IP

01. Juli 2019

Löchriges Austria

Ist Österreich ein Sicherheitsrisiko? Zumindest scheiterte der vierte Versuch rechtspopulistischer „Einhegung“ an der FPÖ-Russland-Connection

Österreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält“, schrieb einst Friedrich Hebbels. Was das Regieren mit Rechtspopulisten angeht, hat das Land in den vergangenen vier Jahrzehnten tatsächlich alles ausprobiert, was möglich ist, erst unter sozialdemokratischen, dann unter konservativen (ÖVP)-Vorzeichen, zuletzt unter dem charismatischen Sebastian Kurz von 2017 bis 2019. Genauer gesagt bis zum Freitag, den 18. Mai, jenem Tag, an dem das „Ibiza-Video“ zeitgleich von der Süddeutschen Zeitung und dem Spiegel veröffentlicht wurde. Es führte zum Rücktritt des FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache und zum Ende der Koalition in Wien.

Das geheim aufgenommene ­Ibiza-Video dokumentiert nicht nur die Korruptionsbereitschaft Straches, und – politisch weniger relevant, aber umso wirkungsmächtiger – den merkwürdigen „Bunga -Bunga“-Lebensstil der Rechtspopulisten zwischen Wodka, Red Bull, ­Kaviar, ­Sushi, teuren Lokalen, Discos, Yachten und Oligar­chen. Es zeigt vor allem der breiten Öffentlichkeit bis dato kaum bekannte Persönlichkeitszüge Straches. Naiv, leichtsinnig, prahlerisch, tölpelhaft gerierten er und sein engster persönlicher und politischer Vertrauter Johann Gudenus sich an jenem Abend im Sommer 2017 in Ibiza, als das Video entstand. So jemand in entscheidender politischer Funktion, als Vizekanzler der Republik Österreich, das erschien mit einem Mal unglaublich peinlich, vor allem aber ein staats­politisches Sicherheitsrisiko. 

Das ist wohl eine der wichtigsten Lehren aus dem Zerfall der österreichischen Koalition. Dabei geht es nicht nur um gute Kontakte zu Wladimir Putin, die die FPÖ ebenso pflegt wie andere rechtspopulistische Parteien Europas, sondern auch darum, wie Rechtspopulisten, einmal an der Macht, mit denen ihnen anvertrauten sicherheitsrelevanten Ressorts umgehen und welche ­doppelten ­Sicherheitsrisikos sich aus dieser Überschneidung ergeben.

Man stelle sich vor: Rechtspopulisten mit Vertrauensverhältnis zu Moskau säßen an entscheidenden sicherheitspolitischen Verwaltungsstellen des Staates, mit Zugang zu geheimen und vertraulichen Datenbanken und Informationen der zentralen Sicherheits- und Nachrichtendienste. Und jene Institutionen, die im Rahmen der Checks and Balances eines modernen Rechtsstaats für die Kontrolle zuständig sind, versagten, weil sie überfordert oder ebenfalls von der FPÖ dominiert sind.

In Ansätzen war das in Österreich der Fall. Recherchen von Medien, der Opposition und ein – aufgrund der anstehenden Neuwahlen im September 2019 soeben beendeter – parlamentarischer Untersuchungsausschuss haben diese beunruhigenden Prozesse teilweise freigelegt.

Die FPÖ und Russland

Strache und allen voran Gudenus standen innerhalb der FPÖ für einen Kurs der Annäherung an Putins Russland. Schon 2005 kam es zur ersten Kontaktaufnahme, erzählte Strache in jener Nacht in Ibiza, die ihm zum Verhängnis wurde. Damals war er gerade zum FPÖ-Chef ernannt worden. Der Journalist Maxim Shev­chenko, damals einer der persönlichen Berater des russischen Staats­chefs, habe Strache nach Moskau eingeladen. Schon damals habe er einen Plan entworfen, wie die FPÖ mit der Putin-Partei „strategisch zusammenarbeiten“ könne, erzählte Strache in Ibiza weiter. Überhaupt bewundere er Russland („Im Osten Europas sind die Menschen normal. Wir haben die Dekadenz im Westen, im ­Osten sind sie normal“) und wolle Österreich näher an die Visegrád-Gruppe und an Moskau heranführen. Sein erklärtes Vorbild sei Ungarns Premierminister Viktor Orbán.

Zentral für die Russlandannäherung war dann Gudenus, zum Zeitpunkt des Videos Wiener Vizebürgermeister, später in der Regierung stellvertretender FPÖ-Fraktionsvorsitzender im Parlament. Vor allem ist Gudenus aber Straches Freund und Vertrauter; er war es auch, an den sich die Urheber des Ibiza-Videos heranmachten und ihn, in Kenntnis seiner Moskau-Affinität, mit der entsprechenden Legende (eine reiche Oligarchennichte) reinlegten. Umso bezeichnender ist in dem Zusammenhang, dass Gudenus – seit einem Moskau-­Besuch mit der Schulklasse 1994 glühender Russlandfan und in den vergangenen Jahren regelmäßiger Besucher der Parteizentrale der Putin-Partei Einiges Russland – sich nicht die Mühe machte, den Lebenslauf der vermeintlichen Nichte zu überprüfen beziehungsweise überprüfen zu lassen.

Für den ukrainischen Politologen Anton Schechowzow ist Gudenus die österreichische Schlüsselfigur. Schechowzow forscht seit Jahren über die Verbindungen europäischer Rechtsextremer nach Moskau und lehrt am Institut für Politikwissenschaften der Universität Wien. Gudenus lernte schon als Schüler Russisch und besuchte in den Sommerferien Kurse an der Moskauer Lomonossow-Universität. Während seines Studiums an der Diplomatischen Akademie in Wien verbrachte er ein Jahr an der Diplomatischen Akademie des russischen Außenministeriums, die von der amerikanischen Central Intelligence Agency als Elite-Ausbildungsanstalt für Auslandsspione eingestuft wird. Vor Kurzem wurde durch Recherchen der Plattform Addendum bekannt, dass Gudenus einen Mailaccount der kremlnahen Firma mail.ru nutzt.

Gudenus managte von 2006 bis 2010 eine Firma mit Sitz in Wien und Moskau namens Donowan Invest Trading GmbH, die angeblich mit Baumwolle handelte, damit aber nur Verluste schrieb. 2012 reiste Gudenus nach Tschetschenien, um den Diktator Ramsan Kadyrow zu treffen. 2014 organisierte er in Wien ein Treffen zwischen Alexander Dugin und anderen Extremisten der Rechten Europas. Wie viele Putin-freundliche Rechtsnationale besuchte Gudenus im Jahr 2014 die von Russland besetzte Krim-Halbinsel, um die Annexion zu legitimieren. Natürlich war es auch Gudenus, der den Freundschaftsvertrag zwischen Putins Partei Einiges Russland und der FPÖ einfädelte und 2016 in Moskau mit unterzeichnete.

Strache machte sein Faible für Russland 2008 öffentlich. Damals bekam der FPÖ-Chef zum ersten Mal offiziellen Besuch aus Moskau. Der damalige Vizevorsitzende der russischen Duma traf den FPÖ-Chef im österreichischen Parlament. Ab dann schlug er sich bei vielen Gelegenheiten demonstrativ auf die Seite des russischen Präsidenten Putin. Als 2008 der Konflikt zwischen Georgien und Russland eskalierte, warb Strache um Verständnis für die russische Position. Man müsse erkennen, „dass Russland sich bedroht fühlt, auch provoziert fühlen muss“.

Anders als bei anderen europäischen Rechtspopulisten gibt es bis heute keine Beweise für finanzielle Unterstützung aus Moskau an die FPÖ. Die Partei betont stets, trotz des Freundschaftsvertrags mit Einiges Russland keine Gelder erhalten zu haben. 2014 sicherte sich beispielsweise die französische Front-National-­Chefin Marine Le Pen als Wahlkampfunterstützung einen Millionenkredit einer kremlnahen Bank. Vergangenen November deckten Journalisten des italienischen Magazins LEspresso auf, dass Russland offenbar plante, durch einen als Ölgeschäft getarnten Deal der italienischen Lega eine Finanzspritze zukommen zu lassen. Italiens Vizekanzler und Lega-Chef Matteo Salvini soll sogar an den Verhandlungen teilgenommen haben, berichtete LEspresso. Die Lega wies dies als „Fantasie“ zurück. Dass aber auch sie Kontakt zu russischen Geschäftsleuten unterhält, kann die FPÖ nicht bestreiten. 2016 schwärmte der extrem weit rechts stehende russische Oligarch und Putin-Vertraute Konstantin Malofejew von seinen „allerbesten Beziehungen“ zur FPÖ.

Die FPÖ und die Sicherheit

2017 überantwortete Sebastian Kurz der FPÖ in der „kleinen“ Koalition gleich drei zentrale Ressorts mit Sicherheitsthemen: das Innen-, das Verteidigungs- und das Außenressort. Letzteres wurde zwar von der offiziell „parteifreien“, aber der FPÖ nahe stehenden Außenpolitikexpertin Karin Kneissl geführt. Die Bilder ihrer privaten Hochzeitsfeier 2018, bei der Putin als Gast geladen war und Kneissl im Rahmen eines traditionellen Tanzes einen Knicks vor ihm machte, gingen um die Welt. 

Relevanter ist rückblickend aber die Besetzung des Innenministeriums mit Herbert Kickl, einem FPÖ-Veteran, der seine Karriere als Redenschreiber, Stratege, Wahlkampfleiter und Parteimanager zuerst bei dem 2008 tödlich verunglückten Parteichef Jörg Haider begann und dann, als sich Haiders Rivale Strache als dessen politischer Erbe entpuppte, rasch die Seiten wechselte. Kickl wird in Por­träts gern als „Hirn“ Straches bezeichnet. Er war kein Freund der Regierungszusammenarbeit mit der ÖVP; ihm wäre eine Koalition mit der SPÖ lieber gewesen. Das Innenministerium übernahm er nur widerwillig.

Einmal im Amt, setzte er auf umstrittene, harte Anti-Ausländer-Symbolpolitik und ressortintern auf klassische Machtpolitik. Er versuchte, das Innenministerium, das seit dem Jahr 2000 ununterbrochen von ÖVP-Ministern regiert worden war, mit ihm loyalen Beamten „auf Kurs“ zu bringen. Zum Innenministerium gehört auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT), neben dem Heeresnachrichtendienst Österreichs wichtigster Sicherheitsdienst.

Am 28. Februar 2018 kam es im BVT zu einer später berühmt gewordenen „Razzia“, bei der auf Antrag der Wirtschafts- und Korruptions­staatsanwaltschaft die für solche Einsätze normalerweise nicht zuständige „Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität“ unter Führung eines Wiener FPÖ-Gemeinderats unter anderem auch eine Hausdurchsuchung bei der Leiterin des BVT-­Extremismusreferats durchführte. Also genau jener Expertin, die dafür zuständig war, die Verbindungen der FPÖ in die Neonazi-, Identitären- und Rechtsextremismusszene zu beobachten. Unter anderem legte das BVT eine Liste mit 364 „ausgeforschten Mitgliedern“ der Identitären an.

Anlass für die Razzia war eine Anzeige des Generalsekretärs des Innenministeriums Peter Goldgruber, der von Innenminister Kickl kurz zuvor eingesetzt wurde und als FPÖ-­Vertrauter gilt. Laut einem Aktenvermerk der mit der Hausdurchsuchung befassten Staatsanwältin Ursula Schmudermayer habe Goldgruber ihr gesagt, „er habe vom Minister den Auftrag, das BMI aufzuräumen. Er ist der Meinung, das BMI sei derzeit so korrupt wie noch nie, und die Hauptprotagonisten der kriminellen Organisation im BMI hätten es verstanden, die internen Strukturen so zu gestalten, dass sich die Macht in den Händen einiger weniger konzentriere.“

Die Staatsanwältin dokumentiert in weiteren Aktenvermerken auch Druck aus dem Ministerkabinett Kickl auf sie und beklagt, dass die Sicherheit der sichergestellten und teils hochbrisanten Daten des BVT nicht gegeben sein könnte: „Die physische Bewachung des Serverstandorts (...) ist aber bei der WKSTA nicht gewährleistet.“ Auch dass die Hausdurchsuchung im BVT laut Einschätzung des Kabinetts Kickl „außenpolitisch ein Problem darstelle“, hält sie schriftlich fest.

Nicht nur die Motive, auch die Umstände der Razzia im Verfassungsschutz waren mehr als merkwürdig. Mehrere der Hausdurchsuchungen wurden vom Oberlandesgericht Wien nachträglich für unverhältnismäßig erklärt, ein im Herbst 2018 eingesetzter parlamentarischer Untersuchungsausschuss förderte schwere Unstimmigkeiten zu Tage. 

„Jetzt ist es so weit. Jetzt ist der Tag X, von dem in der (rechtsextremen, Anm. der Red.) Szene immer geredet wird: Wenn sie an die Macht kommen, dann hängen sie als erstes die Staatspolizei auf und als nächstes kommt die Justiz dran“, ­schilderte die Leiterin des BVT-Extremismusreferats später im Untersuchungsausschuss ihr Empfinden am Tag, als die Polizei vor ihrer Haustüre stand.

Ausgerechnet Goldgruber war es auch, der von Kickl mit einer „Reform“ des BVT beauftragt wurde. Diese wirkte, je länger der Untersuchungsausschuss forschte, aber immer mehr wie die versuchte Gründung eines FPÖ-Geheimdiensts innerhalb des Geheimdiensts.

Goldgruber ist in Österreich kein Unbekannter. Er engagierte sich schon vor Jahren beim Aufbau einer FPÖ-nahen Gewerkschaft innerhalb der Polizei (die sogenannte AUF). Wie andere oppositionelle Rechtsparteien hat die FPÖ immer wieder Probleme mit der Personalrekrutierung, ihr fehlen die entsprechenden Vorfeld­organisationen großer Volksparteien. Wenn sie an die Macht kommt, greift sie zum einen auf das Netzwerk an Burschenschaftlern zurück, aus dem zwar akademisch gebildete Mitarbeiter stammen (meistens Juristen), die aber oftmals einschlägig deutschnational oder rechtsextrem sozialisiert und belastet sind. Oder es dienen sich ihr Enttäuschte und Zukurzgekommene an – so wie jener Major, der von Goldgruber für das BVT-Reformprojekt rekrutiert wurde und im Untersuchungsausschuss mit einer seltsamen Mischung aus Inkompetenz und Geprotze auffiel, die an Straches und Gudenus Ibiza-Video erinnerte.

Ringen um Reputation

Ein wichtiger Faktor für das Ansehen des BVT bei den internationalen Partnerdiensten ist dessen Direktor Peter Gridling, der von Kickl zeitweise suspendiert wurde. „Gab es in Ihrer mehr als zehnjährigen Amtszeit jemals eine derartig schwierige Situation in der Zusammenarbeit mit Partnerdiensten wie im letzten Jahr und im heurigen Jahr?“, wurde Gridling im Untersuchungsausschuss Anfang Juni 2019 gefragt. „Nein“, lautete seine knappe Antwort. 

Ab Herbst 2018, als im Untersuchungsausschuss immer mehr Details zur Razzia aufgearbeitet wurden, ist auch dokumentiert, wie sehr das BVT um seine Reputation im Austausch mit Partnerdiensten kämpfen muss. Im September wurde bekannt, dass das BVT im Rahmen des Berner Clubs – dem informellen Zusammenschluss von 30 europäischen Inlandsgeheimdiensten – von den Arbeitsgruppen suspendiert worden war. Im November 2018 veröffentlichte das Magazin Falter ein Geheimdokument des finnischen Geheimdiensts, wonach EU-Partner dem österreichischen Verfassungsschutz bei Ermittlungen gegen russische Spione nicht mehr trauen. Die Putin-Nähe der FPÖ sei ein Sicherheitsrisiko. Am 20. November 2018 wurde öffentlich, dass auch das US-Außenministerium in einem offiziellen Dokument bestätigte, dass sich Washington wegen der „prorussischen Haltung“ der FPÖ bei der Weitergabe von Geheiminformationen an Österreich zurückhalte.

Das BVT sei vom internationalen Informationsfluss zwischen den Nachrichtendiensten weitgehend abgeschnitten, berichtete der Standard (8. April). Mehreren Quellen zufolge haben niederländische und britische Dienste den Kontakt nach Wien fast komplett abgebrochen. Amsterdam und London „heben nicht mehr ab“, sagten Insider der Zeitung. „Wir überlegen uns sehr genau, was wir mit unseren österreichischen Partnern teilen, weil wir uns nicht sicher sein können, wo die Informationen am Ende landen“, zitiert die New York Times einen hochrangigen europäischen Nachrichtendienstbeamten. Im Mai wurde der Chef des deutschen Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, in der Welt am Sonntag mit den Worten zitiert, er „misstraue“ dem BVT.

Kurz, zu diesem Zeitpunkt noch Kanzler, spielt die Isolierung Österreichs in der internationalen Nachrichtendienstwelt herunter. Die Russlandverbindungen der FPÖ seien übertrieben, sagte er der New York Times sinngemäß. Auch bei seiner Befragung im Untersuchungsausschuss im Juni zeigte er sich unbekümmert. Eine persönliche Information zur BVT-Razzia habe er nicht angefordert. Die Option einer weiteren Koalition mit der FPÖ nach den Neuwahlen im Herbst ließ er offen.

Dabei steht außer Frage, dass sich die FPÖ als Regierungspartei als eklatantes, doppeltes Sicherheitsrisiko erwiesen hat. Ihre Russlandkontakte waren ebenso bekannt wie die Anfälligkeit für Korruption und die mangelnde Erfahrung in der Regierungsarbeit. Nur hat die ÖVP dieses Risiko viel zu lange ausgeblendet – und tut es immer noch.

Dr. Barbara Tóth ist Politik-Redakteurin beim Wiener Magazin Falter.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/ August 2019, S. 110-115

Teilen

Mehr von den Autoren