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28. Febr. 2014

Mexiko von A bis Z

Aztekischer Tiger

In der internationalen Wirtschaftspresse und unter Investoren steht Mexiko hoch im Kurs. So hoch, dass die angesehene Financial Times dem Schwellenland in Anlehnung an die „asiatischen Tiger“ den Spitznamen „aztekischer Tiger“ verlieh. Unter Verweis auf Industriehochburgen wie das „mexikanische Silicon Valley“ Guadalajara lobte New-York-Times-Kolumnist Thomas Friedman Mexiko im Februar 2013 als das Land, das statt China oder Indien „im 21. Jahrhundert wirtschaftlich den Ton angeben“ werde. Im Global Competitiveness Report 2013/2014 schnitt Mexiko besser ab als Brasilien und Indien. Und Anfang 2013 erwog die Ratingagentur Standard & Poor’s sogar, ob man die Bewertung mexikanischer Staatsanleihen („BBB“) nicht nach oben korrigieren müsse.

Tatsächlich spricht vieles für Mexiko als Investitionsstandort: vor allem der Kostenfaktor und die räumliche Nähe zu den Vereinigten Staaten. Im Manufacturing Outsourcing Cost Index des Beratungsunternehmens Alix Partners (2011) rangierte Mexiko deutlich vor China, Indien und Vietnam als günstigster Standort für die Belieferung des US-Marktes. Hinzu kommt eine mittlerweile auf 30 bis 40 Millionen Menschen geschätzte Mittelschicht, deren Kaufkraft stetig wächst. Vor dem Hintergrund von zwölf Freihandelsabkommen mit 44 Ländern legte der internationale Handel zuletzt deutlich zu – aber auch ­finanzielle Engagements und die Direktinvestitionen in Mexiko.

Mexikanische Aktien und Anleihen sind neuerdings gefragt: Allein in den ersten neun Monaten 2012 kauften ausländische Investoren laut Financial Times Papiere im Wert von rund 57 Milliarden Dollar. Gingen die ausländischen Direktinvestitionen nach den stärkeren Jahren 2010 und 2011 (22,6 und 23,6 Milliarden Dollar) 2012 zwar auf 15,5 Milliarden Dollar zurück, ist für 2013 vermutlich ein neuer Rekordwert zu verbuchen. Nach Angaben des mexikanischen Wirtschaftsministeriums beliefen sich die Investitionen zwischen Januar und September 2013 auf 28,2 Milliarden Dollar und überboten damit sogar deutlich den bisherigen Höchstwert von 2007 (31,5 Milliarden Dollar). Dabei fiel das Großgeschäft des in Belgien ansässigen globalen Getränkegiganten Anheuser-Busch InBev stark ins Gewicht, der im Mai 2013 die Grupo Modelo (u.a. Corona) für etwa 15 Milliarden Dollar übernahm.

Mexikos Fertigungsindustrie ist insgesamt größter Nutznießer: Zwischen 1999 und 2012 flossen 43,9 Prozent der Investitionen in diesen Sektor, gefolgt von Finanzdienstleistungen (19,1 Prozent), Handel (9,5) und Kommunikation (4,9). Die Hälfte stammt aus den USA, gefolgt von den Niederlanden (13,9 Prozent), Spanien (13,6), Kanada (4,6) und Großbritannien (2,5). Deutschland liegt mit 2,1 Prozent auf Rang 7.

Vor allem die Luft- und Raumfahrt- sowie die Automobilbranche sind schon lange wichtige Investitionsmagneten. Weltweit zieht Mexiko die meisten ausländischen Direktinvestitionen im Fertigungsbereich der Luft- und Raumfahrt­industrie an; von 1990 bis 2009 beliefen sie sich auf insgesamt 33 Milliarden Dollar. Das Absatzvolumen der Luft- und Raumfahrtindustrie lag 2012 bei 3,8 Milliarden Euro und soll bis 2015 auf 5,6 Milliarden Euro steigen, berichtete El Economista im September 2013. Schon seit 2004 wächst der mexikanische Luft- und Raumfahrtsektor jährlich um durchschnittlich 20 Prozent. Die meisten der mittlerweile 270 vor Ort tätigen Unternehmen sind in den Bundesstaaten Baja California, Sonora, Querétaro, Nuevo León und Chihuahua angesiedelt. Geringere Produktionskosten und gut qualifizierte Arbeitskräfte versprechen auch weiterhin Wachstum.

Auch Mexikos Automobilindustrie boomt: 2011 liefen 2,6 Millionen und 2012 2,9 Millionen Personenkraftwagen vom Band. Nach Angaben von German Trade and Invest kündigt sich für 2013 ein weiterer Produktionsrekord an. Das liegt unter anderem an den Kosten für Pkw-Exporte: Sie sind geringer als in den Wettbewerbsländern China und Indien. Neben den niedrigen Kosten bietet die Anbindung des mexikanischen Pesos an den amerikanischen Dollar zudem Währungsstabilität – ein wichtiger Grund, warum Unternehmen wie VW, Audi, General Motors, Toyota, Honda, Nissan und Mazda dort expandieren wollen. Noch stärker als der Export wuchs aber zuletzt mit 8 Prozent der Inlandsabsatz von PKW, was auch neuen Bemühungen der Regierung geschuldet war, Gebrauchtwageneinfuhren zu regulieren. So konnten im ersten Halbjahr 2013 bereits 8,6 Prozent mehr Autos als im Vorjahr verkauft werden.

Zu den Autobauern, die auf Mexiko als Zukunftsmarkt und Produktions­standort setzen, gehört auch Audi: Mitte 2013 begannen die Bauarbeiten für ein neues Werk in San José Chiapa, wo ab 2016 bis zu 150 000 SUVs der Marke Q5 vom Band laufen sollen. Insgesamt wird die Zahl deutscher Unternehmen, die in Mexiko aktiv sind, auf 1000 geschätzt; sie sind vor allem in den Sparten Automobil- und Zulieferindustrie, Pharma und Chemie engagiert.

Offiziellen Statistiken zum Trotz dürfte Deutschland hinter den Vereinigten Staaten zweitwichtigster Investor in Mexiko sein (viele Geschäfte werden über die Niederlande oder ausländische Tochterunternehmen abgewickelt). Nach Schätzungen der Deutsch-Mexikanischen Industrie- und Handelskammer (CAMEXA) beläuft sich der Investitionsbestand aus Deutschland insgesamt auf 25 Milliarden Dollar. Die deutschen Firmen beschäftigen mehr als 120 000 Mitarbeiter in Mexiko. Cluster mit starker deutscher Prägung haben sich in der Kfz-Produktion in Puebla und Querétaro sowie im Chemiesektor in Toluca gebildet.

Der Optimismus der Investoren wird allerdings nicht überall geteilt. In der Bevölkerung zumindest ist die Zukunftseuphorie noch nicht angekommen. 46 Prozent der Befragten einer Umfrage von Anfang 2012 beurteilten die wirtschaftliche Entwicklung positiv; 2006, beim Regierungsantritt Caldérons, waren es noch 56 Prozent. Auch mit dem Spitznamen der Financial Times haderten manche. Tiger, wandte Sergio Saramiento, Kolumnist der mexikanischen Tageszeitung Reforma, ein, gäbe es in Mexiko ja gar nicht.

Bildung
Frauen
Gewerkschaften
Infrastruktur
Innovationsfähigkeit
Klima und Umwelt
Maquiladoras
Medien und Internet
Mexiko-Stadt
Migration
Tourismus
 

Bildung

Eine schnell wachsende, vergleichsweise junge Bevölkerung (das Durchschnittsalter liegt bei 27 Jahren) und verkrustete Strukturen erfordern eine grundlegende Reform des mexikanischen Bildungssystems. Diese ist auch ein wesentlicher Bestandteil des „Pakts für Mexiko“ – der umfassenden Reformvorhaben von Staatspräsident Enrique Peña Nieto. Nennenswerte Erfolge sind allerdings noch nicht vorzuweisen.

Dabei erlebt das Land so etwas wie einen Bildungsboom. Unter den OECD-Ländern verzeichnet Mexiko das größte jährliche Wachstum an Absolventen der Sekundarstufen. Waren es im Jahr 2000 noch 33 Prozent, die einen mit der „Mittleren Reife“ vergleichbaren Abschluss anstrebten, geht man heute davon aus, dass unter den jungen Mexikanern fast die Hälfte einen solchen Abschluss erzielt. Laut OECD-Bericht „Education at a Glance“ (2013) hat sich binnen einer Generation die Anzahl der Schulabschlüsse insgesamt verdoppelt. Auch die Zahl der Studierenden wächst: 2011 lag die Quote der Schüler eines Jahrgangs, die einen Hochschulabschluss erreichten, bei 21 Prozent; 2005 waren es nur 17 Prozent. Damit liegt Mexiko allerdings weiter hinter regionalen Konkurrenten wie Chile (24 Prozent) und weit unterhalb des OECD-Durchschnitts (39 Prozent).

Der OECD-Bericht zeigt aber auch die Missstände auf. In Bildungstests erfüllt zum Beispiel nur die Hälfte der mexikanischen Jugendlichen die Grund­voraussetzungen in Mathematik; ungleich ärmere Länder wie Aserbaidschan oder Thailand erreichen bessere Werte. Die Alphabetisierungsrate beträgt 93,5 Prozent, bei indigenen Volksgruppen liegt sie mit 73 Prozent allerdings deutlich niedriger. Im jüngsten Pisa-Test (2012) wiesen die Ergebnisse von Mexikos Schülerinnen und Schülern nur minimale Verbesserungen gegenüber den Werten von 2009 auf: Das Niveau in Sachen Mathematik (413, plus drei Punkte), Lesekompetenz (424, plus einen Punkt) und Naturwissenschaften (415, plus einen Punkt) blieb praktisch unverändert.

Besorgniserregend ist aber auch der Anteil der „ni estudian, ni trabajan“: Nach Angaben der Regierung besuchen 12 Prozent der 15- bis 24-Jährigen weder eine Schule oder Universität noch haben sie einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz. Zudem stecken viele junge Menschen in Niedriglohnarbeit fest oder rutschen sogar in die Illegalität ab. Als Gegenmaßnahme versucht die Regierung, sie mithilfe von Arbeitsprogrammen und Stipendien von den Drogenkartellen fernzuhalten. Dies scheint erste Früchte zu tragen; zumindest konstatierte der jüngste Pisa-Bericht Verbesserungen in Sachen Chancengleichheit.

Zwar ist die Zahl der Universitätsabsolventen noch vergleichsweise gering, viele der großen Universitäten – die Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM) mit über 330 000 Studierenden, die zu den besten zehn Universitäten Lateinamerikas gezählt wird, die Universidad de Guadalajara (209 400 Studierende) und das Instituto Politécnico Nacional (149 400), das Colegio de México sowie die privaten Universitäten Tecnológico de Monterrey, Universidad Iberoamericana und die Universidad de Valle de México – genießen einen guten Ruf und können den Bedarf an Hochqualifizierten in expandierenden Sektoren wie Luft- und Raumfahrtindustrie sowie Automobilindustrie allmählich decken. „Mexiko ist heute das Land der gut ausgebildeten Arbeitskräfte“, konstatierte Bloomberg Businessweek im September 2013 überschwenglich.

Größtes Hindernis für Reformen ist das verkrustete Schulsystem. Höhere Ausgaben allein haben in der Vergangenheit wenig bewirkt: Mexiko gibt bereits vergleichsweise viel für sein Bildungssystem aus, wobei der größte Teil in Lehrergehälter fließt. Das liegt vor allem an der mächtigen Lehrergewerkschaft SNTE (Sindicato Nacional de Trabajadores de la Educación) – die größte in Lateinamerika (siehe auch den Eintrag „Gewerkschaften“). Seit 1988 wurde die SNTE von Elba Esther Gordillo geführt, die sich gerne „La Maestra“, „die Lehrerin“, nennen lässt. Schon eine 2008 von Peña Nietos Vorgänger Calderón verabschiedete Bildungsreform, die unter anderem Befähigungsüberprüfungen von Lehrern vorsah, wurde auf Druck der Gewerkschaft völlig entschärft. Auf die Reformvorhaben Peña Nietos, die unter anderem eine stärkere Kontrolle von Schulen und Lehrern vorsehen, reagierte die Gewerkschaft mit militanten Streiks und Demonstrationen, und wendete sich damit auch gegen ein Ende von Unsitten wie die, dass gut bezahlte und damit begehrte Lehrerposten weiterhin schlicht vererbt oder an „Bewerber“ verkauft oder versteigert werden können, die über keinerlei Qualifikationen verfügen.

Allerdings scheint es die Regierung ernst zu meinen: Im Februar 2013, einen Tag nach der Vorstellung der Reformen, wurde Gordillo wegen des Verdachts der Untreue in Millionenhöhe verhaftet.

Frauen

Die Situation mexikanischer Frauen verbessert sich stetig, doch sind sie gerade im wirtschaftlichen Bereich von einer Gleichberechtigung noch weit entfernt. Im Gender Gap Report (2013) nimmt Mexiko mit einem Wert von 0,6977 (auf einer Skala von 0 bis 1) Platz 64 (von 136) der Weltrangliste ein; im direkten Vergleich steht es damit um die Gleichberechtigung von Frauen schlechter als in 15 anderen lateinamerikanischen Staaten.

Immerhin konnte sich Mexiko gegenüber dem Vorjahr um 16 Plätze verbessern. Das liegt vor allem an der stärkeren Beteiligung von Frauen am politischen Prozess: Erst seit 1952 haben mexikanische Frauen das Wahlrecht, in der Politik spielten sie lange kaum eine Rolle. Seit 1995 gibt es aber Quotenricht­linien für Parteien, und mittlerweile müssen 40 Prozent der für den Senat vorgeschlagenen Kandidaten Frauen sein. Im Zuge der Wahlen von 2013 stieg der weibliche Anteil unter Parlamentariern von 26 auf 37 Prozent. Im Oktober 2013 nahm Peña Nieto als erster Präsident des Landes die Gleichstellung von Männern und Frauen in den nationalen Entwicklungsplan auf, was auf weitere Reformen hoffen lässt.

Geht es um Teilhabe am Wirtschaftsleben, bestehen allerdings noch immense Defizite: In dieser Kategorie liegt Mexiko auf Rang 111 (von 136). Die Ungleichbehandlung zeigt sich unter anderem bei der Bezahlung: Frauen haben im Durchschnitt ein Jahreseinkommen von ungefähr 10 000 Dollar, Männer verdienen hingegen mehr als das Doppelte. Dass die Arbeitslosenquote für Frauen mit 4,9 Prozent (2012) nur geringfügig über der von Männern liegt, ist allerdings irreführend: Laut OECD werden lediglich 47,8 Prozent der Frauen im Alter von 15 bis 64 Jahren als erwerbsfähig eingestuft, deutlich weniger als Männer (78,9 Prozent).

Veränderungen lassen sich aber beispielsweise an der gesunkenen Geburtenrate ablesen: Bekam eine Mexikanerin 1960 noch durchschnittlich 6,8 Kinder, sind es heute nur noch 2,2. Damit hat sich das Land der Entwicklung bei seinen nördlichen Nachbarn angenähert. Prognosen zufolge wird die Geburtenrate schon bald unter der derzeitigen Rate der USA (1,9) liegen. Nur das Durchschnittsalter bei der ersten Geburt hat sich nicht merklich geändert: Mit 21,3 Jahren (2009) sind Mexikos Mütter im OECD-Vergleich die mit Abstand jüngsten – entgegen des weltweiten Trends, nach dem die meisten Frauen immer später Mütter werden.

Schockierend ist weiterhin das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen. Laut eines Berichts des Nationalen Instituts für Statistik (INEGI) werden 67 Prozent der Frauen im Alter über 15 Jahren Opfer von Gewalt (2011), die in über der Hälfte aller Fälle vom Partner ausgeht. Darüber hinaus ist die Zahl so genannter „Feminizide“ – Morde, bei denen das Tatmotiv in erster Linie bei der grundsätzlichen Geringschätzung von Frauen zu finden ist – stark gestiegen. Im Norden des Landes, der Hochburg des organisierten Verbrechens, wird mittlerweile alle 20 Stunden eine Frau ermordet. Diskriminierung von und Gewalt gegen Frauen sind in der Gesellschaft verankert: Fast ein Viertel der befragten Männer sehen die Ursache von Vergewaltigungen im provokativen Verhalten der Opfer; 40 Prozent sind der Ansicht, Frauen sollten einer ihrem Geschlecht angemessenen Arbeit nachgehen.

Gewerkschaften

Mexikos Gewerkschaftskultur ist traditionell stark fragmentiert. Heute existieren weit über 1000 verschiedene Gewerkschaften, die wiederum in mehreren Dachverbänden organisiert sind. Die größten offiziellen Dachverbände sind die „Confederación de Trabajadores de México“ (CTM) und die „Confederación Revolucionaria de Obreros y Campesinos“ (CROC, Revolutionäre Vereinigung der Arbeiter und Bauern). Beide Gewerkschaftsverbände sind außerdem Mitglieder im „Congreso del Trabajo“ (CT), der alle ehemals staatsnahen Gewerkschaften umfasst; die stehen damit der Regierungspartei PRI so nahe, dass sie schwerlich als selbstständige Institutionen bezeichnet werden können.

Neben der Gewerkschaft der Ölarbeiter ist die Lehrergewerkschaft („Sindicato Nacional de Trabajadores de la Educación“, SNTE) eine der wichtigsten und mächtigsten Gewerkschaften Mexikos und mit über 1,5 Millionen Mitgliedern gleichzeitig die zahlenmäßig größte Gewerkschaft Lateinamerikas. Ihre langjährige Vorsitzende Elba Esther Gordillo war wichtige Mehrheitsbeschafferin von Calderón und Gegenspielerin von Peña Nieto. Wie auch in anderen Gewerkschaften griffen in der SNTE Korruption und Missmanagement um sich: Im Februar 2013 wurde Gordillo nach der Landung ihres Privatjets auf einem mexikanischen Flughafen verhaftet. Die Staatsanwaltschaft wirft der Besitzerin mehrerer Villen vor, insgesamt zwei Milliarden Pesos (circa 119 Millionen Euro) veruntreut zu haben (siehe auch den Eintrag „Bildung“).

Unabhängige Gewerkschaften sind dagegen zahlenmäßig in der Minderheit: Weniger als ein Fünftel der Gewerkschaften sind keinem der offiziellen Dachverbände zugeordnet. In diesen Verbänden, deren größter Dachverband die „Union Nacional de Trabajadores“ (UNT) ist, sind rund ein Drittel der mexikanischen Gewerkschaftsmitglieder vertreten. Die UNT wird allerdings weder im offiziellen Register des Arbeits- und Sozialministeriums noch beim CT geführt und hat dadurch nur einen begrenzten Einfluss auf die Politik. Insgesamt ist der Organisationsgrad eher gering: Nur 13 Prozent der Beschäftigten engagieren sich in einer Gewerkschaft, womit die Rate deutlich unter dem OECD-Durchschnitt von 17,5 Prozent liegt.

Unabhängigen Gewerkschaftsmitgliedern werden regelmäßig Steine in den Weg gelegt. Zwar sind im Gesetz sowohl das Recht, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren, als auch das Streikrecht verankert. Faktisch aber verhindert die Regierung die Bildung neuer, unabhängiger Arbeitnehmervertretungen; Initiativen werden oft bürokratisch erstickt. Stattdessen arbeiten der staatlich geförderte CTM, aber auch andere, der CT-zugehörige Gewerkschaften und Verbände regelmäßig mit großen Unternehmen zusammen, vor allem an der Grenze zu den USA – nicht, um bessere Arbeitsbedingungen für die Mitglieder zu erreichen, sondern um die Entstehung von unabhängigen Gewerkschaften zu erschweren. 80 Prozent der Verträge zwischen Unternehmen, in denen nur jeweils eine Arbeitnehmervertretung aktiv sein darf, und Gewerkschaften sind so genannte „Contratos de Protección“ – Schutzverträge, die unabhängige Gewerkschaftsarbeit verhindern sollen und die ohne Wissen oder Mitsprache der Belegschaft geschlossen werden. Verbreitet ist auch die Praxis, mithilfe der Großgewerkschaften „Scheinvertretungen“ zu bilden, deren behördliche Registrierungen dann Eigeninitiativen der Belegschaft einen bürokratischen Riegel vorschieben.

Prominente Vertreter der parteinahen Gewerkschaften sind oft in Personalunion Funktionäre der regierenden PRI oder sogar Regierungsmitglieder. Umgekehrt greift die Regierung regelmäßig in interne Angelegenheiten der Gewerkschaften ein, beispielsweise bei der Nominierung von Gewerkschaftsführern. So wurde Napoleón Gómez Urrutia, Präsident des „Sindicato Nacional de Trabajadores Mineros, Metalúrgicos y Similares de la República Mexicana“ (SNTMMSRM), 2006 vom Arbeits- und Sozialministerium abgesetzt. Als Grund wurden Korruptionsvorwürfe genannt, doch lag der Verdacht nahe, dass die Regierung mit Gómez Urrutia, der viele Missstände in der Arbeitspolitik anprangerte, einfach einen unbequemen Gewerkschaftler loswerden wollte.

Die Anzahl von landesweiten Streiks hat sich seit 1990 kontinuierlich verringert – waren es jährlich über 100 angemeldete Streiks (1990 waren es gar 150), sank deren Anzahl drastisch auf nur noch 18 Streiks im Jahr 2013. Die Regierung erklärt dies mit einer generellen Zufriedenheit mit den geltenden Arbeitsgesetzen. Kritiker wollen darin eine zu restriktive Politik gegenüber der Arbeitnehmerschaft sehen. Im letzten großen Streik, der international Aufmerksamkeit erregte, protestierte die SNTE im August 2013 militant gegen die Bildungsreform. In mehreren Bundesstaaten fiel der Unterricht längere Zeit aus, Mexiko-Stadt war zeitweilig lahm gelegt.

Der größte Erfolg der mexikanischen Gewerkschaftsbewegung liegt weit zurück: Am 18. März 1938 verkündete der damalige Präsident Lázaro Cárdenas nach langen Verhandlungen mit der Ölarbeitergewerkschaft die Verstaatlichung aller ausländischen Ölfirmen. In der Folge wurden das staatliche Öl­unternehmen Pemex gegründet und der 18. März zum nationalen Feiertag („Aniversario de la expropiación petrolera“) erklärt. Seit 2013 aber scheint auch dieser Erfolg zu verblassen: Mit der Entscheidung der Regierung, Pemex für private Investitionen zu öffnen, soll der Gigant endlich wieder wettbewerbsfähig gemacht werden. Die Verstaatlichung wird damit praktisch rückgängig gemacht.

Infrastruktur

Mexikos Straßen und Autobahnen sind die Hauptverkehrsadern des Landes, Busse das beliebteste und meistgenutzte Verkehrsmittel. Das Streckennetz ist weit verzweigt und leistungsfähig. Außerdem sind Fahrten mit dem Bus vergleichsweise preisgünstig, wenn die Busfirmen auch nicht für übermäßige Pünktlichkeit berühmt sind. Die großen Überlandstrecken werden überwiegend von zahlreichen privaten Busgesellschaften bedient, die aber oft wenige Zwischenstopps einlegen, weshalb abgeschiedene ländliche Gegenden oft schlecht an das Gesamtnetz angebunden sind. Alternativ dazu nutzen viele in den Städten lebende Menschen das Straßenbahnnetz. Die elf Linien der Straßenbahn mit ihren 175 Stationen in Mexiko-Stadt befördern etwa fünf Millionen Passagiere pro Tag.

Das Bahnschienennetz wird dagegen hauptsächlich für den Güterverkehr genutzt; allerdings bestehen gute Verbindungen für Personenzüge zwischen den großen Städten im Land sowie auch zu den Großstädten in den USA. Im Zuge der Privatisierung der Eisenbahn 1997 wurden aber das Schienennetz landesweit reduziert und unrentable Strecken stillgelegt.

Das Straßennetz ist insbesondere im Zentrum des Landes relativ dicht, nach Süden und Norden ist es aber schwächer ausgebaut. Bei den Autobahnen und Überlandstraßen wird zwischen mautpflichtigen, so genannten „Cuotas“, die von privaten Investoren zusammen mit dem Staat gebaut werden, und gebührenfreien Straßen, den „Libres“, unterschieden. Letztere sind oft in schlechtem Zustand und überlastet. Insgesamt besitzt Mexiko 377 660 Kilometer an Straßen, wovon 240 116 Kilometer (Stand 2012) nicht asphaltiert sind.

Im Bereich des Luftverkehrs rangiert Mexiko mit seinen 1714 Flughäfen (Stand 2013) auf Platz drei hinter den USA und Brasilien. Der größte Flughafen in Mexiko-Stadt ist staatlich, fast alle anderen befinden sich in privater Hand. Des Weiteren gibt es circa 2900 Kilometer Binnenwasserstraßen und zahlreiche Seehäfen, unter denen der bedeutendste der Hafen von Veracruz ist. In dessen Umgebung liegt das traditionelle Produktionszentrum der mexikanischen Nahrungsmittelindustrie und der weiterverarbeitenden Metallindustrie.

Da die Infrastruktur in vielen Teilen des Landes noch ausbau- und verbesserungsfähig ist, hat die Regierung ein umfassendes Infrastrukturprogramm er­arbeitet. Beim „Programa de Inversiones en Infraestructura de Transporte y Comunicaciones 2013–2018“ liegt der Fokus auf dem Ausbau der öffentlichen Nahverkehrssysteme. So soll in den nächsten fünf Jahren der Verkehr in 42 von 50 Großstädten effizienter und nachhaltiger organisiert werden. Dabei setzt die Regierung besonders auf Systeme mit für Busse reservierten Fahrspuren. Diese sind kostengünstiger als der Bau von U-Bahnen und lassen sich schneller umsetzen. In Acapulco, Ciudad Juárez und Pachuca hat der Ausbau bereits begonnen.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt beim Ausbau der Häfen und der Instandhaltung der mautfreien Straßen. Das Ministerium für Transport und Kommunikation rechnet darüber hinaus mit dem Neubau von 15 Autobahnen (von über 5000 Kilometer Länge), 29 Straßen und sieben Häfen. Ein zentrales Projekt ist die „Autobahn des 21. Jahrhunderts“ („Autopista Siglo XXI“), die Acapulco und Mexiko-Stadt verbinden soll. Unter Umgehung der Hauptstadt entstünde so eine Schnellstraße zwischen Pazifik- und Golf-Küste. Für den Bau der dafür geplanten 61 Kilometer sind Investitionen von 137 Millionen Euro erforderlich. Das Gesamtvolumen des Programms beläuft sich derzeit auf 1,3 Billionen mexikanische Peso, umgerechnet etwa 73 Milliarden Euro). Davon entfallen etwa 33 Milliarden Euro auf die Transportinfrastruktur.

Will Mexiko seinen jüngst gewonnenen Kostenvorteil in vielen Produktkategorien gegenüber China auf dem US-Markt nutzen, ist ein weiterer Ausbau der Infrastruktur unumgänglich. In Vergleichsstudien von Weltbank und Weltwirtschaftsforum zu Qualität und Wettbewerbsfähigkeit der Infrastruktur bewegt sich Mexiko im internationalen Mittelfeld, weit hinter Konkurrenten wie Japan oder Südkorea, die eine deutlich besser entwickelte Infrastruktur aufweisen.

Innovationsfähigkeit

„Innovationen sollen zum Dreh- und Angelpunkt der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft werden“, erklärte Mexikos Präsident Peña Nieto beim Iberoamerika-Gipfel 2013 in Panama zur Zukunft von Lateinamerikas Volkswirtschaften. Doch von dieser Vision ist Mexiko noch weit entfernt. Im Global Innovation Index der Weltorganisation für geistiges Eigentum belegt Mexiko mit Rang 63 von 142 nur einen der mittleren Plätze (zum Vergleich: Deutschland befindet sich auf Rang 15, Brasilien hingegen einen Platz hinter Mexiko auf Rang 64) – und stagniert damit praktisch, seit das Ranking 2008 erstmals erstellt wurde. Defizite bestehen vor allem in den Bereichen „Humankapital und Forschung“ sowie „Wissens- und Technologieproduktion“. Eine besondere Schwäche liegt in der geringen Beschäftigung in wissensintensiven Bereichen, die mit einem Anteil von 12 Prozent an der Gesamtbeschäftigung vergleichsweise niedrig liegt. Darin spiegelt sich die geringe internationale Finanzierung von Forschung und Entwicklung in Mexiko wider, wo zudem die Entwicklung von moderner Computertechnologie und -software keine nennenswerte Rolle spielt.

Dabei hat Mexiko mit traditionellen Stärken bei Naturwissenschaften und dem Ingenieurswesen durchaus vielversprechende Ausgangsbedingungen. Mexikos Universitäten schneiden im Vergleich sehr gut ab – zwei von ihnen befinden sich unter den zehn besten Universitäten Lateinamerikas. Ein Viertel der Studierenden in Mexiko sind in naturwissenschaftlichen oder Ingenieursstudiengängen eingeschrieben; in diesen Bereichen findet auch der Großteil der heimischen Forschung und Entwicklung statt. Zudem ist eine Reihe von Hightech-Unternehmen im Land ansässig, zum Beispiel der Raum- und Luftfahrtindustrie wie der kanadische Flugzeughersteller Bombardier oder Automobilhersteller wie Volkswagen.

Die Kluft zwischen ausländischen und heimischen Innovationen wird besonders bei Patenten sichtbar. Von den 15 300 Patenten, die 2012 angemeldet wurden, stammten 14 000 von ausländischen Firmen oder Forschern. Die Mehrheit der ausländischen Patentanfragen kam dabei aus den USA (6600) und aus Deutschland (1300). Während in Mexiko vergleichsweise viele Patente bewilligt werden (80 Prozent der Patente werden zugelassen, in Deutschland sind es nur 18 Prozent), offenbart sich auch hier die mexikanische Innovationsschwäche: 86 Prozent der ausländischen, aber nur 22 Prozent der nationalen Patente werden bewilligt.

Um Mexiko als Innovationsstandort zu stärken, hat die Regierung ein Programm entwickelt, das vor allem auf die heimische Innovationsschwäche zielt: So sollen mexikanische Produkte und Betriebe auf nationaler wie internationaler Ebene gefördert werden. Unternehmen und öffentliche Einrichtungen sollen mehr finanzielle und institutionelle Förderung erhalten, um sich auf die Ausarbeitung innovativer Lösungsansätze konzentrieren zu können. Zudem soll der Wettbewerb um Forschungsgelder angeheizt werden, um mehr private Investoren ins Land zu locken, denn Forschung und Entwicklung hängen in Mexiko stark von privater Finanzierung ab.

Bislang jedoch zögerten die Unternehmen: Ihre eigenen Kosten wären bei einer Konzentration auf Forschung und Entwicklung hoch, während die mexikanische Regierung vergleichsweise wenig in diesen Bereich investiert – weniger als 1 Prozent des BIP – und auch die Universitäten nur einen geringen Teil ihres Budgets für Forschung und Entwicklung ausgeben. Immerhin will die Regierung öffentliche und private Ausgaben im Bereich Forschung und Entwicklung bis 2018 auf 1,2 Prozent des BIP anheben. Damit würde Mexiko mit Brasilien gleichziehen, doch weiterhin deutlich hinter Deutschland und den USA (jeweils 2,8 Prozent des BIP) zurückbleiben.

Klima und Umwelt

Mexiko zählt zu den 17 „Megadiversity“-Ländern: Dort befinden sich zwei Drittel der globalen Biodiversität, und Mexiko hat sich verpflichtet, diese äußerst artenreiche Umwelt zu schützen. Ein Drittel des Staatsgebiets ist noch von Primärregenwald bedeckt, 71 Prozent des Landes weisen eine natürliche Vegetation auf. Als aufstrebender Industriestaat jedoch zählt Mexiko mittlerweile zu den größeren Emittenten in der Welt, wenngleich der Anteil an den globalen CO2-Emissionen mit 1,4 Prozent vergleichsweise gering ist – ebenso der Pro-Kopf-Ausstoß: Dieser lag zuletzt bei 3,83 Tonnen (zum Vergleich: der Pro-Kopf-Ausstoß Deutschlands liegt bei 8,97 Tonnen).

Befeuert vom Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum in den vergangenen Jahren ist die Tendenz jedoch steigend. Dabei hat sich Mexiko hohe Ziele gesteckt, um eine Klimakatastrophe weltweit und im eigenen Land abzuwehren. Bis 2020 soll sich die Treibhausgas-Emission um 20 Prozent gegenüber dem Stand von 2000 verringern, bis 2050 gar um 50 Prozent – obwohl das Land nach dem Kyoto-Protokoll nicht dazu verpflichtet wäre, sich solch konkrete Reduktionsziele zu setzen. Die Ziele sind in einem eigens geschaffenen Klimagesetz und durch ein spezielles Programm zum Klimawandel festgelegt. Ebenfalls per Gesetz will Mexiko die Entwicklung von erneuerbaren Energien vorantreiben; geografisch und klimatisch ist Mexiko hervorragend für die Gewinnung von Wind- und Solarenergie geeignet. Doch trotz der guten Voraussetzungen gewinnt das Land noch immer den Großteil seiner Energie aus fossilen Brennstoffen.

Am deutlichsten machen sich Umweltprobleme in Form von Luftverschmutzung in den mexikanischen Großstädten bemerkbar, allen voran in Mexiko-Stadt (siehe auch den gleichnamigen Eintrag). Lange galt die Megametropole, die meist unter einer riesigen Smog-Glocke lag und in der jährlich Hunderttausende an den Folgen der Umweltverschmutzung erkrankten, als die Stadt mit der giftigsten Luft der Welt. In den achtziger Jahren war die Verschmutzung so massiv, dass Vögel tot vom Himmel fielen. In den vergangenen Jahren hat sich die Situation entschärft; nach wie vor jedoch fällt es den zuständigen Stellen schwer, das Problem in den Griff zu bekommen, das durch die fortschreitende Motorisierung der Bevölkerung zumindest nicht kleiner wird: Innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat sich die Anzahl der Mexikaner, die ein Auto oder ein anderes motorisiertes Fahrzeug besitzen, beinahe verdoppelt.

Weitere Probleme urbaner Regionen sind die Wasserverschmutzung und das komplizierte Wassermanagement. Während in den Städten und in der nörd­lichen Grenzregion Wasser wegen des hohen Verbrauchs und der geografischen Lage oftmals Mangelware ist, werden andere Teile Mexikos regelmäßig von schweren Überflutungen heimgesucht. Dass Wasser vermehrt in die Städte umgeleitet wird, führt jedoch zur Trockenheit in ländlichen Regionen, so bei der Mazahua-Bevölkerung im Bundesstaat Mexiko. Die Hauptstadt wird aus deren Region mit Wasser versorgt. Die Bewohner selbst hingegen haben nur einen sehr beschränkten Zugang zum Wassernetz.

Problematisch ist auch das stetige Absinken des Grundwasserspiegels. Während der vergangenen 50 Jahre wurden Wasservorkommen aufgebraucht, die zwischen 10 000 und 35 000 Jahre alt waren. Mangelnde industrielle Müllbeseitigung und fehlende Abwasserreinigung führen zudem zu einer Minderung der Wasserqualität in den Städten und zu einer Verpestung der Flüsse; der Primärregenwald ist von Abholzung bedroht, die gerodeten Flächen versanden und die abgeholzten Regionen werden wegen des Wassermangels zur Wüste. Auch viele der Fischgründe an den Küsten sind bereits überfischt. Die Umweltprobleme haben weitreichende Folgen für Mexiko, das durch die Auswirkungen des Klimawandels besonders gefährdet ist. 15 Prozent des Staatsgebiets und über zwei Drittel der mexikanischen Bevölkerung sind direkt durch die negativen Effekte des Klimawandels betroffen. Neben der Verminderung der wertvollen Artenvielfalt, die auf lange Sicht das ökologische Gleichgewicht Mexikos zerstören könnte, erhöht sich vor allem die Anzahl an Klimaflüchtlingen, die, betroffen von der Zerstörung ihres Lebensraums, in die Städte oder über die Grenze in die USA ziehen.

Die mexikanische Klimagesetzgebung mag zwar im lateinamerikanischen Vergleich auf dem Papier geradezu vorbildlich sein, doch wird sie tatsächlich nur schleppend umgesetzt. Zudem hapert es unter der Bevölkerung und den politisch Verantwortlichen noch an einem allgemeinen Umweltbewusstsein.

Maquiladoras

Maquiladoras sind Unternehmen, die sich zumeist entlang der mexikanisch-amerikanischen Grenze angesiedelt haben und in denen Einzelteile, die in den USA hergestellt wurden, zum fertigen Produkt zusammengesetzt werden. Das Wort Maquiladora stammt noch aus der Kolonialzeit: „Maquila“ bezeichnete damals den Anteil an Mehl, den der Müller für seine Arbeit vom Bauern erhielt – und bezeichnet damit eine Art „Aufstieg in der Wertschöpfungskette“.

Den Grundstein für die Entstehung der Maquiladoras legte die mexikanische Regierung 1965 mit dem „Grenzindustrialisierungsprogramm“. Um die Arbeitslosigkeit in den Grenzregionen zu bekämpfen und sie für ausländische Firmen attraktiver zu machen, warb die Regierung mit steuerfreiem Import von Maschinen und Rohmaterialien, niedrigen Transportkosten (von den USA nach Mexiko und zurück) und billigen Arbeitskräften. Seitdem können in den USA produzierte Einzelteile praktisch kostenlos nach Mexiko importiert, dort zusammengesetzt und wieder steuerfrei in die USA exportiert werden. Das Management und spezialisierte Arbeitsprozesse verbleiben dabei in den USA, während einfache Arbeitsschritte in den Maquiladoras stattfinden.

Dieses Modell hat sich zunächst im Land, dann in ganz Zentralamerika verbreitet. Mittlerweile zählt Mexiko über 6000 Maquiladoras, die meisten befinden sich im Norden, in Baja California (über 1000) und Nuevo Léon (ca. 750). Sie allein beschäftigen mehr als zwei Millionen Menschen. Während in höher bezahlten Jobs und der Verwaltung mehr Männer beschäftigt sind, wird die Handarbeit in den Betrieben mehrheitlich von ungelernten Frauen verrichtet. Zwischenzeitlich waren bis zu 80 Prozent der Beschäftigten weiblich.

Die Maquiladora-Industrie konzentriert sich auf vier große Bereiche: die Bekleidungsindustrie, die Automobilzubehörindustrie, die Computer- und Elektronikindustrie sowie die Produktion anderer elektronischer Geräte machen zwei Drittel der Produktion aus. Mittlerweile produzieren nicht nur nordamerikanische, sondern auch europäische und asiatische Großkonzerne nach dem Maquiladora-Prinzip.

Als Arbeitsbeschaffungsprogramm sind die Maquiladoras, die mit der Gründung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) 1994 und dem Wegfall aller Zollbeschränkungen einen großen Schub erhielten, als Erfolg zu werten: Insgesamt hat sich die Beschäftigungsrate in den Maquiladoras seit 1980 verzehnfacht.
Doch die Grenzwirtschaft hat auch ihre Schattenseiten: Seit den sechziger Jahren bringt man Maquiladoras immer wieder mit Ausbeutung, sexueller Belästigung, fehlenden Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften in Zusammenhang. Dauerkritikpunkt sind schlechte Arbeitsbedingungen wie zu lange Arbeitszeiten, unbezahlte Überstunden und die Diskriminierung von Frauen: Schwangere Frauen oder solche, die älter als 25 Jahre sind, werden oft einfach ohne Angabe von Gründen entlassen oder finden erst gar keine Arbeit. Gewerkschaftsarbeit wird unterdrückt (siehe auch das Stichwort „Gewerkschaften“). die Unternehmen führen „schwarze Listen“ mit den Namen unliebsamer Gewerkschaftsmitgliedern. Das Recht auf Streiks und betriebliche Mitbestimmung wird den Beschäftigten in den Maquiladoras grundsätzlich nicht zugestanden.

Ungeachtet der Arbeitsbedingungen in den Maquiladoras sind die Unternehmen fester Bestandteil der mexikanischen Wirtschaft. Schon in den neunziger Jahren waren sie für einen größeren Anteil an Exporten verantwortlich als der Ölkonzern Pemex. Heute zeichnen sie für über 40 Prozent der Exporte. Die enge Verknüpfung mit – und Abhängigkeit von – den USA macht das Land allerdings anfällig: Die Finanzkrise 2008 ließ Mexikos Maquiladoras-Exporte einbrechen – Massenentlassungen und ein rückläufiges BIP waren die Folge. Zudem erwächst dem Modell in Asien und neuerdings auch in zentralamerikanischen Staaten Konkurrenz, wo in Freihandels- und Sonderwirtschaftszonen günstiger produziert werden kann.

Medien und Internet

Über 90 Prozent der mexikanischen Bevölkerung beziehen ihre Informationen vorwiegend über das Fernsehen oder das Radio. Dominiert wird dieser Markt von den beiden Medienunternehmen Televisa und TV Azteca. Televisa, ein mexikanischer Mediengigant mit amerikaweiter Präsenz, ist der weltweit größte Konzern auf dem spanischsprachigen Medienmarkt. Sein mächtigster Konkurrent TV Azteca ging 1994 aus der Privatisierung des staatlichen Fernsehens hervor.

Da ein Radiogerät durch die niedrigen Anschaffungskosten auch für den ärmeren Teil der Bevölkerung erschwinglich ist, ist der mexikanische Hörfunk sehr populär. Den Radiosektor dominieren zehn private Unternehmensgruppen, die 70 Prozent aller landesweit zu empfangenden Radiostationen kontrollieren; unter anderem Televisa Radio, Núcleo Radio Mil, Radio Fórmula, Grupo ACIR, Grupo Radio Centro. Als öffentliche Radiosender gelten Universitäts­radios und Sender, die über staatliche Institutionen finanziert werden. Instituto Mexicano del Radio/IMMER und Radio Educación, zwei dieser staatlichen Radiosender, bieten qualitativ hochwertige Sendungen, leiden jedoch unter schlechter Mittelausstattung und Bürokratie. Daneben existieren noch örtliche Privatsender und kommunal betriebene Sender in indigenen Gemeinden. Bis 2007 sah das Mediengesetz keine Vergabe von Rundfunklizenzen für zivilgesellschaftliche Organisationen vor. Zwar wurden solche Sender in der Regel geduldet, hatten jedoch häufig Finanzierungsprobleme.

Nach dem Ende der 71-jährigen Herrschaft der Revolutionären Institutionellen Partei (PRI) 2000 hofften viele Medienschaffende auf eine unabhängigere Programmgestaltung in öffentlichen und staatlichen Sendern und eine gewisse Entflechtung in der Beziehung zwischen den Konzernen Televisa und TV Azteca und der Politik. Ende März 2006 stimmten zwei Drittel des mexikanischen Senats für eine Erneuerung des seit 1960 geltenden Mediengesetzes. Diese Neufassung sah vor, dass künftig ein Gremium, das Frequenzen an den Meistbietenden vergibt, die Vergabe von Lizenzen regeln solle. Voraussichtlich werden diese Versteigerungen jedoch die zwei größten Medienunternehmen, Televisa und TV Azteca, unter sich ausmachen. Daraufhin wurden 2007 Teile des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt. Deutlich kritisierte der damalige Verfassungsrichter Salvador Aguirre Anguiano die exzessive Konzentration der Rundfunkmedien in den Händen weniger Unternehmer.

Ähnlich wie beim Hörfunk ist auch das politisch einflussreichste Medium in Mexiko, das Fernsehen, von kommerziellen Anbietern dominiert. Etwa 460 Sender sind über Antenne zu empfangen. Fünf dieser TV-Sender strahlen ihr Programm bundesweit aus, die anderen sind regionale oder lokale Anbieter. Doch die scheinbare Vielfalt erweist sich bei genauem Hinsehen als Medienkonzentration in zwei Händen: Die unumstrittene Vormachtstellung innerhalb des Duopols hat Televisa inne. Die Unternehmensgruppe besitzt 258 Konzessionen für das Fernsehen und betreibt drei bundesweite Kanäle (Canal 2, 5 und 9). TV Azteca betreibt die beiden bundesweit ausgestrahlten TV-Sender Canal 7 und Canal 13 und besitzt insgesamt über 180 analoge TV-Konzessionen. ­Televisa kassiert über 70 Prozent der Werbeeinnahmen und dominiert nach Erhebungen mit fast 70 Prozent der Zuschauer den Mediensektor – Qualitätssender wie Canal 11 oder der Kulturkanal Canal 22, der sich an ARTE orientiert, verfügen dagegen nur über Einschaltquoten von jeweils 1 Prozent. Die Medienkonzentration hält Mexikos Regierung mittlerweile für ein Problem: Um die Macht von Televisa und TV Azteka zu brechen, kündigte Peña Nieto 2013 die Gründung zweier neuer TV-Sender an.

Im Unterhaltungsfernsehen spielen Telenovelas die größte Rolle. Sie gehören nicht nur zu den meistgesehenen Fernsehsendungen, sondern sind auch häufig Gegenstand alltäglicher Diskussionen. Televisa, die neben Rede Globo (Brasilien) führende Produktionsfirma, produziert jährlich bis zu 16 Telenovelas. 80 Prozent der Produktionen werden exportiert, vorwiegend nach Lateinamerika, aber auch in die USA. Laut Schätzungen erzielt Televisa damit jährlich Erlöse in Höhe von rund 100 Millionen Dollar. Insgesamt betrug der Umsatz des Medienkonzerns im Jahr 2012 rund 69,2 Milliarden mexikanische Pesos (3,8 Milliarden Euro).

Nur etwa 10 Prozent der mexikanischen Bevölkerung bezieht ihre Informationen durch die Presse. Eine Zeitungskultur existiert aufgrund fehlender Distributionsnetze nur in den Städten. Excelsior ist mit einer Auflage von 200 000 (Oktober 2013) die größte Tageszeitung Mexikos. Sie ist dem konservativen Lager zuzuordnen. Direkter Konkurrent ist El Universal, eine liberal-konservative Tageszeitung mit einer Auflage von 170 000, gefolgt von einer unabhängigen Wirtschaftszeitung, El Financiero, mit einer Auflage von 135 000. Bei kleineren Zeitungen überwiegt die lokale Berichterstattung.

Journalismus ist in jüngster Zeit ein lebensgefährlicher Beruf in Mexiko geworden. Immer wieder werden Reporter ermordet, die über die Drogenkartelle und ihre dunklen Verbindungen mit der Politik berichten. Seit 2012 gibt es ein Gesetz, das Journalisten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit (beispielsweise durch das Tragen eines Presseschilds) schützen soll. In der Praxis erzielt dies jedoch kaum Wirkung. Keiner der Journalistenmorde wurde aufgeklärt. Im Pressefreiheits-Ranking von „Reporter ohne Grenzen“ ist Mexiko binnen zehn Jahren von Platz 74 auf 153 abgestürzt. Allerdings findet ein großer Teil der Berichterstattung über kriminelle Machenschaften und Kartelle im Internet statt, vor allem in sozialen Medien wie Facebook. Und auf Weblogs wie borderlandbeat.com wird anonym berichtet, unter Pseudonym bringen dort Autoren die Probleme Mexikos zur Sprache.

Die wachsende Bedeutung des Internet als Informationsquelle spiegelt sich auch in den Benutzerzahlen wieder. Waren im Jahr 2000 laut Internationaler Fernmeldeunion (ITU) nur 2,7 Prozent der mexikanischen Bevölkerung online, stieg ihr Anteil bis 2012 auf 38,4 Prozent. Hoch im Kurs stehen soziale Medien, allen voran Facebook: Mit 46 Millionen Facebook-Nutzern liegt ­Mexiko hinter den USA, Brasilien, Indien und Indonesien weltweit auf Platz 5 (Juni 2013).

Noch ist das Internet in Mexiko allerdings langsam: Es gibt nur 11,1 Breitband-Anschlüsse pro 100 Einwohner (der OECD-Durchschnitt liegt bei 25,9 Anschlüssen). Der Markt für Smartphones wächst zwar rasant: Nach Schätzungen des Marktforschungsinstituts eMarketer nutzten 2011 nur 8,9 Millionen, 2013 aber bereits 26,3 Millionen Mexikaner ein internetfähiges Mobiltelefon. Bis 2017 dürfte jeder zweite Mexikaner ein Smartphone nutzen.  

Der Internet- und Mobilfunkmarkt wird weitgehend von Carlos Slim dominiert, einem der reichsten Männer der Welt. Bei der Privatisierung des bis dahin staatlichen Telekommunikationsunternehmens Telmex im Jahr 1990 kam er günstig zum Zuge; seither besaß er eine Monopolstellung in dieser Sparte. Im Sommer 2012 jedoch schlossen sich Iusacell, das dem Milliardär Ricardo Salinas gehört, und Spaniens Telefónica zusammen, um Slim Konkurrenz zu machen; ihnen schloss sich der Eigentümer von Televisa, Emilio Azcárraga an, der sich mit 1,6 Milliarden Dollar einen 50-Prozent-Anteil an Iusacell sicherte. Die Regierung Peña Nietos unterstützt dies mit Gesetzen, die für mehr Wettbewerb in der Branche – und damit auch niedrigere Telefon­tarife – sorgen soll. Zwei neue Aufsichtsbehörden sollen zukünftig unabhängig Lizenzen vergeben und gegebenenfalls Strafen bei Monopolvergehen verhängen können. Auch ausländische Unternehmen sollen mehr Investitions­möglichkeiten erhalten.

Mexiko-Stadt

Zwischen dem mittlerweile zu relativem Wohlstand gekommenen Norden und dem weit weniger entwickelten, zum Teil sehr armen Süden dominiert der Ballungsraum Mexiko-Stadt die Mitte des Landes; den umliegenden Bundesstaat Mexiko eingerechnet, wird allein in diesem Gebiet ein Viertel des mexikanischen BIP erzeugt. 2012 erwirtschaftete Mexiko-Stadt ein BIP von 411,4 Milliarden Dollar, was sie nach Berechnungen von PricewaterhouseCoopers zur achtstärksten Metropolökonomie der Welt macht.

Der Aufstieg des früheren Zentrums des Aztekenreichs (die Vorläuferstadt ­Tenochtitlan zählte im 16. Jahrhundert wohl 400 000 Einwohner) und der ehemaligen Hauptstadt der spanischen Kolonialherren in Lateinamerika begann in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts: Die importsub­stituierende Industrialisierung führte bis 1970 zu einem gewaltigen Boom, Mexiko-Stadt wurde zum größten Güterproduzenten und -exporteur des Landes. Textilien, Chemikalien, Arzneimittel, Elektro- und Elektronikartikel, Stahl und Transportausrüstungen werden zum Teil bis heute hergestellt, ebenso verschiedenste Nahrungsmittel und Verbrauchsgüter der Leichtindustrie.

Mit Gründung der NAFTA 1994 begann die De-Industrialisierung, zwischen 1980 und 2003 sank der Produktionsanteil der Stadt an der nationalen Fertigung von 47 auf 17 Prozent, die städtische Ökonomie wurde dienstleistungsorientierter, der Sektor steht heute für 63 Prozent des lokalen BIP. Die größten mexikanischen Unternehmen wie Pemex, America Movil und CFE sowie viele internationale Unternehmen, darunter General Motors, Daimler-Chrysler, Ford und Nissan, haben zwar ihre Produktionsstätten über das Land verteilt, ihre Zentralen aber in Mexiko-Stadt angesiedelt. Parallel zur wirtschaftlichen Entwicklung explodierte auch die Bevölkerungszahl, die sich allein zwischen 1960 und 1980 verdoppelte, auf etwa 8,8 Millionen, wo sie sich seitdem eingependelt hat. Allerdings griff die Stadt immer weiter ins Umland aus – 60 Prozent der Bevölkerung von Mexiko-Stadt leben heute verwaltungstechnisch in über 60 Gemeinden des Bundesstaats Mexiko; der Ballungsraum, der auch Gemeinden der angrenzenden Bundesstaaten Morelos und Hidalgo umfasst, zählte 2011 rund 20,5 Millionen Einwohner. Damit liegt die Hauptstadtregion nach Berechnungen der UN hinter den Ballungsräumen Tokio (37,2 Millionen) und Delhi (22,7 Millionen) weltweit an dritter Stelle.

Der Grad der Urbanisierung lässt sich auch daran ablesen, dass sich der Anteil der Einwohner von Mexiko-Stadt an der Gesamtbevölkerung seit 1910 bis heute von 5 auf 18 Prozent vergrößert hat. Nach Schätzungen der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko (UNAM) dürfte der Ballungsraum 2020 auch die Städte Cuernavaca und Pachuca umfassen, 2030 Puebla und Tlaxcala und 2040 auch Querétaro und San Juan del Río geschluckt haben. So würde sich die Bevölkerungszahl bis 2050 auf etwa 37 Millionen fast verdoppeln.

Dieses wilde Wachstum stellt die Stadtplaner vor große Probleme. Da das Grundwasser exzessiv abgepumpt wird, sackt die Stadt allmählich ab. Dringender Handlungsbedarf besteht auch bei der Müllentsorgung. Zwar wurde die weltgrößte Mülldeponie Bordo Poniente (mit einem Abfallvolumen von etwa 68 Millionen Tonnen) aufgrund wachsender Umwelt- und Kapazitätsprobleme offiziell im Dezember 2010 geschlossen, jedoch ohne eine schlüssige Gesamtstrategie. Derzeit geht der Hauptstadtmüll in die Bundesstaaten Hidalgo und Mexiko. Mit letzterem verhandelt die Hauptstadtregierung hinsichtlich der zukünftigen Abfallentsorgung.

Gleichzeitig hat sich die Fahrzeugdichte in Mexiko-Stadt in den vergangenen Jahren stark erhöht. Die Anzahl an Pkws allein im Hauptstadtbezirk (Distrito Federal) wuchs zwischen 2005 und 2010 um 59 Prozent auf circa vier Millionen. Die Zahl von Autobussen stieg im gleichen Zeitraum um knapp 14 Prozent auf 32 000. Dies verursacht mit dem höheren Verkehrsaufkommen auch schlechtere Luftqualität (siehe auch den Eintrag „Klima und Umwelt“). Im Südosten wird das Hochtal der Hauptstadt von einer Bergkette umschlossen, deren Gipfel Höhen bis zu 5400 Meter erreichen; das verhindert einen schnellen Abzug der stark verschmutzten Stadtluft in der Metropole. Die Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Schwefeldioxid werden an den meisten Tagen weit überschritten.

Ungeachtet der vielen, durch die rasante Urbanisierung entstandenen Probleme zählt Mexiko-Stadt nach wie vor zu den kulturellen Zentren Lateinamerikas – mit einem Angebot an Museen, Theatern und Orchestern sowie einer Szene für Literatur und Bildende Kunst auf Weltniveau. Dennoch gilt Mexiko-Stadt noch als weniger attraktiv oder dynamisch als Istanbul oder Schanghai. Auch als Finanzzentrum spielt Mexiko-Stadt – Nummer 51 auf dem Global Financial Centers Index – mit einem „lokal“ geprägten Finanzsektor eine eher untergeordnete Rolle.

In der Kategorie „Wettbewerbsfähigkeit“ taxierte die Economist Intelligence Unit (EIU) die Stadt auf Rang 71 ihres Global City Competitive Index. Während „fDiIntelligence“ Mexiko-Stadt als Nummer 7 der zehn Städte auf dem Kontinent mit dem größten Wirtschaftspotenzial einschätzte, dokumentierte ein Bericht von McKinsey (McKinsey Global Institute: „Building globally competitive cities: The key to Latin American growth“, August 2011) die weiterhin große Distanz zu internationalen Maßstäben: So wurde Mexiko-Stadt bei der Wirtschaftsleistung mit 62 Punkten (internationale Benchmark: 100) im lateinamerikanischen Vergleich nur von Santiago de Chile (63) übertroffen, lag in den Bereichen „soziale Bedingungen“ (68) und „nachhaltiger Ressourcenverbrauch“ (58) auf dem jeweils letzten Platz.

Migration

Mexiko hat seinen Status als größtes Auswanderungsland der Welt vor allem der besonderen Beziehung zu den USA zu verdanken: 11 Prozent aller gebürtigen Mexikaner leben im Ausland – 97 Prozent von ihnen, also zwölf Millionen Auswanderer, allein in den USA. Die dortige mexikanischstämmige Bevölkerung inklusive ihrer Nachkommen zählt inzwischen über 32 Millionen.

1942 begannen die USA mit dem Bracero-Programm die gezielte, oft saisonale Anwerbung mexikanischer Arbeiter, um den Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft und Industrie auszugleichen. Obwohl das Programm aufgrund der prekären rechtlichen und humanitären Situation der Gastarbeiter heftig kritisiert wurde, bot es den Arbeitern in der Regel doch bessere Löhne und Arbeitsbedingungen als in Mexiko. Auch nachdem das Programm 1964 ausgelaufen war, blieb die Nachfrage der US-Wirtschaft nach Niedriglohnarbeitern weiter hoch. Eine Kombination aus irregulärer Arbeitsmigration und Familienzusammenführungen löste einen Migrationsstrom aus.

Mangelhafter Zugang zu Bildung, Jugendarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung waren – neben familiären Bindungen – die Ursachen für die Auswanderung, das vielfach höhere Lohnniveau in den USA der Katalysator. So war es den Migranten möglich, Beträge in beachtlicher Höhe an ihre Angehörigen in Mexiko zu überweisen. Die jährliche Summe der Rücküberweisungen (remesas) erreichte 2007 mit 27 Milliarden Dollar zeitgleich mit der Auswandererzahl ihren Höchststand – was immerhin 2 Prozent des gesamten mexikanischen BIP entsprach. Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise folgte ein jäher Einbruch: Von 2008 auf 2009 sanken die Rücküberweisungen um 15,5 Prozent; seitdem haben sie ihren Höchststand nicht wieder erreicht: 2012 betrugen sie 22,4 Milliarden Dollar, im ersten Halbjahr 2013 waren es 10,7 Milliarden – wiederum 9,7 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Die Rückläufigkeit der „remesas“ ist auch eine Folge der sinkenden Zahl mexikanischer Migranten in den USA insgesamt. 2007 war mit 12,6 Millionen der Höchstwert erreicht. Bis 2010 verringerte sich die Anzahl um 4,8 Prozent. Dahinter steckt eine langsame, aber stetige Umkehr der mexikanisch-amerikanischen Migrationsbilanz. Zwischen 1995 und 2000 wanderten 2,94 Millionen Mexikaner in die USA aus, 770 000 allein im Jahr 2000. Die Anzahl der Auswanderer in die USA sinkt seither stetig, im Jahr 2010 lag sie bei 140 000. Auch gibt es inzwischen mehr Rückkehrer nach Mexiko als Auswanderer in die USA: Emigrierten zwischen 2005 und 2010 insgesamt 1,37 Millionen in das nördliche Nachbarland, kehrten 1,39 Millionen Mexikaner wieder zurück. Dieser Trend dürfte sich fortsetzen.

Eine wesentliche Ursache dafür ist die Wirtschaftslage in den USA. Vor allem die Infrastruktur- und Bausektoren, in denen viele Migranten Arbeit finden, haben sich von der Krise nicht erholt. Hinzu kommen erhöhte Grenzsicherheitsmaßnahmen der USA und Rekordzahlen bei der Abschiebung illegaler Einwanderer. Doch auch positive Entwicklungen in Mexiko, wie die vergleichsweise robuste Erholung der Wirtschaft und die gesunkene Geburtenrate, mindern den Migrationsdrang.

Im Schatten seiner Reputation als Auswanderungsland ist Mexiko jedoch längst auch selbst ein wichtiges Ziel- und Transitland geworden. Schätzungsweise 400 000 irreguläre Migranten vor allem aus Guatemala, El Salvador und Honduras überqueren jährlich die mexikanische Südgrenze, rund 150 000 von ihnen auf dem Weg in die USA. Das Grenzgebiet ist vielerorts schwer zugänglich und schlecht zu überwachen. Auf der Flucht vor Armut und kriminellen Banden nehmen die zentralamerikanischen Migranten die Dienste von Schleusernetzwerken, den coyotes, in Anspruch oder riskieren auf den gefährlichen Güterzugrouten ihr Leben. Unterwegs werden jährlich 20 000 von ihnen innerhalb Mexikos verschleppt. Drogenkartelle zwingen sie, als Gegenleistung für die Nutzung der Schmuggelrouten in die USA als Drogenkuriere zu dienen, während Menschenhändler sie als Zwangsarbeiter und Prostituierte verkaufen oder ihre Angehörigen im Herkunftsland um Lösegeld erpressen. Viele, die sich weigern oder nicht zahlen können, werden gefoltert oder ermordet.

Mexiko versucht, die Migranten rechtlich besser zu schützen, doch in der Praxis bewirkt dies wenig. Unregistrierte Einwanderung ist zwar seit 2011 keine Straftat mehr, doch Opfer von Geiselnahmen oder Misshandlungen gehen trotzdem nicht zur Polizei. Sie fürchten Inhaftierung, Abschiebung oder korrupte Beamte – seit 2007 musste die Einwanderungsbehörde (INM) 15 Prozent ihres Personals wegen Verbindungen zum organisierten Verbrechen oder Menschenhandel entlassen. Lokale Menschenrechtsorganisationen fordern eine Restrukturierung der INM und strafrechtliche Sanktionen gegen Beamte, die sich Amtsmissbrauch oder Korruption zuschulden kommen lassen.

Tourismus

Allzeit warmes Wetter und die Sandstrände von Cancún, die antiken Pyramiden Teotihuacans oder die gigantische Kulturmetropole Mexiko-Stadt – der Facettenreichtum Mexikos zieht Touristen aus aller Welt an. Allein die Grenzstadt Tijuana lockt mit Einkaufsmeilen, günstigem Tequila und Rotlichtviertel jährlich Millionen Besucher aus den USA an, vor allem Jugendliche, die von der Schwesterstadt San Diego und dem Umland aus für Tagesausflüge über die nahe gelegene Grenze kommen. 60 bis 70 Millionen solcher Kurzaufenthalte werden jährlich gezählt. Diese nicht eingerechnet begrüßte Mexiko 2012 knapp 24 Millionen ausländische Touristen. Damit rangiert es auf Platz elf der touristisch meistbesuchten Länder der Welt und hat, nach einem deutlichen Einbruch infolge der Wirtschaftskrise 2008, frühere Höchstwerte wieder erreicht. Zugleich erzielte Mexiko auch die weltweit elfthöchsten direkten Einnahmen aus der Tourismusbranche: 68 Milliarden Dollar und damit gut 6 Prozent des BIP. Dabei liegt das Gehaltsniveau im Tourismussektor 30 Prozent über dem nationalen Durchschnitt. Präsident Peña Nieto bezeichnete den Tourismus denn auch als einen Weg zu einem wohlhabenderen und vernetzteren Mexiko.

Tourismus aus dem Ausland macht dabei nur 13 Prozent der Gesamteinnahmen in diesem Sektor aus. Der Großteil der Einnahmen stammt aus inländischer Wertschöpfung und den Ausgaben der reisefreudigen Mexikaner. 2012 wurde ein Rekordwert von über 170 Millionen inländischen Touristen verbucht – mit weiter steigender Tendenz. Der Zufluss ausländischer Touristen soll ebenfalls stetig wachsen: Der World Travel and Tourism Council (WTTC) sagt bis 2023 einen jährlichen Anstieg von im Schnitt 6,3 Prozent voraus.

Und dies, obwohl das Land weiter an einer Imagekrise leidet. Doch obwohl der Krieg zwischen Drogenkartellen beängstigend wirkt, scheinen Besucher nicht zu befürchten, ins Kreuzfeuer zu geraten. Der WTTC stuft Mexiko zwar im Bereich Sicherheit auf Platz 128 von 139 Ländern ein, allerdings variiert die Gefahrenlage regional erheblich. Vor allem der Norden und Gebiete, durch die Drogen geschmuggelt werden, sind von der Drogengewalt betroffen. Der Großteil der von ausländischen Touristen besuchten Gebiete ist davon immer noch weitgehend unberührt. Hochburgen für Ferienanlagen wie Cancún und Los Cabos funktionieren seit Jahren als Enklaven – immun gegen negative Entwicklungen im Landesinneren. Yucatán, Standort vieler der bei Touristen beliebten Maya-Ruinen, unterscheidet sich so in der Mordrate nicht von europäischen Ländern. Acapulco hingegen, traditionell das Tourismusjuwel der Pazifik-Küste, leidet stark unter dem Einfluss der Kartelle und zieht fast nur noch mexikanische Besucher an. Im umliegenden Bundesstaat Guerrero liegt die Mordrate um das 30-Fache höher als in Yucatán.

Seit Februar 2013 soll eine neue nationale Tourismusstrategie das Wachstum der Besucherzahlen weiter antreiben. Neben der Verpflichtung zu besserer öffentlicher Sicherheit kündigte Präsident Peña Nieto an, dass die Tourismusbranche weiter expandieren werde. Schon nach der Wirtschaftskrise und Schweinegrippe 2009 nahm sie eine merkliche Senkung der Hotelpreise in Kauf, um die Touristenströme anzukurbeln. Über die kommenden drei Jahre sollen Investitionen von 8,6 Milliarden Dollar unter anderem in Hotels und Luftverkehr Mexiko eine Position als Tourismusweltmacht sichern.

Außerdem zielt die Tourismusstrategie auf Diversifizierung: Neben den Luxus-Beach-Resorts soll das Potenzial für Öko- und Kulturtourismus in Zukunft stärker ausgeschöpft werden. Ob sich ökologische Nachhaltigkeit bei der Umsetzung dieser Pläne wirklich sicherstellen lässt, ist allerdings fraglich. Ein Beispiel ist die Gegend um Palenque: Während die dortige Umwelt bereits unter Abholzung leidet, soll sich bald eine Ferienanlage mit tausenden Hotelzimmern, Einkaufsmöglichkeiten, Golfanlage und Naturthemenpark über 21 Quadratkilometer erstrecken. Von dort aus sollen Touristen die Natur erleben und die nahgelegene Maya-Stätte erkunden – eine von vielen, die kommerziell intensiver erschlossen werden sollen. Palenque, die ärmste Stadt ihres Bundesstaats, soll von verbesserter Infrastruktur und gut bezahlten Arbeitsplätzen profitieren. Das Tourismusgebiet gehört jedoch teilweise zum Gemeinschaftsland indigener Stämme, die in diese Entscheidungen nur unzureichend eingebunden werden, davon aber am meisten betroffen sind. Dabei soll Tourismus laut Peña Nieto auch dem sozialen Zusammenhalt und der Erhaltung des kulturellen und ökologischen Erbes dienen.

Dafür gibt es durchaus schon Beispiele: Kleine Gemeinden der ländlichen Regionen haben mit unabhängigen Ökotourismus-Angeboten für Naturbegeisterte Erfolg. Auch machen Artenschützer mithilfe von Ökotourismus entlang der Küsten von Baja California und am Golf von Mexiko erfolgreich auf die Notwendigkeit aufmerksam, die Meeresfauna zu schützen.
 

Bibliografische Angaben

IP Länderporträt Mexiko 1, März/April 2014, S. 24-51

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