Der Wahn gewinnt
Nordkorea zeigt in dritter Generation, wie sich Diktatoren an der Macht halten
„Mach dich nicht verrückt.“ Je aussichtsloser die Lage, desto häufiger erteilt das wohlmeinende Umfeld diesen Rat. In Wahrheit jedoch ist Zurechnungsfähigkeit der sichere Weg in den Untergang. Jedenfalls für Diktatoren und Terroristen, die dem vernunftabhängigen Westen zu viel Porzellan zerschmissen haben. Gleich, ob als Campingfreak aus der libyschen Wüste oder als Irrer von Teheran: Man sollte schnell und überzeugend nachweisen, dass man nicht mehr alle Tassen im Schrank haben könnte, wenn man nicht Ziel der US Airborne werden will.
Lange hat sich für das öffentlich zelebrierte Verrücktgewordensein die Strategie „Paradiesvogel“ bewährt. Leopardenmütze, Phantasieuniform, protziger Schmuck sind Pflicht, Bataillone aus Schönheitsköniginnen Kür. Das macht Spaß, bringt Umsatz in die Luxusindustrie und garantiert Präsenz in den Boulevardmedien. So wird der exponierte Tyrann nicht nur von den domestizierten mächtigen Männern im Westen insgeheim bewundert. Selbst Folter und Mord werden ihm dann vom anglo-europäischen Publikum als verschrobenes Hobby oder kulturelle Eigenheit zugestanden. Wer derart irre ist, gerät nicht ins Visier, sondern kommt ins Fernsehen. Allerdings hat diese Form des Verrücktspielens einen Nachteil: Sie kann im unterdrückten Volk zu so starker Abneigung führen, dass auch die glitzerndsten Herrscher im Staub der Revolution enden.
Besser in eine von der Sehnsucht nach Nachhaltigkeit und Gemeinsinn geprägte Zeit passt daher der Verrückte der Marke „religiöser Spinner“. Plastikblumen, billige Anzüge, Frömmigkeit und Antisemitiszionismus sind gänzlich andere Accessoires als Glitzer, doch mit exakt demselben Ziel: den Eindruck zu vermitteln, man meine Drohungen nicht ernst und sei, wenn doch, wegen mangelnder Zurechnungsfähigkeit eh nicht justiziabel. Aber Achtung! Massenmörder, die zu lange in Pakistan versteckt vor der Playstation sitzen, rutschen komplett aus dem medialen Fokus. Und dann erreicht sogar sie plötzlich der lange Arm der Gerechtigkeit.
Wie man’s macht, führt die kommunistische Gottesstaat-Monarchie Nordkorea bereits in dritter Generation vor. Man sollte als Diktator mit zukunftsorientiertem Machtanspruch stets bis an die Zähne bewaffnet und knochenhart sein – und sich zugleich nicht zu schade, in veralteten Fabrikhallen herumzulaufen und vor Fototapeten zu posieren. Ist man wie Kim Jong-un auch noch wichtig für die Chinesen, kann man es sich sogar leisten, den USA mit Atomwaffen zu drohen, ohne wenig später – wie es sich Jong-uns Bruder nach dessen Gefangennahme in Japan gewünscht hatte – nach Guantánamo und damit so nah an Disneyland heranzukommen wie möglich. Verrückt.
Tobias Kaufmann ist Chef vom Dienst beim Kölner Stadt-Anzeiger.
Internationale Politik 3, Mai/Juni 2013, S. 144