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01. Jan. 2009

Kein Kuschelclub

Schlusspunkt

Das viel beschworene soziale Europa ist reine Fiktion

In der Europa-Debatte gibt es jene Themen, bei denen es wirklich um etwas geht, weil es die Mitgliedsstaaten ernst meinen, und jene, bei denen viel Schaum aufgerührt wird, aber kaum etwas dahinter steckt. Das Krisenmanagement der Finanz- und Wirtschaftskrise gehört in die erste Kategorie. Doch in dessen Fahrwasser schwimmt erwartungsgemäß der Prototyp des europäischen Schaumthemas, das soziale Europa. Verständlich, dass der Sehnsuchtsort Europa in Krisenzeiten zusätzlich mit Heilsverheißungen aufgeladen wird, doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Sozialpolitik ist nicht Auftrag der EU. Der EU-Sozialfonds dient eher der langfristigen Beschäftigungsförderung. Zwar gibt es seit Maastricht eine rhetorische Aufrüstung beim „Sozialen“, doch es fehlt an Substanz. 95 Prozent aller sozialpolitischen Fragen werden von den Mitgliedsstaaten in nationaler Eigenregie geregelt. Die wenigen bindenden EU-Rechtsakte betreffen vor allem Verfahrensfragen, nicht jedoch Ansprüche auf Sozialleistungen. In der Charta der Grundrechte der EU wird in Artikel 34 zwar der Zugang zu Sozialleistungen verbrieft, aber nichts über deren Inhalt verfügt. Offensichtlich ist für die Mitgliedsstaaten alles Soziale Kernbestand ihrer Souveränität. Nie haben sie der EU ein Mandat zur Gestaltung dieses Politikfelds, geschweige denn zu seiner Vergemeinschaftung erteilt. Wie auch? Im bunten Europa besteht kein Konsens darüber, was überhaupt „sozial“ ist. Britischen Labour-Politikern schaudert es bei dem, was die deutsche Linke für gerecht hält, Attac-Anhängern gelten die aufgeräumten Sozialstaaten Skandinaviens als Verrat, griechisches Anspruchsdenken ist nicht kompatibel mit den liberalen Ideen des Kommissionspräsidenten und portugiesischen Ex-Maoisten José Manuel Barroso. Das viel beschworene „Europäische Sozialmodell“ ist pure Fiktion. Und doch darf die EU das Thema nicht ignorieren. Denn zum einen sind die Abstiegsängste der Europäer real, und sie projizieren diese vor allem auf die wirtschaftsliberale EU. Zum anderen ist zu befürchten, dass der Ruf nach dem sozialen Europa Symptom eines größeren antiliberalen Trends ist. Wo Freihandel, Wettbewerb und sogar Privateigentum in Frage gestellt werden, ist dieser Ruf nur Wegbereiter für neu auflodernde Umverteilungsphantasien. Europa, das Macht und Wohlstand einer konsequenten Wirtschaftsliberalisierung verdankt, muss die Sehnsucht nach dem Sozialen anerkennen, aber auch klar sagen, dass andere zuständig sind. Beides nicht zu tun wäre wie ein Versprechen, das man weder halten kann noch will. Und das wäre zutiefst unsozial.

Jan Techau ist Leiter des Alfred von Oppenheim-Zentrums für Europäische Zukunftsfragen der DGAP.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar 2009, S. 128.

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