Titelthema

29. Aug. 2022

Nur dabei statt mittendrin

In vielem spielt Europas künftige Ordnung Rom in die Karten. Doch an Einfluss dürfte der Süden mit Italien an der Spitze nicht gewinnen.

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Bild: Zeichnung des Panteons in Rom
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Wie immer der Krieg in der Ukraine ausgeht: Dass die Beziehungen zwischen Europa und Russland künftig von Argwohn und Feindseligkeit geprägt sein dürften, steht außer Frage. Die NATO-Russland-Grenze, die schon bald von Finnland über eine mit westlichen Waffen versorgte Ukraine bis zum Schwarzen Meer verlaufen könnte, wird noch stärker hochgerüstet werden. Europas Politik gegenüber Moskau wird weiterhin auf einer Mischung aus wirtschaftlichem Druck und diplomatischer Isolierung basieren.



Frieden wird weder das Ergebnis einer gemeinsamen Anstrengung zur Konfliktbewältigung sein, noch werden Institutionen, regelbasierte Regime oder althergebrachte politische Praktiken den Konflikt lösen. Stattdessen wird ein etwaiger Frieden nur im Rahmen eines militärischen, durch nukleare Abschreckung gestützten Gleichgewichts zu erreichen sein.



Die europäische Ordnung von morgen hat große Ähnlichkeit mit dem Europa der Vergangenheit. Einmal mehr wird der Frieden auf dem Kontinent aus einem kalten Krieg hervorgehen – und wie jedes andere europäische Land wird auch Italien von dieser Ordnung betroffen sein.



Der Plan, die EU zu einem autonomeren internationalen Akteur zu machen – ein französisches Ziel, das Italien stets unterstützt hat – wird nicht umzusetzen sein. Die Idee der strategischen Autonomie war von Anfang an nicht populär und ist nun wohl noch unattraktiver geworden. Russlands Aggression hat einmal mehr gezeigt, wie existenziell die amerikanischen Sicherheitsgarantien – sowohl im Rahmen der NATO als auch bilateral – für viele EU-Mitgliedstaaten sind.



Darüber hinaus wird die Notwendigkeit, die Energieimporte aus Russland zu reduzieren, die Abhängigkeit der EU von Energieproduzenten wie den USA und Katar weiter verstärken. Italien, das noch bis zum Ausbruch des Krieges erhebliche Mengen an Öl und über 40 Prozent seines Erdgases aus Russland importierte, ist dabei, seine Energieversorgung massiv umzustrukturieren.



Der Krieg in der Ukraine hat jedoch nicht nur Amerikas Vormachtstellung in Europa gestärkt. Er hat auch die bestehende Kluft zwischen den USA mit ihren Verbündeten und China sowie anderen Rivalen weiter vergrößert. Das wird deutlich zu Lasten eines eigenständigen politischen Kurses gegenüber Ländern wie China oder dem Iran, aber auch gegenüber mehr oder minder bündnisfreien Ländern wie Indien oder Brasilien gehen. Ein solcher Kurs, wie ihn einige EU-Mitgliedstaaten, darunter Italien, seit Jahren anstreben, wird künftig mit höheren politischen und sozialen Kosten verbunden sein und kaum Gewinne abwerfen.



Stattdessen wird für die EU-Mitglieder der Anreiz wachsen, engere Beziehungen zu Ländern zu suchen, die bereits eng mit Washington verbunden sind, etwa Israel, Saudi-Arabien oder Kolumbien. Dadurch werden ohnehin schon auf die USA ausgerichtete Netzwerke, Bündnisse und Partnerschaften noch weiter gestärkt werden.



Der verschärfte politische Wettbewerb zwischen US-Verbündeten und US-Rivalen wird auch innerhalb der EU zu spüren sein. Schon heute haben sich die mittel- und osteuropäischen Staaten mit Ausnahme Ungarns mit dem Ziel zusammengeschlossen, der russischen Aggression entschieden entgegenzuwirken. Geteilt wird dieser Ansatz von der Gruppe der nordischen Staaten, die nach dem NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens noch homogener werden dürfte.



Diese Nord-Ost-Achse bietet Großbritannien die Möglichkeit, sich wieder als wichtige Figur auf dem europäischen Schachbrett zu etablieren. Auch für die USA könnte es von Vorteil sein, die Beziehungen zur Nord-Ost-Koalition zu stärken, statt sich von den Wünschen Deutschlands und Frankreichs leiten zu lassen.  



Das heißt natürlich nicht, dass sich die EU überhaupt nicht weiterentwickeln wird. Im Gegenteil: Die Wettbewerbslogik der künftigen Ordnung ist durchaus mit einer vertieften europäischen Integration vereinbar. Der Krieg in der Ukraine und die mit ihm verbundenen Kosten haben Forderungen nach höheren Rüstungsausgaben und mehr geldpolitischer Solidarität (womöglich in Form eines weiteren Versuchs der teilweisen Schuldenvergemeinschaftung) laut werden lassen.  



Eine stärker integrierte EU dürfte besser in der Lage sein, die kontinentalen Beziehungen zu organisieren. Diese Fähigkeit wird sie jedoch nicht von selbst zu einem autonomen außenpolitischen Akteur machen. Auch eine politisch und militärisch besser integrierte EU wird der hegemonialen Macht der USA untergeordnet sein. So können größere europäische Beiträge zur NATO und ein kollektiver Wiederaufbau der Ukraine zwar die politische und wirtschaftliche Stabilität der Union stärken. Die Abhängigkeit von den US-Sicherheitsgarantien wird aber bestehen bleiben.



Auf dem Papier wäre ein solches Szenario für Italien günstig, denn Rom hat keine Probleme damit, die EU-Verteidigungspolitik und die militärische Zusammenarbeit im transatlantischen Bündnis stärker miteinander zu verzahnen. Zudem befürwortet die italienische Regierung die fiskalische Integration, insbesondere in Zeiten der steigenden Inflation und der strengeren Geldpolitik. Gleichzeitig wird sich Italien jedoch einem stärkeren Wettbewerb um die EU-Finanzmittel stellen müssen – und der Realität, dass es diese in Zukunft wohl kaum mehr nur für den Abbau der eigenen Staatsschulden wird nutzen können.



Die neue, der alten nicht so unähnliche Ordnung Europas wird für alle europäischen Länder Probleme mit sich bringen. Denn je mehr auf dem Spiel steht, desto entschlossener werden die einzelnen EU-Staaten sein, in EU-internen Verhandlungen ihren Kurs durchzudrücken. Deutschland und Frankreich werden dabei aufgrund ihrer politischen und wirtschaftlichen Ressourcen weiterhin erheblichen Einfluss ausüben. Für den strategisch eher peripheren südlichen Block mit Italien an der Spitze dürfte das nicht gelten.    



Aus dem Englischen von Kai Schnier

Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special 5, September 2022, S. 44-45

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Riccardo Alcaro ist Forschungs­koordinator und Leiter des Global Actors Programme beim Istituto Affari Internazionali in Rom.