italien und Deutschland erarbeitet, in dem auch Städtepartnerschaften Eingang finden sollen. Im Rahmen des AA-Projekts „Urban Diplomacy Exchange“ soll der Fach- und Netzwerkaustausch der Kommunen zwischen der Oberbürgermeister- und der Fachebene in den Vereinigten Staaten und Deutschland gefördert werden.
Um Städte künftig in Deutschlands außenpolitischer Strategie zu verankern, seien hier fünf Schritte genannt. Zunächst geht es um die Einbeziehung in die tägliche Arbeit und Strukturen. Ganz pragmatisch hieße das, ein Forum von Bund, Land und Kommune einzurichten, in dem sich die Mitarbeitenden dieser Ebenen monatlich zu außenpolitischen Themen austauschen und die Ergebnisse in ihre tägliche Arbeit einfließen lassen. Dadurch wird eine formalisierte Beteiligung der Städte an der Willensbildung des Bundes in außen- und entwicklungspolitischen Fragen gewährleistet.
Zweitens müssen Städte in Austauschs- und Besuchsreisen konkret eingebunden werden. Bei internationalen Konferenzen wie dem Weltklimagipfel sollten sie mit am Verhandlungstisch sitzen und nicht nur „stille Teilnehmer“ sein. Zur Wirtschaftsdiplomatie sollte eine Städtediplomatie hinzukommen.
Drittens gehört ein Modul zur Städtediplomatie in die Ausbildung des akademischen Dienstes des Auswärtigen Amtes. Umgekehrt könnten Städte ihre Nachwuchskräfte ein Modul im Bereich internationale Beziehungen, Protokoll oder Städtepartnerschaften absolvieren lassen. Viertens sollte ein Job-Austausch etabliert werden: Mitarbeiter des Außen- und Entwicklungsministeriums hospitieren in den Kommunen und vice versa. Und schließlich brauchen wir in den Kommunen Stellen, mit deren Hilfe sich die außenpolitische Arbeit in den Städten professionalisieren lässt und mittel- und langfristig „Städtediplomatinnen und -diplomaten“ ausgebildet und etabliert werden können.
„Die Kommunen sind der Ernstfall der Demokratie“, hat Johannes Rau einmal gesagt. Der Ernstfall liegt im 21. Jahrhundert auch vor den Toren der Kommunen und damit in der globalen Verantwortung aller. Wenn Deutschland seine Herausforderungen mit Aussicht auf Erfolg angehen will, dann wird das nur unter Einbezug von Bund, Land und Kommune gelingen. Oder, um es in Anlehnung an einen anderen berühmten Sozialdemokraten zu formulieren: „Mehr Ebenen wagen“.
Wir erleben in der Corona-Pandemie in Teilen der Bevölkerung eine Vertrauenskrise in politische Institutionen. Es wäre an der Zeit, kommunale, Landes- und nationale Politik stärker miteinander zu verbinden, um gegenseitiges Vertrauen zu stärken.
Martin van der Pütten ist Leiter des Büros für Internationale Beziehungen der Stadt Dortmund.
IP Special 3, März 2022, S. 42-47