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26. Febr. 2024

Metallkrise in Sicht

Die Nachfrage nach kritischen Rohstoffen steigt schneller, als das Angebot ausgeweitet werden kann. Es drohen Lieferengpässe – mit massiven Auswirkungen auf Deutschland.

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Metallkrise in Sicht
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Das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klima­abkommens sieht vor, den globalen CO2-Ausstoß bis 2030 um 40 Prozent zu verringern. Dafür ist ein rascher und groß angelegter Einsatz grüner Technologien erforderlich. Dazu gehören die vollständige Dekarbonisierung der Stromversorgung, die Elektrifizierung der meisten Energieendverbraucher, wie E-Autos, sowie eine stark erweiterte Rolle für kohlenstoffarmen Wasserstoff (vor allem durch Elektrolyse). Folgende Zahlen zeigen die Größe dieser Herausforderung: 

  • Bis 2050 muss der weltweite Stromverbrauch von derzeit 28 000 Terrawattstunden auf 110 000 Terrawattstunden steigen. Mehr als 75 Prozent davon würden durch Wind- und Solarenergie geliefert werden; das entspricht einer Verfünfzehnfachung der Windenergie.
  • Bis 2050 ist dafür ein Ausbau der Stromnetze von aktuell 75 Millionen Kilometer auf über 200 Millionen Kilometer notwendig. Bis 2040 müssen genauso viele neue Kilometer Stromnetz weltweit gebaut werden wie in den vergangenen 100 Jahren zusammen.
  • Der Gesamtjahresverbrauch kohlenstoffarmen Wasserstoffs wird von etwa einer Million Tonne heute auf 800 Millionen Tonnen bis 2050 steigen müssen. 
  • Bis 2050 muss die globale Flotte an E-Autos um den Faktor 60 wachsen. Zwischen 2022 und 2030 wird ein Aufwuchs von zehn Millionen auf 88 Millionen erwartet.

Für E-Autos, Strom- und Wasserstoff­netze braucht es signifikant mehr kritische Rohstoffe: Kupfer für die Verkabelung, Seltene Erden für Permanentmagneten, Lithium, Nickel und Grafit für Batterien, Silizium für Fotovoltaik-Anlagen sowie Nickel, Palla­dium und Platin für Elektro­lyseure. Schätzungen zufolge wächst die Nachfrage nach Kupfer und Nickel um 50 bis 70 Prozent und für Kobalt um 150 Prozent bis 2030. Der Bedarf an Grafit und Lithium wächst um den Faktor sechs und sieben. Die Internationale Energieagentur (IEA) rechnet im Netto-Neuemissionen-2050-Szenario damit, dass bis 2030 allein für die Elektromobilität 388 neue Bergwerke eröffnet werden müssen: Unter anderem 50 für Li­thium, 60 für Nickel, 17 für Kobalt, 50 für die Produktion von Batteriekathoden und 40 für Batterie­anoden.

Des Weiteren verlangt auch die Digitalisierung nach mehr kritischen Rohstoffen: Ob in E-Autos, Künstlicher Intelligenz oder Datenzentren – keine digitale Applika­tion kommt heutzutage ohne maßgefertigte Halbleiter aus. Entsprechend wächst der globale Halbleitermarkt bis 2030 jährlich um 6 bis 8 Prozent. Kritische Rohstoffe wie Palladium, Kobalt, Gallium, Germanium, Seltene Erden oder Silizium bilden die Grundlage für jene Produkte, auf der die gesamte Halbleiterlieferkette beruht – von Spezialausrüstung bis hin zu Wafern.

Das antizipierte Nachfragewachstum bis 2030 liegt weit über historischen Hochständen. Bei einigen Metallen ist bis 2030 mit Marktengpässen zu rechnen. Das Angebot kann nicht schnell genug gesteigert werden, um die wachsende Nachfrage zu decken. Angebotsdefizite werden unter anderem bei Lithium und Kupfer (jeweils 10 Prozent), Nickel (15 Prozent), Kobalt (40 Prozent), Grafit (45 Prozent) und Neodym (30 Prozent) erwartet.

Bei Gallium und Germanium gehen Schätzungen bereits 2024 von Engpässen aus. 2025 könnten Seltene Erden folgen. IEA-Chef Fatih Birol warnt: „Wir sehen ein drohendes Missverhältnis zwischen der Nachfrage nach Mineralien und ihrer Verfügbarkeit.“ In der im Mai 2023 in Hiro­shima veröffentlichten G7-Erklärung der Staats- und Regierungschefs heißt es: „Prepare for short-term supply disruptions.“ Auch kann nicht ­ausgeschlossen werden, dass es kurz- bis mittelfristig zu Versorgungsengpässen bei mehreren kritischen Rohstoffen gleichzeitig kommen wird. 

Wenige Länder beherrschen den Markt 

Förderung und Weiterverarbeitung vieler kritischer Rohstoffe sind auf sehr wenige Länder konzentriert. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist die Konzen­tration bei der weltweiten Produktion von kritischen Rohstoffen in den vergangenen zehn Jahren stark gestiegen. So ist etwa die Hälfte aller Länder bei der Einfuhr von Mineralien von drei oder weniger Exportländern abhängig und ein Viertel von nur einem. Dies macht sie anfällig für Versorgungsunterbrechungen. 

IEA-Chef Birol warnte kürzlich: „Der Grad der Überkonzentration, den wir heute auf den Märkten für kritische Mineralien beobachten, ist mit keinem anderen wichtigen Rohstoff zu vergleichen, auf den wir uns in der modernen Welt verlassen haben. Die Geschichte hat uns gezeigt, dass unzureichende Diversifizierung der Versorgung und der Handelsrouten für wichtige Ressourcen tiefgreifende Risiken birgt.“ 

 

Die Dekarbonisierung und die Digitalisierung sind die beiden wichtigsten Treiber der Nachfrage 

 

Die Marktdominanz einzelner Länder bei kritischen Rohstoffen ist viel höher als bei Öl. Indonesien fördert 50 Prozent des globalen Nickelbedarfs, die DR Kongo 70 Prozent des Kobalts und Südafrika 70 Prozent des Platins. Zum Vergleich die Top 3 der globalen Ölproduktion im Jahr 2022: 1. USA (19 Prozent), 2. Saudi-Arabien (13 Prozent), 3. Russland (12 Prozent). 

Eine noch höhere Konzentration gibt es bei der Weiterverarbeitung. Hier dominiert China: 40 Prozent des globalen Kupferbedarfs, 60 Prozent des Lithiums, 70 Prozent des Kobalts, 90 Prozent des Mangans und 100 Prozent des Grafits werden in China weiterverarbeitet. Trotz ­De-Risking-­Initiativen ist die globale Abhängigkeit von weiterverarbeiteten kritischen Rohstoffen aus China in den vergangenen zwei Jahren sogar noch gestiegen. 

Geopolitisierung der Rohstoffmärkte 

Neben strukturellen Angebotsdefiziten und massiver Marktdominanz weniger Staaten bei einzelnen Rohstoffen üben geopolitische Dynamiken in zweifacher Hinsicht weiteren Druck auf Rohstoff­lieferketten aus. 

Erstens wächst die strategische Bedeutung von kritischen Rohstoffen für Dominanz auf den Leitmärkten der Zukunft (grüne und digitale ­Transformation). Daher verfassen immer mehr Länder entsprechende Rohstoffstrategien. Die IEA hat knapp 200 politische Initiativen identifiziert. Auf Seiten rohstoffimportierender Staaten, wie der EU und den USA, zielen diese Initiativen darauf ab, im Zuge ihrer Industriepolitik (Net Zero Industry Act, Inflation Reduction Act) neue Rohstoff­importquellen zu erschließen. 

Gleichzeitig nimmt vor allem auf Seiten rohstoffproduzierender Staaten die Anzahl an Handelseingriffen laut OECD stark zu. Die Zahl der weltweiten Ausfuhrbeschränkungen für kritische Rohstoffe hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verfünffacht. Eine zentrale Rolle spielt hierbei China. In der jüngeren Vergangenheit hat es Beschränkungen für die Ausfuhr ausgewählter kritischer Mineralien in mehrere Länder verhängt, darunter die USA, Japan und Schweden. Jüngste Beispiele für Chinas restriktivere Rohstoffpolitik sind die 2023 verhängten Exportkontrollen für Gallium, Germanium und Grafit.

Durch all diese Maßnahmen wird die globale Integration der Rohstoffmärkte, wie sie seit dem Ende des Kalten Krieges stattgefunden hat, ein Stück weit abgewickelt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) beobachtet eine zunehmende Fragmentierung globaler Rohstoffmärkte entlang geopolitischer Blöcke. Entsprechend sind ausländische Direktinvestitionen im Rohstoffsektor sowie grenzüberschreitende Fusionen und Übernahmen im jeweils anderen geopolitischen Block rückläufig. 

Zweitens wirkt sich der USA-­China-Konflikt immer direkter auf globale Rohstoffmärkte aus. Je mehr der Handels- und Technologiekonflikt zwischen den USA und China eskaliert, und je mehr die USA versuchen, Chinas technologischen Fortschritt aufzuhalten, desto mehr wird China seine dominierende Marktmacht bei kritischen Rohstoffen ausspielen und die globale Verfügbarkeit kritischer Rohstoffe verknappen. In den kommenden Jahren ist daher mit einer wachsenden Konkurrenz um die nur begrenzt verfügbaren kritischen Rohstoffe zu rechnen. Dies hat weitreichende Konsequenzen für globale Wertschöpfungsketten und die deutsche Industrie. 

Höhere Risiken, höhere Preise 

Hohe Angebotskonzentration in Verbindung mit steigenden geopolitischen Spannungen führen zu größeren Versorgungsrisiken. Sowohl die Deutsche Rohstoffagentur (DERA) als auch das Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) warnen seit 2015 vor erhöhten Beschaffungsrisiken für die deutsche Industrie. Laut DERA weisen 46 Prozent aller in der DERA-Rohstoffliste 2023 untersuchten Rohstoffe und deren weiterverarbeitete Produkte erhöhte potenzielle Beschaffungsrisiken auf.

Aufgrund der Fragmentierung globaler Rohstoffmärkte sowie der erhöhten Nachfrage ist laut IWF und Europäischer Zen­tralbank mit erheblichen Preissteigerungen für kritische Rohstoffe zu rechnen. Aber auch mit immer volatileren Rohstoffmärkten muss laut IWF gerechnet werden. Denn fragmentierte Märkte verfügen über weniger Puffer gegen Angebots- und Nachfrageschocks, was wiederum zu stärkeren Preisreaktionen führt. Der Druck auf globale Rohstoffmärkte, aber auch auf die nachgelagerten Liefer- und Wertschöpfungsketten nimmt also von vielen Seiten zu. 

Das wohl prominenteste Opfer dieser Dynamiken könnte die globale Energiewende werden. Laut IWF könnte die Fragmentierung der globalen Rohstoffmärkte in zwei geopolitische Blöcke einerseits zu noch höheren Rohstoffpreisen führen. Dadurch werden auch die „grünen“ Endprodukte, wie E-Autos, teurer und ihre Marktdurchdringung könnte sich verlangsamen. Andererseits rechnet der IWF damit, dass die weltweiten Investitionen in Technologien für erneuerbare Energien etwa 30 Prozent niedriger ausfallen, sollte es zu einer geopolitischen Blockbildung der Weltwirtschaft kommen. 

Um eine Verlangsamung der globalen Energiewende zu verhindern, braucht es daher eine multilaterale Initiative für „grüne Korridore“, die den freien Verkehr jener kritischen Rohstoffe, die es für das Erreichen des Pariser Klimaziels braucht, über Ländergrenzen hinweg diskriminierungsfrei ermöglicht.

Mehr Minen, mehr Kooperation

Klar ist, dass sich die skizzierten strukturellen Angebotsdefizite nur durch eine Ausweitung des Angebots abmildern lassen. Dazu müssen existierende Minen ausgebaut und massiv neue Minen eröffnet werden. Aber auch die Weiterverarbeitungsanlagen müssen hochskaliert werden. Diese bieten übrigens auch den größten Hebel, um die chinesische Marktdominanz aufzubrechen. Anders als Rohstoffe, die nur dort gefördert werden können, wo sie liegen, können Weiterverarbeitungsanlagen weltweit aufgebaut werden. Durch größere geografische Streuung würde sich die Resilienz der Lieferketten erhöhen. Mehr Minen und Weiterverarbeitungsanlagen kosten aber viel Geld. Bis 2030 müssen, entsprechend des Pariser Klimaziels, zusätzlich 25 Milliarden Dollar jährlich investiert werden. Die Finanzindustrie fürchtet aktuell aber aus ESG-Gründen (Environmental, Social and Governance) Reputationsschäden, wenn sie in Minen investiert. Daher braucht es klare politische Signale, dass eine Aus­weitung des Bergbaus gewollt ist und entsprechend unterstützt wird. 

 

Eine multilaterale Initiative für „grüne Korridore“ könnte eine Verlangsamung der globalen Energiewende verhindern

 

Darüber hinaus braucht es mehr Kooperation – sowohl zwischen verschiedenen Industriesektoren als auch zwischen Politik und Wirtschaft. Nur unter Beteiligung aller Stakeholder lassen sich Strategien entwickeln, um die zu erwartenden Negativfolgen abzumildern. Auf der UN-Klimakonferenz in Dubai Ende 2023 wurde der sich abzeichnenden Metallkrise noch nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. Dies muss sich eigentlich rasch ändern. In Zeiten zunehmender geopolitischer Konflikte und magerer Aussichten für die Weltwirtschaft muss man allerdings konstatieren, dass sowohl internationale Kooperation als auch finanzielle Mittel knappe Güter sind – genauso wie kritische Rohstoffe.   

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2024, S. 42-45


 

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Dr. Stefan ­Steinicke ist Referent im Bereich Internationale Zusammenarbeit, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

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