Titelthema

18. Nov. 2022

Seidenstraße nach Kairo

Wie China seinen Einfluss am Nil ausbaut – und wie der Westen darauf reagieren kann

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Bild: Zeichnung des Baus der neuen Ägyptischen Hauptstadt
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Ägypten zählt für den Westen zu den wichtigsten Partnern in der arabischen Welt. Einer der Gründe ist seine schiere Größe: Mit rund hundert Millionen Menschen ist es mit Abstand das bevölkerungsreichste Land der Re­gion. Dazu kommen geopolitische Entwicklungen. Als erstes arabisches Land schloss Ägypten 1979 mit Israel Frieden und beendete damit eine Serie arabisch-israelischer Kriege. Heute kooperieren beide Länder bei der Bekämpfung von Terroristen im Sinai, bei der Grenzsicherung und bei der – wenngleich umstrittenen – Blockade des Gaza-Streifens.



Auch für Europa und die USA ist Ägypten von erheblicher strategischer Bedeutung. Über den Suez-Kanal werden Güter im Wert von 12 Prozent des Welthandels transportiert. Kairo kooperiert mit dem Westen in Sicherheitsfragen; seine Armee gilt als stärkste der Region, die israelische einmal ausgenommen. Und angesichts seiner jungen, rasch wachsenden Bevölkerung und seiner Nähe zu Europa ist Ägypten eine potenzielle Quelle großer Migrationsströme.



Globale Rivalen

Aus all diesen Gründen haben Europa, Israel und die USA ein Interesse daran, dass Ägypten wirtschaftlich stabil und in der westlichen Einflusszone bleibt. Russlands Überfall auf die Ukraine erinnert schmerzhaft daran, dass das Denken in Einflusszonen notwendig bleibt, um globale Entwicklungen verstehen und bewerten zu können.



Im Ringen um globalen Einfluss ist der wahre Rivale des Westens jedoch China. Die Volksrepublik weitet ihr Engagement in internationalen Foren und anderen Ländern stetig aus, auch und gerade im Nahen Osten. Fast alle arabischen Staaten beteiligen sich an der chinesischen Seidenstraßen-Initiative, einem gigantischen Infrastrukturprojekt. Zudem leitet China Milliardensummen in Form von Investitionen, Krediten und Spenden in die Region. Ägypten zählt zu den wichtigsten Empfängern chinesischer Gelder und Aufmerksamkeit.



Aus westlicher Perspektive wirft das mehrere Fragen auf: Wie wirkt sich Chinas finanzielles Engagement auf die ägyptische Wirtschaft aus? Wird das Geld nachhaltig eingesetzt, schafft es Arbeitsplätze und damit eine Perspektive für die junge Bevölkerung? Oder droht es, strukturelle Probleme zu vertiefen? Wie wirkt sich das Geld politisch aus? Erwartet China Gegenleistungen für seine Großzügigkeit? Und wie sollte der Westen darauf reagieren?



Am Tropf ausländischer Geberländer

Ägyptens Wirtschaft leidet unter mehreren strukturellen Problemen, die das Land in einem gefährlichen Ausmaß abhängig machen von ausländi­schen Geldern. Zwar ist Ägyptens Wirtschaft in den vergangenen Jahren jeweils um mehrere Pro­zentpunkte gewachsen. Doch dieses Wachstum ist nicht nachhaltig und geht an den Bedürfnissen der breiten Bevölkerung vorbei: Es wird zu großen Teilen getrieben von Infrastrukturprojekten, die die Regierung vorwiegend mit Investitionen und Krediten aus dem Ausland finanziert. Oft handelt es sich bei diesen Projekten um prestigeträchtige und unrentable Bauten, etwa neue luxuriöse Wohnanlagen im Umkreis Kairos, die sich nur eine winzige Elite leisten kann.



Die Bauprojekte bergen ein weiteres Problem, das im Zentrum der ägyptischen Misswirtschaft steht: Die Firmen, die sie ausführen, gehören in aller Regel dem ägyptischen Militär. Die Armee unterhält etliche Unternehmen in zahlreichen Branchen: Viele sind im Bausektor aktiv, andere unterhalten Fischfarmen, produzieren Babynahrung oder betreiben Ferienressorts. Bei öffentlichen Aufträgen werden diese Firmen regelmäßig bevorzugt, sie müssen weder Einkommensteuern noch Importzölle entrichten und auf bestimmte Güter keine Mehrwertsteuern zahlen.



Auf diese Weise stärkt Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi zwar seine wichtigste Machtbasis, das Militär. Doch er verhindert echten Wettbewerb und hemmt den privaten Sektor, der für nachhaltiges Wachstum sorgen könnte. „Al-Sisis Wirtschaftspolitik, wenn wir von einer sprechen können, basiert auf einer einzigen Strategie: der Kreditaufnahme“, schreibt der ägyptische Politikwissenschaftler Khalil al-Anani. Entsprechend steigt die Staatsverschuldung: Ende 2021 hatte sie einen Stand von 392 Milliarden Dollar erreicht. Damit belegte Ägypten den 158. Platz von 189 Ländern im Verhältnis von Schulden zum Bruttoinlandsprodukt.



Aktuelle Probleme verschärfen die Krise. Steigende Weizenpreise infolge des Ukraine-Krieges belasten das Land besonders, da Ägypten als größter Weizenimporteur der Welt rund 80 Prozent seines Weizenbedarfs importiert; und nach dem russischen Überfall auf die Ukraine zogen ausländische Investoren Milliarden US-Dollar aus ägyptischen Staatsanleihen ab.



Zentrum der Nahost-Politik Chinas

Angesichts der chronischen Abhängigkeit von ausländischen Geldern dürfte es dem Al-Sisi-Regime gerade recht kommen, dass mit China ein zusätzlicher Financier bereitsteht. Unter Abdel Fattah al-Sisi, im Amt seit 2014, haben sich die bilateralen Beziehungen intensiviert: Der Präsident hat China in seiner Amtszeit bereits sechs Mal besucht und mindestens 25 bilaterale Abkommen unterschrieben. Auch sein Vorgänger Hosni Mubarak reiste sechs Mal nach China – allerdings im Laufe von 30 Jahren.



Der genaue Umfang der Investitionen, Kredite und Spenden, die China Ägypten gewährt, ist nicht bekannt: Kaum ein Land der Welt hält die Details seiner Entwicklungszusammenarbeit derart unter Verschluss. Im Aid Transparency Index, der die Transparenz verschiedener Staaten im Hinblick auf ihre Entwicklungshilfe bewertet, rangiert China auf einem der letzten Plätze.



Abhilfe verspricht die Datenbank der Nichtregierungsinitiative AidData, die chinesische Hilfsprojekte auflistet. Die Datenbank stützt sich auf verfügbare Informationen wie Medien­berichte und Verlautbarungen der chinesischen Regierung, ist also zwangsläufig lückenhaft. Doch sie liefert zumindest einen groben Eindruck von Umfang, Art und Fokus des chinesischen Ent­wicklungsengagements.



Einer der Forscher, der sich am AidData-Projekt beteiligt, ist der deutsche Entwicklungsökonom Andreas Fuchs. Seiner Analyse zufolge ist die Gesamthöhe chinesischer Gelder, die in afrikani­sche Staaten fließen, vergleichbar mit der Summe, die die EU-Kommission und einzelne EU-Staaten zusammen aufbringen – das wären rund 25 Milliarden Euro im Jahr. Wie viel davon nach Ägypten fließt, gibt die lückenhafte Dokumentierung nicht preis. Fest steht jedoch: Ägypten hat für China einen besonderen Stellenwert.



„Ägypten ist das Zentrum der Nahost-Politik Chinas“, sagte der chinesische Politikwissenschaftler Degang Sun vor einigen Jahren gegenüber dem katarischen TV-Sender Al-Dschasira. Den Angaben eines ägyptischen Beamten zufolge, zitiert von der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua, ist China der größte Investor in Sachen Suez-Kanal. Zudem unterstützt das Land den Bau von Ägyptens neuer Verwaltungshauptstadt: So haben chinesische Banken zugesagt, dafür Kredi­te im Umfang von mehreren Milliarden US-Dollar bereitzustellen.



Auch für andere ägyptische Staatsprojekte gewährt China dem Land milliardenschwere Kredite, etwa für den Bau eines Stadtbahnsystems für Kairo. Im Zuge der Corona-Krise spendete Peking Ägypten mindestens 16 Millionen Dosen seines Sinovac-Impfstoffs und hilft dem Land nun, eigene Kapazitäten aufzubauen, um den Impfstoff selbst herzustellen. Zudem ist China Ägyptens größter Handelspartner und „einer der aktivsten und am schnellsten wachsenden Investoren“ in dem Land, wie der chinesische Botschafter in Ägypten, Liao Liqiang, kürzlich in der ägyptischen Zeitung Al-Ahram schrieb.



Verlockendes Versprechen

China hat dem Regime in Kairo aber nicht nur Geld zu bieten, sondern auch ein verlockendes Versprechen. „Chinas Botschaft an Entwicklungsländer wie Ägypten lautet: Anders als die USA, die in andere Länder einmarschieren und Regime stürzen, mischen wir uns nicht in eure inneren Angelegenheiten ein“, sagt der israelische China-Experte Alexander Prevner. Während finanzielle Hilfen westlicher Länder in der Regel an Bedingungen geknüpft sind, etwa im Hinblick auf Menschenrechte oder Umweltstandards, fließen chinesische Gelder ohne solche Auflagen.

Auch in anderer Hinsicht unterscheiden sich die Geldströme. Der Großteil westlicher Entwicklungsfinanzierung besteht aus Schenkungen oder stark vergünstigten Krediten. Die meisten chinesischen Gelder fließen hingegen in Form kaum oder gar nicht vergünstigter Kredite, die das Risiko der Überschuldung bergen, wie der Ökonom Andreas Fuchs ermittelt hat. Und während westliche Staaten in der Regel mit den zuständigen Fachministerien der Geberländer zusammenarbeiten, gehen chinesische Gelder oft direkt ans Präsidentenbüro.



In Ägypten sind Geldflüsse ohne Bedingungen besonders problematisch, weil sie bestehende Fehlentwicklungen zu verstärken drohen: die Neigung des Regimes, das Geld in prestigeträchtige Infrastrukturprojekte zu investieren; und die Vormachtstellung der Armeefirmen, die dem Privatsektor die Luft zum Atmen nimmt. „Ägypten ist unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi zu einem Bettelstaat geworden, seine Wirtschaft ist immer abhängiger von ausländischer Unterstützung“, warnt der Nahost-Experte Robert Springborg in einer vielbeachteten Analyse. „Es gibt bemerkenswerte Ähnlichkeiten zwischen der inzwischen erbärmlich gescheiterten Wirtschaft des Libanon und der angeschlagenen Ägyptens. Die verheerenden Folgen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs im Libanon wären noch schlimmer, wenn sie sich in ägyptischem Ausmaß wiederholen würden.“

 

Bedrohliches Szenario

Dieses Szenario sollte auch westliche Beobachter beunruhigen: Ein Kollaps der ägyptischen Wirtschaft, womöglich begleitet von Armuts­aufständen, Gewaltausbrüchen und politischer Instabilität, könnte die Sicherheitskooperation zwischen westlichen Staaten und Ägypten beeinträchtigen, weitere Migrationswellen auslösen und radikalen Gruppen Aufschwung verleihen.



Auch in politischer Hinsicht dürften die Geldströme aus Peking nicht folgenlos bleiben. Allen Versprechen der Nichteinmischung zum Trotz zeigt China wenig Skrupel, seinen Einfluss geltend zu machen: So hat die ägyptische Polizei auf Chinas Wunsch hin Dutzende uigurische Studenten in Ägypten festgenommen und nach China deportieren lassen. Andreas Fuchs und seine Forscherkollegen haben zudem festgestellt, dass die Zuwendungen das Abstimmungsverhalten der Empfängerländer in den Vereinten Nationen beeinflussen: Von China begünstigte Staaten stimmen in Angelegenheiten, die China betreffen, mit höherer Wahrscheinlichkeit im Sinne ihrer Geldgeber.



Innenpolitisch stärken Zuwendungen ohne Bedingungen die autokratischen Strukturen des Regimes, weil es ihm ermöglicht, seine Machtbasis auszubauen. Unter Präsident al-Sisi hat die Unterdrückung von Journalisten, Dissidenten, sexuellen Minderheiten und selbst bauchtanzenden Social-Media-Influencerinnen zugenommen. Tausende politische Gefangene darben unter oft miserablen Bedingungen in ägyptischen Haft­anstalten. Die Standards im Hinblick auf Menschenrechte, Regierungsführung und Wirtschaftsreformen, die westliche Geldgeber aufstellen, sind bei Weitem nicht perfekt, von ihrer Umsetzung ganz zu schweigen. Doch zumindest gibt es sie. Je mehr alternative Geldquellen dem Regime zur Verfügung stehen, desto weniger Druck dürfte es verspüren, sich westlichen Forderungen zu beugen.



Wie der Westen reagieren kann

Westliche Staaten stellt das wachsende Engagement Chinas in Ägypten vor eine Herausforderung. Auch wenn China von seinem steigenden Einfluss in dem Land bisher nur in Einzelfällen Gebrauch macht, kann der Westen es sich nicht leisten, passiv darauf zu vertrauen, dass dies so bleibt.

Die US-Regierung verfolgt im Umgang mit China bereits einen deutlich konfrontativeren Kurs als die meisten EU-Länder sowie Israel. Das betrifft auch den Nahen Osten. „Unterm Strich geht es bei dieser Reise einmal mehr darum, Amerika in dieser Region für die Zukunft zu positionieren“, sagte US-Präsident Joe Biden bei seiner Nahost-Reise im Juli. „Wir werden im Nahen Osten kein Vakuum hinterlassen, das Russland oder China füllen können.“



Um dem chinesischen Einfluss in Entwicklungsländern wie Ägypten etwas entgegenzusetzen, haben westliche Staaten auf den Impuls der Vereinigten Staaten hin bereits mehrere Initiativen geplant. Umfangreiche Infrastrukturprojekte wie „Build Back Better World“ oder „Partnership for Global Infrastructure and Investment“ sollen eine Alternative zur chinesischen Seidenstraßen-Initiative bieten. Kritiker halten dies jedoch nicht für ausreichend: „Die Biden-Regierung ist in den Entwicklungsländern im Rückstand“, schreiben etwa die China-Experten Paul Haenle und Sam Bresnick im National Interest. In Bezug auf Ägypten kritisieren viele Beobachter, dass westliche Gelder oft ebenfalls Fehlentwicklungen befördern, weil Standards falsch gesetzt oder nicht umgesetzt werden.



Zuerst sollte der Westen deshalb eigene Fehler korrigieren. Bislang haben westliche Geberländer ebenso wie internationale Institutionen viele selbstgesetzte Ziele in Ägypten verfehlt. Zwar hat die Al-Sisi-Regierung sich im Gegenzug für Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu wirtschaftlichen Reformen verpflichtet, die dem IWF zufolge ein „nachhaltigeres, inklusiveres und vom Privatsektor geleitetes Wachstum“ bewirken sollen. Namhafte Experten bezweifeln jedoch, dass die Reformen, sofern die Regierung sie überhaupt umsetzt, diese Ziele erreichen – zumal das größte Problem, die Dominanz der Armeefirmen, fortbesteht. „All diese Investitionsströme werden vom Militär genutzt, um seinen wirtschaftlichen Fußabdruck zu vergrößern“, sagt der ägyptische Politologe Maged Mandour. Verlange beispielsweise die Weltbank die Errichtung einer Schule, beauftrage die Regierung dafür ein Bauunternehmen in Armeebesitz.



Westliche Staaten sollten deshalb die Bedingungen, die sie an Hilfsgelder und Kredite knüpfen, klar justieren. Ägyptens derzeitige Schuldenkrise könnte dafür eine Gelegenheit bieten. Nicht ohne Grund warb Präsident al-Sisi bei seinem jüngsten Berlin-Besuch im Juli stark um deutsche Investitionen. „Das Regime befindet sich an einem kritischen Punkt“, zeigt sich Maged Mandour überzeugt. „Seine Mega-Projekte zahlen sich nicht aus, eine globale Rezession kündigt sich an. All das macht das Regime verwundbar.“



Geben und gestalten

In dieser Lage sollten westliche Geberländer im Gegenzug für weitere Hilfen Reformen fordern, die der ägyptischen Wirtschaft und seiner Bevöl­kerung nachhaltig nutzen. Neben einer Verbesserung der miserablen Menschenrechtslage zählt dazu in erster Linie ein Ende der systematischen Bevorzugung der Armeefirmen. Weil das Regime die Armee als wichtigste Machtbasis betrachtet und Armeeunternehmen oft nicht leicht als solche erkennbar sind – viele haben komplizierte ­Eigentümerstrukturen –, dürften sich solche Reformen nur schwer durchsetzen und noch schwerer überprüfen lassen.

Doch derzeit herrschen vergleichbar günstige Bedingungen für eine solche Einflussnahme vor, die der Westen nicht verpassen sollte. Auch im Hinblick auf China drängt die Zeit: Je stärker Peking sein finanzielles Engagement ausweitet, desto leichter wird das Regime westlichen Forderungen ausweichen können.



Gutes tun und darüber reden

In anderer Hinsicht kann der Westen von China lernen. Das Land bewirbt sein Engagement im Ausland selbstbewusst: So markiert es die Impfstoffe, die es spendet, explizit als chinesische Vakzine und versieht sie mit chinesischer Fahne, wie der Entwicklungsökonom Fuchs berichtet. Von der EU gespendete Impfstoffe dagegen würden weniger stark als EU-Produkte wahrgenommen. Eine offensivere Außendarstellung ihrer guten Taten könnte der EU und anderen westlichen Staaten helfen, ihr Ansehen in der ägyptischen Bevölkerung zu verbessern – was Umfragen zufolge vor allem die USA dringend nötig haben. Zwar müssen autokratische Regime wie al-Sisis zum Machterhalt weniger Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Bevölkerung nehmen als demokratische Regierungen. Doch bedeutungslos ist die öffentliche Meinung auch für Autokraten nicht.



Sollte das chinesische Engagement eines Tages westliche strategische Interessen in Ägypten konkret bedrohen oder zu einer erheblichen Verschlechterung der Menschenrechtslage beitragen – etwa durch den Export fortschrittlicher Überwachungstechnologien –, dürfte der Westen auch etwas robuster auftreten. Ägypten ist ein wichtiger Abnehmer westlicher Waffen. Das birgt seine eigenen moralischen Probleme, in jedem Fall aber kann die chinesische Rüstungsindustrie noch nicht mit der westlichen konkurrieren.



Diesen Wettbewerbsvorteil sollten westliche Staaten, wenn nötig, nutzen, um Druck auf Kairo auszuüben. Unabdinglich dafür ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den großen Waffenexporteuren, allen voran den USA und Deutschland. Israel wiederum sollte dafür sorgen, dass israelische Unternehmen wie der Spionagesoftware-Hersteller NSO ihre Spähsoftware nicht an autokratische Regime wie jenes in Kairo verkaufen. Zudem sollten westliche Staaten ihre Beziehungen zu zivilgesellschaftlichen und wissenschaftlichen Institutionen und kulturellen Einrichtungen in Ägypten pflegen und ausweiten, soweit das unter den vorherrschenden repressiven Bedingungen möglich ist. Dass sich die Wirkung jener Soft Power, die damit kultiviert wird, schwer messen lässt, mindert nicht ihren Wert: Womöglich begegnen westliche Akteure in einer dieser Organisationen oder Universitäten den Führungseliten von morgen.



Schließlich sollte bei allen berechtigen Warnungen eines nicht aus dem Blick geraten: Chi­nas finanzielles Engagement in Ägypten birgt auch Chancen. Manche chinesisch finanzierten Projekte, etwa der Bau von Straßen, Schienen und Kraftwerken, könnten nachhaltiges Wachstum befördern ebenso wie die Kapazitäten zur lokalen Impfstoffproduktion, die Ägypten mit chinesischer Hilfe aufbaut.



Verlässliche Helfer

Ferner sollten westliche Geberländer versuchen, potenziell negative Folgen des chinesischen ­Engagements in Ägypten zu mindern – und sich dabei selbst als verlässliche Helfer präsentieren. Andreas Fuchs schlägt vor, dass westliche Staaten Entwicklungsländer wie Ägypten unterstützen könnten, die chinesischen Geldflüsse effizient zu nutzen, einen übermäßigen Aufbau von Schulden zu vermeiden und Standards bei der Verwendung von Geldern zu entwickeln, etwa in Umweltfragen. Zwar hat sich die ägyptische Führung bisher wenig offen für ausländische Beratung gezeigt. Doch gerade in Sachen Schuldenmanagement kann sie jeden guten Rat gebrauchen. Es liegt an den westlichen Geberländern, ein solches Hilfsangebot auf eine Weise zu unterbreiten, die nicht paternalistisch erscheint, und den damit zu gewinnenden Einfluss klug und nachhaltig einzusetzen.



Handlungsspielraum ausschöpfen

Das globale Ringen zwischen China und dem Westen wird sich, so es denn dazu kommt, nicht am Nil entscheiden. Allein infolge stärkerer oder klügerer Einflussnahme wird sich Ägypten auch nicht in ein demokratisches Musterland mit florierender Wirtschaft verwandeln. Denn bei aller berechtigter Kritik am dortigen Regime: Ägypten ist ein souveränes Land; tiefgreifende Veränderung muss und kann nur von innen heraus geschehen.

Die Konsequenz aus alledem darf aus Sicht des Westens aber nicht lauten, sich resigniert zurückzuziehen. Die Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, sollte er nutzen. Noch immer hat der westliche Staatenblock mehr ökonomisches Gewicht als China, noch immer produziert er mächtigere Waffen, noch immer unterhält er im Nahen Osten ein engmaschiges Netz von historisch gewachsenen Verbindungen politischer, ökonomischer oder kultureller Art.



All das sind wertvolle Ressourcen in einer Region, die für den Westen von hohem strategischen Interesse ist. Er sollte sie nutzen – zum einen, um eine nachhaltigere, transparentere und demokratischere Entwicklung in Ägypten und anderswo zu fördern, zum andern, um die eigenen Interessen zu bewahren. Oftmals fallen beide Ziele zusammen: Ein weniger repressives Regime und eine nachhaltigere Wachstumsstrategie, die der breiten Bevölkerung nutzt, würde das Risiko für einen ökonomischen Kollaps, soziale Unruhen, Radikalisierung und unkontrollierte Migrationsströme senken.

Westliche Staaten haben ihren Handlungsspielraum in Ägypten längst noch nicht ausgeschöpft. Einige mögliche Maßnahmen werden in diesem Text geschildert, gewiss lassen sich weitere finden. Entscheidungsträger in westlichen Staaten sollten den intensiven Austausch mit ägyptischen Experten, Aktivisten und Unternehmern suchen, um neue, innovative Ansätze zu entwickeln, die den speziellen Bedingungen des Landes Rechnung tragen.



Die aktuelle Schuldenkrise macht die Führung in Kairo anfälliger für externen Druck. Und noch ist das Ausmaß der chinesischen Finanzflüsse Richtung Ägypten allem Anschein nach nicht hoch genug, um westliche Geber überflüssig zu machen. Ein guter Zeitpunkt also für westliche Geberländer, ihr Engagement in Ägypten zu überprüfen, nachzuschärfen und zu vertiefen. Wenn die neue Konkurrenz aus Peking ihnen die Dringlichkeit dafür vor Augen führt, liegt am Ende ­sogar eine Chance darin.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special 07, November 2022, S.54-61

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Mareike Enghusen ist Journalistin und lebt in Tel Aviv. Seit 2014 berichtet sie für deutschsprachige Medien aus dem Nahen Osten, darunter für den Tagesspiegel, brand eins, Cicero, DIE ZEIT und den Radiodienst der dpa. Neben Israel und den Palästinensergebieten deckt sie Ägypten, Jordanien und gelegentlich weitere Länder der Region ab. Ihre journalistische Ausbildung absolvierte Mareike Enghusen an der Henri-Nannen-Schule in ihrer Heimatstadt Hamburg. Zuvor studierte sie Politik, Nahost- und Islamwissenschaften in Göttingen, an der University of California und der University of St Andrews. Sie spricht Hebräisch und Arabisch.