Sicherheit im All
Die Überwachung des erdnahen Weltraums ist eine Herkulesaufgabe, die das neue Weltraumkommando der Bundeswehr nur mit Partnern leisten kann – und mit größerer Ausstattung.
Im November 2021 sorgte der Test einer russischen Antisatellitenrakete weltweit für Aufsehen, in Deutschland wurde die Nachricht dagegen kaum beachtet. Nur die vorsorgliche Evakuierung der Internationalen Raumstation ISS hob das Thema kurz in die Nachrichtensendungen.
Das deutet darauf hin, dass vielen hierzulande die Sicherheitslage im Weltraum fremd ist. Vom Gefecht zu Lande, zur See und in der Luft mag man noch ein Bild im Kopf haben. Die Vorstellungen von militärischen Operationen im Weltraum dürften jedoch weitestgehend von Hollywoods Bilderwelten geprägt sein: Sie gelten als Fiktion, die keine „echte“ Schlagzeile produziert. Tatsächlich geht es physikalisch bedingt im Weltraum beschaulicher zu – aber nicht weniger real. Aus militärischer Sicht entspricht der Weltraum einem Schachbrett. Gewichtige Akteure haben ihre Figuren in Stellung gebracht und das Spiel eröffnet, Zug um Zug.
Zugleich nutzen wir Weltrauminfrastruktur sehr selbstverständlich. Unsere Mobiltelefone geben Auskunft über unsere Position oder wie wir von A nach B kommen. Wir überweisen rund um die Uhr online Geld von unserem Konto an jeden beliebigen Ort der Welt. Wir haben einen Punkt erreicht, an dem wir uns nicht mehr fragen, wie all diese Dinge überhaupt möglich sind, sondern wir sind verärgert, wenn sie nicht funktionieren. Den meisten dürfte dabei nicht klar sein, dass diese Dienstleistungen und viele andere Dinge des Alltags von einer komplexen und überaus fragilen globalen Weltrauminfrastruktur abhängen.
Das Positions-, Navigations- und Zeitsignal der Satelliten nimmt Einfluss auf Landwirtschaft oder öffentlichen Nahverkehr; es ist eine Grundlage für das globale Finanzsystem. Auch militärisch hängen wir vom Weltraum ab: Kommunikation und Datenverarbeitung in den Einsatzgebieten werden durch weltraumgestützte Systeme bereitgestellt, die für die Operationsführung unerlässliche Aufklärung ebenso. So groß ist der Nutzen, dass daraus eine Abhängigkeit entstanden ist. Die Gewährleistung von weltraumgestützten Diensten ist daher Teil nationaler Sicherheitsvorsorge.
Die Nutzung des Weltraums zur Unterstützung von militärischen Operationen am Boden begann früh, praktisch mit Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Fähigkeitsentwicklung folgte in direkter Linie jenem Rational, aufgrund dessen nicht mal ein halbes Jahrhundert zuvor die militärische Erschließung des Luftraums forciert wurde. Befreit von den topografischen Hindernissen maximiert der Weltraum die Unterstützungsleistungen für Operationen zu Land, zu See und in der Luft unter anderem durch Aufklärungsergebnisse von Beobachtungssatelliten, Aufbau und Unterhalt von Kommunikationsstrecken über beliebig lange Distanzen, durch Erkenntnisse über die Wetterentwicklung sowie in immer größerem Umfang durch das Bereitstellen von Daten für den Einsatz von Waffensystemen.
Erfolgversprechende Operationsführung ist ohne Rückgriff auf weltraumgestützte Dienste heute und in Zukunft undenkbar. Ihre Verfügbarkeit stand in den Einsatzszenarien der vergangenen Jahrzehnte nie zur Disposition. Folglich wurden auch keine Vorkehrungen getroffen, um die Überlebensfähigkeit der Weltraumsysteme zu gewährleisten, abseits der Möglichkeit von Ausweichmanövern.
Die Suche nach der Verwundbarkeit eines Gegners, nach der Möglichkeit, den Kontrahenten zu schwächen und sich selbst einen entscheidenden Vorteil zu verschaffen, gehört zum Wesen des Militärischen. Die nahezu alternativlose Abstützung militärischer Einsatzfähigkeit auf eine vergleichsweise schutzlose Weltrauminfrastruktur hat eine empfindliche Schwachstelle erzeugt. Das militärische Ringen um den Weltraum ist eröffnet – auf den Kartentischen der Planungszellen, aber auch bereits auf den Bildschirmen der Lage- und Operationszentralen. Heute. Jetzt.
Der Weltraum als Operationsraum weist Parallelen zu den physischen Charakteristika von Land, Luft und See auf und zugleich eine Wesensnähe zu den Herausforderungen der nichtkörperlichen Geometrie des Cyber- und Informationsraums. Die Kombination dieser beiden Welten erschafft ein einzigartiges operatives Wechselspiel von Kräften, Raum und Zeit, das es in seiner spezifischen inneren Dynamik zu verstehen gilt. Eigene Maßnahmen müssen in den strategischen Kontext eingeordnet, an die Planungen in den anderen Operationsräumen angepasst und in Wirksamkeit auf taktischer Ebene übersetzt werden. Dies alles erfolgt in einem multinationalen Kontext, der mangels Eingrenzung nicht nur die Lagen Blau und Rot, das heißt Freund und Feind, kennt. Unabhängig davon, wie regional ein Konfliktszenario ist: Der Einsatzraum Weltraum ist global umspannend und muss zu jeder Zeit alle Akteure – auch die Konfliktunbeteiligten – einbeziehen.
Das Weltraumkommando
Sieht man gerechtfertigtermaßen den Weltraum als eigenständige militärische Dimension an, folgt zwangsläufig die Frage, wie damit ablauf- und aufbauorganisatorisch umzugehen ist. Es bedarf gemeinhin einer Führungsorganisation, die die dargestellte spezialisierte Planungs- und Führungsleistung erbringen kann. Die Möglichkeiten der Ausgestaltung bewegen sich im Ressourcenansatz zwischen einer vollständigen Teilstreitkraft bis zur Zuordnung zu einer bestehenden Organisation, um den administrativen Überbau möglichst gering zu halten.
Mit der Aufstellung des Weltraumkommandos der Bundeswehr ist Deutschland den letztgenannten Weg gegangen und hat die entsprechende „streitkräftegemeinsame Führungsstruktur“ innerhalb der Luftwaffe etabliert, wie auch Großbritannien und Frankreich. Damit existiert in Deutschland nunmehr ein zentraler Verantwortlicher für die militärische Weltraumnutzung – im Binnen- und im Außenverhältnis.
Die Überwachung des erdnahen Weltraums ist eine Herkulesaufgabe, die keiner alleine bewältigen kann. Deutschland hat bislang mit den ambitionierten Plänen seiner Partner Schritt halten können und einen komplementären Fähigkeitsaufwuchs in Aussicht gestellt – der eben nicht nur für die eigenen Sicherheitsüberlegungen relevant ist, sondern auch vitale Interessen unserer Verbündeten berührt. Die Aufstellung des Weltraumkommandos der Bundeswehr wird als Bekräftigung unseres Engagements verstanden. Zugleich hat diese Entscheidung auch die Erwartung geweckt, dass beizeiten „geliefert“ wird.
Das Weltraumkommando wird die militärischen Anteile an der zehnjährigen erfolgreichen Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Weltraumlagezentrum übernehmen, ohne diese national wie international hoch anerkannte Organisation obsolet zu machen. Im Gegenteil: Die dort erstellte Lage im erdnahen Weltraum wird weiterhin zur Berichterstattung an die Ressortebene dienen, aber zusätzlich das Fundament bilden, um den militärischen Absichten und Maßnahmen Dritter angemessen begegnen zu können. Diese Aufgabe wird noch komplexer durch die Tatsache, dass die Grenzen zwischen privat und staatlich, zwischen behördlich und kommerziell und damit zwischen zivil und militärisch fließend sind.
Die Entwicklung einer Antisatellitenwaffe bedarf wenig Kreativität in der Interpretation ihres Einsatzzwecks. Doch die Demonstration der Fähigkeit, einen technisch ausgefallenen Satelliten mit einem anderen Satelliten zu greifen und ihn quasi abzuschleppen, kann im Sinne nachhaltiger Nutzbarkeit des Weltraums begrüßt werden – oder Sorgenfalten verursachen, wenn man bedenkt, dass die „Abschleppabsicht“ nicht automatisch benevolent sein muss.
Fließende Grenzen
Die duale Natur von Fähigkeiten bestimmt das Handeln im Weltraum derart, dass auch für das eigene Portfolio ein Umdenken erforderlich ist. Im Gegensatz zu klassischen militärischen Fähigkeiten, die exklusiv entwickelt und hergestellt werden und idealerweise dem Gewaltmonopol von Staaten unterliegen, steht das Gros der Fähigkeiten „im Weltraum“ in der zivilen Welt zur Verfügung und ist dort – in Frieden – auch bestens aufgehoben. Eine Duplizierung durch militärische Fähigkeiten ist nicht geboten. Nur dort, wo eine kurzfristige und unabhängige, gesicherte Verfügbarkeit zwingend ist und das Erkenntnisinteresse ausschließlich für die Beratung militärischer und ziviler Entscheidungsträger benötigt wird, muss diese Fähigkeit selbst beschafft werden. Die zentrale Frage besteht darin, wie vorhandene zivile Fähigkeiten im Bedarfsfall operationell genutzt werden können – ohne sie militärisch zu vereinnahmen.
Der Beitrag zur ressortgemeinsamen Weltraumlage, der Aufbau einer Analysefähigkeit der Weltraumaktivitäten Dritter, die Befähigung zur Planung und Führung von Weltraumoperationen, die Integration zivil-kommerzieller und akademisch-forschender Expertise – dieses Aufgabenspektrum des Weltraumkommandos, ergänzt um die Verantwortung, es nachhaltig zu gestalten, bedarf eines speziellen Personalkörpers. Das Weltraumkommando soll Anlaufstelle für Männer und Frauen in Uniformen aller Couleur sein, die von akademisch erworbenem Wissen über Orbitalmechanik und Astrodynamik bis zur soldatischen Kreativleistung zum Schutz und zur Verteidigung eigener Weltraumsysteme die gesamte Bandbreite militärischer Expertise abbilden. Um den Bedarf an solchem Personal zu decken, ist eine Abstützung auf Reservisten und Seiteneinsteiger unabdingbar.
Es geht um nichts weniger, als Deutschlands Weltraumarchitektur in Frieden, Krise und Krieg abzusichern. Die konsequente Vorbereitung auf den schlimmsten anzunehmenden Anwendungsfall steht im Weltraum in starker Wechselwirkung mit der Verhaltens- und Entscheidungssicherheit im Frieden. Die Sicherheit im Weltraum wird über weite Strecken durch menschengemachtes, nichtmilitärisches Handeln bestimmt. Ursachen für Krisen werden überwiegend nicht dem nationalen Zugriff unterliegen, aber gesamtstaatliches Handeln mit Partnern erfordern. Der militärische Beitrag zu dieser Aufgabe soll durch das Weltraumkommando der Bundeswehr ebenso gewährleistet werden wie der bei einer Eskalation der Lage zwingend erforderliche Beitrag zur gesamtstaatlichen Verteidigung. Dies erfordert personelle und materielle Ressourcen – mehr als derzeit ausgeplant sind. Der eingeschlagene Weg ist richtig. Ihn weiterzugehen bedeutet, auch im Falle einer Verschlechterung der Lage gut vorbereitet und handlungsfähig zu sein.
Generalmajor Michael Traut ist seit September 2021 Kommandeur des neugeschaffenen Weltraumkommandos der Bundeswehr.
Internationale Politik 3, März/April 2022, S. 32-35
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