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01. März 2012

Kriegsopfer, aber keine Friedenspartner

Einige Hintergründe zum Thema Frauen und Sicherheit

Frauen sind in den brutalen Kriegen unserer Zeit oft die größten Leidtragenden, werden bei Friedensverhandlungen aber meist ausgeschlossen. Dabei zeigt die Realität: Werden sie in Konfliktlösungen einbezogen, erweisen diese sich als haltbarer, und gleichberechtigte Gesellschaften
sind nicht nur stabiler, sondern auch erfolgreicher.

Der Charakter des Krieges verändert sich, und damit auch dessen Auswirkungen auf Frauen. Derzeit gibt es zahlreiche aktive Konflikte, von denen viele brutale Bürgerkriege sind. An diesen Kriegen sind oft nichtstaatliche Akteure beteiligt, die immer häufiger den Tod von Zivilisten verursachen. Insbesondere Frauen, die entführt, vergewaltigt oder vertrieben werden, sind davon massiv betroffen. Im Ersten Weltkrieg lag die Zahl der nicht an Kampfhandlungen beteiligten Opfer bei 10 Prozent, im Zweiten Weltkrieg bei 50 Prozent. In den gegenwärtigen Konflikten in Afrika liegt diese Zahl bei 90 Prozent.

Hier einige Zahlen zu sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt (sexual and gender-based violence / SGBV) in Konflikten der vergangenen 20 Jahre: Während des Völkermords in Ruanda wurden 250 000 bis 500 000 Mädchen und Frauen vergewaltigt; während des Krieges in Bosnien-Herzegowina wurden 20 000 bis 50 000 Mädchen und Frauen vergewaltigt; in Sierra Leone wurden 50 000 bis 64 000 im Land vertriebene Frauen Opfer sexueller Übergriffe durch Soldaten; während des über zehn Jahre andauernden Konflikts in der Demokratischen Republik Kongo wurden mehr als 200 000 Frauen und Kinder vergewaltigt.

Die traditionellen Methoden, Frieden zu schaffen, haben sich beim Versuch der Beendigung dieser kleineren Kriege als ineffektiv erwiesen. Fast die Hälfte der Abkommen, durch die während der neunziger Jahre Konflikte beendet werden konnten, wurde innerhalb von fünf Jahren nach deren Unterzeichnung gebrochen. Statistiken der Weltbank zufolge fanden 90 Prozent der Bürgerkriege im 21. Jahrhundert in Ländern statt, in denen es bereits in den vorangegangenen 30 Jahren zu einem Bürgerkrieg gekommen war.

Frauen wurden in die Friedensprozesse in der Regel nicht eingebunden.Während der vergangenen 20 Jahre wurden Hunderte Friedensverträge unterzeichnet. Die Stichprobenanalyse dieser Verträge hat ergeben, dass weniger als 8 Prozent der Verhandlungsteilnehmer weiblich waren. Eine Prüfung von 585 Friedensabkommen aus 102 Friedensprozessen durch die UN-Frauenorganisation UNIFEM ergab, dass seit 1990 nur 92 Friedensabkommen (16 Prozent) wenigstens einen Verweis auf Frauen oder Gleichberechtigung enthielten. Eine andere Analyse von UNIFEM ergab, dass SGBV in nur 18 von 300 überprüften Friedensabkommen erwähnt wurde.

Frieden schaffen

Frauen leisten nicht nur in, sondern auch außerhalb der Verhandlungen einen wichtigen Beitrag. Mehr und mehr Anzeichen deuten darauf hin, dass Frauen auf einzigartige Art und Weise zur Schaffung und Erhaltung von Frieden beitragen – und dass dies nicht nur für Frauen, sondern für eine ganze Gesellschaft zu besseren Ergebnissen führt. Frauen bringen in Friedensverhandlungen Themen zur Sprache, die zur Aussöhnung, zum Wiederaufbau und zur Schaffung eines gerechten und dauerhaften Friedens beitragen.

Forschungsergebnissen der International Crisis Group im Sudan, Kongo und in Uganda zufolge sprechen Frauen, die an Friedensverhandlungen teilnehmen, häufiger Themen wie Menschenrechte, Sicherheit, Gerechtigkeit, Beschäftigung, Bildung und Gesundheitsversorgung an, die von entscheidender Bedeutung für Aussöhnung und Wiederaufbau sind und daher zu dauerhaftem und nachhaltigem Frieden führen.

In Nordirland erreichten weibliche Verhandlungsteilnehmer, dass das Karfreitagsabkommen von 1998 auch Bestimmungen zur Aussöhnung und Inte­gration sowie über die Rechte von Opfern enthält. Dazu zählten beispielsweise wichtige soziale und wirtschaftliche Bedürfnisse – wie zum Beispiel integratives Wohnen und integrative Bildung –, was die Beständigkeit und den Erfolg des Abkommens sicherstellte.

Weniger als ein Jahr nach dem Völkermord 1994 in Ruanda begannen die Ehefrauen von Tätern aus verschiedenen ethnischen Gruppen und politischen Parteien, zusammen am Wiederaufbau des Landes zu arbeiten. Die ruandischen Frauen schlossen sich zusammen, um Programme ins Leben zu rufen, die den Überlebenden in Sachen Unterbringung, Gesundheitsversorgung, Bildung und Beschäftigung helfen sollten. Diese Bemühungen trugen zur Vermeidung weiterer Konflikte bei.

Frauen setzen sich häufig für Randgruppen ein und organisieren sich über kulturelle und religiöse Gräben hinweg. Das führt dazu, dass die Stimmen von mehr Menschen gehört werden, die ein Interesse an der Zukunft des Landes haben, was für die langfristige Stabilität wichtig ist.

In der verfassunggebenden Versammlung 2004 in Afghanistan machten Frauen zwar lediglich 20 Prozent der Delegierten aus, aber sie setzten erfolgreich die Gleichberechtigung aller afghanischer Bürger durch und unterstützten gemeinsam über ethnische Grenzen hinweg die Bemühungen der usbekischen Minderheit, ihre Sprache offiziell anerkennen zu lassen. In Südafrika sind Frauengruppen vor der Ausarbeitung der neuen Verfassung nach der Apartheid zusammengekommen und haben die Women’s Charter for Effective Equality veröffentlicht. Der Einfluss der Charta hat unmittelbar zu einer Verfassung geführt, die nicht nur Frauen die gleichen Rechte garantiert wie Männern, sondern auch Rechte enthält, von denen die Gesellschaft insgesamt profitiert, wie das Recht auf Bildung, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit und Sicherheit der Person.

In bestimmten Konflikten sind Frauen in der Lage, beispiellose Ergebnisse zu erzielen, weil sie als ehrliche Makler im Friedensprozess betrachtet werden. Ein UNIFEM-Bericht, der sich auf umfassende Interviews mit Unterhändlern in den Friedensprozessen in Burundi, Südafrika und Nordirland stützt, hat gezeigt, dass die Fähigkeit von Frauen zu kommunizieren, sich in andere hineinzuversetzen, Vertrauen aufzubauen, alle Seiten einzubeziehen und Streitigkeiten beizulegen, Verhandlungen und Kompromisse vorangebracht hat. Viele haben darüber hinaus berichtet, dass sich Männer in Friedensgesprächen weniger aggressiv verhalten, wenn Frauen anwesend sind, was zu einem besseren Dialog und besserer Kommunikation führt.
Frauen üben zudem außerhalb der eigentlichen Verhandlungen Druck aus, um Fortschritte herbeizuführen.

In Kolumbien war die Arbeit von Frauengruppen für die Aufnahme von Friedensgesprächen zwischen der Regierung und den FARC-Rebellen 1999 von großer Bedeutung. Nachdem die Friedensgespräche 2002 abgebrochen worden waren, organisierten Frauen in Kolumbien Massendemonstrationen für dauerhaften Frieden und sensibilisierten die Menschen landesweit für ihr Anliegen.

In Somalia schlossen sich Frauen im Jahr 2000 über alte Stammeszugehörigkeiten hinweg zusammen, um die Menschenrechte von Frauen, Kindern und Angehörigen von Minderheitengruppen zu schützen, und drängten auf umfassende Beteiligung am Friedensprozess. Sie bezeichneten sich selbst als Sixth Clan Coalition und halfen bei der Erarbeitung einer nationalen Charta, die eine Quote von 25 Sitzen für Frauen in der 245 Sitze umfassenden Übergangsnationalversammlung enthielt.

Im gleichen Jahr organisierten Frauen in Burundi vor der Unterzeichnung des Friedensabkommens der Regierung eine Friedenskonferenz, in der sie sich auf eine Erklärung einigten, die die an den Friedensverhandlungen Beteiligten dazu aufforderte, geschlechtsspezifische Themen in ihre Diskussionen einzubeziehen. Die meisten Empfehlungen der Frauen wurden in das Friedensabkommen aufgenommen. Später, im Jahr 2005, führten die fortgesetzten Bemühungen der Frauen zu einer neuen Verfassung, die eine Frauenquote von 30 Prozent in der Regierung vorsah.

Wenn eine Gesellschaft einen Konflikt überwindet, hat die wirtschaftliche und politische Teilhabe von Frauen einen Multiplikatoreffekt, von dem alle profitieren. Der „Gender Gap Report“ des Weltwirtschaftsforums zeigt, dass dort, wo die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern fast überwunden werden konnte – dazu gehören die Bereiche Bildung, Gesundheit sowie wirtschaftliche und politische Teilhabe –, das Land und die Volkswirtschaft wettbewerbsfähiger und wohlhabender sind.

In Indien hat eine Studie gezeigt, dass von Frauen geleitete Dörfer mehr in Trinkwasser und Infrastruktur investieren und eine größere Impfdichte bei Kindern, weniger geschlechtsspezifische Unterschiede beim Schulbesuch, eine niedrigere Korruptionsrate und eine verstärkte politische Partizipation von Frauen aufweisen.
Die Gleichbehandlung und die Sicherheit von Frauen hängen mit der Sicherheit im Staat zusammen und der Bereitschaft des Staates, Gewalt auszuüben. Studien legen nahe, dass nicht nur ein höherer Grad an Gleichberechtigung und physischer Sicherheit für Frauen mit der Sicherheit und Friedfertigkeit eines Staates korreliert, sondern auch, dass die Verringerung der Ungleichheit und Verbesserungen der Sicherheit für Frauen eine wichtige Grundlage für Stabilität sein können.

Forschungen haben ergeben, dass die soziale, politische, wirtschaftliche und geschlechtsspezifische Gleichberechtigung in einem Land mit der Abhängigkeit eines Staates von militärischer Macht während eines Konflikts oder einer Krise korreliert. Daten aus den Jahren 1954 bis 1994 zeigen, dass Staaten mit mehr Gleichberechtigung weniger Gewalt einsetzen, um mit Krisen umzugehen als Staaten mit weniger Gleichberechtigung.

HILLARY RODHAM CLINTON ist Außenministerin der USA.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/ April 2012, S. 16-19

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