"Sie wollen sich amüsieren und vergessen"
Brief aus ... Mumbai
Vom Meer aus sieht die Szenerie fast heiter aus, wie beim Camping. Im Palmenhain vor der sandfarbenen Hotelmauer des JW Marriott hängen Soldaten khakifarbene Leibchen und Unterhosen auf die Wäscheleinen. Aber die Lockerkeit täuscht, es gibt nur noch wenige Gäste im Hotel, und hier draußen herrscht hohe Sicherheitsstufe.
Wer heute, zwei Monate nach dem blutigen Attentat, das 179 Menschen das Leben kostete, auch nur einen Cappuccino im Marriott in Mumbais Prominenten-Stadtteil Juhu trinken will, muss vorm Haupteingang weitere Soldaten, die sich hinter Sandsäcken verschanzt haben, passieren, durch zwei Sicherheitsschleusen, extra strenge Security Checks und doppelte Handtaschenkontrolle sowieso. Das Marriott, das neben dem Taj und Oberoi-Trident Hotel auf der Liste der islamistischen Terroristen stand, will kein Risiko eingehen. Der Kaffee in der riesigen, gähnend leeren Lobby ist jedenfalls reichlich verdient.
Der Abend des 26. November hatte so heiter für die Mumbaier Szene begonnen, die sich in Cafés wie dem Leopold oder in den Restaurants des Luxushotels Oberoi-Trident oder dem legendären Taj Mahal-Hotel traf. Mumbai, die Finanz- und Filmmetropole, ist die vibrierendste Stadt Indiens. Mumbai schläft nicht, heißt es, dazu ist das Klima zu heiß, sind die Kneipen und Bars zu voll und die Straßen bis in die Nacht verstopft. Ein Hort des Optimismus auch in Krisenzeiten, wo sich jeder Bettler auf dem Pflaster für einen Global Player und jeder Girlandenverkäufer für einen kommenden Bollywoodstar hält.
Mumbai, das frühere Bombay, dreht sich am liebsten um sich selbst. Deshalb war trotz aller Terrorwarnungen niemand auf die zehn gut gekleideten jungen Männer gefasst, die übers Meer kamen. Aus dem Freund-Feind-Staat Pakistan, mit dem Indien bereits drei Kriege ausgefochten hat. In ihren Rucksäcken trugen die harmlos aussehenden Männer ein Profi-Terrorset: Kalaschnikow, Munition, Handgranaten, Sprengstoff und – wie von Muttern gepackt – Trockenfrüchte und Mandeln für einen längeren Stand off.
Seit den Terrornächten vom November versucht die 18 Millionen-Metropole alles, um zurück zur Normalität zu finden. Mumbaier gelten als zäh, fatalistisch und hart im Nehmen. Im Café Leopold, wo die Terroristen ein Blutbad mit sieben Toten und etlichen Verletzten anrichteten, sind die Handgranatenschäden lange beseitigt, die Einschusslöcher diskret von Bildern verdeckt, Touristen fotografieren Gäste, die beim Bier sitzen. „Business as usual“, sagt Jay, ein junger Banker, der mit uns auf einen Tisch im angesagten Bistro Indigo Deli wartet, „die Leute gehen wieder aus und amüsieren sich. Sie wollen vergessen.“
Das eigentliche Problem sei die große Finanzkrise, nicht der Terrorismus. „Madam, kaufen Sie, das Geschäft war noch nie so schlecht wie im Moment“, klagt auch Ali, der Teppich- und Schalhändler direkt hinter dem Taj-Hotel. Immerhin ist er froh, dass die meisten Barrikaden um das Luxushotel aufgehoben sind. Schon am 21. Dezember, keine vier Wochen nach dem Attentat, haben das New Taj, der moderne Flügel des Taj-Hotels und das Trident, Annex des Oberoi-Hotels am Marine Drive, wieder eröffnet. Viele Angestellte, die ihr Leben zum Schutz ihrer Gäste riskiert hatten, sind wieder an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt. Höflich und freundlich versehen sie ihren Job, über das blutige Attentat reden sie nicht. „Viele haben Yoga-Kurse gemacht, um damit fertig zu werden“, sagt Aditi, Gästebetreuerin im Oberoi-Trident, „das hat uns sehr geholfen.“
Doch viele andere Betroffene sind immer noch schwer traumatisiert, verkriechen sich vor der Welt, selbst vor guten Freunden. Wie der 57-jährige Geschäftsmann Apurva Parikh, der mit seinen zwei besten Freunden im Kandahar-Restaurant im Oberoi-Hotel saß, als die Terroristen hereinstürmten und alle 19 Gäste als Geiseln nahmen. „Unsere Frauen sind unterwegs, machen wir drei uns einen netten Männerabend, hatte ich meine Freunde aufgefordert“, wird ein von Schuldgefühlen zerstörter Apurva Parikh später der Times of India sagen, denn er überlebte die Nacht als einziger. Als die Terroristen ihre Geiseln an die Wand stellten und blind drauflos schossen, ließ er sich automatisch fallen. „Als ich zu mir kam, lag ich zusammengekeilt unter einem Berg von Leichen, ich konnte kaum atmen. Das Blut von den Toten auf mir rann mir über Mund und Nase, dass ich zu ersticken drohte.“ Apurva Parikh erlitt einen Streifschuss an der Hüfte und wurde operiert. Die Wunde verheile schnell, die an seiner Seele, so ließ er Reportern durch seine Frau sagen, wohl nie.
Am 26. Januar, dem Tag der Republik, hat Premier Mammohan Singh in Neu Delhi die Polizisten und Sicherheitskräfte, die beim Attentat erschossen wurden, mit dem Ashok Chakra, dem höchsten Tapferkeitsorden geehrt. Mumbai aber feierte seine Helden am 17. Januar auf seine Weise. Beim City-Marathon, dem ersten Großereignis seit dem Attentat, liefen 36 000 Menschen mit, viel mehr als früher. Nicht um zu gewinnen, sondern um ein Zeichen für ihre geschundene Stadt zu setzen. Als sie am Oberoi-Hotel vorbei joggten, applaudierten viele Läufer, andere falteten die Hände spontan zum Sonnengruß und verbeugten sich.
SWANTJE STRIEDER ist Kolumnistin von stern.de und freie Autorin in Mumbai.
Internationale Politik 2, Februar 2009, S. 96 - 98.