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29. Nov. 2022

Proteste im Iran: Das Regime wankt nicht

Seit Mitte September ebben die Proteste im Iran nicht ab. Doch die Hoffnung auf ein Ende der Islamischen Republik ist verfrüht, das Regime verfügt über eine solide Machtbasis und wird alles tun, diese zu erhalten. Eine Neupositionierung der deutschen Politik ist aber aus anderen Gründen fällig.

Trotz aller Gegenmaßnahmen der Sicherheitskräfte gehen Iranerinnen und Iraner seit bald drei Monaten auf die Straße, um gegen das Regime zu demonstrieren. Die Protestbewegung ist so stark, weil sie Menschen ganz unterschiedlicher sozialer und regionaler Herkunft, Ethnien und Konfessionen mobilisieren kann. Dies zeigt, wie sehr die Islamische Republik im ganzen Land an Zustimmung verloren hat. Doch sind es nicht so sehr die Proteste in Teheran und anderen städtischen Zentren im iranischen Kernland, die das Regime fürchtet. Der Oberste Führer Ali Khamenei und seine Gefolgsleute sorgen sich vielmehr um die von ethnischen und religiösen Minderheiten bewohnten Gegenden nahe der Außengrenzen. Denn der Iran ist ein multiethnischer und multikonfessioneller Staat, in dem Perser nur über wenig mehr als 50 Prozent der Bevölkerung stellen und die Zahl der Sunniten bei deutlich über 20 Prozent liegt.

Unzufriedene Minderheiten am gefährlichsten für das Regime

In den Regionen, in denen die Minderheiten leben, ist die Unzufriedenheit mit dem Regime besonders groß. Dies gilt vor allem für die Kurdengebiete nahe der Grenze zum Irak, wo rund 10 Prozent der iranischen Bevölkerung leben und die Proteste sehr stark sind. Kurden werden in der Islamischen Republik als Nichtperser und Sunniten oft doppelt benachteiligt und stehen ihr deshalb ablehnend gegenüber. Ähnliches trifft auf die bis zu zwei Millionen sunnitischen Belutschen im Osten Irans zu; Belutschistan ist das Armenhaus Irans. In dem von Arabern bewohnten Khusistan im Westen wiederum brachen die Unruhen etwas später aus, vielleicht weil die Repression dort besonders ausgeprägt ist. Sie sind aber noch gefährlicher, weil dort die gesamte Ölindustrie Irans beheimatet ist.

Das Regime fürchtet die Minderheiten nicht nur, weil der Verlust der Kontrolle in einem von ihnen bewohnten Landesteil zu einer Kettenreaktion führen könnte. Hinzu kommt, dass die Kurden, Belutschen und Araber an den Außengrenzen Irans leben und eine Abspaltung (vor allem mit Hilfe von feindlichen Nachbarstaaten wie Saudi-Arabien) einfach wäre. Deshalb gehen Sicherheitskräfte in Kurdistan, Belutschistan und Khusistan auch mit großer Härte gegen Demonstrationen vor. Dies zeigte sich Ende November vor allem in Kurdistan, wo immer mehr Sicherheitskräfte in die Zentren der Proteste verlegt wurden und die Gewalt zunahm.

Starker und loyaler Sicherheitsapparat funktioniert bislang

Obwohl bei den Protesten mittlerweile über 400 Demonstrantinnen und Demonstranten getötet und mehr als 15.000 verhaftet worden sein sollen, hält sich das Regime bei der Bekämpfung der Bewegung immer noch zurück. Nur ein kleiner Teil der regimeloyalen Sicherheitskräfte befindet sich auf den Straßen im Einsatz. Dies dürfte ein Indiz dafür sein, dass Ajatollah Khamenei und seine Gefolgsleute die Protestbewegung insgesamt nicht als existenzielle Gefahr einstufen. Dies ist auch realistisch, denn es gibt im Iran keine organisierte Opposition, sodass die Demonstrationen trotz ihrer gegenwärtigen Stärke ins Leere laufen könnten. Ihre einzige Chance, Veränderungen zu erzwingen, besteht darin, dass die Machtbasis des Regimes auseinanderbricht und die Repression daraufhin nachlässt.

Dafür gibt es aber keine Hinweise. Khamenei stützt sich in erster Linie auf einen militärisch-geheimdienstlichen Apparat, zu dem die 125.000 Revolutionsgardisten, etwa 600.000 Basij-Milizionäre, der starke Geheimdienst und weitere regimeloyale Einheiten gehören. Bei Einsätzen in Kurdistan, Khusistan und in Belutschistan haben diese bei den diesjährigen Protesten und in der jüngeren Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass sie bereit sind, massiv Gewalt anzuwenden, wenn es darum geht, die Islamische Republik gegen Feinde von innen zu verteidigen. Solange diese Truppen geschlossen hinter der Führung um Khamenei stehen, muss sie keinen Machtverlust fürchten.

Vor allem Atomkonflikt erfordert deutsche Neupositionierung

Die Ereignisse im Iran verlangen trotzdem nach einer Neupositionierung der deutschen Politik. Dies hat aber weniger mit den Protesten als mit dem gleichzeitigen Ende der Atomverhandlungen zwischen den USA und Iran zu tun. Der Konflikt ist in eine neue Phase getreten, in der die Führung in Teheran ihr Interesse an einer Verhandlungslösung verloren zu haben scheint und die USA auf verstärkte Konfrontation setzen – auch, indem sie sich offener auf die Seite der Demonstranten stellen. Dies sollte auch der Weg für die deutsche und europäische Politik sein, die über ihre Begeisterung über das Atomabkommen von 2015 unter anderem übersah, dass der Iran die infolge der Aufhebung der Sanktionen verfügbaren Milliarden für eine beispiellose militärische Expansion im Nahen Osten nutzte. Die Folge waren gescheiterte Staaten im Irak, in Syrien, im Libanon und Jemen, wo vom Iran unterstützte Politiker, Parteien, Milizen und Terrorgruppen ganze Länder in Geiselhaft halten.

Hinzu kam, dass Teheran das Geld für sein Raketen-, Marschflugkörper- und Drohnenprogramm einsetzen konnte, mit denen der Iran und seine Verbündeten ihre Nachbarn am Persischen Golf und Israel bedrohen. Setzt der Iran außerdem seine Urananreicherung wie bisher fort, dürfte das Land schon in wenigen Jahren über Nuklearwaffen verfügen, mit denen es auch Europa bedrohen kann.

Die richtige Antwort ist eine konsequente Eindämmung Irans, die seine Expansion im Nahen Osten, seine Unterstützung von Terroristen und seine Flugkörper- und Nuklearprogramme bekämpft. Auch Militärschläge sollten nicht ausgeschlossen werden, wenn es darum geht, eine atomare Bewaffnung Irans zu verhindern. Ob die bisher nur rhetorische „Zeitenwende“ in der deutschen Sicherheitspolitik gelingen kann, entscheidet sich auch am richtigen Vorgehen gegenüber der Islamischen Republik.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik, Online exklusiv, 29.11.2022

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Mehr von den Autoren

Dr. Guido Steinberg ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Von 2002 bis 2005  arbeitete er als Terrorismusreferent im Bundeskanzleramt.