Buchkritik

01. Juli 2011

Rückenwind

Der Weltklimarat berichtet zum Stand in Sachen erneuerbare Energien

Was für einen Beitrag können erneuerbare Energien zur weltweiten Energieversorgung bis Mitte des Jahrhunderts leisten? Den Großteil, erklärt der Weltklimarat in seinem neuen Bericht – vorausgesetzt, die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Doch eines zeigt die Lektüre des umfangreichen Konvoluts: Der Weg dorthin wird keine Spazierfahrt.

Nach einiger Unruhe im Zusammenhang mit einem Zahlendreher in den Tiefen des letzten Sachstandsberichts zum Klimawandel, als man das mögliche Abschmelzdatum der Himalaya-Gletscher mit „2035“ statt „2350“ angegeben hatte, macht der Weltklimarat IPCC nun wieder mit wissenschaftlichen Ergebnissen von sich reden. „Special Report on Renewable Energy Sources and Climate Change Mitigation“ (SRREN) heißt das telefonbuchdicke Werk, das den aktuellen Kenntnisstand der Forschung zusammenfasst.

Der Bericht nimmt den Leser nicht an die Hand und entwirft ihm einen risikolosen Weg in eine bessere Welt der erneuerbaren Vollversorgung, wie es in der energiepolitischen Debatte in Deutschland gerne gemacht wird. Er fragt vielmehr nach Grenzen und Unbekannten in diesem tiefgreifenden Transformationsprozess. Dafür ver- gleichen die Autoren die Kosten erneuerbarer Energietechnologien, untersuchen ihren Einsatz unter Nachhaltigkeitsaspekten, skizzieren mögliche Szenarien und diskutieren verschiedene Politikinstrumente für den weltweiten Ausbau erneuerbarer
Energien.

Einiges, auf das der Bericht hin- weist, ist nicht neu, für eine Gesamtschau aber notwendig: Die Potenziale erneuerbarer Energien übersteigen zusammen den Weltenergiebedarf bei weitem, die weltweiten Ausbauraten haben stark angezogen, Kosten sind gesunken. Bereits heute ist eine Reihe von erneuerbaren Technologien – im Stromsektor etwa Biomasse, Geothermie, Onshore-Wind und Wasserkraft – an besonders geeigneten Standorten wettbewerbsfähig. Dennoch gehen die Einschätzungen, was die Kosten betrifft, noch stark auseinander. Hier müssen die Ergebnisse der Wissenschaft noch präziser werden, um belastbare Entscheidungsgrundlagen zu liefern. Unstrittig ist jedenfalls, dass etwa bei der Photovoltaik einiges an Arbeit zu leisten ist, um gerade in unseren Breiten preislich mit anderen Alternativen konkurrieren zu können. Vor diesem Hintergrund ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Debatte um Förderhöhen und Degressionsraten im deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetz bei dessen anstehender Novellierung wieder aufflammt.

Dem Thema Nachhaltigkeit ist ein ganzes Kapitel gewidmet, das zu den innovativsten Abschnitten des Berichts gehört. Schließlich geht es um die Frage, welche Rolle erneuerbare Energien weltweit bis Mitte des Jahrhunderts spielen können und wie ein Ausbau mit anderen Zielen wie der Armutsbekämpfung oder dem Zugang zu Energie vereinbar wäre. Das Ergebnis: Erneuerbare Energien können Energiearmut verringern und bieten eine echte Perspektive für die 1,4 Milliarden Menschen, die derzeit keinen Zugang zu Elektrizität haben, sowie für die insgesamt 2,7 Milliarden, die auf traditionelle Biomasse angewiesen sind. Diese derzeit noch dominante Art der weltweiten Bioenergienutzung – im Wesentlichen das Verbrennen von Holz und Dung zum Heizen und Kochen – kann zu erheblichen Gesundheitsschäden führen, insbesondere durch Feinstaubpartikel aus einfachen Feuerstellen.

Zu den weiteren gewichtigen Vorteilen der Erneuerbaren zählen höhere Unabhängigkeit von Energieimporten, Absicherung gegenüber steigenden Preisen für fossile Ressourcen sowie das Vermeiden von Großrisiken, wie sie etwa die Kernkraft mit sich bringt. Auch kann der Ausbau von erneuerbaren Energien in Entwicklungsländern bereits jetzt die günstigste Option sein, vor allem in Gegenden ohne Anbindung an ein bestehendes Energieversorgungsnetz. Darüber hinaus sieht der Report Chancen für Beschäftigung in einem dezentral aufgebauten und lokal verankerten Energiesystem.

Insbesondere bei der Bioenergie macht der IPCC jedoch auf eine Reihe von möglichen Konflikten aufmerksam, vor allem auf die Konkurrenz in der Landnutzung, die gemeinhin unter dem Stichwort „Tank oder Teller“ bekannt ist. Deren mögliche Folgen sind alles andere als trivial: Im Extremfall kann Bioenergie-Förderpolitik in globaler Perspektive höhere Treibhausgasemissionen erzeugen und die ursprünglichen Politikziele ad absurdum führen. Erfolgreiche Klima- und Energiepolitik darf sich demnach nicht an eindimensionalen Zielen festmachen, sondern sollte immer möglichst breit und systemisch gedacht werden. Dass es auf die Politik und die Schaffung von Rahmenbedingungen für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien ankommt, daran lässt der Bericht keinen Zweifel. Denn nur wenn ehrgeizige globale Klimastrategien greifen und entsprechende Politikinstrumente koordiniert eingeführt werden, kann die Transformation des Weltenergiesystems in naher Zukunft gelingen. Dann könnten bis 2050 rund 80 Prozent der Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen kommen – und das weltweit.

Intergovernmental Panel on Climate Change (Hrsg.): Special Report on Renewable Energy Sources and Climate Change Mitigation. Genf: IPCC 2011, 1490 Seiten, kostenfreier Download unter: http://srren.ipcc-wg3.de

DANIEL KLINGENFELD ist Referent beim Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2011, S. 140-141

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