Unterm Radar

01. März 2020

Konfliktlinien in Kamerun

In den anglophonen Provinzen Nord- und Südwest eskaliert ein Sezessionskonflikt, es herrschen Unsicherheit und Gewalt. Obwohl Separatisten, Regierung und die internationale Gemeinschaft um Frieden ringen, ist eine politische Lösung nicht in Sicht.

Inzwischen gibt es fast 3000 Todesopfer und 600 000 Binnenvertriebene in den beiden westlichen Regionen Kameruns. Weitere Tausende anglophone Einwohner sind aus den Epizentren des Konflikts Bamenda, Buea und Kumba vor staatlichen Sicherheitskräften und separatistischen Kämpfern ins benachbarte Nigeria geflüchtet. Aus dem Konflikt um die Nutzung von Sprache in öffentlichen Institutionen ist längst ein Konflikt um die Zugehörigkeit einer Minderheit, um gesellschaftlichen Zusammenhalt und ökonomische Beteiligung geworden.

Vor allem von staatlichen Sicherheitskräften geht massive Gewalt aus; es mehren sich Berichte von Folter, Erschießungen und Hauszerstörungen. Schulen stehen im Zentrum des Konflikts, schon seit drei Jahren gehen geschätzt 800 000 Kinder nicht mehr zum Unterricht, nachdem Separatisten einen Boykott ausgerufen haben und die Sicherheitslage es nicht mehr zulässt. Da inzwischen über 1,3 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sein sollen, appellierten kamerunische NGOs und internationale Menschenrechtsorganisationen schon vielfach an den UN-Sicherheitsrat; bisher gab es allerdings nur ein informelles Treffen im Mai 2019.



Erbe der Kolonialzeit

Dabei begann der Konflikt bereits im Oktober 2016, als anglophone Juristen und Lehrkräfte streikten, um sich für die Nutzung von Englisch in Gerichtssälen und Schulen im mehrheitlich französischsprachigen Kamerun einzusetzen. Nach weitflächigen Demonstrationen riefen am 1. Oktober 2017 anglophone Aktivisten den unabhängigen Staat „Ambazonien“ aus. Nachdem dieser Protest von Regierungsseite unterdrückt wurde – die bereits zuvor die anglophonen Provinzen über drei Monate vom Internet abgeschnitten hatte –, eskalierte der Konflikt gewaltvoll.

Konfliktlinie und Auslöser sind allerdings nicht neu, sondern verweisen auf die koloniale Grenzziehung: Kamerun war seit 1884 ein deutsches Schutzgebiet, das mit dem Versailler Vertrag in zwei Teile geteilt wurde. Diese wurden von England und Frankreich getrennt verwaltet und als solche in das UN-Treuhandsystem überführt. Nachdem 1960 der französische Teil bereits unabhängig geworden war, fand im englischen Teilgebiet 1961 ein Referendum über die gewünschte Zugehörigkeit zu Nigeria oder dem französischen Teil Kameruns statt – jedoch ohne Option auf Unabhängigkeit. Nur der südliche Teil sprach sich für die Zugehörigkeit zu Französisch-Kamerun aus.

Aufgrund der historischen Entwicklung haben zwei Provinzen ein eigenes juristisches und schulisches System, das von britischer Herkunft zeugt. Und deshalb sprechen die rund drei Millionen Einwohner in den Regionen Nordwest und Südwest auch englisch und nicht französisch. In den anglophonen Provinzen leben 20 Prozent der kamerunischen Bevölkerung; sie beherbergen die Ölvorkommen des Landes und eine kleine Start-up-Szene.

Der aktuelle Konflikt wird oftmals mit dieser besonderen historischen Konstellation erklärt – auch wenn sich dann die Frage aufdrängt, warum die Gewalt erst jetzt, Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit, ausgebrochen ist. Kamerun ist geprägt von einer Sprachen- und Identitätsvielfalt, in der Englisch und Französisch teilweise nur Verkehrssprachen sind. Es zeigt, dass der Konflikt um Sprache nur eine Konfliktlinie neben weiteren ist.



Gesellschaftliche Spaltung

Im Vergleich zu den zentralafrikanischen Nachbarländern galt Kamerun trotz Diversität lange als stabil und wirtschaftlich wachsend. Obwohl das Land eigentlich ressourcenreich ist, bestimmen Armut, soziale Ungerechtigkeit und ungleiche wirtschaftliche Teilhabe schon lange den Alltag vieler dort lebenden Menschen.

Die Konfliktherde zeigen sich zumeist dort, wo gesellschaftliche Spaltung auftritt und instrumentalisiert wird: zwischen ethnischen Gruppen, zwischen Stadt und Land, zwischen den Geflüchteten aus der Zentralafrikanischen Republik, dem Tschadseebecken und Binnenvertriebenen, aber vor allem zwischen den Generationen. Denn über 60 Prozent der Kameruner sind jünger als 25 Jahre, womit sich ein explosiver Generationenkonflikt andeutet – zumal Jugendliche oder junge Erwachsene politisch kaum Beachtung finden.

Bereits 2005 und 2008 kam es zu Protesten von Jugendlichen und Studierenden, vor Kurzem streikten für drei Wochen Promovierte der staatlichen Universitäten. Hinzu kommen die umfassende Korruption und die bleierne Schwere des Systems, das keine Zukunftsvision erkennen lässt: Seit 37 Jahren regiert Staatspräsident Paul Biya das Land teilweise autokratisch und hat trotz seines Alters bisher keine Nachfolgeregelung festgelegt. Stattdessen verbringt Biya seine Zeit lieber außerhalb des Landes.

Große Unsicherheit herrscht auch im Norden des Landes, der von Boko-Haram-Attacken und der Tschadseebecken-Krise bestimmt wird. Der Norden ist auch die ärmste Region Kameruns und es gibt kaum staatliche Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur. Diese mangelnden Investitionen ohne Zukunftsorientierung zeigen sich im Kleinen auch in den anderen Landesteilen. Dennoch soll Kamerun bis 2035 zum Schwellenland aufsteigen, wofür große Infrastrukturprojekte angestrengt werden. So wird beispielsweise die am Golf von Guinea liegende Stadt Kribi in einem millionenschweren Projekt mit Unterstützung Chinas zum größten Tiefseewasserhafen in Zentralafrika ausgebaut.  



Dialog für stabilen Frieden

Leider ist ein Ende der Konflikte und Unsicherheit nicht in Sicht. Bisher hat Präsident Biya auf Krisen und Separationsbestrebungen mit harter Hand reagiert: Seit Beginn der anglophonen Krise gibt es unzählige Festnahmen der führenden Aktivisten. Zudem wurde Biya im Oktober 2018 für seine siebte Amtszeit mit über 70 Prozent der Wählerstimmen bestätigt, auch wenn die Beteiligung in den anglophonen Gebieten äußerst gering war.

Seit der Wiederwahl Biyas sollen die Sicherheitskräfte in den anglophonen Gebieten noch brutaler vorgehen. Im August 2019 hat ein Militärgericht Julius Sisiku Ayuk Tabe, Präsident des selbstproklamierten Ambazoniens, zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt. Zusätzlich angeheizt wurde der Konflikt, weil die Anglophonen wie Terroristen behandelt wurden und ihnen zeitweilig die Todesstrafe drohte. Biya nutzt die angespannte Lage aber auch, um gegen seine politischen Gegner vorzugehen. So wurde sein Gegenkandidat bei der Präsidentschaftswahl 2018, Maurice Kamto, im Januar 2019 festgenommen und erst nach neun Monaten wieder aus dem Gefängnis entlassen. Um auf die bedrohte Situation der Anglophonen aufmerksam zu machen, spricht ein offener Brief von „Ruanda in Slow Motion“.

Im Spannungsverhältnis dazu deutet sich innenpolitisch der Wunsch nach Normalität an. Am 9. Februar 2020 fanden die vor zwei Jahren aufgrund der Sicherheitslage verschobenen Parlaments- und Regionalwahlen statt. Aber auch diese Wahlen waren geprägt von Unruhen, Gewalt und Boykott, wie etwa vom Oppositionsführer Kamto. Vom Ausgang der Abstimmung ist jedoch keine große Änderung zu erwarten, denn das Parlament hat wenig Einfluss.

Seit Mitte 2019 bemüht sich die Regierung zudem verstärkt, Dialogbereitschaft zu signalisieren und auch tatsächlich umzusetzen. Deshalb fand im Oktober ein fünftägiger Großer Nationaler Dialog statt, der jedoch von negativer Berichterstattung überschattet wurde: So sollen die Agenda von Regierungsseite festgelegt worden und führende Separatisten nicht erschienen sein, weil sie Angst gehabt hätten, festgenommen zu werden. Zudem gab es Vorwürfe, dass es sich bei dem Dialog ohnehin nur um eine Scheinveranstaltung handele, um vor den Augen der Weltöffentlichkeit nicht das Gesicht zu verlieren. Nach Abschluss des Dialogs wurden im Dezember 2019 einige Forderungen der Separatisten erfüllt und den englischen Provinzen ein besonderer Status gegeben – diese werden von Teilen der Separatisten nicht anerkannt.

Bereits im Sommer hatte die Schweiz angeboten, in dem Konflikt zu vermitteln, was die Regierung aber ablehnte. Vor Kurzem hat sich Tibor Nagy, der amerikanische Vize-Unterstaatssekretär für Afrikanische Angelegenheiten, hinter die Schweizer Initiative gestellt. Zuvor hatten die USA bereits im Februar 2019 aufgrund der Menschenrechtsverletzungen ihre militärische Unterstützung gekürzt und in einer Resolution dazu aufgerufen, Frieden wiederherzustellen. Deutschland hatte im Juli das planmäßige Ende der Bundeswehrmission verkündet.

Wichtig bleibt, eine friedliche Lösung für die humanitäre Krise zu finden und vor allem die Sicherheit für Zivilisten wieder herzustellen. Anschließend muss das Engagement weitergehen, denn eine dauerhafte Friedenslösung bedarf eines ehrlichen, nachhaltigen und gesicherten Dialogs für und mit allen beteiligten Parteien. Im Einklang mit lokalen Akteuren sollten Friedensperspektiven erarbeitet und das Land für die Zukunft vorbereitet werden.

 

Dr. Maria Ketzmerick ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg. Dort hat sie im Sonderforschungsbereich „Dynamiken der Sicherheit“ zu postkolonialen Sicherheitskonstruktionen im kamerunischen Dekolonisierungskrieg promoviert.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2020, S. 12-14

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