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17. Jan. 2025

Nordkoreas Militäreinsatz in Europa

Wie der Eintritt Pjöngjangs in den russisch-ukrainischen Krieg die internationale Nuklearordnung weiter untergräbt.

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Bild: Putin und Kim Jong Un
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Moskau hat in den vergangenen zehn Jahren nicht gezögert, die Welt wiederholt an die Zerstörungskraft seiner Nuklearstreitkräfte zu erinnern. Im November 2024 änderte der Kreml öffentlich die Militärdoktrin der Russischen Föderation und senkte die Schwelle für den Einsatz von Kernwaffen. Im Gegensatz dazu verfügt Kyjiw über keinerlei Massenvernichtungswaffen, da die von der Sowjetunion geerbten Atomsprengköpfe aufgegeben wurden; dies war Voraussetzung für den Beitritt der Ukraine als Nichtkernwaffenstaat zum Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV). Die Ukraine kann folglich nicht adäquat auf die immer schwerwiegenderen Drohungen und Provokationen des Kremls reagieren.

Die Logik des Nichtverbreitungsregimes wird nun auch durch den Eintritt Nordkoreas in den russisch-ukrainischen Krieg infrage gestellt. Nachdem Pjöngjang Moskau bereits zuvor massiv mit militärischer Ausrüstung und Munition unterstützt hatte, weitete Nordkorea seine Zusammenarbeit mit Russland im Herbst 2024 aus, indem es reguläre nordkoreanische Truppen in den Kampf gegen die Ukraine entsandte. Einige der Militäreinheiten aus Nordkorea sind bereits in Kämpfe mit ukrainischen Streitkräften verwickelt und haben erhebliche Verluste erlitten. Durch das direkte Engagement Nordkoreas weiten sich der geografische Umfang und die internationale Dimension des Krieges weiter aus.

Nordkorea hatte auch schon vor seinem Austritt aus dem NVV 2003 den Vertrag verletzt. Und seither fühlt es sich frei, Kernwaffen zu bauen und zu testen – mit nur minimalen Konsequenzen. Neben Indien, Pakistan und Israel ist Nordkorea einer der vier Kernwaffenstaaten, die nicht dem NVV angehören.
 

Die paradoxe Rolle des NVV 

Seit November 2024 sind Tausende von nordkoreanischen Soldaten im Krieg Russlands gegen die Ukraine eingesetzt. Die pflichtgemäße Einhaltung des NVV benachteiligt die Ukraine nun nicht nur gegenüber einem, sondern gleich vis-a-vis zwei Atommächten: Russland als offiziellem Kernwaffenstaat und Nordkorea als Nuklearwaffenbesitzer außerhalb des NVV.

Diese neuartige Situation macht die geopolitische Rolle des Atomwaffensperrvertrags noch paradoxer als während der rein bilateralen Phase des russisch-ukrainischen Krieges von 2014 bis 2023. Die Umsetzung des NVV durch die Ukraine und ihre nichtnuklearen Verbündeten wirkt sich inzwischen doppelt nachteilig aus: Sie sind nicht nur gegenüber Russland gefährdet, sondern auch in ihrem Handlungsspielraum in Bezug auf den nordkoreanischen Ukraine-Einsatz eingeschränkt. Die Ukraine wird von Kernwaffenstaaten mit zwei unterschiedlichen Rechtsstatus militärisch attackiert, ihres Staatsterritoriums beraubt und mit Völkermord konfrontiert, ohne dass es im Rahmen des NVV eine Möglichkeit gibt, auf diese beispiellose Situation zu reagieren.

Da nordkoreanische Soldaten an einem europäischen Krieg teilnehmen, wäre es für Kyjiw und seine internationalen Verbündeten gerechtfertigt, direkte Militäraktionen gegen Nordkorea in Betracht zu ziehen. Doch die Ukraine und die meisten ihrer Verbündeten in Europa sind Nichtkernwaffenstaaten, denen der Besitz von Atomsprengköpfen durch den NVV verboten ist. Sie sind daher der nuklearen Abschreckung Nordkoreas ausgesetzt und nur eingeschränkt fähig, Widerstand gegen den nordkoreanischen Militäreinsatz zu leisten – denn sie wissen um die Fähigkeit Pjöngjangs, eventuelle Angriffe auf nordkoreanisches Territorium mit nuklearer Vergeltung zu beantworten.

Nordkoreas Verletzung und Nichtteilnahme am Nichtverbreitungsregime ermöglicht dem Land internationale Handlungsfreiheit. Im Gegensatz dazu schränkt die Einhaltung des NVV durch die Ukraine ihre Fähigkeit ein, sich gegen Russland und Nordkorea zu verteidigen, wie es in Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen vorgesehen ist. Seltsamerweise scheint der NVV daher internationale Kriege sowie deren transkontinentale Ausweitung zu erleichtern und territoriale Expansion sowie nukleare Drohgebärden zu ermöglichen oder zumindest nicht zu behindern. Dr. Jekyll ist zu Mr. Hyde geworden.


Die neue russisch-nordkoreanische Partnerschaft

Darüber hinaus berührt die neue Partnerschaft Nordkoreas mit Russland auch andere Verpflichtungen Moskaus im Rahmen des NVV. Im Juni 2024 unterzeichneten Wladimir Putin und Kim Jong-un einen umfassenden Strategischen Partnerschaftsvertrag, der Anfang Dezember 2024 in Kraft trat. Der Vertrag enthält das Versprechen, sich im Falle eines bewaffneten Angriffs gegenseitig zu verteidigen, und Russland sagt auch zu, Nordkorea vor „extraterritorialen“ Sanktionen zu schützen.

Das Washingtoner Institute for the Study of War fasste die damit entstandene neue Lage am 1. November 2024 wie folgt zusammen: „Obwohl das Abkommen [das Putin und Kim am 19. Juni 2024 unterzeichnet hatten] nicht vorsieht, dass Russland Nordkorea bei der Entwicklung von Raketen oder Kernwaffen unterstützt, hat Russland seinen früheren Widerstand gegen das nordkoreanische Atomprogramm aufgegeben. Es legte [schon] 2022 sein Veto gegen eine UN-Resolution zur Verschärfung der Sanktionen gegen Nordkorea ein und 2024 gegen eine weitere UN-Resolution zur Verlängerung des Mandats des UN-Sanktionsüberwachungsausschusses für Nordkorea, wodurch die Überwachung der Einhaltung der UN-Sanktionen effektiv beendet wurde. […] Die Tatsache, dass der russische Außenminister Lawrow [im September 2024] die Denuklearisierung Nordkoreas als ‘abgeschlossenes Thema‘ abtat, spiegelt den Sinneswandel Russlands seit 2022 wider, der zu einer Bereitschaft führen könnte, Pjöngjangs Nuklearwaffenprogramm direkt zu unterstützen."

Obwohl Russland einer der drei Depositarstaaten des Atomwaffensperrvertrags ist, sabotiert Moskau Sanktionen gegen Nordkorea, die wegen dessen Entwicklung von Kernwaffen außerhalb des NVV verhängt wurden. Stattdessen unterstützt Russland Pjöngjangs nukleare Ambitionen indirekt und – dies sollten Geheimdienste, Journalisten und Wissenschaftler klären – vielleicht sogar direkt.


Umfassende Unterstützung der Ukraine

Das nukleare Nichtverbreitungsregime entstand mit dem Inkrafttreten des NVV im Jahr 1970. Seitdem bezieht es seine Legitimität daraus, dass es ein umfassendes Abkommen ist, das dazu beiträgt, einen Atomkrieg zu verhindern und den Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Nuklearwaffen gegen Nichtkernwaffenstaaten zu verhindern. Doch heute hat der Atomwaffensperrvertrag eine gänzlich andere Wirkung: Anstatt Frieden zu fördern, hat es Russland bei der Umsetzung einer expansionistischen und völkermörderischen Politik gegen die Ukraine unterstützt.

Die zersetzenden Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die globale Sicherheitsordnung werden durch die Beteiligung Nordkoreas weiter verstärkt. Um das Nichtverbreitungsregime zu erhalten und zu stärken, sollten alle Unterzeichnerstaaten des NVV die Ukraine unmissverständlich unterstützen. Diese Unterstützung sollte militärische oder nichtmilitärische Hilfe umfassen, die es Kyjiw ermöglicht, einen Sieg auf dem Schlachtfeld zu erringen, seine derzeit illegal von Russland besetzten Gebiete zu befreien und den Krieg mit einem gerechten Frieden zu beenden.

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Bibliografische Angaben

Internationale Poltik, Online Exklusiv, 17. Januar 2025

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Mehr von den Autoren

William Alberque ist Gastwissenschaftler am Washingtoner Henry L. Stimson Center und arbeitet in Berlin.

Andreas Umland ist Analyst am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien (SCEEUS) und arbeitet in Kyjiw.

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