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01. Dez. 2008

Neue Regeln für den nächsten Boom

Was wir jetzt ändern müssen, damit künftige Krisen verhindert werden

Blasen und anschließende Phasen der Kontraktion haben schon immer zur Marktwirtschaft gehört. Innovationen, ob finanzieller oder realwirtschaftlicher Natur, die eine Boomphase begründen oder durch eine Boomphase hervorgebracht werden, werden in der Zeit des Abschwungs „getestet“. Während die Nachteile einer Finanz- und Wirtschaftskrise überwiegen, bietet sich nun die Chance, eine zukunftsfähige Regulierung und gute Rahmenbedingungen für die internationalen Finanzmärkte zu gestalten.

Warum aber muss erst eine Krise eintreten, um die notwendige Regulierung der Märkte durchzusetzen? Schließlich wurden das Platzen der Immobilienblase und die anschließende Finanzkrise schon viele Monate im Voraus von zahlreichen Marktbeobachtern vorhergesagt. Nennen wir es in Anlehnung an den Ökonomen Charles Goodhart das „Goodhart-Paradox“: Regulierung ist nur zu einem Zeitpunkt möglich, an dem sie nicht mehr, oder noch nicht, nötig ist. Während einer Kreditklemme werden keine Exzesse bei der Kreditvergabe be-obachtet, und eine Regulierung zur Begrenzung der Kreditvergabe scheint daher unnötig oder sogar kontraproduktiv. Die neuen Regeln sollten erst in der nächsten Boomphase zum Tragen kommen. Aber zu diesem Zeitpunkt sind neue Bilanzvorschriften oder geänderte Gesetze zu Marktstrukturen, vor allem aber eine internationale Koordination der Vorstöße, politisch nicht mehr durchzusetzen, da andere Tagesprobleme als dringender erachtet werden.

Wir stehen nun also einer großen Chance gegenüber, die internationale Finanzarchitektur grundlegend zu überdenken sowie entsprechende Lösungen auf globaler Ebene zu implementieren. Zusammengefasst sehe ich Handlungsbedarf in folgenden zehn Gebieten:

1. Blasen bekämpfen. Zentralbanken und Regierungen weltweit sollten mit Hilfe von Geld- und Fiskal-politik früher und entschlossener gegen kreditfinanzierte Spekulationsblasen ankämpfen.

2. Anreize für ausgeglichene Kapitalbindungsfristen setzen. Die Bankenregulierung sollte neben dem Verschuldungsgrad auch das Verhältnis der Laufzeiten von Schulden und Vermögen berücksichtigen. Die Finanzierung einer Bank sollte tendenziell ähnlich langfristig wie die Laufzeit der Vermögenswerte sein. Weiterhin sollte der maximal zulässige Verschuldungsgrad von der Marktliquidität der Vermögenswerte abhängen, das heißt davon, wie einfach das Vermögen der jeweiligen Bank am Markt liquidiert werden kann.

3. Neue Konzepte im Risikomanagement. Konventionelle Risikomaße zielen darauf, das Risiko der Vermögenswerte einer einzelnen Bank abzuschätzen. Banken müssen nun lernen, mit neuen statistischen Verfahren ihren Einfluss auf den Gesamtmarkt, oder ihre „Externalitäten“, einzuschätzen und die gewonnenen Erkenntnisse in ihre Risikomanagementsysteme einfließen lassen. Die Bewertung von Anlageprodukten durch Ratingagenturen muss kritischer beleuchtet werden.

4. Schnelleres Insolvenzverfahren für Banken. Für den Fall eines Bankenbankrotts sollte es ein schnelles, effizientes und nach Möglichkeit international standardisiertes Verfahren zur Abwicklung der Bank geben. Die schleppende Kommunikation wichtiger Informationen im Rahmen der Abwicklung der Lehman Brothers Investmentbank im September 2008 ist das negative Paradebeispiel.

5. Mehr Transparenz über Handelspositionen. In kritischen Märkten sollte es einem zentralen Clearinghaus ermöglicht werden, Einsicht in die getätigten Geschäftsabschlüsse zu nehmen und sich nivellierende Positionen gegeneinander aufzurechnen. Dies würde helfen, das Austrocknen von Märkten aufgrund von asymmetrischer Information zu verhindern.

6. Überprüfung der Anreizstrukturen der Bankmanager und Ratingagenturen. Aufgrund ihrer begrenzten Haftung haben Bankmanager häufig Anreize, risikoreiche Strategien zu operationalisieren, welche sich oft kurzfristig hochprofitabel, aber langfristig katastrophal auswirken. Ratingagenturen werden momentan vom Emittenten eines Wertpapiers vergütet. Die Gefahr von „moral hazard“ in Form geschönter Gutachten ist die Folge. Neue Kompensationsmodelle für Manager und Ratingagenturen sollten solcherlei Exzesse anreizverträglich unterbinden.

7. Lastenteilung und Kontrollrechte. Die drei größten Banken Islands, aber auch die beiden Schweizer Banken UBS und Credit Suisse sind kombiniert um ein Mehrfaches größer als die Volkswirtschaft, in der sie ansässig sind. Im Falle einer Bankenpleite gibt es folglich niemanden, der sowohl die Fähigkeit als auch die Anreize hat, die Banken und damit die gesamte Volkswirtschaft vor dem Untergang zu bewahren. Diejenige internationale, private oder staatliche Institution, welche in Zukunft solcherlei Lasten auf sich nimmt, sollte daher mit entsprechenden Kontrollrechten ausgestatten werden.

8. Allfinanzaufsicht unter den Schirm der Zentralbanken stellen. Alternativ könnte auch der Internationale Währungsfonds eine entsprechende Rolle auf globaler Ebene spielen.

9. Berichten von Durchschnittswerten statt Tageswerten. Banken sollten dazu verpflichtet werden, in Monats- oder Quartalsberichten Durchschnittswerte anstatt Momentaufnahmen ihrer Bilanzpositionen auszuweisen. So können buchhalterische Tricks, die zu Schönfärberei führen, ausgehebelt werden.

10. Leerverkaufsregeln überprüfen. Leerverkäufe, die zum Ziel haben, anderen Marktteilnehmern zu schaden, sollten stärker reguliert werden.

Prof. Dr. MARKUS BRUNNERMEIER  ist der Edwards S.Sanford Professor für Ökonomie an der Princeton Universität.
 

Mitarbeit: Martin Schmalz

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 12, Dezember 2008, S. 66 - 68

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