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01. Aug. 2004

Kohle bleibt unverzichtbar

Der Ausstieg aus der Steinkohlenförderung wäre ein Fehler

Der deutsche Steinkohlenbergbau unterliegt seit Jahrzehnten einem tief greifenden Strukturanpassungsprozess.
Doch der Zugang zu eigener Steinkohle, so das Geschäftsführende Vorstandsmitglied
des Gesamtverbands des deutschen Steinkohlenbergbaus, stellt nach wie vor ein
wichtiges Element unserer Versorgungssicherheit dar.

Steinkohle ist in Deutschland seit jeher ein politisches Thema. Ihre Zukunft wird kontrovers beurteilt. Bei näherer Betrachtung sind aber die Begründungen derer, die ein kurzfristiges Auslaufen der Steinkohlenbeihilfen und damit einen Verzicht auf den Zugang zur größten deutschen Rohstoff- und Energiereserve fordern, wenig stichhaltig.

Das Diktum „veraltet“ mutet vor dem Hintergrundglobaler Entwicklungen und selbst des europäischen Lieblingsthemas Klimaschutz merkwürdig an.

Tatsächlich ist der derart geschmähte Bergbau, wie auch Stahl, Chemie und Energieerzeugung, in Deutschland technisch innovativer und damit moderner als manche Favoriten politisch korrekter Symbolpolitik.

Die derzeit geltende Vereinbarung des Bergbaus mit der Politik aus dem Jahre 1997 sieht im Zeitraum bis 2005 gegenüber 1996 eine Halbierung der Absatz- und Stilllegungshilfen vor. Im Ergebnis sind für 2005 noch 2,7 Milliarden Euro vorgesehen. Damit wird die Kapazität auf 26 Millionen Tonnen ebenfalls halbiert. Erklärtermaßen soll damit ein „lebender Bergbau“ erhalten bleiben und der unvermeidliche Abbau der Beschäftigtenzahl „ohne Massenentlassungen“ erfolgen.

Die heutige deutsche Bundesregierung hat nach ihrer Wahl 1998 diese vertraglich und gesetzlich fixierte Vereinbarung übernommen und eine Anschlussregelung für die Zeit ab 2006 vorbereitet. Zunächst ist auf europäischer Ebene nach Auslaufen des EGKS-Vertrags im Jahre 2002 eine rechtliche Gleichstellung des Steinkohlenbergbaus mit den Beihilferegeln des EG-Vertrags erfolgt. Der Rat hat eine neue Verordnung über Steinkohlenbeihilfen verabschiedet, mit einer Laufzeit zunächst bis zum Jahr 2010. Bis einschließlich 2004 liegen auch die jährlich erforderlichen Genehmigungen vor.

Im Jahr 2003 ist dann unter Federführung von Bundeskanzler Gerhard Schröder eine neue politische Vereinbarung getroffen worden. Bis 2012 wurde ein neuer Finanzrahmen beschlossen, der auch ab 2006 eine weitere Degression der jährlichen Finanzierungsfonds auf 1,83 Milliarden Euro in 2012 vorsieht. Zuzüglich steigt der „Eigenbeitrag“ des Unternehmens RAG AG auf 170 Millionen Euro an. Gegenüber 2005 bedeutet das einen weiteren Subventionsabbau um ein Drittel. Das Mengenziel sieht eine entsprechende schrittweise Verringerung der jährlichen Fördermenge auf 16 Millionen Tonnen im Jahr 2012 unter der Bedingung sozialverträglicher Belegschaftsanpassung vor.

Der deutsche Steinkohlenbergbau unterliegt bereits seit Jahrzehnten einem tief greifenden Strukturanpassungsprozess. Der Subventionsabbau seit 1997 in diesem Bereich ist in Deutschland bislang beispiellos.

Gleichwohl haben wir damit, wie es der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Peer Steinbrück, bekundet hat, „keinen Auslaufbergbau – sondern bewegen uns hin auf einen lebensfähigen Sockelbergbau.“ Wozu ein solcher Sockelbergbau dient, hat die Bundesregierung in ihrer Entscheidung über die Förderung des Steinkohlenbergbaus 2006 bis 2012 klar begründet: „Ein leistungs- und lebensfähiger Steinkohlenbergbau sichert den Zugang zur größten eigenen Energierohstoffreserve und erhält diese versorgungspolitische Option für künftige Generationen. … Angesichts hoher und wachsender Importabhängigkeit bei Energierohstoffen stellt der Zugang zu eigener Steinkohle ein wichtiges Element unserer Versorgungssicherheit dar. Darüber hinaus dient der Bergbau im eigenen Land als Basis für die Entwicklung von Bergbaumaschinen und Kohlenutzungstechnologien. Sowohl bei Bergbaumaschinen als auch bei Kraftwerksanlagen sind deutsche Anbieter führend auf den Weltmärkten. Den dort erreichten Stand dürfen wir ebenso wenig gefährden wie die damit verbundenen Arbeitsplätze.“

Die Auffassung maßgeblicher Vertreter des Bergbaus und der IG Bergbau, Chemie und Energie (BCE), die Reduzierung auf nur noch fünf Steinkohlenbergwerke und rund 20000 Beschäftigte in 2012 könnte zu weit gehen, hat eine unerwartete Bestätigung durch die gegenwärtige internationale Kokskrise bekommen. In Deutschland wird kaum noch Koks produziert, obwohl Millionen von Tonnen Kokskohle in unserem Boden lagern. Bei der Kraftwerkskohle wären solche Krisen gesamtwirtschaftlich noch folgenreicher und vor allem auch teurer als eine angemessene Vorsorge durch eigene Produktion.

Nicht zu bestreiten ist, dass die Steinkohlenförderung in Deutschland aufgrund der schwierigen geologischen Abbaubedingungen und anderer Standortfaktoren höhere Kosten hat als in Übersee und bei niedrigen Transportpreisen seit langem auf Subventionen angewiesen war und ist. Ein Mix aus preisgünstiger Importkohle, die heute bereits 60% des deutschen Steinkohlenmarkts bedient, und einem zuverlässigen Sockel heimischer Steinkohle bleibt dennoch langfristig geboten. Denn die Kohlevorräte sind zwar weltweit groß und breit gestreut. Aber selbst bei Öl und Gas sind die Vorräte rechnerisch noch lange für die Energieversorgung ausreichend.

Entscheidender ist aber, ob die globalen Energievorräte für uns jederzeit nach Bedarf verfügbar sind. Hier melden sich berechtigte Zweifel. Abgesehen davon, dass internationale politische Krisen und Konflikte auch am Weltkohlenmarkt nicht vorbeigehen, werden nur etwa 15% der Weltproduktion international gehandelt, d.h. das Gros wird von den Förderländern selbst verbraucht. Um die Restgröße für den internationalen Markt verschärft sich die globale Nachfragekonkurrenz. Die jüngste Entwicklung im Kokskohlen- und Kokssektor mit Preissprüngen bis zum Zehnfachen zeigt, was geschehen kann, wenn Nachfragekonkurrenz auf Angebotskonzentration trifft. Allein die vier größten Unternehmen im globalen Kohlegeschäft beherrschen ein Drittel des Weltmarkts und speziell die Produktion der für Westeuropa wichtigsten Exportländer wie Südafrika oder Kolumbien – eine Situation, durch die bei deutschen Kohleverbrauchern schon das Wort von der „Kohle-OPEC“ laut geworden ist. Regional betrachtet kommen zwei Drittel der deutschen Steinkohlenimporte aus nur vier Lieferländern. Langfristig ist zu berücksichtigen, dass drei Viertel der Weltkohlenproduktion und etwa 60% der Weltreserven in die Verfügungsmacht der Großmächte USA, China, Russland und Indien fallen.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der noch offensichtlicheren Preis- und Lieferrisiken etwa von Erdgasimporten aus Drittländern erklärt sich, weshalb der Rat der EU in der geltenden Verordnung über die Steinkohlebeihilfen neben sozialen und regionalen Aspekten ausdrücklich der „Stärkung der Energiesicherheit“ Rechnung trägt und die Beibehaltung „eines Mindestumfangs an heimischer Steinkohleproduktion (gestattet), damit der Zugang zu den Vorkommen gewährleistet ist.“ Die größten Steinkohlenvorkommen der EU lagern unter deutschem Boden.

Die Kritik, die zum Teil reflexhaft und populistisch an den Steinkohlesubventionen geübt wird, ist nicht das Ergebnis einer gesamtwirtschaftlichen Kosten- und Nutzenanalyse. Die regenerativen Energien beispielsweise werden in Deutschland – bei bisher nur halb so hohem Versorgungsbeitrag – inzwischen staatlich intensiver und höher unterstützt als die Steinkohle. Allerdings lassen sich damit im Gegensatz zur Steinkohlenförderung erhebliche private Renditen erwirtschaften. Aus Ressourcensicht müssten die Regenerativen langfristig zuerst das knapper werdende Mineralöl im Wärme- und Verkehrssektor ersetzen, nicht den Strom aus Kohle. Das vielbeschworene Beschäftigungsargument gilt nur, insoweit die Regenerativen nicht noch mehr Arbeitsplätze in anderen Bereichen verdrängen.

Unabhängig davon, was wir über den Klimawandel wirklich wissen, welche energiepolitischen Zusammenhänge beachtet werden müssen und ob die wirtschaftlichen Mittel nicht besser zur Lösung anderer globaler Probleme eingesetzt werden sollten (wie die Ökonomen des „Copenhagen Consensus“ meinen), lässt sich schließlich gerade das Klimaschutzargument nicht gegen die deutsche Steinkohle wenden. Importsteinkohle mit gleich hohen Emissionen würde an ihre Stelle treten. In der Nutzung kommt es diesbezüglich aber nicht auf die Herkunft der Kohle, sondern auf eine effiziente und saubere Kohletechnologie an. Hier ist Deutschland international mit an der Spitze, Forschung und Entwicklung sind bereits auf CO2-arme oder sogar -freie Kohlekraftwerke gerichtet. Vielfach bieten moderne Kohletechnologien wirtschaftlich die günstigsten CO2-Reduktionsmöglichkeiten. Das ist für die globale Klimavorsorge von großer Bedeutung, denn Kohle bleibt weltweit der Energieträger Nummer Eins in der Stromerzeugung. Auch wer Klimavorsorge mit Markterfordernissen in Einklang bringen will, darf aus der Kohle hier zu Lande nicht aussteigen, wenn er globale Chancen nutzen will.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 8, August 2004, S. 49‑52

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