Klimawandel? Kein Thema
Arabische Vorstellungen über globale Trends und Transformationen
Was denkt die arabische Welt über die Zukunft der Weltordnung? Die Lektüre ihrer wichtigsten außenpolitischen Journale zeigt: Arabiens Eliten sind immer noch so sehr mit dem eigenen Bauchnabel beschäftigt, dass ihnen kaum Zeit bleibt für die Betrachtung globaler Probleme. Der Aufstieg neuer Mächte freut sie; aber die Globalisierung macht ihnen Angst.
Auszumachen, was ein „globales Thema“ ist und was nicht, ist immer problematisch; aus einem nahöstlichen Blickwinkel gilt das noch mehr. Denn nationale, regionale und globale Angelegenheiten sind in diesem Teil der Welt sehr ineinander verwoben. Der Blick der Region auf die „Außenwelt“ ist verzerrt durch die Dinge, die hier geschehen, ausgelöst durch irgendeine „bedeutende globale Situation“ oder einen identifizierbaren Global Player. Diese werden als „regionalisiert“ angesehen, und als solche werden sie von den verschiedenen regionalen Playern (Regierungen, Opposition, ethnischen und religiösen Gemeinschaften) unterschiedlich eingeschätzt. Von den Regierungen werden sie vor allem durch ein geostrategisches Prisma betrachtet. Einige Oppositionsgruppen sehen bestimmte globale Trends als Chance für Veränderungen, die lokale Regierungen zur Demokratisierung zwingen könnten. Ethnische und religiöse Gruppen, die unterdrückt sind und auf Formen von Autonomie oder zumindest Gleichberechtigung hoffen, schließen sich globalen politischen und kulturellen Forderungen an, um ihre eigenen Ziele zu erreichen. Daher ist es vielleicht nützlich, sich die „arabischen Vorstellungen“ von globalen Transformationen auf zwei Ebenen anzuschauen: der staatlichen und der nichtstaatlichen, der herrschenden und der oppositionellen Eliten.
Vorstellungen der herrschenden Eliten
Das zentrale politische Charakteristikum der Region waren in den letzten Dekaden Kriege und Konflikte. Diese stellen die unveränderliche und hartnäckige regionale „Konstante“ in einem Meer globalen Wandels dar. Als alles durchdringende regionale Realität sind diese Konflikte der Angelpunkt vorherrschender Perzeptionen über Wandel und andere Themen. Der Chefredakteur von Al-Siyassa Al-Dawliya (Internationale Politik), der wohl wichtigsten arabischsprachigen außenpolitischen Zeitschrift, schrieb im April 2007: „In der derzeitigen Ära einer unipolaren Weltordnung ist der Nahe Osten nun der Hauptort des internationalen Konflikts, so wie Europa der Hauptort internationaler Konflikte in der bipolaren Ära Mitte des 20. Jahrhunderts war.“1
Konsequenterweise ist der klassische Stil von Machtpolitik – Bündnisse schmieden, Loyalitäten wechseln und sich vorrangig auf nationale Interessen konzentrieren – das zentrale Element arabischer politischer Konzepte. Unter anderem deshalb sind die Vorstellungen arabischer Staatsakteure von globalen Problemen, ihr Umgang mit globalen Bedrohungen, ihr Verständnis für globalen Konsens und globale Hoffnungen noch nicht stark ausgeprägt. Viele staatliche arabische Positionen zu globalen Themen scheinen noch nicht völlig in Betracht zu ziehen, dass ein erheblicher Teil nationaler Interessen am besten durch die Öffnung nationaler Politik, nicht durch engstirnige Abschottung erreicht werden kann. Globale Initiativen, gemeinsame Anstrengungen, inter- und intrastaatliche Kooperation und die partielle Aufgabe nationaler Souveränität werden immer noch als wenig nutzbringend angesehen. Die Teilnahme an globalen Entwicklungen wird meist nicht als Teil einer nationalen Überlebensstrategie, sondern nur als Diplomatie, PR oder schlicht zeremonielle Aktivität betrachtet. Natürlich gibt es Ausnahmen. Bemerkenswert ist etwa das Aufblühen einiger Golf-Staaten, vor allem Dubais, das von globalen Veränderungen ausländischer Investitionen und Geldbewegungen profitiert. Dass die globale Transformation von Dubai die Grundlage für ihr eigenes Überleben und ihren Erfolg geworden ist, ist von seinen Herrschern auch sehr klar formuliert worden.2 Das globalisierte Dubai ist allerdings so sehr die Ausnahme, dass es die Regel bestätigt.3
In strategischen und Sicherheitsfragen drehen sich das Denken und die Praxis der meisten arabischen Staaten um militärische Kooperation mit westlichen Staaten, in erster Linie mit den USA, zulasten etwaiger regionaler Arrangements. In wirtschaftlichen und Handelsfragen verfügen die arabischen Staaten – trotz vieler Spekulationen über die Liberalisierung arabischer Ökonomien – immer noch über fast totale Kontrolle. Der Erfolg teilweise liberalisierter Volkswirtschaften in der Region ist entmutigend, da die Privatisierungsprozesse durch Korruption sehr beschädigt worden sind. Das Bild wird noch düsterer durch die Tatsache, dass dort, wo eine relative Liberalisierung der Wirtschaft stattgefunden hat, dies Hand in Hand ging mit politischem Autoritarismus, nicht mit politischer Liberalisierung und Öffnung. Was Kultur, Kunst und Identität angeht, spiegeln die Verhaltensweisen arabischer Staaten mehr lokale Ängste wider, dass die Globalisierung der Kulturen und die grenzüberschreitende Medienpräsenz nationale Identitäten, Sprachen und Zusammengehörigkeitsgefühle zerstören.
Daher bewirkt das Einströmen von „Globalität“ in ihren verschiedenen Manifestationen wenig, um die strategischen und Sicherheitssorgen abzuschwächen. De facto bewirkt es eher das Gegenteil. Seit den aufeinanderfolgenden Golf-Kriegen (Irak-Iran-Krieg 1981, zwei Irak-Kriege 1991 und 2003) prägt Panik und Nervosität die Region. In einer Reihe von Ländern und ethnisch oder religiös geprägten Gemeinschaften herrscht das Gefühl vor, existenziell bedroht zu sein (vor allem bei den Palästinensern, den miteinander konkurrierenden irakischen Gemeinschaften, speziell bei den Kurden, der herrschenden alawitischen Elite in Syrien etc.). Andere sorgen sich mehr über die drohende Gefahr territorialer Zersplitterung (Sudan, Irak, in geringerem Ausmaß Jemen). Wo interne Spannungen, nicht offene Konflikte das Bild prägen (Libanon, der schiitisch dominierte Süden Saudi-Arabiens, Bahrain und die Berber-Gebiete in Algerien), sind die Länder und die politischen Eliten hypersensibel in Bezug auf viele „globale Agenden“. Sie glauben, dass Elemente dieser Agenden ihre internen Spannungen verschärfen könnten. Im weiteren Umfeld stellt der „Aufstieg des Iran“ die Rolle großer arabischer Staaten wie Saudi-Arabien und Ägypten infrage, was wiederum die kleineren Golf-Staaten sehr beunruhigt. Denn ob der Iran nun seine regionale Macht ausbauen kann oder mit militärischer Gewalt davon abgehalten wird (oder indem er einen Deal mit den USA macht) – in jedem Fall wären die Golf-Staaten die Verlierer. Ein Iran-Krieg würde unerträgliche Auswirkungen auf die Ölförderung, die florierenden Wirtschaften und die Flüsse ausländischer Investitionen am Golf haben. Ein amerikanischer Deal mit dem Iran würde Teheran einen regionalen Status zubilligen, der diese Länder nicht weniger irritieren würde. Am anderen Ende der arabischen Welt, im Maghreb, wo das Ausmaß inter- und intrastaatlicher Konflikte weniger gefährlich zu sein scheint, hat der Westsahara-Konflikt die Energien von Marokko und Algerien absorbiert, das politische Klima vergiftet und jede regionale Entwicklung praktisch eingefroren.
Vorstellungen der politischen und intellektuellen Eliten
Nichtstaatliche Akteure, oppositionelle und politische Eliten in der arabischen Welt sehen verschiedene globale Angelegenheiten unterschiedlich und eher instrumentell. Die Sackgassen, in denen sie dank des autoritären Umfelds in ihren Ländern stecken, lassen sie auf „externen“ Druck hoffen, um einen Wandel zu erzwingen. Gelegentlich stimmen ihre Positionen jedoch mit denen ihrer Regierungen überein, je nachdem, um welches globale Thema es geht. Im Bereich Kultur und Identität gibt es wesentlich mehr Übereinstimmungen. Bei politischen Fragen, Freiheiten und Demokratisierungsforderungen gehen die Meinungen auseinander. Sie befürworten den globalen Druck, der direkt oder indirekt auf ihre Regierungen ausgeübt wird. Gleichzeitig aber haben sie Angst, als „westliche Agenten“ gebrandmarkt zu werden, sogar durch Regierungen, die ihre ganze Existenz westlicher Unterstützung verdanken.
Um ein klareres Bild über diese Vorstellungen zu erhalten, hat der Autor dieses Beitrags drei führende arabischsprachige Publikationen zur internationalen Politik über einen Zeitraum der vergangenen zwei bis drei Jahre hinweg untersucht: Al-Siyassa Al-Dawliya (Internationale Politik), die seit 1965 in Kairo veröffentlicht wird (ihr erster Chefredakteur war Butros Butros Ghali, der frühere UN-Generalsekretär; er betreute das Blatt bis 1991); das Monatsmagazin Al-Mustakbal Al-Arabi (Arabische Zukunft), das seit 1978 in Beirut veröffentlicht wird und als Bastion des panarabischen Nationalismus gilt; und die Dreimonatsschrift Shu’uon Arabiyya (Arabische Angelegenheiten), die seit 1976 von der Arabischen Liga herausgegeben wird und in Kairo erscheint. Diese drei Zeitschriften drucken die wichtigsten politischen, strategischen und globalen Texte der arabischen intellektuellen Eliten. Bei der Durchsicht dieser Journale kann eine Reihe von Erkenntnissen über deren Denken gewonnen werden.
„Harte Politik“ versus „weiche Politik“
Vorrangiges Thema dieser Texte ist die „harte Politik“. Das beinhaltet den Konflikt mit Israel (die fortdauernde Besatzung, die gescheiterten Friedensansätze, der Libanon-Krieg 2006 und Israels expansionistische Tendenzen), den Irak-Krieg und seine Folgen, die amerikanische Hegemonie in der Region, den Aufstieg des Iran und die Rolle der Türkei. Die Bündnisfrage steht ebenfalls oben auf der Agenda, seien es regionale Allianzen (Achsen der Moderaten gegen Achsen der Radikalen) oder internationale Bündnisse mit einer regionalen Dimension. Trotz des erklärten Grundes für den „Krieg gegen den Terror“ finden sich weniger Debatten über Terrorismus und Fundamentalismus, als ein Außenseiter erwarten würde. Vielleicht liegt das an der indirekten Überzeugung, dass dieses Problem durch die amerikanische Invasion erst kreiert wurde und verschwinden wird, wenn die Amerikaner abziehen.
„Weiche Politik“ steht an zweiter Stelle. In dieser Kategorie ist Demokratisierung das am meisten diskutierte Thema, wobei die Rolle externer Faktoren dabei bemerkenswert breit besprochen wird. Beachtung finden auch der Dialog mit dem Rest der Welt, vor allem mit dem Westen, und das sich verschlechternde Image der Araber und des Islams auf globaler Ebene. Ebenso von Interesse ist die Debatte über den Islamismus und die Rolle von Religion und Staat, die von verschiedenen Blickwinkeln aus begutachtet wird. Andererseits werden dringende innerarabische Probleme wie Arbeitslosigkeit, Armut, Wasserknappheit und Analphabetismus viel weniger besprochen als man vermuten könnte. Ökologische und Klimaschutzfragen werden praktisch kaum wahrgenommen.
Wie sich kürzlich in Ägypten und im Jemen gezeigt hat (und weniger gewaltsam in Tunesien), sind Themen wie Armut und Arbeitslosigkeit nicht länger „weich“, da sie für das Überleben dieser Regime gefährlicher sein könnten als „harte“ Politik. Es führt zu Selbstbetrug, wenn diese Themen nachrangig behandelt werden, um sich mit „dringlicheren harten politischen Fragen“ zu beschäftigen. In den nächsten Jahren muss die arabische Welt 100 Millionen zusätzliche Jobs schaffen, um ihren demografischen Trends mit wachsender jugendlicher Bevölkerung gerecht zu werden. Ohne Berücksichtigung der regionalen, ja globalen Möglichkeiten auf diesem Gebiet – etwa was Migration angeht – dürften nationalstaatliche Lösungen, wenn überhaupt, nur sehr schwer zu finden sein.
Arabische Ängste, arabische Hoffnungen
Bei der Lektüre der drei Journale entsteht der klare Eindruck, dass eine Hauptsorge der arabischen Intellektuellen bei der Beschäftigung mit globaler Transformation die Frage der „arabischen Identität“ und Kultur ist. Sehr intensiv und breit wird diskutiert, dass die durch die Globalisierung verursachten schnellen Veränderungen eine große Gefahr für die arabische Sprache, Kultur, religiösen Werte und traditionellen Grundlagen der arabischen Gesellschaften darstellen. Diese Sorge könnte eine ernsthafte sein – aber auch ein Vorwand, um sich vor der Öffnung gegenüber dem globalen Wandel zu drücken.
Autoritäre Regierungen und ihre islamistischen Gegner sind beide gegen eine freie Presse, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen (für erstere wäre sie politisch gefährlich, für letztere moralisch). Generell lässt sich eine interessante Konvergenz zwischen Autoren verschiedener politischer und intellektueller Herkunft feststellen: Alle Lager stimmen darin überein, dass die kulturelle Globalisierung schädliche Effekte auf die arabische Kultur hat. Ein ständiges Thema in der arabischen politischen Literatur ist die Debatte über – und die Vorfreude auf – das mögliche Entstehen einer multipolaren Welt. Die „neue Weltordnung“, die George Bush sen. in den frühen neunziger Jahren ausrief, wird wiederholt erwähnt als eine Art Mogelpackung, hinter der sich in Wahrheit die amerikanische Hegemonie verberge.
Die arabischen Eliten haben immer ihrer verzweifelten Hoffnung auf eine multipolare Welt Ausdruck gegeben, in der die Mächte sich gegenseitig ausbalancieren und ihre übertriebenen Ambitionen in Zaum halten würden. Zum Teil wird das Verschwinden der Sowjetunion als einzige Macht, die die amerikanischen „imperialistischen“ Bestrebungen gebremst habe, immer noch beklagt; gleichzeitig werden Hoffnungen auf eine unabhängigere Politik der Europäischen Union geäußert. Allerdings sind die arabischen Eliten so frustriert über die zögerliche EU-Nahost-Politik – die als Angst vor Verärgerung der Amerikaner interpretiert wird –, dass sie den jüngsten Aufstieg Chinas und Russlands sehr begrüßen. Es gibt eine Fülle von Artikeln über „das chinesische und das russische Modell“, die zu einer Welt führen könnten, die sich der Kontrolle einer einzigen Macht entzieht. Einige Autoren beschreiben lang und breit einzelne Bereiche dieser dynamischen Volkswirtschaften, die Erfolg haben, ohne sich westlichem Diktat zu unterwerfen. Der Begriff von der „souveränen Demokratie“, den russische Politiker erfunden haben, findet in vielen arabischen Zirkeln ein offenes Ohr. Ein zentraler Aspekt der Debatte über China und Russland, den arabische Autoren betonen und ihren Regierungen als Vorbild andienen, ist die Möglichkeit der Schaffung eines politischen und ökonomischen Modells, das der Kontrolle der USA und des Westens entzogen ist.
Teilweise werden diese Hoffnungen frustriert durch die Tatsache, dass die energischere Nahost-Politik Russlands und Chinas am meisten dem Iran nützt. Auf der Suche nach Regionalmächten, die ihren geostrategischen und wirtschaftlichen Einfluss willkommen heißen würden, fanden Moskau und Peking in Teheran die beste Adresse. Das Erstarken der iranisch-russischen und iranisch-chinesischen Beziehungen hat bei vielen Arabern ambivalente Gefühle ausgelöst. Aus ihrem Blickwinkel bringt die erwünschte Multipolarität auf globaler Ebene ein unerwünschtes Mächtegleichgewicht in der Region hervor. Nicht nur hat Israel lange einen permanenten Vorteil im Vergleich zu allen arabischen Ländern gehabt – jetzt folgt der Iran in der neuen Mächtekonstellation diesem Beispiel, was zu einem neuen arabischen Dilemma führt.
Regionale versus globale Sicherheit
Eine interessante Debatte dreht sich um die Frage regionaler Sicherheit und der Beziehungen zu globalen Sicherheitsarrangements. Theoretisch gibt es einen arabischen kollektiven Verteidigungspakt. Praktisch gibt es ihn nicht. In dieser Hinsicht existieren zwei hartnäckige Gegenvorschläge: die Gründung eines unabhängigen regionalen nahöstlichen kollektiven Sicherheitssystems oder den Beitritt der arabischen Länder in außerregionale Systeme, etwa in eine sich erweiternde NATO. Beide Ideen landen wegen der andauernden ungelösten Konflikte (vor allem des Israel-Palästina-Konflikts und der Herausforderung durch den Iran) regelmäßig im Abseits. Jedes dieser Konzepte würde auch eine weit geringere Konfliktintensität erforderlich machen, als wir sie heute in der Region vorfinden.
In allen drei Journalen ist das am intensivsten diskutierte Thema die Palästina-Frage. Die Fortdauer der israelischen Besatzung, der Entzug der grundlegenden Selbstbestimmungsrechte der Palästinenser und das Fehlen eines funktionsfähigen Staates lähmen die gesamte Region. Es stimmt zwar, dass einige regionale Akteure das Palästina-Problem auf unlautere Weise nutzen, indem sie damit eher eigene Interessen voranbringen wollen. Aber das mindert die grundsätzliche Relevanz des Konflikts in der Region nicht. Im Gegenteil, es macht die überfällige Dringlichkeit der Lösung dieses Problems deutlich, um der Ausnutzung für andere Zwecke und der Blockade neuer Trends einen Riegel vorzuschieben.
Alle Überlegungen über neue Sicherheitsstrukturen auf regionaler und globaler Ebene bleiben immer hängen an dem Punkt, wie man Israel ein- oder ausschließen kann, während es weiterhin die palästinensischen Gebiete okkupiert. Darüber stolpert auch der Westen immer wieder: Wie kann er gleichzeitig demokratische und Menschenrechte propagieren und eine Besatzung unterstützen, die solche Ideen als scheinheilig und unehrlich entlarvt? Der Vorschlag, Freihandelszonen einzurichten, krankt ebenfalls an dieser harschen Wirklichkeit. Sogar globale Initiativen, welche die Region in einen weiteren Kreis der Kooperation – wie etwa den Barcelona-Prozess oder das neue Projekt der Mittelmeer-Union – einbeziehen wollen, laufen eher Gefahr zu scheitern, weil die arabischen Länder es ablehnen, Israels Teilnahme an diesen Projekten zu sanktionieren.4 Deshalb kann die Schlussfolgerung nach Lektüre dieser Texte nur lauten: Eine echte und breite Globalisierung des Nahen Ostens kann erst nach der Beilegung seiner zentralen Konflikte beginnen, vor allem des israelisch-palästinensischen Konflikts.
Dr. KHALED HROUB, geb. 1965 in Bethlehem, ist Direktor des Cambridge Arab Media Project (CAMP) am Centre of Middle Eastern and Islamic Studies (CMEIS) der Universität Cambridge. Er moderiert Sendungen auf Al-Dschasira TV und schreibt für arabische Tageszeitungen.
- 1Osama Al-Gahzali Harb: Where is the New Middle East?, Al-Siyassa Al-Dawliya, April 2007.
- 2In seinem Buch „My Vision: Challenges in the Race of Excellence“ (Beirut 2006) lässt Scheikh Mohamad Ben Rashid, der Herrscher über Dubai, keinen Zweifel an der fundamentalen „globalen Perspektive“ seines Emirats.
- 3Das „Dubai-Modell“ wird in der arabischen Welt als Erfolgsgeschichte angesehen, weil Dubai ein blühender Wirtschaftsstandort geworden ist, der nicht länger von seinen Öleinkünften abhängig ist, was ein Vorbild für andere arabische Staaten sein könnte. Samir Amin dagegen kritisiert das Dubai-Modell als eine erfolgreich globalisierte Stadt außerhalb der Sphäre der „westlichen Metropolen“. Eine interessante Auseinandersetzung darüber findet sich in den Ausgaben von Al-Mustakbal Al-Arabi im Januar und August 2006 sowie Juni 2007.
- 4Bei einer Konferenz über die Mittelmeer-Union in Marokko richtete sich der hauptsächliche arabische Einwand gegen den Einschluss Israels vor der Lösung der Palästina-Frage. „The Mediterranean Union: Conditions and Prospects“, Fez, 4.–6.6.2008.
Internationale Politik 7-8, Juli/August 2008, S. 123 - 129