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01. Juni 2006

Kein Labor arabischer Zukunft

Große Herausforderungen für die kleinen Golf-Staaten

Neben Wiederaufbau im Irak und Aufrüstung im Iran vollziehen sich auch in den bevölkerungsarmen Monarchien am Persischen Golf politisch bedeutsame Veränderungen. Ölquellen trocknen aus, die Arbeitslosigkeit steigt, Islamisten drängen auf politische Repräsentation. In ihren Reaktionen changieren die Herrscherfamilien zwischen taktischer Anpassung und langfristigen Strukturreformen. Was bedeuten die Veränderungen für die Region?

Die Wahrnehmung der arabischen Golf-Staaten hat sich in jüngster Zeit fundamental gewandelt: Sahen arabische wie westliche Beobachter in den vergangenen Jahrzehnten zumeist auf die Parvenüs am Golf als reich aber rückständig herab, so gelten die kleinen Fürstentümer heute als Horte der Reform und Modernität innerhalb der arabischen Welt. Als unübersehbares Zeichen des Aufbruchs prägt die imposante Hochhausarchitektur der in den letzten Jahren aus dem Sand gestampften „Education“-, „Media“- und „Knowledge Cities“ die Küsten von Kuwait bis Dubai. Nicht mehr nur Gastarbeiter, sondern auch junge arabische Intellektuelle, Journalisten und Künstler zieht es in die Golf-Staaten. Das liberale und dynamische Arbeitsklima dort unterscheidet sich grundlegend von ihren repressiven und stagnierenden Herkunftsstaaten wie Ägypten oder Syrien. Auch diskursiv präsentieren sich die kleinen Fürstentümer als arabische Avantgarde. Nirgendwo sonst bewerben die herrschenden Eliten politische Reformen so offensiv wie in Bahrain und Katar.1

Allerdings schlagen sich die hohen Ansprüche der kleinen Golf-Staaten nicht überall gleichermaßen in konkreten Reformen nieder, sondern erschöpfen sich häufig in deklaratorischer Rhetorik. Die ergriffenen Maßnahmen korrespondieren dabei selten mit den Herausforderungen auf ökonomischer, sozialer und politischer Ebene.

Der Golf vor dem Ende des Ölzeitalters

Ölrenten standen am Anfang des Staatsaufbaus der kleinen Golf-Staaten. Die Dynastien, die die Kleinstaaten Kuwait, Bahrain, Katar, die (später Vereinigten) Arabischen Emirate (VAE) und den Oman regieren, konsolidierten so ihre traditionell schwache Autorität, die durch ansässige Kaufleute und andere Notabeln beschränkt wurde. Dank des Ölgelds konnten die Staaten (im arabischen Vergleich) effiziente Verwaltungsstrukturen aufbauen und einen hohen Lebensstandard bieten; dieser führte bei großen Bevölkerungsgruppen zu politischem Quietismus.

Heute sind die ökonomischen Grundlagen der Fürstentümer weniger vergleichbar. Das ölarme Bahrain fördert gerade einmal 40 000 eigene2 Barrel pro Tag, das schwerreiche Abu Dhabi dagegen rund 2,5 Millionen. Entsprechend unterschiedlich fallen die wirtschaftlichen Diversifizierungsstrategien aus. Der Notwendigkeit folgend, setzte Bahrain schon seit den siebziger Jahren auf Industrialisierung im Aluminium- und Petrochemiesektor. Zudem konnten gerade im Finanzsektor sichtbare Erfolge erzielt werden. So entwickelte sich Bahrain parallel zum Niedergang des Finanzplatzes Beirut im Zuge des libanesischen Bürgerkrieges ab Mitte der achtziger Jahre zum regional bedeutendsten Standort des konventionellen und islamischen Banken- und Versicherungsgewerbes. Dennoch finanziert sich der bahrainische Staatshaushalt nach wie vor zu einem Drittel aus Öleinnahmen.

Die erdölreicheren Emirate sind entsprechend stärker vom Rohstoffexport abhängig – darüber sollten weder die neuen Investitionen im Immobilien- und Tourismussektor noch die von den Eliten gepflegte Rhetorik, wonach man sich auf die Post-Erdölzeit eingestellt habe, hinwegtäuschen: Das Regierungsbudget der VAE finanziert sich zu rund 90 Prozent aus Öleinnahmen, wobei Abu Dhabi als Sponsor der sechs ressourcenärmeren Emirate auftritt und deren Haushalte subventioniert. Ob Investitionen in Hochhäuser und Hotels, welche diese mit dem Geld aus Abu Dhabi hauptsächlich unternehmen, substanzielles und nachhaltiges Wirtschaftswachstum erzeugen können, bleibt abzuwarten. Eine andere Strategie besteht in der Investition in Anlagefonds. Hier gilt Kuwait als Vorreiter. Das Emirat investiert bereits seit 1976 jährlich zehn Prozent des Staatsbudgets in einen „Fonds für zukünftige Generationen“.3

Ein Hauptproblem aller kleinen Golf-Staaten wird dadurch jedoch nicht gelöst: die wachsende Arbeitslosigkeit der durchschnittlich sehr jungen Bevölkerung. Für die meisten Golf-Staaten ist dies kein primär finanzielles, sondern ein soziales Problem. Nicht zu Unrecht haben die staatlichen Eliten Angst, ihre gelangweilte (männliche) Jugend könne sich militanten islamistischen Gruppen zuwenden. Gerade Kuwait musste sich mit einer Form des „Luxus-Terrorismus“ auseinander setzen. Symptomatisch ist hier der Vorfall auf der kuwaitischen Insel Failaka 2002, bei dem ein Terrorist seinen Geländewagen durch seinen indischen Chauffeur zum amerikanischen Stützpunkt steuern und sich die Maschinenpistole reichen ließ.4 Über diesen anekdotischen Fall hinaus stellt sich das Problem, dass einige junge Golf-Araber die Aufständischen im Irak (wie früher die Mudschaheddin in Afghanistan) mit teilweise erheblichen Geldsummen unterstützen.

Um diese Probleme anzugehen, setzen die Golf-Staaten auf Bildungsreformen mit einem doppelten Ziel: Einerseits sollen die Staatsbürger in die Lage versetzt werden, qualifiziert zu arbeiten, um so den Staat zu entlasten. Vor allem aber soll politischer Extremismus qua Beschäftigung bekämpft werden. Ein genauerer Blick auf die Bildungsreformen lässt gleichwohl wenig Enthusiasmus aufkommen, verbirgt sich doch hinter der Reform des Bildungssektors zumeist nur dessen Kommerzialisierung. Ausländische – dies heißt in erster Linie US-amerikanische – Anbieter können ihre hauptsächlich postschulischen Bildungsangebote auf dem Markt anbieten; die staatliche Schulbildung wird davon allerdings kaum tangiert. Gleichzeitig wächst so die Kluft zwischen Absolventen der staatlichen Schulen und Hochschulen und denjenigen, die nur ausländische Einrichtungen besucht haben. Angehörige der jungen golfarabischen Eliten haben häufig ihre gesamte Ausbildung in amerikanischen Institutionen erhalten und sprechen besser Englisch als Arabisch, was zu erheblicher kultureller Entfremdung sowohl zwischen den Generationen als auch zwischen den verschiedenen sozialen Schichten führt.

Ein zusätzliches Problem für die politische Entwicklung einiger der kleinen Golf-Staaten stellt die besondere Zusammensetzung der Wohnbevölkerung dar, wobei hier die Relationen beträchtlich variieren. In einigen Staaten bilden die ausländischen Arbeitskräfte, in ihrer Mehrzahl vom indischen Subkontinent und aus Südostasien stammend, ein bedeutendes Segment der Bevölkerung. Das Spektrum reicht von geschätzten 95 Prozent Arbeitsmigranten in Dubai bis zu etwa 18 Prozent im Oman. Anders als von den herrschenden Eliten der kleinen Fürstentümer geplant, gestalten viele Migranten ihren Aufenthalt nicht mehr nur temporär. Einem nicht unerheblichen Anteil gelingt es, dauerhaft (d.h. heute in der zweiten und teilweise dritten Generation) in einigen der Staaten zu bleiben. Strategien, diese Bevölkerungsteile zu integrieren, liegen kaum vor. Obwohl mittlerweile eine Mobilisierung dieser Arbeitnehmer feststellbar ist, sind sie noch weitgehend rechtlos.

Nur in den Emiraten und Katar rekrutieren sich die Staatsangehörigen aus relativ homogenen Bevölkerungsgruppen. In beiden Staaten dominieren sunnitische Araber tribaler Herkunft. Andernorts sind die Gesellschaften komplexer strukturiert und fragmentierter. In Oman gehört die herrschende Familie zur religiösen Gruppe der Ibaditen, die knapp 75 Prozent der Bevölkerung stellen und sich im Norden des Landes konzentrieren.5

Ein potenzielles politisches Problem stellen konfessionelle Zugehörigkeiten in Kuwait und Bahrain dar: Immerhin rund 30 Prozent der kuwaitischen und 70 Prozent der bahrainischen Bevölkerung sind Schiiten, die indes von sunnitisch-tribalen Fürsten- bzw. Königsfamilien regiert werden. In der komplexen bahrainischen Gesellschaft kommt noch eine ethnische Dimension hinzu – eine Minderheit der dortigen Schiiten ist persischsprachig. Staaten mit substanziellen schiitischen Bevölkerungssegmenten werden direkt vom konfessionellen Konflikt im Irak berührt. Nicht nur zieht jeder Anschlag auf die dortigen schiitischen Heiligtümer zuverlässig Demonstrationen in den Golf-Staaten nach sich; es fühlen sich zudem viele Schiiten am Golf (auch diejenigen in der saudischen Ostprovinz) durch das amerikanische Verhalten gegenüber den irakischen Glaubensgenossen ermuntert, im eigenen Land wesentlich selbstbewusster aufzutreten.

Die Mehrheit der so mobilisierten Schiiten hat sich dabei vom iranischen Vorbild verabschiedet und fordert Teilhabe innerhalb demokratischer Strukturen – amerikanischer Druck auf ihre Regime gilt ihnen als bester Weg, Reformen voranzutreiben. Eine kleine Minderheit der Golf-Schiiten glaubt gar, amerikanische Unterstützung für eine schiitische Herrschaft in einem (zu schaffenden) Groß-Bahrain, das die ölreiche saudische Ostprovinz umfasst, finden zu können.6 Auch sunnitische Autokraten lesen die Ereignisse im Irak mit zunehmender Besorgnis: Angst vor einer transnationalen schiitischen Agenda äußerten unter anderem der jordanische König Abdallah, der saudische Außenminister Prinz Saud al-Faisal und zuletzt der ägyptische Präsident Mubarak.7

Liberalisierungsmanöver

Ein Blick auf die staatlichen Institutionen der Golf-Fürstentümer zeigt indes, dass die Furcht vor Konfessionalismus keineswegs das Haupthindernis für politische Reformen sein kann, bieten doch die VAE, die eine weitgehend homogene Bevölkerungsstruktur aufweisen, die geringsten Partizipationsmöglichkeiten. Sie verfügen (noch) über keinerlei gewählte politische Gremien, weder auf konföderativer noch auf Ebene der einzelnen Fürstentümer. Anfang 2006 wurde angekündigt, zukünftig zumindest partielle und indirekte Wahlen zum Föderationsrat durchzuführen.

Die Liberalität, mit der die Emirate erfolgreich werben, beschränkt sich bislang auf den Alkoholausschank in der Touristenhochburg Dubai. Auch die im November 2004 erstmals erfolgte Berufung einer Frau in ein Ministeramt hat eher inszenatorischen Wert und lässt die Autokratie unberührt.

Oman nimmt eine Mittelposition ein. Regelmäßig finden Wahlen zur Beratenden Versammlung (majlis al-shura) statt, die jedoch nur ihrem Namen entsprechende Aufgaben wahrnimmt. Zudem sind ihre Kompetenzen durch ein vom Sultan ernanntes parlamentarisches Oberhaus, den Staatsrat (majlis al-dawla), beschränkt.

Katar tritt international nicht zuletzt deshalb erfolgreich als Reformstaat auf, da es als Sitz des TV-Senders Al-Dschasira das Verdienst beanspruchen kann, neue Standards in der arabischen Medienlandschaft gesetzt zu haben.8 In Eigendarstellungen selbstbewusst auf einen Demokratisierungsprozess verweisend, setzte die Staatsführung von ihren hochfliegenden Plänen bislang allein die Gemeinderatswahlen in der Hauptstadt Doha um. Erste Wahlen zu einem nationalen Parlament werden seit drei Jahren aufgeschoben, doch stehen die Chancen gut, dass die Kataris im Herbst 2006 erstmals zu den Urnen gehen können, um zwei Drittel ihrer Abgeordneten zu wählen.9 Kandidieren werden ausschließlich Unabhängige. An die Etablierung politischer Parteien wagt niemand zu denken in einem Land, das selbst die Gründung kultureller Clubs zumeist untersagt.

Die größten Partizipationsmöglichkeiten bietet Kuwait. Das Emirat verfügt seit 1963 über ein partiell gewähltes Parlament mit weitgehenden legislativen Befugnissen. Die kuwaitischen Parlamentarier treten gegenüber der Herrscherfamilie sehr selbstbewusst auf. Nicht nur drängten sie wiederholt Minister zum Rücktritt von ihren Ämtern. Im Januar 2006 lehnte das Parlament auch den Kronprinzen als neuen Emir ab. Nachdem der alte Herrscher verstorben war, folgte zunächst – ordnungsgemäß – der schwer kranke Kronprinz auf den Thron; schnell wurden jedoch Forderungen nach seinem Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen laut. Ausschlaggebend für dessen Abdankung dürfte indes der Beschluss der herrschenden Familie selbst gewesen sein. Das Parlament vollzog nur den schon gefallenen Entschluss nach . Trotzdem wurde das Ereignis in der arabischsprachigen Presse der Region als Meilenstein auf dem Weg in eine konstitutionelle Monarchie nach europäischem Muster10 gefeiert. Auf diesem Wege wären indes noch einige Etappen zurückzulegen: Politische Parteien sind illegal und das Wahlrecht basiert auf dem tribal und sozial strukturierten kuwaitischen Staatsangehörigkeitsrecht.11 Mit der Konstituierung parlamentarischer Blöcke als Proto-Parteien und der 2005 angekündigten Ausdehnung des aktiven und passiven Wahlrechts auf Frauen sind die ersten Schritte getan.

Großen politischen Reformeifer zeigt auch Bahrain, das auf eine partiell gewählte Legislatur mit aktiven politischen Vereinigungen und eine lebhafte Zivilgesellschaft verweisen kann. Wiewohl die staatlichen Eliten von Demokratisierung sprechen, wird auch hier die Exekutive nicht dem politischen Wettbewerb unterstellt, sondern vom König ernannt. Dagegen wird der Bevölkerung eine durch ein Zweikammersystem begrenzte Teilhabe am legislativen Prozess gestattet: Die gewählte Parlamentskammer teilt ihre legislativen Kompetenzen mit einer zweiten Kammer, deren Mitglieder durch den König ernannt werden. Nach Lesart des Herrschers dient diese Kammer, in die Geschäftsleute, Frauen und Vertreter religiöser Minderheiten berufen wurden, als Schutz gegen religiösen Extremismus. Aus Protest gegen dieses autokratische Arrangement mit demokratischem Anstrich boykottieren vier politische Vereinigungen, darunter die größte Schiiten-Partei Al-Wifaq (Eintracht), das Parlament seit 2002.12

Gleichzeitig zeigt sich in Bahrain ein weiteres Dilemma: Bei Wahlen dort wie anderswo sind Islamisten die großen Gewinner.13 Dabei bestätigt das bahrainische Beispiel den wissenschaftlichen Konsens, wonach parlamentarische Partizipation islamistische Forderungen moderiere, nur teilweise. In der Außenpolitik vertreten islamistische Abgeordnete in der Tat moderate Positionen, versuchen im Inneren jedoch gleichzeitig dadurch Profil zu gewinnen, dass sie strenge Moralvorstellungen propagieren: Demokratisch gewählte Abgeordnete brachten unter anderem Gesetzesvorlagen ein, die eine Sittenpolizei einrichten, Scharia-gemäße Körperstrafen ins Strafrecht einführen und bürgerliche Freiheiten unter dem Verweis auf islamische Werte weiter beschränken sollten. Je mehr tatsächliche Entscheidungsbefugnis den gewählten Parlamentariern gewährt würde, desto stärker würde hier die Gesetzgebung islamisiert.

Entgegen aller Reformrhetorik wurden die politischen Systeme der kleinen Golf-Staaten, wo überhaupt, nur sehr graduell liberalisiert. Selbst diejenigen Staaten, die die weitestgehende Partizipation ermöglichen (Bahrain und Kuwait), haben dem Einfluss der Volksvertreter auf die Exekutive enge Schranken auferlegt. Von einer Demokratisierung kann in keinem der Staaten gesprochen werden. Gleichzeitig sollte dies nicht dazu verleiten, Erfolge, die im Bereich der transparenteren und effizienteren Regierungsführung erreicht wurden, nicht wahrzunehmen.

Damit gehören die kleinen Golf-Staaten innerhalb der arabischen Welt zu den dynamischeren Ländern. Dies auf den reformförderlichen Charakter monarchischer Systeme zurückzuführen, wie es in der wissenschaftlichen Literatur zunehmend getan wird, ist allerdings schwierig.14 Dieser Argumentation zufolge hätten Monarchien es per se leichter, politische Reformen durchzuführen, da die Position des Staatsoberhaupts dabei nicht zur Disposition stünde und es zudem Monarchen eher gelänge, eine moderierende Position einzunehmen. Tatsächlich sind Stellung und Legitimität der Herrscherfamilien in den Golf-Monarchien höchst unterschiedlich ausgeprägt. In Staaten mit vornehmlich tribaler sozialer Organisation wie Katar und den VAE haben die herrschenden Familien kaum mit Legitimitätsproblemen zu kämpfen. In Kuwait wiederum muss sich die herrschende Familie traditionell mit anderen starken Interessengruppen wie den Kaufleuten abstimmen und regiert entsprechend weniger absolut als die meisten Nachbarn. Anders verhält es sich mit den herrschenden Familien Bahrains und Saudi-Arabiens. Diese werden eher als Konfliktpartei denn als Schiedsrichter begriffen. Ihre auf territorialer Eroberung basierende Herrschaft wird von Teilen der Bevölkerung als prinzipiell illegitim abgelehnt.

Was die Fürstentümer am Golf trotz aller Unterschiede eint, ist ihre spezielle Form der Monarchie: Anders als andere Monarchien der Welt, anders auch als die arabischen Monarchien in Jordanien und Marokko, werden die Golf-Staaten dynastisch regiert.15 Die Besonderheit ihrer dynastischen Herrschaft besteht in der annähernden Monopolisierung wichtiger Kabinettsposten durch Mitglieder der herrschenden Dynastie. Sie stellt u.a. Premier-, Außen-, Innen- und Verteidigungsminister – gewöhnlich sind bis zur Hälfte der Ministerposten durch Angehörige der Herrscherfamilien besetzt. Auch in der Verwaltung sind Familienmitglieder generell weit überproportional vertreten. Da die Dynastien direkt vom Staat und seinen Ämtern leben, haben sie nicht nur ein politisches, sondern auch ein massives ökonomisches Interesse daran, aktiv zu regieren. Eine von Oppositionellen geforderte Entwicklung hin zu einer Monarchie nach britischem Modell wird durch diese Monopolisierung von Staatsämtern effektiv blockiert.

Sofern es also insgesamt gerechtfertigt erscheint, die kleinen Golf-Staaten als dynamischste Reformer der arabischen Welt darzustellen, so sagt dies vor allem etwas über die Langsamkeit aus, mit der Reformprozesse in der Region verlaufen und über die Restriktionen, denen solche Prozesse weiterhin unterliegen. Zum Lob der Golf-Monarchien gereicht dies noch nicht.

KATJA NIETHAMMER, geb. 1971, ist Thyssen-Stipendiatin an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Sie promoviert derzeit zum Reformprozess in Bahrain.

  • 1 So eröffnete beispielsweise Emir Hamad Bin Khalifa al-Thani das Doha Forum on Democracy vom 11.–13.4.2006 mit der Forderung, Demokratie und freie Marktwirtschaft in der Region zu verwirklichen – was angesichts der Nichtexistenz eines Parlaments im eigenen Herrschaftsgebiet doch leicht verwundert. http://www.qatar-conferences.org/.
  • 2 Der reiche Nachbar Saudi-Arabien unterstützt Bahrain darüber hinaus mit der mehr als doppelten Menge an Erdöl.
  • 3 Auch das kuwaitische Regierungsbudget finanziert sich zu rund 90 Prozent aus Öleinnahmen.
  • 4 Interview der Autorin mit Sami Farraj, Direktor des Kuwait Centre for Strategic Studies, 30.5.2005.
  • 5 Im Süden leben dagegen vor allem Sunniten; an den südlichen Küsten und an der Grenze zum Jemen wiederum leben Minderheiten, deren Muttersprache nicht Arabisch ist. Nachdem die Dho- far-Rebellion Ende der sechziger Jahre in erster Linie durch großzügige materielle Entschädigun- gen an die Rebellen und massive Investitionen in die Dhofar-Region beendet wurde, gibt es in Oman keine nennenswerten ethnisch (mit-)motivierten Spannungen mehr. Zu den Ibaditen siehe „Ibadiyya“, in: Encyclopaedia Islamica, New Edition, III., Leiden 1994, S. 648 ff.
  • 6 Interviews der Autorin mit schiitischen Aktivisten im Februar und Oktober 2004.
  • 7 So Mubarak in einem Interview mit dem Satellitensender Al-Arabiyya am 8.4.2006.
  • 8 Al-Dschasira stellt tatsächlich einen substanziellen Bruch mit den zuvor dominierenden staatlichen Verlautbarungskanälen dar und hat so die Medienlandschaft tiefgreifend verändert. Die innenpolitische Berichterstattung ist jedoch weit weniger kritisch angelegt als die über Nachbarstaaten. Der Erfolg des Senders hat mittlerweile zahlreiche Nachahmer auf den Plan gerufen.
  • 9 Die jetzt gültige Verfassung, die ein Parlament vorsieht, wurde in einem allgemeinen Referendum 2003 angenommen, doch erst 2005 in Kraft gesetzt.
  • 10 Anders als die herrschenden Eliten, die gewöhnlich auf einem sehr eigenständigen Weg zur politischen Reform bestehen, sehen viele golfarabische politische Aktivisten das britische Modell als durchaus erstrebenswert an.
  • 11 Das Wahlgesetz steht dauerhaft im Zentrum politischer Debatten: Galten früher sehr restriktive Kriterien („kuwaitische Ahnen“), so wurde die Wahlberechtigung schrittweise ausgedehnt. Seit 2005 dürfen alle Kuwaitis, die nicht in den Sicherheitsdiensten arbeiten und seit über 20 Jahren die Staatsangehörigkeit besitzen, wählen. Dieses schließt immer noch „bidun“, d.h. Staatenlose, aus, darunter viele seit Generationen in Kuwait ansässige Beduinen. Schätzungen über deren Zahl schwanken zwischen wenigen Tausend bis zu 80 000 Personen.
  • 12 Die vier oppositionellen Vereinigungen repräsentieren vor allem die unterprivilegierten Schiiten. Sie versuchen, außerhalb politischer Institutionen – durch Mobilisierung der Bevölkerung in Protesten – eine Verfassungsänderung zu erwirken. Zum jetzigen Zeitpunkt ist jedoch eine Teilnahme der Boykotteure an den nächsten Wahlen wahrscheinlich.
  • 13 31 Prozent der gewählten Abgeordneten sind sunnitische Islamisten, weitere 39 Prozent gehören konservativen Blöcken (einer schiitisch, einer sunnitisch) an. Unter den 22 Prozent Abgeordneten, die als unabhängige Kandidaten gewählt wurden, befinden sich zwei ausgewiesene sunnitische Islamisten. Acht Prozent der Abgeordneten haben sich zu einem links-säkularen Block zusammengeschlossen.
  • 14 Vgl. Joseph Kostiner (Hrsg.): Middle East Monarchies. The Challenge of Modernity, Boulder, Col. und London 2000 sowie Rémy Leveau und Abdellah Hammoudi (Hrsg.): Monarchies arabes. Transitions et dérives dynastiques, Paris 2002.
  • 15 Vgl. Michael Herb: All in the Family, Albany 1999.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, Juni 2006, S. 45‑51

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