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01. Sep 2009

Sozialistisch siegen

Schlusspunkt

Ausgerechnet von den USA könnte Europas Fußball Gerechtigkeit lernen

Europa, das ist Ausgleich, soziale Marktwirtschaft. Amerika ist gnadenlose Konkurrenz. Das lieb gewonnene Klischee wird ausgerechnet dann widerlegt, wenn es um den größten Exportschlager der Alten Welt geht: Fußball. Während gnadenloser wirtschaftlicher Wettbewerb Europas Lieblingssport erschüttert, sichert sich Amerika durch Umverteilung das wichtigste Gut, das der Sport hat: Chancengleichheit.

Nichts hat den Unterschied so anschaulich gemacht wie der Wechsel des Topstars Christiano Ronaldo von Manchester United zu Real Madrid. Das Volumen des Transfers besteht aus 94 Millionen Euro Ablösesumme plus 13 Millionen Jahresgage. Damit könnten die meisten anderen Vereine jahrelang ihren ganzen Etat bestreiten. Der Fußball ist wie nie zuvor eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: Wenige Riesen verdienen durch Prämien, Sponsoren und TV-Rechte immer mehr, können sich so immer mehr der besten Spieler leisten und werden noch erfolgreicher. Der Rest steht samt seiner Fans und Sponsoren auf der anderen Seite des Glücks.

Ganz anders im American Football. Eine Kartellabsprache zähmt den Madrid- und Manchester-Kapitalismus. Die Teams müssen sich mit ihren Spieleretats in festgelegten Höchst- und Mindestgrenzen bewegen. Verstöße werden bestraft. Tarifverträge regeln, welcher Teil der Einnahmen den Spielern als Gesamtheit zusteht. Auch die Kriterien, nach denen Spieler in höhere Gehaltsstufen aufsteigen, sind fixiert. Kein Fan muss Angst haben, dass sein liebster Star trotz laufenden Vertrags plötzlich für den Gegner aufläuft, nur weil dieser mehr bezahlen kann – so wie in Europa, wo viele Klubs in der Titelhatz den finanziellen Kollaps vor Augen haben.

Die Folge: In England, Spanien und Italien wurden seit 1993 mehr als 90 Prozent der Fußballmeisterschaften von rund zehn Prozent der Klubs errungen. In der National Football League (NFL) gewannen derweil elf unterschiedliche Teams den Titel, mehr als jedes dritte war also mindestens einmal Meister. Trotzdem, oder gerade deshalb, ist die NFL kommerziell die erfolgreichste Liga der Welt.

Während im europäischen Fußball ein Dutzend Topklubs eine Vormachtstellung an den Fleischtöpfen erlangt haben, liegt im US-Football alle Macht bei der Liga, die die Einnahmen zentral generiert und verteilt. Im US-Sport gibt es deshalb noch Tellerwäscher-Klubs, die plötzlich Meister werden. In Europa dagegen sind Wunder für alle, die nicht zum Geldadel gehören, unbezahlbar gewonnen. Die Parabel von der Neuen und der Alten Welt – im Spitzensport gilt sie noch.

TOBIAS KAUFMANN ist stellvertretender Ressortleiter Online beim Kölner Stadt-Anzeiger.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9/10, September/Oktober 2009, S. 144.

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