Prekärer Alltag
Tausende Kubaner verlassen die Insel. Wer bleibt, ringt mit Problemen und kann am 26. März wählen gehen – oder eben auch nicht.
Die gute Nachricht kommt aus der Türkei, liegt im Hafen von Havanna und hat eine Leistung von 500 Megawatt: Das neue, nunmehr achte schwimmende Kraftwerk der Karadeniz Powership Company liegt in Sichtweite jener in die Jahre gekommenen Kraftwerke, die Kubas Hauptstadt eigentlich mit Licht und Strom versorgen sollten. Doch die maroden Anlagen waren immer häufiger ausgefallen. Tägliche Stromsperren wurden der Normalzustand und zehrten an den Menschen. Zumindest fürs Erste gibt es nun wieder Licht auf den Straßen und Strom für den Kühlschrank. Womit Kuba diese türkische Nothilfe bezahlt, weiß allerdings niemand.
Als sich im Sommer 2021 die aufgestauten Frustrationen in offenen Straßenprotesten entluden, brachte die Regierung das mit harter Hand schnell wieder unter Kontrolle. Der Preis dafür aber ist Resignation – und Auswanderung. 300 000 Kubanerinnen und Kubaner sind im vergangenen Jahr allein in die USA gegangen, dazu Zehntausende nach Europa oder in andere lateinamerikanische Länder. Es ist der größte Exodus seit der von Fidel Castro geführten Revolution vor über sechs Jahrzehnten. Jede Woche fehlt in den Geschäften oder Schulen, in Krankenhäusern oder Betrieben wieder jemand, der das Land verlassen hat – Ausdruck nicht nur der ökonomischen Krise, sondern auch der fehlenden Hoffnung, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern könnte.
Dabei geht auf der Insel nicht alles nur abwärts. Die Inflation, die 2022 Ersparnisse und Löhne entwertet hat, ist zumindest gebremst. Es kommen wieder Touristen ins Land. Zwar weit weniger als vor der Pandemie, aber immerhin: In der Altstadt von Havanna und an den Stränden von Varadero lassen sich wieder Euros und Dollar verdienen. Auch die Legalisierung von kleinen und mittleren Unternehmen, zu der sich die sozialistische Regierung mühsam durchgerungen hat, zeigt Wirkung. Über 6000 waren zum Jahresbeginn offiziell registriert – nicht viel für ein Land von elf Millionen, aber ein Anfang.
Ein Ende der sozialen Gleichheit
Findige Start-ups haben eine kubanische Uber-Variante aufgezogen oder Lieferdienste per App entwickelt. Und der Onlinehandel ist explodiert: Das reicht von handgestrickten Postings in WhatsApp-Gruppen bis hin zu breitgefächerten Internetshops, die Fleisch und Bier, Autoteile und Kühlschränke vertreiben. So bricht die einst an hohe soziale Gleichheit gewöhnte Gesellschaft immer weiter auseinander. Wer kein Geld von Verwandten in den USA bekommt und auch sonst keine Deviseneinkünfte hat, für den ist die Versorgungslage prekär geworden.
Im Januar hat US-Präsident Joe Biden beschlossen, unerlaubt über die Grenze kommende Kubaner genauso zurückzuweisen wie Migranten aus Mexiko oder Zentralamerika. Stattdessen verspricht Washington den Kubanern eine Ausweitung der legalen Einreise, wenn US-Bürger die Bürgschaft übernehmen – also wieder Vorteile für jene, die Familie in den USA haben. Die Abwanderung wird hoch bleiben, nur nicht mehr über eine Schmugglerroute durch Nicaragua und Zentralamerika. Andere Signale Bidens schüren Hoffnung, dass er in kleinen Schritten an die Entspannungspolitik der Obama-Zeit anknüpfen könnte. So konnte Western Union im Januar wieder erste Büros für Geldsendungen aus Miami an die Insel eröffnen, die unter Trump geschlossen werden mussten.
Dennoch, ein Licht am Ende des Tunnels sieht in Havanna kaum jemand. Zumal die Landwirtschaft von einem Negativrekord in den nächsten stürzt. Solange hier nicht mehr produziert wird, bleiben Nahrungsmittel knapp und die Preise auf den Bauernmärkten für viele schwindelerregend hoch.
Für den 26. März nun sind turnusgemäß Parlamentswahlen angesetzt; in einem Ein-Parteien-Staat kein Ereignis, das Überraschungen verspricht. Auch diesmal werden die vorgesehenen Kandidaten mit bravourösen Mehrheiten in die Nationalversammlung einziehen. Interessant aber wird die Wahlbeteiligung, die bis in die 2000er Jahre immer über 95 Prozent lag. Wählen gehen, das gilt als sozialistische Bürgerpflicht; sich dem zu entziehen, als Widerspruch. Doch mit der Krise von Wirtschaft und Gesellschaft bröckelt auch die politische Mobilisierungskraft von Staat und Partei. 2018 blieb fast ein Viertel der Wahlberechtigten den Urnen fern, bei den Kommunalwahlen im vergangenen November fast ein Drittel.
Es lohnt auch ein genauerer Blick auf das Referendum, bei dem im September 2022 ein neues, progressives Familienrecht angenommen wurde. Zwar gab es eine klare Zweidrittelmehrheit für den Vorschlag der Regierung. Aber mehr als ein Viertel der Bevölkerung blieb der Wahl fern. Hinzu kommen 5 Prozent ungültig oder leer abgegebene Stimmzettel. Zusammen mit den Nein-Stimmen folgte in der Summe weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten der offiziellen Linie. Für die Führung in Havanna ein Alarmsignal.
Deshalb ist die Parlamentswahl keine Routineübung. Oppositionsgruppen rufen zum Boykott auf. Die Regierung wird über Medien und Massenorganisationen mobilisieren, sozialer Druck zum Erscheinen im Wahllokal eingeschlossen. Trotzdem erscheint es offen, ob am Ende auch hier Nicht-Wählen plus leere oder ungültige Stimmzettel auf eine rechnerische Mehrheit kommen. Folgen für die Zusammensetzung des Parlaments hätte das nicht. Aber für die Legitimität, die Kubas politisches System noch für sich beanspruchen kann, steht mehr auf dem Spiel als je zuvor bei einer Wahl.
Internationale Politik 2, März/April 2023, S. 114-115
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