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01. Jan. 2019

„Kooperation ist unumgänglich“

Madame Fu Ying mahnt die Staatengemeinschaft zum engen Miteinander

1. Was sehen Sie als größte Herausforderung der internationalen Politik 2019 an?

Die Welt scheint angesichts immer schärferer Interessenkonflikte zwischen den Großmächten ihren Orientierungssinn zu verlieren. Die Veränderungen, die 2018 begonnen haben, werden sich 2019 fortsetzen. Vor uns liegen zwei herausragende Entscheidungen: Werden China und die USA die Spannungen in ihrem Verhältnis eskalieren lassen und sich voneinander abkoppeln? Manche Akteure in den USA drängen darauf. Werden sie so die Weltgemeinschaft spalten und in eine Konfrontation auf allen Ebenen führen? Oder werden sie zur Kooperation zurückkehren? Dies wird die Richtung bestimmen, in die sich die Welt bewegt. Die jüngsten Spannungen zwischen beiden Ländern sind schneller eskaliert als viele erwarteten, und die Reibungen im Handel schlagen auch auf andere Bereiche durch. Zum Zweiten geht es darum, ob die Welt weiter in Richtung wirtschaftlicher Globalisierung und Multilateralismus geht oder ob sie Rückschritte macht. Wird unsere Zukunft besser sein, wenn wir uns für den Rückzug entscheiden? Die Antwort lautet höchstwahrscheinlich Nein, da ein solcher Rückzug einen rücksichtslosen Wettbewerb auslösen würde. Europa gehört seit Langem zu den treibenden Kräften des Multilateralismus. Seine Entscheidung wird von zentraler Bedeutung sein.

2. Sollte sich jedes Land in der immer komplexeren Welt auf sich selbst verlassen oder führt mehr internationale Zusammenarbeit in eine bessere Zukunft? Brauchen wir neue Institutionen?

In der globalisierten Welt sind Eigenständigkeit und Inklusivität keine absoluten Werte. Sie sollten sich auch nicht gegenseitig ausschließen, sondern sich ergänzen. Dass China vor 40 Jahren den Weg der Reform und der Öffnung beschreiten konnte, war ganz zentral der Tatsache geschuldet, dass die Welt in ein Zeitalter von Frieden und Entwicklung eingetreten war. Heute ist dies immer noch der wichtigste Trend. China und die USA sind die wichtigsten Handels- und Geschäftspartner, und es ist unrealistisch, dass sie sich voneinander abkoppeln. Ein gutes Beispiel dieser Verwobenheit sind Design, Produktion, Montage und Verkauf eines amerikanischen iPhones: eine Reise, die die Globalisierung perfekt widerspiegelt. Im Bereich der Sicherheit könnte ein solches „Abkoppeln“ ebenfalls ernste Konsequenzen haben. Viele globale Probleme können nur durch gemeinsame Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft gelöst werden. Wenn Großmächte exklusive Sicherheit anstreben, entstehen neue Sicherheitsdilemmata, die die Menschheit zurück in den Schatten des Kalten Krieges oder gar eines heißen Krieges werfen.

Zusammenarbeit ist unumgänglich, um mit globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Umweltverschmutzung und Bedrohungen der Sicherheit fertig zu werden; auf der anderen Seite wird die technologische Revolution die Synergien internationaler Zusammenarbeit vergrößern. Die internationalen Institutionen und Regeln, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, wie die Welthandelsorganisation und der Internationale Währungsfonds, genießen noch immer breite Akzeptanz und Unterstützung. Dennoch sind Anpassungen und Reformen erforderlich. Es ist weder machbar noch notwendig, die bestehenden Institutionen abzuschaffen und ganz von vorne anzufangen, aber sie müssen verstärkt werden. So braucht es neue Regeln, um den Wettbewerb und die Zusammenarbeit in Bereichen zu regeln wie der Tiefsee, dem Weltraum, den Polarregionen, dem Cyberraum und der Künstlichen Intelligenz.

3. Sehen Sie uns in Zeiten fundamentaler Veränderungen? Was sind die Antriebskräfte?

Zu den wichtigsten großen Veränderungen in der Welt von heute gehört die industrielle Transformation, bewirkt von wissenschaftlichen und technologischen Innovationen. Sie verändert, wie Menschen leben und kommunizieren. Mit dem Internet, Big Data, Blockchain und Künstlicher Intelligenz als Antriebskräften kann es jederzeit zu neuen, sich immer weiter entwickelnden und unvorhersehbaren Transformationen kommen. All dies hat unser Verständnis der Welt immer mehr verändert – hoffentlich zum Guten.

Die fundamentale Antriebskraft dieses Wandels ist die Menschheit und ihr Streben nach einem besseren Leben. Unbegrenztes Streben inspiriert unbegrenzte Kreativität. Es wird wohl immer Zeiten geben, in denen manche Menschen den Wunsch, neue Technologien für den Krieg einzusetzen, nicht unterdrücken können. Deswegen stellt der schnelle Fortschritt der modernen Technologien auch höhere Ansprüche an die Selbstdisziplin und moralische Prinzipientreue der Menschheit. Es gibt keinen Zweifel, dass die Mehrheit der jungen Generation, die im Internetzeitalter aufgewachsen ist, keinen Krieg erleben will. Die Frage ist, ob und wie die menschliche Kreativität genutzt werden kann, um die Chancen für Weltfrieden und die Vorteile für möglichst große Teile der Bevölkerung zu maximieren statt Ungleichheit oder sogar Krieg zu verursachen.

Die neuen Technologien haben unser Leben sehr viel besser gemacht, sie bergen aber auch Risiken für die Sicherheit, die Privatsphäre und andere Bereiche. Nur durch noch engere Zusammenarbeit werden die Staaten Technologie und Wachstum miteinander vereinbar machen können. Nur durch Konsultationen können sie gemeinsam die Herausforderungen bewältigen, die durch eine unausgewogene und unzureichende Entwicklung entstehen. Nur so werden wir uns auf den Weg zu einer Gemeinschaft der Menschheit machen können, in der wir eine gemeinsame Zukunft haben.

Fu Ying ist Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses in China.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2019, S. 52-53

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