Internationale Presse

01. März 2017

Schmalbart in der Nachrichtenküche

Internationale Presse

Käme das US-Portal Breitbart nach Deutschland, beträte es kein Neuland

Direkt nach dem überraschenden Wahlsieg von Donald Trump machte das Breitbart News Network eine in den USA selbst wenig beachtete Ankündigung: Das „Nachrichten“-Portal der so genannten „alternativen Rechten“ („alt-right“), mitgegründet und bis vor Kurzem geleitet von Trumps Chefstrategen Stephen Bannon, kündigte an, in Kürze auch mit einem deutsch- und französischsprachigen Angebot an den Start gehen zu wollen.

Das Ziel: Die Macht der neuen Medienmarke, die vor Trumps Wahlkampagne weithin unbekannt war und der nun durchschlagende propagandistische Wirkung zugemessen wurde, weiter zu vergrößern. Das Unternehmen nahm die publizistischen Möglichkeiten in den Blick, die Negativstimmungen in Europa – gegen Flüchtlinge und Einwanderer, gegen „die Eliten“ – zu bieten scheinen. Und auch das Timing überraschte nicht: In Frankreich wie in Deutschland stehen 2017 Richtungswahlen an.

Allerdings ist bis heute unklar, wie sich Breitbart im Ausland redaktionell aufstellen möchte. Bis heute gibt es kein Büro in Berlin (auch nicht in Paris, wohl aber in London), das eigenständig maßgeschneiderte Inhalte auf Deutsch produzieren würde. Und die Internetadresse breitbartnews.de ist in der Hand von deutschen Gegnern des Portals beziehungsweise solchen, die sich satirisch gegen rechtsradikale Stimmungsmache wehren – und dabei noch die Medien an der Nase herumführen („Ein Fake ist ein Fake ist ein Fake“, taz, 6.2.2017).

Doch allein die Ankündigung schlug in Deutschland große Wellen, Leitmedien und Kommentatoren waren alarmiert. Die Tagesthemen warnten vor der Plattform weißer Rassisten, Frankfurter Allgemeine und Süddeutsche Zeitung schilderten anhand einer Breitbart-Falschmeldung über die Dortmunder Neujahrsnacht, was auf Deutschland zukomme. Breitbart hatte berichtet, ein gewalttätiger Mob muslimischer Migranten hätte Deutschlands älteste Kirche angezündet und dabei „Allahu Akbar“ skandiert („Revealed: 1,000-Man Mob Attack Police, Set Germany’s Oldest Church Alight on New Year’s Eve“, breitbart.com, 3.1.2017). Tatsächlich war an Silvester ein Bauzaun an der Kirche durch Feuerwerk in Brand geraten; das Feuer konnte schnell gelöscht werden. Eine Verbindung zu Vorkommnissen, bei denen Polizisten aus einer Menge heraus mit Knallern und Raketen beworfen wurden, bestand nicht, auch nicht zu einer per Twitter-Video festgehaltenen Gruppe von Syrern, die die Fahne der Freien Syrischen Armee schwenkten. (Die Breitbart-Meldung ist bis heute im Netz. Die einzig eingeräumte Korrektur: Tatsächlich sei der Trierer Dom Deutschlands älteste Kirche – ein Fehler von knapp zehn Jahrhunderten.)

Inzwischen existiert mit „Schmalbart“, gegründet von dem Online-Publizisten Christoph Kappes, ein Watchblog, das Breitbart beobachten und sich gegen dessen Einfluss wenden will. Mitte Januar veranstaltete Kappes einen Workshop mit Journalisten und Aktivisten, um Strategien zu erarbeiten – vielleicht alles ein bisschen sehr viel „Ehre“ für ein Portal, dem vorgeworfen wird, die Fahne von Rassisten und antisemitischen Ideologen hochzuhalten, in einem Land, das sich eines vielfältigen Angebots an Nachrichtenmedien erfreut.

Doch der sprunghafte Zulauf, den die islam- und fremdenfeindliche Bürgerbewegung Pegida 2015 und die eigentlich als Anti-Euro-Partei gegründete Alternative für Deutschland (AfD) erfahren haben, hat offenbar für Nervosität gesorgt. Pegida wie AfD wenden sich gegen angebliche „politische Korrektheit“ des etablierten Medienspektrums; ihr Umfeld brachte auch den NS-Kampfbegriff „Lügenpresse“ wieder auf.

Zugleich sind Facebook und Twitter zu wichtigen Nachrichtenquellen geworden. Zwar informiert sich eine Bevölkerungsmehrheit noch immer per öffentlich-rechtlichem Rundfunk und Tageszeitung. Doch eine vom Bayerischen Rundfunk im Mai 2016 in Auftrag gegebene Medienanalyse zeigt, dass sich eine Mehrheit der 18- bis 35-Jährigen mittlerweile auf Facebook und andere soziale Medien als Nachrichtenquelle verlässt. Auch eine altersübergreifende Gruppe der „Zweifler“ (sie gaben bei der Umfrage an, mit der Situation in Deutschland unzufrieden zu sein) bezieht ihre Informationen hauptsächlich aus sozialen Medien und dem Privatfernsehen.

Und nur ein Drittel (34 Prozent) der Befragten hält die deutschen Nachrichtenangebote für wirklich unabhängig. Stattdessen glauben deutliche Mehrheiten, dass Bundesregierung, Wirtschaftsverbände, Parteien und die Werbewirtschaft die Nachrichtenauswahl beeinflussten. Die Polarisierung in Medien und Politik hat also offenbar begonnen, den öffentlichen Diskurs zu vergiften – mit bedrohlichen Konsequenzen.

„Wir sehen mehr Irrationalität, Emotionalisierung und Personalisierung in den Medien, besonders stark bei politischen Themen“, sagt Lutz Frühbrodt, Professor für Kommunikationswissenschaften an der Universität für angewandte Wissenschaft in Würzburg-Schweinfurt. „Das führt dazu, dass wir Dinge emotional wahrnehmen und unseren Verstand ausschalten. Aber es gehört dazu, in einer Demokratie andere Argumente zu hören und Fakten als Fakten anzuerkennen.“

Auch ist es nicht so, dass Breitbart in Deutschland Neuland be­träte. Eine Vielzahl von kleinen und mittelgroßen, überwiegend rechtsgerichteten „Anti-Establishment“-Medien hat sich in den vergangenen Jahren entwickelt und ein neues Publikum gefunden.

Ein Beispiel dafür ist „Tichys Einblick“: 2014 als „liberal-konservatives Meinungsmedium“ vom ehemaligen Chefredakteur der Wirtschaftswoche, Roland Tichy, gegründet, erreicht das Portal nach Eigenangaben monatlich drei Millionen Klicks von 250 000 Nutzern. Seit Oktober 2016 erscheint Tichys Einblick „auf Wunsch der Leser“ auch als gedrucktes Monatsmagazin. Auflage: 70 000.

Tichy, der u.a. Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung ist, wehrt sich im Gespräch gegen den „­Anti-Establishment“-Stempel. „Es gibt kaum jemanden, der etablierter wäre als ich. In Deutschland bedeutet rechts immer gleich Nazi, und das ist nicht, wofür wir stehen“, sagt er. „Wir stehen nur deshalb rechts der Kanzlerin, weil sie ihre ganze Partei von der rechten Mitte nach links geführt hat.“ Für Aufregung sorgte Anfang 2017 der Blogbeitrag eines Gastautors, der „linksgrüne Gutmenschen“ für psychisch krank erklärte – wofür Tichy sich entschuldigte.

Ein anderes Beispiel ist „Die Achse des Guten“, ein beliebter konservativer Blog, der dem deutschen Medienangebot oft sehr kritisch gegenübersteht. Einer seiner Gründer, Henryk M. Broder, arbeitete früher für den Spiegel und ist heute u.a. Kolumnist der Welt. Sein kompromissloses Eintreten für Israel brachte ihm den Vorwurf ein, für eine deutsche Form des US-Neokonservatismus zu stehen. Vor allem seine islamkritischen Positionen und die Behauptung, Europas Mehrheitsbevölkerung knicke vor dem Islamismus ein (eines seiner Bücher trägt den Titel „Hurra, wir kapitulieren“), zementierten seinen Ruf im konservativen Medien­spektrum. Auch die „Achse“ geht mit politisch Andersdenkenden nicht gerade respektvoll um. Schlagzeilen lauten schon mal „Voll von gestern: Die TOP 10 der grünen Spinnereien“ (6.2.2017).

Stramm rechts

Jenseits dieser Angebote wird der Ton schnell stramm rechts bis rechtsextrem. Die Wochenzeitung Junge Freiheit ist ebenfalls nicht neu: Sie wurde 1986 von ihrem heutigen Chefredakteur Dieter Stein gegründet. In den vergangenen zehn Jahren konnte sie ihre Auflage auf 35 000 Exemplare verdoppeln. Die Zeitung sieht sich selbst als „Leuchtturmmedium für alle konservativen Deutschen“, die von der Dominanz linksliberaler Medienangebote frustriert seien. Allerdings bezieht die Junge Freiheit zumeist extrem rechte Standpunkte; das Blatt gilt als Flaggschiff der Neuen Rechten und der AfD. „Wer die AfD verstehen will, muss die Junge Freiheit lesen“, erklärte der stellvertretende AfD-Vorsitzende Alexander Gauland bereits 2015.

Konkurrenz erfährt die Junge Freiheit von Medien, die noch weiter rechts einzuordnen sind. Das Magazin Compact wurde 2008 vom ehemals linken Journalisten und Aktivisten Jürgen Elsässer gegründet. Er sieht Compact, das mit einer Auflage von 85 000 Exemplaren erscheint, als einen Gegenentwurf zu den liberalen, angeblich voreingenommenen „Mainstream-Medien“. Kritiker halten Compact für nicht viel mehr als ein extremistisches Revolverblatt, das mit Verschwörungstheorien und rassistischen Glaubenssätzen hausieren geht. Compact veröffentlicht regelmäßig Putin-freundliche und migrationskritische Beiträge und versteht sich wie die Junge Freiheit als Sprachrohr der AfD. Auf dem Video-Portal von Compact finden sich Interviews mit prominenten AfD-Vertretern.

Kopp Online, publiziert vom Kopp-Verlag, ist eine weitere Deutschlands Medienlandschaft kritisch ­gegenüberstehende Onlineplattform, die monatlich 3,6 Millionen Klicks erreicht. Sie verbreitet ein Weltbild voller fantastischer Verschwörungstheorien, verbindet rechtes Gedankengut mit Esoterik und trägt laut Frühbrodt sektenartige Züge. „Deutschlands Zukunft: Überall Panzer und Soldaten zum Schutz vor Migrantenbanden?“, lauten dort die Schlagzeilen (7.1.2017). Die „Nachrichten“ und „Hintergründe“ finden sich Seit an Seit mit Werbung für Cannabis-Öl-Wunderheilmittel gegen Krebs und Anbautipps für Wintergemüse.

Auch manche auslandsfinanzierten Angebote haben Konjunktur. Laut Correctiv, dem gemeinnützigen Recherchezentrum, hat auch Russlands internationaler Sender RT eine beachtliche Zahl von Zuschauern und Online-Nutzern in Deutschland, viele davon Russlanddeutsche. RT attackiert in erster Linie Merkel und präsentiert angebliche Beweise, wie die „Mainstream-Medien“ ihre Zuschauer und Leser hinters Licht führten und die Wahrheit vertuschten. Correctiv zufolge hat der deutsche RT-You­tube-Kanal 80 000 Abonnenten.

Dass für die Bundestagswahlen Manipulationsversuche zu erwarten sind, davon gehen die meisten Beobachter aus – bei den Wahlen in Frankreich zeichnet sich dies bereits ab. Im russischen Staatsfernsehen schürte Kommentator Dmitri Kisseljow bereits Gerüchte über die angeblich „nichttraditionelle Orientierung“ von Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron („Russian media leap on French presidential candidate with rumors and innuendo“, The Washington Post, 6.2.2017).

Noch mehr Sorgen macht Experten aber der so genannte „Echokammer-Effekt“ – soziale Medien wie Facebook und Twitter verstärken den Effekt eingefärbter, manipulierter oder falscher „Nachrichten“, indem sie ihre Nutzer aufgrund deren Leseverhaltens und Präferenzen nur noch mit solchen „Informationen“ beliefern, die der jeweiligen politischen Ansicht entsprechen.

Die Kampagne „Kein Geld für Rechts“ hat werbefinanzierte Plattformen getroffen. Diese rief im Dezember 2016 namhafte Unternehmen dazu auf, auf Online-Werbung bei rechtsextremen Medien à la Breitbart zu verzichten. Auf „Tichys Einblick“ hieß es dazu, es gehe darum, „unbequeme Meinungen“ auszuschalten. Dabei war dieses Portal eigentlich gar nicht Ziel der Kampagne.

Sumi Somaskanda berichtet als freie Reporterin über Deutschland und Europa für Foreign Policy und ist Redakteurin des Berlin Policy Journal.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2017, S. 128-131

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