Russland: Vergleichsweise vernünftig
Es ist kein gutes Zeichen, wenn der fünftgrößte Treibhausgasverursacher der Welt daheim die Finanzierung von Klimamaßnahmen streicht. Immerhin: In Paris hat Moskau die Diskussion gesucht und mit Vorschlägen bereichert.
Dass Russland bei den UN-Klimaverhandlungen in Paris eine unterm Strich konstruktive Rolle gespielt hat, war für manchen Beobachter überraschend. Moskau unterstützte die Mehrheit der Klimaziele und sprach sich für eine rechtlich bindende Vereinbarung aus, um die Klimaschutzzusagen der Länder und die Kohlenstoffbepreisung in das Abkommen einfließen zu lassen. Präsident Wladimir Putin, der sich bislang skeptisch gezeigt hatte, ob es so etwas wie einen durch den Menschen verursachten Klimawandel überhaupt gebe, hielt auf dem Gipfel eine durchaus überzeugende Rede zum Thema. Warum nimmt der fünftgrößte Treibhausgasemittent der Welt und einer der führenden Öl- und Gasproduzenten plötzlich eine solche Pro-Klima-Haltung ein?
Die Interessen Russlands lagen in den Klimaverhandlungen außerhalb der Konflikte, die vor allem zwischen Industrie- und Entwicklungsländern herrschten. Als Schwellenland hat Russland bereits seit 2011 keinen Anspruch mehr auf internationale Entwicklungshilfe und kommt also nicht als Empfänger von Green Climate Fund-Mitteln infrage. Der neue Marktmechanismus des Pariser Protokolls, der Sustainable Development Mechanism ist demnach ebenso wenig für Projekte in Russland geeignet. Hinzu kommt, dass die Mittel der internationalen Klimafinanzierung für das Land aufgrund der internationalen Sanktionen vorübergehend nicht verfügbar sind.
Zudem sahen die Vertreter der Russischen Föderation den Gipfel als ausgezeichnete Gelegenheit, mit dem Westen in der Diskussion über vergleichsweise unverfängliche Themen wie Klima und Umwelt wieder ins Gespräch zu kommen. So kündigte Umweltminister Sergei Donskoi im Rahmen der Klimakonferenz an, Moskau wolle die Arbeit im Arktischen Rat vorantreiben. Unter anderem sei man bereit, 200 Millionen Dollar beizusteuern, sofern derzeit eingefrorene Mittel der Globalen Umweltfazilität, einem Finanzierungsmechanismus für Umweltprojekte, in Höhe von bis zu 24 Millionen Dollar für Vorhaben in Russland wieder freigegeben würden. Dazu gehören Projekte zur Energieeffizienz in Betrieben, zum Erhalt der biologischen Vielfalt und zur Anpassung an den Klimawandel in der Arktis, zur Verbesserung des ökologischen Zustands von Flüssen im Norden sowie zur Entwicklung von Finanzierungsmechanismen für die Behebung von Umweltschäden.
Dass sich auf den Weltenergiemärkten in naher Zukunft einiges ändern wird, hat viel mit der wachsenden Bedeutung der erneuerbaren Energien zu tun. Dabei geht es vor allem um sinkende Preise für konventionelle Energieträger sowie die zurückgehende Nachfrage nach Öl und Gas. Für die russische Energiewirtschaft bringt das neben erheblichen Risiken auch gewisse Entwicklungspotenziale. Doch wird man diese nutzen?
„Wenn wir nicht im Abseits bleiben wollen, müssen wir eine Strategie entwickeln und Institutionen schaffen, um innovative Unternehmer zu fördern“, sagt Mikhail Yulkin, Leiter der Klimaabteilung beim Wirtschaftsverband RSPP. „Über Jahrzehnte haben wir die Idee verfolgt, Öl und Gas zu verkaufen und mit dem Erlös Wissenschaft und Technologie fördern“, bemerkt dazu Vladimir Maximov, Leiter der Abteilung Energieeffizienz und Ökologie im Wirtschaftsministerium. „Das hat sich als Trugschluss erwiesen: Wenn Sie Geld aus Öl und Gas bekommen, investieren Sie es genau da wieder, wo es herkommt: in die Öl- und Gasindustrie.“
Skepsis ist auch beim Blick auf das zweite große Thema in der russischen Diskussion angebracht, die Kohlenstoffreduktion. Russlands Exportgüter gehören weltweit zu den am kohlenstoffintensivsten produzierten. Darum ist man hier ausgesprochen sensibel gegenüber möglichen Kohlenstoffbeschränkungen im internationalen Handel. Bedenken, denen die Regierung Rechnung trägt: Erst Ende 2014 hob man die Finanzierung von Maßnahmen zur Emissionsminderung und Energieeffizienzpolitik in den Regionen auf. Im Haushaltsplan 2016 sind hierfür ebenfalls keine Mittel vorgesehen. Woher die finanziellen Mittel für eine kohlenstoffarme Entwicklung des Landes kommen sollen, ist noch unklar. Anfang Januar dieses Jahres wurde die Abteilung für Energieeffizienz des Energieministeriums aufgelöst. Im Gegenteil: Immer wieder hört man im Land die Auffassung, aufgrund der geringeren Exporte von Öl und Gas sei es notwendig, den Inlandsenergieverbrauch zu erhöhen.
Doch nach und nach setzt sich in Teilen der russischen Politik und Wirtschaft die Überzeugung durch, dass in Sachen Klima etwas getan werden muss – trotz der schwierigen Wirtschaftslage. Ein Ansatz könnte nach Meinung einiger Experten der Wink mit sozioökonomischen Anreizen sein. Mitarbeiter der Higher School of Economics und der RANEPA-Hochschule haben eine Studie mit dem Titel „Pfade zur vollständigen Dekarbonisierung“ verfasst. Darin gehen sie davon aus, dass Russland bis 2050 sein BIP pro Kopf auf 13 000 Dollar bis 41 000 Dollar erhöhen, eine nachhaltige Wirtschaft entwickeln und gleichzeitig die Treibhausgasemissionen um 87 Prozent reduzieren könnte.
Eine Studie des unabhängigen Zentrums für Energieeffizienz geht, etwas vorsichtiger, davon aus, dass sich durch entsprechende Maßnahmen in Russland bis 2050 die Treibhausgasemissionen zumindest um die Hälfte senken ließen, wobei auch der Ausstoß anderer Schadstoffe deutlich reduziert und der Wärmekomfort der Häuser sowie die Verfügbarkeit von Dienstleistungen der Wohnungs- und Kommunalwirtschaft verbessert werden könnten.
Immerhin: Die Ansätze, in Russland ein Kohlenstoffregulierungssystem zu schaffen, sind da. Ende 2015 trat ein Gesetz in Kraft, das Unternehmen mit Emissionsmengen von mehr als 150 000 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr dazu verpflichtet, einen Treibhausgasemissionsbericht zu verfassen. Ab 2017 wird die Kohlenstoffberichterstattung für Unternehmen verpflichtend sein, die mehr als 50 000 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr emittieren, ebenso für Betriebe des Luft- und Schienenverkehrs und der See- und Binnenschifffahrt.
Eine weitere entscheidende Regelung wird für dieses Jahr erwartet. Danach arbeitet das Ministerium für Wirtschaftliche Entwicklung an einem Gesetz, das der Regierung das Recht zur Emissionsregulierung gibt, sei es in Form einer Kohlenstoffsteuer oder eines Kohlenstoffmarkts. Allerdings sind diese Pläne bereits im Vorfeld auf ernsthaften Widerstand von Seiten der Wirtschaft gestoßen, da man derartige Beschränkungen unter den derzeitigen wirtschaftlichen Bedingungen als allzu große Belastung empfindet. Und das, obwohl doch einige Unternehmen bereits damit begonnen hätten, Kohlenstoffberichte im Rahmen freiwilliger internationaler Programme zu verfassen.
Angelina Davydova ist Leiterin des Russisch-Deutschen Büros für Umweltinformation und freie Journalistin für verschiedene russische und internationale Medien. Übersetzung: Judith Kiss
Internationale Politik 2, März/April 2016, S. 61-63