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01. Juni 2005

Nach den Niederlagen

Schattenboxen: die Strategiedebatten der Demokratischen Partei

Die amerikanischen Demokraten haben schon bessere Zeiten gesehen. George W. Bush hat ihnen eine vernichtende Niederlage beigebracht. Seitdem ringen die Flügel der Partei um die neue Linie. Die Linken um Howard Dean wollen sich als Oppositionspartei im klaren Gegensatz zu den Republikanern profilieren. Die New Democrats dagegen suchen die Mitte und den Kampf gegen den Terrorismus, doch ihnen fehlt ein Bill Clinton.

Die Niederlage der Demokratischen Partei in den Wahlen vom 2. November 2004 war eindeutig. Der republikanische Präsident George W. Bush bezwang den Demokraten John F. Kerry mit 286 zu 252 Wahlmännerstimmen, im „popular vote“ lag Bushs Vorsprung bei deutlich über drei Millionen Wählerstimmen. Mit einem Ergebnis von 51 zu 48 Prozent ist Bush der erste Präsident seit seinem Vater 1988, der mehr als die Hälfte aller Wählerstimmen auf sich vereinen konnte. Somit mussten die Demokraten gerade im Vergleich zum äußerst knappen Wahlausgang im Jahr 2000 dieses Mal ihre Unterlegenheit unumwunden eingestehen.

Auch bei den gleichzeitig stattfindenden Kongresswahlen hatten sie Rückschläge zu verzeichnen. Sechs Sitze im Senat mussten sie an die Republikaner abtreten, fünf davon in Südstaaten; besonders schmerzlich war der Verlust des Mandats von Minderheitenführer Tom Daschle in South Dakota. Da die Demokraten im Gegenzug nur zwei republikanische Sitze (in Colorado und Illinois) erobern konnten, haben sie nunmehr einen Rückstand von 44 zu 55 Sitzen bei einem unabhängigen Senator. Selbst im Repräsentantenhaus haben die Demokraten drei weitere Sitze verloren; sie sind gegenwärtig mit 202 zu 232 in der Minderheit.1 Damit haben die Republikaner ihre Vormachtstellung im Repräsentantenhaus nun für zwölf Jahre in Folge zementiert – das gab es seit den 1930er Jahren nicht mehr.

Angesichts dieser düsteren Lage ist unter den Demokraten ein Streit um die künftige politische und strategische Ausrichtung der Partei entbrannt. Solch eine Debatte scheint umso dringender geboten, als die Wahlen 2004 für die Demokraten unter einem vermeintlich guten Stern standen. Denn entgegen seinem Antrittsversprechen hatte sich Präsident Bush durchaus als „divider“ und nicht als „uniter“ entpuppt. Seine Umfragewerte im Jahr der Wahl stagnierten bei 50 Prozent, die Arbeitslosenzahl war unter seiner Amtsführung deutlich gestiegen, die Wirtschaft erholte sich nur schleppend von der Rezession, und die Schere zwischen Arm und Reich weitete sich wie schon seit den achtziger Jahren nicht mehr. Auch außenpolitisch hatte Bush mit seiner Kriegspolitik gegenüber dem Irak große Teile der amerikanischen Öffentlichkeit gegen sich aufgebracht. Die weitgehende internationale Isolation der Vereinigten Staaten, die so zweifel- wie wechselhaften Begründungen für den Krieg und das desaströse Versagen der Nachkriegsplanung machten den Amtsinhaber angreifbar.

Und trotz mancher Einschränkungen hatten die Demokraten darüber hinaus mit John F. Kerry einen ausgezeichneten Kandidaten zu bieten. Er präsentierte sich als kluger und erfahrener Politiker, vorzüglicher Redner, patriotischer Kriegsheld und gemäßigter, aber überzeugter Liberaler. Der Senator aus Massachusetts war vergangenen „Unglücksraben“ der Demokraten wie Michael Dukakis als Wahlkämpfer weit überlegen – seine Campaign mobilisierte effizient, arbeitete ohne massive Fehler und trieb sogar mehr Spendengelder ein als Bushs. Diese verheißungsvollen Voraussetzungen fasste der legendäre demokratische Wahlkampfberater James Carville kurz vor der Wahl pointiert zusammen: „Unsere Partei ist so einig wie nie zuvor. Wir haben so viel Geld wie die Republikaner gesammelt. 55 Prozent der Bevölkerung glauben, das Land habe eine falsche Richtung eingeschlagen. Unser Kandidat hat alle drei Fernsehduelle gewonnen. Und wir waren viel leidenschaftlicher als die Gegenseite. Wenn wir diese verdammte Wahl nicht gewinnen, dann können wir überhaupt nicht gewinnen (if we can’t win this one, then we can’t win shit)! Und dann müssen wir die Demokratische Partei völlig neu denken.“2

Genau dieser Prozess des Überdenkens ist jetzt in vollem Gange. Die Weichen müssen bald gestellt werden. Schon bei den nächsten Zwischenwahlen in zwei Jahren wollen die Demokraten zum Angriff auf die republikanische Mehrheit im Kongress blasen, um für die Präsidentschaftswahlen 2008, wenn die Republikaner mit einem Kandidaten ohne Amtsbonus antreten, in einer stabilen Ausgangsposition zu sein. Dabei entzündet sich die Auseinandersetzung innerhalb der Demokratischen Partei an drei zentralen Fragen. Zum einen herrscht Uneinigkeit, worin die Ursache für das neuerliche Scheitern der Partei liegt. Die unterschiedliche Beantwortung dieser Frage prägt auch den zweiten Streitpunkt, nämlich wie die Partei zu zentralen politischen Fragen – von der Steuerpolitik über die Homosexuellen-Ehe bis hin zum Krieg gegen den Terrorismus – stehen soll. Drittens gibt es eine tief greifende strategische Kontroverse über die Regionen und Zielgruppen, auf die man seine begrenzten Ressourcen konzentrieren will. Diese drei Probleme beeinflussen sich zwar gegenseitig und sind in der Praxis nicht streng voneinander zu trennen. Aber durch eine differenzierte Betrachtung lässt sich ein klareres Bild der gegenwärtigen Strömungen innerhalb der Partei erkennen. Offensichtlich ist der vertraute Konflikt zwischen einem eher konservativen und einem eher linken Parteiflügel. Aber dieser linke Flügel weist gegenwärtig Nuancierungen auf, die für die Zukunft der amerikanischen Politik von maßgeblicher Bedeutung sein werden.

Dr. Dean und die wilden Linken

Schon in den Vorwahlen 2004 hat sich der ehemalige Gouverneur von Vermont, Howard Dean, an die Spitze des linken Flügels der Partei setzen können. Auch jetzt ist er der Wortführer derjenigen, die das linksliberale Profil der Partei durch eine fundamentale Abgrenzung von den Republikanern schärfen wollen.3 Dean kommt in der Auseinandersetzung um die zukünftige Ausrichtung der Partei besondere Bedeutung zu, weil er im Februar 2005 zum Nachfolger des blassen Parteivorsitzenden Terry McAuliffe gewählt wurde. Die Rolle des Parteivorsitzenden gerät selten in den Blick der Öffentlichkeit, darf aber nicht unterschätzt werden. So ist der Parteivorsitzende dafür zuständig, Kandidaten für offene Mandate auszuwählen, die Wahlkampfstrategie der Partei zu entwickeln sowie Wahlkampfmittel zu sammeln und zu verteilen. Dass Dean sich gegen konservative Aspiranten wie Simon Rosenberg vom New Democrats Network durchsetzen konnte, hat somit erhebliche Signalwirkung.

Denn nach Ansicht des linken Flügels gingen die Wahlen 2004 verloren, weil die Demokratische Partei keine eindeutige Alternative zur bestehenden Regierungspolitik angeboten hat. Dieser Lesart zufolge hat sich der Kandidat Kerry nicht deutlich genug auf die Seite von Minderheiten, Geringverdienenden und anderen Gruppen gestellt, die unter Bush Nachteile in Kauf zu nehmen hatten. Kerry habe ein attraktives Konzept für eine Krankenversicherung vermissen lassen, und seine Positionen zur Ehe Homosexueller, dem Recht auf Abtreibung und anderen von den Republikanern akzentuierten „value issues“ seien nicht kämpferisch genug gewesen, um die liberalen Wähler zu elektrisieren.4 Sicherheits- und außenpolitisch habe Kerry sich der rechten Tendenz zur Militarisierung angeschlossen, indem er seine eigene Kriegserfahrung und Bereitschaft zur Härte gegenüber den Gegnern Amerikas übertrieben herausgestellt habe.5 Stattdessen wäre es sinnvoller gewesen, eine unmissverständliche Ablehnung des Irak-Krieges zu formulieren und Bush ob der vermeintlich im Irak befindlichen Massenvernichtungswaffen deutlich härter anzugehen. In der Summe hätten diese Fehler und Versäumnisse entscheidend dazu beigetragen, dass die demokratische Basis Kerry nicht in ausreichendem Maße unterstützen wollte.

So argumentiert etwa Deans ehemaliger Wahlkampfmanager Joe Trippi. Er verweist auf die bemerkenswerten Erfolge Deans, dem es aufgrund seines unverwechselbar linken, oppositionellen Profils in den Vorwahlen gelang, junge Wähler erstmals an die Partei zu binden und insbesondere über eine revolutionäre Internetkampagne enorme Summen an Spendengeldern einzutreiben.6 Damit habe Dean bewiesen, welches gewaltige Wählerpotenzial die Demokraten ungenutzt ließen, weil sie sich stets zu sehr nach der politischen Mitte orientierten, anstatt ihre linke Basis zu mobilisieren und die von der Politik enttäuschten Nichtwähler wieder in den politischen Prozess zurückzuholen. Zahlreiche Analytiker bekräftigen diese Ansicht, wonach eine Mehrheit der Amerikaner entweder in den Demokraten keine echte Alternative zur republikanischen Regierung sieht oder die Politik der Demokraten unterstützen würde, wenn sie besser berücksichtigt und informiert würde.7

Diese Strategie sucht die neue Stärke der Demokratischen Partei in den Graswurzeln, in einer basisorientierten „Politik von unten“. Dazu empfehlen die Linken ihrer Partei ein stringentes politisches Profil, das in dieser Form für eine der etablierten amerikanischen Parteien geradezu revolutionär ist: massiver Ausbau des Sozialsystems, weitreichende Einsparungen im Verteidigungshaushalt und eine frontal gesuchte Auseinandersetzung mit den moralischen Werten des „Bush-Amerikas“, denen kompromisslos liberale Überzeugungen entgegengehalten werden. Gleichzeitig soll die Partei den in der Wertediskussion verlorenen Boden insbesondere unter weißen Männern – Arbeitern wie sozial Schwachen – wiedergutmachen, indem traditionelle Strukturen gepflegt werden, wie Gewerkschaften und ein die Wirtschaft stärker lenkender Staat.8 Praktisch bedeutet dies für die nächsten Monate vor allem, im Kongress Obstruktionspolitik zu betreiben und sich nicht auf Kompromisse mit den Republikanern einzulassen, um so sich als echte oppositionelle Alternative auszuweisen – entsprechend der Devise Deans: „Die Demokratische Partei kann weder Wahlen gewinnen noch dauerhaft eine Mehrheit aufbauen, wenn sie nur ihre Rhetorik ändert oder Positionen der anderen Seite übernimmt. Wir müssen sagen, was wir wollen – und wir wollen wirklich Veränderung.“9

Was die dritte Frage, die regionale Strategie anbetrifft, so betonen die Verfechter einer Graswurzelstrategie, diese müsse das ganze Land umfassen, weil sie auf eine Grunderneuerung der gegenwärtigen Demokratischen Partei und der amerikanischen politischen Landschaft abziele: „Wir haben zusammen die Gemeinschaft Amerikas aufgebaut. Wir werden niemals gewinnen, wenn wir unsere Nation als ein Nebeneinander verschiedener Regionen oder Gruppen betrachten. Es gibt weder rote noch blaue Staaten, sondern nur amerikanische Staaten. Und wir haben die Pflicht, die Menschen in all diesen Staaten als die Mitglieder einer Gemeinschaft anzusprechen.“10

Fatale Graswurzelbehandlung

Selbst wenn man die höchst optimistische Prognose teilt, dass der vorgeschlagene Ruck nach links Wähler im ganzen Land begeistern wird, so besteht aber kein Zweifel, dass solche Positionen nicht überall mehrheitsfähig sind – schon gar nicht im amerikanischen Süden, der sich in den letzten Jahrzehnten vom demokratischen „solid South“ der Zeit der Rassentrennung zur republikanischen Festung gewandelt hat. Aufgrund des amerikanischen Wahlsystems sind jedoch auf allen politischen Ebenen die einfachen Mehrheiten entscheidend. Ein leichter Anstieg der demokratischen Stimmanteile allein wird darum nicht genügen, um eine Machtverschiebung zu bewirken. Somit ist die linke Graswurzelstrategie, anders als ihre Rhetorik vorgibt, dann doch vor allem auf die demokratischen Hochburgen an West- und Ostküste sowie die wenigen hart umkämpften „swing states“ wie Pennsylvania und Ohio gerichtet.

Hier offenbart sich eine der großen Schwächen einer Strategie, wie sie Dean vorschwebt. Denn rein rechnerisch ist es zwar möglich, die Mehrheit in Kongress und präsidentiellem Wahlmännergremium zu erhalten, ohne die Stimmen des Südens zu gewinnen. Immer wieder wird diese Möglichkeit von Politikwissenschaftlern und demokratischen Beratern ins Spiel gebracht.11 Sie ist aber höchst riskant, weil sie voraussetzt, dass die Demokraten tatsächlich alle ihre angestammten Staaten und außerdem noch die jeweils anvisierten Schlüsselstaaten gewinnen – und das gegen eine republikanische Konkurrenz, die sich annähernd eines Drittels der landesweiten Stimmen sicher sein und ihre Ressourcen vollständig auf die Schlüsselstaaten konzentrieren kann. Dabei ist noch gar nicht berücksichtigt, dass alle demographischen Trends eine Stärkung des Südens bei gleichzeitiger Schwächung des Nordostens anzeigen, was sich in politisches Gewicht übersetzen wird.

Die Option, die linke demokratische Basis zu mobilisieren, krankt zudem an einer einseitigen Betrachtungsweise des Wahlverhaltens. Denn so groß die Mobilisierung auf der Linken auch sein mag – sie wird im Gegenzug eine Mobilisierung des konservativen Lagers auslösen oder zumindest erleichtern. Schon gegen vergleichsweise moderate demokratische Kandidaten wie Al Gore und John Kerry ist dieses Phänomen zu beobachten gewesen, das sich mit einem radikal alternativen Kandidaten sicher noch verstärken würde. Nicht zufällig titelte die konservative National Review während der Vorwahlen 2004 über einem Bild Howard Deans: „PLEASE nominate this man!“12

Insgesamt ist die Vision des linken Flügels offensichtlich nicht mehrheitsfähig. Sie wird sich nicht einmal in der Demokratischen Partei durchsetzen. Dessen ungeachtet erfreut sie sich aber zunehmender Popularität und Beständigkeit in Teilen der Partei und ihrer Klientel. Dabei entfaltet sie für ihre Anhänger eine große Inspirationskraft, auf die die Partei weiterhin angewiesen bleibt, wie Jesse Jackson – gewissermaßen Deans Vorgänger als inoffizieller Wortführer des linken Flügels – einmal über seine Partei gesagt hat: „It takes two wings to fly.“13 In der polarisierten politischen Atmosphäre der Bush-Präsidentschaft wird dieser linken Graswurzelvision daher ungebrochen Bedeutung zukommen, und sie wird dauerhaft Einfluss auf die Partei nehmen – und sei es nur als Hemmschuh auf dem Weg zu einer stärker an der politischen Mitte ausgerichteten Positionierung.

Clinton und die „security moms“

Für solch eine Alternative stehen die konservativen „New Democrats“, die zweite einflussreiche Gruppe innerhalb der Demokratischen Partei, die nach den verlorenen Wahlen die Debatte um die Zukunft angestoßen hat. Die New Democrats bildeten sich 1985 im Democratic Leadership Council (DLC) als Gegenbewegung zum damals zu verzeichnenden Links-trend der Partei.14 Sie hatten zum Ziel, eine moderate Demokratische Partei zu schaffen. Deren Kandidaten sollten für den amerikanischen Mainstream wählbar sein, ohne die progressive Tradition aufzugeben, die sie von den Republikanern unterschied. Damit prägten die intellektuellen Vordenker und führenden Politiker der New Democrats eine moderne Variante des gemäßigten Linksliberalismus, wie er später in Europa unter den Etiketten des „Dritten Weges“ und der „Neuen Mitte“ Erfolge feierte. Der erfolgreichste Vertreter der New Democrats war der ehemalige Vorsitzende des DLC, Bill Clinton. In seiner Politik, die sich insbesondere an die amerikanische Mittelklasse richtete, verknüpfte er die Begriffe von Freiheit und Eigenverantwortung in einer Weise, die beispielsweise eine umfassende Reform des Sozialstaats ermöglichte, ohne das grundsätzliche Bekenntnis zu einem aktiven Staat zu unterminieren.15

Zugleich standen Clinton und die New Democrats für eine robuste Militärpolitik, was sich in regelmäßigen Erhöhungen des Verteidigungsetats spiegelte. In den so genannten „value issues“ vertraten sie gemäßigte Positionen. Paradigmatisch hierfür ist Clintons Haltung zum Fall Roe v. Wade, wonach Abtreibung „legal, sicher und selten“16 sein soll. So gelang es den Demokraten in den neunziger Jahren, insbesondere die Familien der Mittelklasse für sich zu gewinnen, die zwar den moralischen Wertefragen große Bedeutung beimaßen, sich aber vom Eifer der Republikaner und ihrer radikalen Steuer- und Sozialpolitik abgeschreckt sahen. Emblematisch für diese Wählerklientel wurden die „soccer moms“, die in den Vorstädten wohnenden Hausfrauen gut verdienender Ehemänner, die die Kinder nachmittags im SUV zum Fußballtraining fahren.

Mit dem 11. September sind die „soccer moms“ zu „security moms“ geworden, und in der Analyse der New Democrats war es der große Fehler der Demokratischen Partei 2004, diese Zielgruppe durch eine Überbetonung des linken Flügels vergrätzt und damit für die Botschaften Bushs noch empfänglicher gemacht zu haben. In ihrem viel beachteten Strategiepapier „The Road Back“ erläutern Al From und Bruce Reed vom DLC die wichtigsten Faktoren, die zur Wahlniederlage geführt haben.17 Zum einen habe man sich zu sehr dem Antikriegsflügel der Partei angepasst. Michael Moore und die „Hollywood Left“ mögen vielleicht auf die Basis der Demokraten attraktiv wirken, insgesamt hätten sie jedoch eine eher abschreckende Wirkung auf die Wähler.18 Zweitens hätten die Demokraten versäumt, in der Sprache des Mittleren Westens zu sprechen – die Rhetorik von Freiheit, Eigenverantwortung und patriotischer Stärke sei die der Republikaner gewesen. Drittens habe es der Partei an Konzepten gefehlt, die Sorgen der Mittelklasse zu lösen. Insbesondere in der Wirtschaftspolitik kämen die innovativen Ideen wie „ownership society“ oder Steuerreformen seit Jahren ausschließlich aus dem konservativen Lager. Das zwinge die Demokraten in die Defensive und lasse sie als Blockierer erscheinen.

Um dieser Entwicklung in künftigen Wahlen entgegenzuwirken, geben From und Reed vor allem eine Losung aus: „Schließt die Lücken zwischen Sicherheit und Kultur.“19 Sobald die Mehrzahl der Amerikaner nicht mehr die Sorge hätte, die Demokraten würden in Fragen der nationalen Sicherheit Schwäche zeigen, und sobald die Amerikaner sich sicher wären, dass die Demokraten einem festen „amerikanischen“ Wertekodex gemäß Entscheidungen fällen, würden weite Wählerkreise aufhören, entgegen ihren ökonomischen Interessen republikanisch zu wählen. Das bedeutet zum einen eine klare Abgrenzung vom polemischen Pazifismus: „Es darf keinen Zweifel daran geben, dass Michael Moore unsere Partei weder repräsentiert noch definiert.“20

Ein liberales Projekt

Vordenker wie Peter Beinart fordern daher eine Rückbesinnung auf den kampfbereiten „Vital Center“-Liberalismus des frühen Kalten Krieges.21 Genau wie damals eine anti-antikommunistische Linke die Bedrohung durch den Sowjetkommunismus leugnete, unterschätze die gegenwärtige amerikanische Linke die Gefahr des internationalen Terrorismus. Sie gerate daher in immer größeren Widerspruch zur großen Mehrheit der Wähler, wie die gegenüber 2000 immens gestiegene Bedeutung der Außenpolitik für die Wahlentscheidung deutlich gemacht habe. Das Ziel müsse sein, Bush für seine Ineffizienz im Krieg gegen den Terror anzugreifen. Die Idee, den Terrorismus durch weltweite Demokratisierung zu bekämpfen, findet dagegen als im Grunde liberales Projekt Zustimmung. Will Marshall vom DLC unterscheidet in diesem Zusammenhang plakativ zwischen den linken Pazifisten, den Dean-Demokraten, und den „tough-minded liberals“, den Joe-Biden-Demokraten.22

Zum anderen müsse deutlich gemacht werden, dass moralische Werte nicht auf die polarisierenden Themen wie Rechte Homosexueller, Abtreibung und Schulgebete beschränkt sind. Patriotismus, Eigenverantwortung, Gerechtigkeit, Chancengleichheit und andere Werte seien mindestens ebenso sehr Fundament der Demokraten wie der Republikaner; sie ließen sich im Übrigen auch im Rückgriff auf den christlichen Glauben begründen und engagiert vertreten. Die Auseinandersetzung müsse auch auf diesen Feldern gesucht werden, sie dürften dem politischen Gegner nicht kampflos überlassen werden.23 Für die praktische Politik bedeutet das zugleich, in den nächsten Monaten die überparteiliche Kooperation im Kongress zu suchen. Denn nur so lasse sich vor dem Wähler rechtfertigen, in einzelnen zentralen Fragen wie etwa der Ernennung eines neuen Richters für den Obersten Gerichtshof massiv zu opponieren.

Diese Strategie der New Democrats steht einer „Forget the South“-Kampagne diametral entgegen. Sie richtet sich viel stärker an das gesamte Land als die basisorientierte Vorgehensweise des linken Flügels. Somit ist sie auch viel stärker darauf angelegt, die Position der Demokraten im Kongress zu stärken – schon jetzt hat sich eine Gruppe einflussreicher demokratischer Senatoren unter dem Namen „Third Way“ zusammengeschlossen, um zentristische Ideen zu stärken.24 Die „Herzland-Strategie“ des DLC identifiziert jeweils drei Staaten in tendenziell republikanischen Regionen, in denen Bushs Vorsprung unter zehn Prozent lag und in denen gemäßigte Demokraten eine Trendwende anstreben: Florida, Arkansas und Virginia im Süden, Ohio, Iowa und Missouri im Mittleren Westen und New Mexico, Nevada und Colorado im Rocky-Mountains-Westen.25 Zusammen verfügen diese Staaten über 103 Stimmen im Wahlmännergremium – sollte der nächste demokratische Präsidentschaftskandidat die Bastionen an Ost- und Westküste halten können, würden schon ungefähr 20 Prozent der Wahlmännerstimmen dieser neun Staaten zum Einzug ins Weiße Haus genügen. Dieses Ziel im Blick, sollten die Demokraten ihre Ressourcen und ihre rhetorische und inhaltliche Positionierung auf die Gegebenheiten in diesen Schlüsselstaaten fokussieren.

Den Kritikern auf der Linken erscheinen all diese Vorschläge als dubios und als verkappte „Republikanisierung“ der Demokratischen Partei – als eine „losing proposition“,26 denn da wählten die Leute lieber gleich das Original, wenn sie nicht den Urnen fernbleiben. In der Tat ist es ein schwieriger Balanceakt für die Demokraten, sich einerseits unbefangen der religiösen Rhetorik zu bedienen und konservative, familienorientierte Werte zu betonen, aber andererseits dem Kulturkonservatismus eine schlüssige Politik entgegenzusetzen. Dazu brauchte es schon ein politisches Talent vom Schlage Bill Clintons, der in der Lage war, den Republikanern ihre Themen abspenstig zu machen, ohne deren Lösungen – oder die des eigenen linken Flügels – zu übernehmen. „Triangulation“ nannte man das damals, und es half Clinton, sich nicht nur die eigenen „Old Democrats“ vom Hals zu halten, sondern auch die zahlreichen Friktionen innerhalb des republikanischen Lagers bloßzulegen und dadurch auszuschlachten. In den Forderungen, die Stammzellforschung weniger einzuschränken oder das Recht auf Abtreibung im Kern nicht anzutasten, sind auch gegenwärtig noch sehr unscharfe Konturen eines solchen demokratischen Konzepts erkennbar.

Dennoch bleibt das von Andrei Cherny, einem ehemaligen Reden-schreiber John Kerrys, formulierte Hauptproblem ungelöst: „Was wir nicht haben, aber dringend brauchen, ist eine Weltanschauung, die wirklich etwas darüber aussagt, wohin sich Amerika gerade bewegt und wohin wir es bringen wollen.“27 Doch dieses geforderte konkrete Angebot einer klaren und umfassenden politischen Alternative besteht derzeit jedenfalls nicht. Jenseits des strategischen Schattenboxens zwischen den verschiedenen Flügeln der Demokratischen Partei ist der Aufbruch weder personell noch inhaltlich in Sicht.

1 Zu einer ausführlichen und illustrierten Übersicht der Wahlergebnisse vgl. http://edition.cnn.com/ELECTION/2004/pages/results/. Letzter Zugriff auf diese Internetquelle (wie auch alle nachfolgenden) am 8. April 2005.

2 Carville zitiert nach Joshua Muravchik: Why the Democrats Keep Losing, Commentary, Januar 2005, S. 21–32, hier S. 22. Muravchik ergänzt Carvilles Aufzählung richtigerweise um die Tatsache, dass die Medien mit großer Mehrheit den Kandidaten Kerry unterstützten.

3 Vgl. Howard Dean: I’m Running, 11.01.2005, www.democracyforamerica.com/features/2005/01/11/im_running.php.

4 Vgl. Paul Krugman: No Surrender, New York Times, 5.11.2004.

5 Gemeint sind beispielsweise Kerrys martialische Töne aus den Fernsehdebatten zum Umgang mit Terroristen („I will hunt down and kill the terrorists, wherever they are.“, www.debates.org/pages/trans2004a.html) oder sein ständiges Verweisen auf seinen militärischen Hintergrund wie beim Parteitag der Demokraten („I’m reporting for duty.“, www.usatoday.com/news/politicselections/nation/president/2004-07-29-ker…).

6 Vgl. Joe Trippi: The Grassroots Can Save Democrats, Wall Street Journal, 30.11.2004.

7 Bob Herbert: Voting Without the Facts, New York Times, 8.11.2004.

8 Mike Davis: Stahl statt Aspirin, Die Zeit, 11.11.2004. 9 Dean (Anm. 3).

10 Ebd.

11 Vgl. z.B. Thomas F. Schaller: A Route for 2004 That Doesn’t Go Through Dixie, Washington Post, 16.11.2003; Ryan Lizza: Forget the South, New York Times Magazine, 14.12.2003.

12 National Review, 8.12.2003.

13 www.americanrhetoric.com/speeches/jessejackson1988dnc.htm.

14 Die beste Darstellung der Entwicklung, Inhalte und Ziele der New Democrats liefert Kenneth S. Baer: Reinventing Democrats. The Politics of Liberalism from Reagan to Clinton, Lawrence 2000.

15 Vgl. R. Kent Weaver: Ending Welfare as We Know It, Washington 2000.

16 Bill Clinton: My Life, New York 2004, S. 229.

17 Al From und Bruce Reed: The Road Back. If Democrats want to be a majority party again, they need to win back the middle class, Blueprint Magazine, 13.12.2004, www.ndol.org/ndol_ci.cfm?kaid=127&subid=173&contentid=253054.

18 Dass Kerry trotz seines ausgestellten Patriotismus und seiner Kriegsvergangenheit bei vielen Wählern den (negativen) Eindruck eines „unreconstructed liberal“ hervorrief, macht Joshua Muravchik deutlich (Anm. 2), S. 30.

19 From und Reed (Anm. 17).

20 Ebd.

21 Peter Beinart: A Fighting Faith. An Argument for a New Liberalism, The New Republic, 13.12.2004; Vgl. Arthur M. Schlesinger: The Vital Center. The Politics of Freedom, Boston 1949. 22 Will Marshall: Heartland Strategy, Blueprint Magazine, 13.12.2004, www.ndol.org/ndol_ci.cfm?kaid=127&subid=171&contentid=253055; Senator Joseph Biden ist das höchstrangige Mitglied der Demokraten im Auswärtigen Ausschuss.

23 Vgl. Nicholas D. Kristof: Time to Get Religion, New York Times, 6.12.2004.

24 Vgl. www.third-way.com.

25 Vgl. Marshall (Anm. 22).

26 Krugman (Anm. 4).

27 Cherny zitiert nach Muravchik (Anm. 2), S. 31.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, Juni 2005, S. 106 - 113.

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