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01. Jan. 2005

Klüger geht’s nicht

Das UN-Panel betont die Grenzen des Rechtes auf Selbstverteidigung

Die UN-Experten haben Kriterien dafür vorgelegt, wann kollektive Gewaltanwendung auch präventiv legitim sein soll. Ist das hilfreich? Oder werden Grenzen verwischt?

Hat die von Kofi Annan eingesetzte Expertenkommission in ihrem UN-Reformbericht – shock and awe! – Präventivschläge befürwortet? Oder Präemptivschläge? Zur Konfusion der Debatte dürfte beitragen, dass die Begriffe Prävention und Präemption im Englischen und im Deutschen zumeist spiegelverkehrt verwendet werden, um die Abgrenzung zwischen erlaubter und verbotener staatlicher Gewalt zu erfassen. Eine Militäraktion, die notwendig ist, um einen konkret und unmittelbar drohenden Angriff abzuwehren – also die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts nach Artikel 51 der UN-Charta – heißt auf Englisch preemption (deutsch häufig: Präventivkrieg). Beispiel: Israels Sechstagekrieg gegen Ägypten im Juni 1967. Ein Waffengang zur Verhinderung eines Angriffs, der nicht unmittelbar bevorsteht, wird im Englischen hingegen preventive war genannt (deutsch häufig: Präemption). Beispiel: Israels Luftschläge auf den irakischen Atomreaktor Osirak im Jahr 1981. Der britische Strategieexperte Lawrence Freedman hat diese Begriffsdichotomie auf eine griffige Formel gebracht: preemption sei „eine Strategie der Verzweiflung im Moment der Krise“; prevention aber sei „kaltblütig, mit dem Ziel, eines Problems Herr zu werden, bevor es zu einer Krise wird“.

Akut wurde die Debatte, als die Regierung Bush im September 2002 eine neue Nationale Sicherheitsstrategie veröffentlichte. Darin hieß es, preemption könne auch erlaubt sein, wenn keine unmittelbare Gefahr bestehe. Denn manche Risiken (etwa Gegner mit atomaren, biologischen oder chemischen Waffen) seien so schwerwiegend, dass das Warten auf einen Angriff unzumutbar oder nicht praktikabel sei. Joseph Nye hat zu Recht kritisiert, dass damit das Recht auf Selbstverteidigung weit into the realm of preventive war ausgedehnt wird. Andererseits ist der harte Kern der neuen Lehre schwer von der Hand zu weisen: Es gibt Gefahren, deren Verwirklichung so furchtbar wäre, und die so schnell eintreten könnten, dass das Kriterium der „Unmittelbarkeit der Bedrohung“ bedeutungslos wird. Ginge es beispielsweise nicht um die Abwehr eines Atomangriffs, sondern um die Verhinderung eines Völkermords – manche Gegner der neuen US-Doktrin würden sich schwerer tun.

Die Experten der UN-Reformkommission befanden: Für den klassischen Fall des unmittelbar bevorstehenden Angriffs gilt wie gehabt Artikel 51. In allen anderen Fällen darf nur der UN-Sicherheitsrat Gewaltanwendung genehmigen; denn die Legalisierung eines erweiterten Selbstverteidigungsrechts würde die gesamte internationale Rechtsordnung in Frage stellen. Kurz: „Wir sind nicht für eine Umformulierung oder Neuauslegung des Artikels 51.“ Klarer geht‘s nicht.

Und doch bleibt die Grenzziehung in der Praxis so problematisch, wie sie es immer schon war (schließlich geht es oft um Geheiminformationen). Dort enden auch die Möglichkeiten des Rechtes – weshalb die Experten auf weitere Definitionen verzichteten. Stattdessen setzten sie darauf, den Entscheidungsprozess legitimer zu machen: durch einen repräsentativeren Sicherheitsrat, aber vor allem durch eine Prüfliste mit fünf Kriterien, die erfüllt sein müssen, ehe der Sicherheitsrat einem Staat das Plazet geben darf, Soldaten gegen einen anderen Staat zu mobilisieren. Klüger geht‘s nicht.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januaer 2005, S. 108.

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