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01. Jan. 2019

Kein Krieg der Sterne!

Die Weltraumnutzung ändert sich rasant und bedroht die globale Sicherheit

Fast alle Bereiche des täglichen Lebens sind abhängig von Satelliten, und ihre Zahl wächst rasant. Zugleich verändern kommerzielle und militärische Entwicklungen die Nutzung des Weltraums fundamental. Es ist höchste Zeit, sich den daraus folgenden sicherheitspolitischen Fragen zu stellen, um das Weltall als globales Gemeingut zu erhalten.

Vor einigen Jahren startete die US-Luftwaffe ein Gedankenexperiment: Was wäre, wenn die Welt einen Tag lang ohne die Dienste von Satelliten auskommen müsste? Die Folgen, befanden die Militärs, wären katastrophal. Ein Ausfall globaler Navigationssatellitensysteme wie des amerikanischen GPS würde nicht nur die genaue Positionsbestimmung von Autos, Flugzeugen, Schiffen und Smartphones unmöglich machen, sondern auch die Übermittlung ­exakter Zeitsignale von den Atomuhren der Satelliten an die Erde verhindern.

Das öffentliche Leben würde buchstäblich aus dem Takt geraten: Ampeln und Signale im Schienenverkehr, die über GPS synchronisiert werden, würden den Dienst verweigern. Geldautomaten wären funktionsunfähig, Kartenzahlung wäre nicht mehr möglich. Die globalen Finanzmärkte, die zu großen Teilen von präzisen Zeitsignalen aus dem Weltraum abhängig sind, würden ebenso zusammenbrechen wie mancherorts die Stromnetze. Ohne funktionierende Kommunikationssatelliten würden zudem Mobilfunknetze und Internetverbindungen ausfallen. Innerhalb weniger Stunden käme es zu schwerwiegenden Unfällen etwa im Flugverkehr, wo Piloten plötzlich ohne Navigations- und Wetterdaten auskommen müssten.

Bislang ist ein solches Szenario glücklicherweise nicht eingetreten, aber es zeigt, wie abhängig unsere globalisierte Welt von satellitengestützten Daten und Produkten ist. Zu Recht ist das Thema Weltraumsicherheit deshalb in den vergangenen Jahren stärker in den Fokus der Politik gerückt. Wie so oft war es US-Präsident Donald Trump, der dabei den größten Wirbel verursacht hat.

Eine „Space Force“ für die USA?

Gleich zu Beginn seiner Amtszeit erweckte Trump den einst von George H.W. Bush eingerichteten National Space Council als Beratungsgremium für Weltraumangelegenheiten zu neuem Leben. Als Trump dann im Juni 2018 auf ­einer der Sitzungen forderte, das US-Militär müsse eine „Space Force“ als separate Teilstreitkraft einrichten, um den militärischen Herausforderungen in dieser Dimension besser gerecht zu werden, machte das weltweit Schlagzeilen.

Es sind aber längst nicht nur genuin militärische Aspekte, die in der Debatte eine Rolle spielen. Im Wesentlichen gibt es drei parallellaufende Entwicklungen, die die Nutzung des Weltraums fundamental verändern und die es durch ihre Wechselwirkungen erforderlich machen, neu über Weltraumsicherheit nachzudenken: Erstens ist da die beispiellose Kommerzialisierung der internationalen Raumfahrt, die in den nächsten Jahren zu einer Vervielfachung der Satelliten im Orbit führen wird. Zweitens sind es die militärischen Weltraumaktivitäten und die Proliferation von Antisatellitenwaffen, die vor dem Hintergrund der Abhängigkeit sämtlicher Militäroperationen von weltraumgestützten Diensten und Produkten das Risiko erhöhen, dass Konflikte im Weltraum ausgetragen werden. Und drittens ist es die ungelöste Weltraumschrott-Problematik, die sich wegen des steigenden Verkehrsaufkommens und eventueller Konflikte im Weltraum weiter zu verschärfen droht.

Neue Akteure, neue Herausforderungen

Nachdem die Sowjetunion vor gut 60 Jahren mit Sputnik-1 den ersten künstlichen Satelliten ins All schoss, ist die Raumfahrt in erster Linie eine Angelegenheit der beiden Supermächte des Kalten Krieges gewesen. Zahlen des Center for Strategic and International Studies zeigen, dass die USA und die ­Sowjetunion bis 1990 zusammen für 93 Prozent aller Satellitenstarts verantwortlich waren. Mehr als zwei Drittel dieser Satelliten trugen eine militärische Nutzlast. Heute weiß man, dass beispielsweise Satelliten der US-Raumfahrtbehörde NASA in den sechziger Jahren neben ihren zivilen Forschungsmissionen auch Informationen für die Geheimdienste sammelten. Von Anfang an wurde der Weltraum also auch im Namen der nationalen Sicherheit genutzt.

Seit dem Ende des Kalten Krieges wuchs die internationale Weltraumnutzung kontinuierlich. Heute betreiben mehr als 60 Staaten eigene Satelliten, und praktisch alle Länder der Welt nutzen satellitengestützte Dienste zur Kommunikation, Navigation oder Wettervorhersage. Der Anteil kommerzieller Angebote steigt und dürfte sich dank kapitalstarker Start-ups wie SpaceX, Blue ­Origin oder Virgin Galactic weiter erhöhen.

Denn die zivile Raumfahrt boomt. Derzeit kreisen etwa 1900 aktive Satelliten um die Erde, das sind knapp 14 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. In Zukunft werden noch deutlich größere Wachstumsraten erwartet: Moderne Satelliten werden tendenziell immer kleiner und leichter, die Kosten pro Satellitenstart (die abhängig sind von der maximalen Nutzlast, die eine Träger­rakete in den Orbit bringen kann) fallen rapide. Schon heute können Klein- und Kleinstsatelliten, die teilweise nicht größer sind als Schuhkartons, am Fließband produziert werden. Unternehmen wie SpaceX, Google oder OneWeb planen oder produzieren bereits so genannte Megakonstellationen aus Hunderten oder gar Tausenden solcher Satelliten, mit denen beispielsweise die ganze Welt mit Breitbandinternet versorgt werden soll.

Die neuen Geschäftsmodelle in der Raumfahrt werden unter dem Schlagwort „New Space“ zusammengefasst und könnten die Weltraumnutzung revolutionieren. Für die kommenden zehn Jahre sind Starts von über 20 000 Satelliten geplant – von nur 19 Unternehmen. Im November 2018 stimmte die amerikanische Federal Communications Commission Plänen der Firma SpaceX zu, allein 7500 Breitbandsatelliten in den niedrigen Erdorbit zu verbringen. Nun ist längst noch nicht klar, ob all diese ambitionierten Projekte wirklich umgesetzt werden und am Markt bestehen können. Doch selbst wenn nur die Hälfte realisiert würde, bedeutete dies eine Verdopplung der in der Geschichte der Raumfahrt insgesamt ins All geschossenen Satelliten und eine Versechsfachung der Zahl der derzeit aktiven Satelliten.

Die Kommerzialisierung der Weltraumnutzung bringt enorme Herausforderungen für das Verkehrsmanagement und die Sicherheit der Raumfahrt mit sich. In manchen Gegenden des niedrigen Erdorbits, der Region zwischen 200 und 2000 Kilometern über der Erde, wird die Verkehrsdichte stark wachsen. Kleinsatelliten haben eine Lebensdauer von meist nur wenigen Jahren; für große Konstellationen müssen daher regelmäßig neue Satelliten gestartet und in die richtige Umlaufbahn manövriert werden.

Vermehrt wird es dabei zu kritischen Annäherungen zwischen Weltraumobjekten kommen. Um Kollisionen zu vermeiden, werden dann oft Ausweichmanöver notwendig, die ad hoc zwischen den Satellitenbetreibern koordiniert werden müssen. Anders als etwa im Luftraum stecken Ansätze für ein internationales System zur Verkehrsregelung und Verteilung begrenzter Ressourcen wie Orbitalpositionen und Frequenzen (das so genannte „Space Traffic Management“) noch in den Kinderschuhen.

Wohin mit all dem Müll?

Mit dem Boom der privaten Raumfahrt und den vielen in ihrer Manövrierbarkeit möglicherweise eingeschränkten Kleinsatelliten dürfte sich auch das Problem des Weltraummülls weiter verschärfen. Dabei handelt es sich um Abfallprodukte wie ausgebrannte Raketenstufen, Überbleibsel ausgedienter Satelliten und Trümmerteilchen von Kollisionen. Gegenwärtig beobachtet und verfolgt das US-Militär mit Hilfe von Teleskopen und Radaranlagen kontinuierlich rund 23 000 Schrottobjekte im Weltraum, die mindestens zehn Zentimeter groß sind. Schätzungen zufolge gibt es aber noch über 700 000 weitere Objekte von mindestens einem Zentimeter Durchmesser, die bisher nicht zuverlässig erfasst werden können.

Das Problem dabei: Im niedrigen Erdorbit sind diese Objekte – unabhängig von ihrer Masse – mit fast acht Kilometern pro Sekunde unterwegs. Bei diesen Geschwindigkeiten können selbst kleinste Teilchen schwere Schäden verursachen, wenn sie mit einem Satelliten kollidieren. Als 2009 der amerikanische Satellit Iridium-33 mit dem inaktiven russischen Cosmos-2251 zusammenstieß, hinterließ allein dieser Zwischenfall über 3300 messbare Schrottobjekte.

Wenn nun die Zahl der Weltraumobjekte insgesamt weiter steigt, erhöht sich damit auch die Wahrscheinlichkeit von Kollisionen, die folgenschwere Kettenreaktionen auslösen können. Im schlimmsten Fall könnten bestimmte Orbitregionen nicht mehr oder nur noch eingeschränkt nutzbar sein – und das würde sich unmittelbar auf unser Leben auf der Erde auswirken, wie das eingangs skizzierte Szenario zeigt.

Der Umgang mit dem Weltraumschrott wird damit sicherheitspolitisch relevant. Verbindliche internationale Regelungen zum Umgang mit außer Dienst gestellten Satelliten gibt es bisher nicht. Sinnvoll wäre es, wenn die Betreiber von Satelliten in niedrigen Umlaufbahnen diese am Ende ihrer Lebenszeit kontrolliert in der Erdatmosphäre verglühen ließen, so wie es die Richtlinien der Vereinten Nationen zur Eindämmung des Weltraumschrotts vorsehen.

Unerwünschtes Rendezvous

Längst wird auch an Methoden zur Entsorgung des bereits vorhandenen Mülls geforscht. Unter anderem die europäische Weltraumorganisation ESA plant eine Mission, bei der ein nicht mehr funktionsfähiger Umweltsatellit kontrolliert zum Absturz gebracht werden soll. Gleichzeitig arbeiten zahlreiche Unternehmen an der Entwicklung von Wartungs- und Reparatursatelliten, mit denen die Raumfahrt insgesamt nachhaltiger werden soll.

Aus einer sicherheitspolitischen Perspektive birgt das aber auch Gefahren: Hoch manövrierfähige Satelliten mit Roboterarmen könnten schließlich nicht nur zu Reparatur-, sondern auch zu Manipulationszwecken verwendet werden. Unter anderem China testet solche Systeme mindestens seit 2016, beteuert aber, nur rein zivile Absichten zu haben. Unter dem Strich handelt es sich bei diesen neuen Technologien jedoch um Dual-use-Fähigkeiten, bei denen erst anhand ihres Verhaltens im Orbit festgestellt werden kann, ob sie in friedlicher Mission unterwegs sind oder als Waffe eingesetzt werden.

Das wiederum setzt ein entsprechendes Lagebild und die Fähigkeit zur Überwachung des Weltraums voraus. Im September 2018 enthüllte die französische Verteidigungsministerin Florence Parly in einer Rede die unangekündigte Annäherung des russischen Satelliten Luch-Olymp an den militärisch genutzten französisch-italienischen Kommunikationssatelliten Athena-Fidus im Jahr zuvor: ein unerwünschtes Rendezvous, 36 000 Kilometer über der Erde. Man könne davon ausgehen, dass der russische Satellit versucht habe, geheime Kommunikation abzuhören, so Parly – ein Spionageakt, der aber frühzeitig erkannt worden sei.

Die Bedrohungen kritischer Weltrauminfrastrukturen werden jedenfalls nicht weniger. Denn wie fast alle Bereiche des öffentlichen Lebens hängen gerade auch die Militäroperationen westlicher Staaten ganz wesentlich von Informationen aus dem Weltraum ab. Von der Terroristenjagd in abgelegenen Gegenden der Welt über die Überwachung nordkoreanischer Raketentests bis hin zum Einsatz von Drohnen – immer werden Satellitentechnologien benötigt. Dank ihrer können das amerikanische Militär, aber auch die europäischen Verbündeten weltweit Macht projizieren.

Gleichzeitig sind Weltraumsysteme Achillesfersen. Die Bahngeschwindigkeit und die Position eines Satelliten zu einem gegebenen Zeitpunkt werden grundsätzlich von physikalischen Faktoren bestimmt. Weil Satelliten vorhersagbaren Mustern folgen, sind sie anfällig für Einflussnahme und Angriffe.

Die USA, Russland und China haben allesamt gezeigt, dass sie Satelliten auch in großer Höhe abschießen können. Als China 2007 zu Demonstrationszwecken seinen eigenen Satelliten Fengyun-1C mit einer bodengestützten Mittelstreckenrakete zerstörte, entstanden dabei über 3000 Teile Weltraumschrott. In 850 Kilometern Höhe, wo der Satellit getroffen wurde, wirkt die Erdanziehungskraft nur noch sehr schwach. Es wird daher mehrere hundert Jahre dauern, bis der Schrott in der Atmosphäre verglüht ist.

„Geblendete“ Satelliten, gefälschte Signale

Neben bodengestützten und orbitalen Antisatellitenwaffen (der internationale Weltraumvertrag von 1967 verbietet lediglich die Stationierung von Atomwaffen im Orbit) gibt es noch eine Reihe weiterer so genannter Counterspace-­Fähigkeiten, mit denen Satelliten angegriffen werden können. Aufklärungs­satelliten können zum Beispiel per Laser „geblendet“ und unschädlich gemacht werden; die satellitengestützte Navigation und Kommunikation können unter anderem durch gefälschte Signale gestört werden. Nicht zuletzt bieten Satelliten, die Kontrollsegmente am Boden sowie die Datenverbindungen dazwischen Angriffspunkte für Cyberattacken.

Laut einer Studie der amerikanischen Secure World Foundation streben immer mehr Staaten nach diesen Counterspace-Fähigkeiten und setzen sie teilweise auch ein. Berichten zufolge kam es zum Beispiel in Norwegen während der russischen Militärübung „Zapad“ im September 2017 zu GPS-Störungen – ein Indiz dafür, dass entsprechende Störsysteme getestet wurden. Es ist leicht vorstellbar, wie Counterspace-Fähigkeiten zur hybriden Kriegführung genutzt werden könnten, weil mit ihnen die Verfügbarkeit von Informationen und Diensten aus dem Weltraum eingeschränkt werden kann.

Darüber hinaus steht zu befürchten, dass in künftigen militärischen Konflikten zwischen hochtechnisierten Streitkräften auch Satelliten zu Zielscheiben werden könnten, weil diese eine vernetzte Operationsführung eben erst ermöglichen. Befürworter von Trumps Vorschlag einer „Space Force“ – der übrigens gar nicht neu ist, sondern in verschiedenen Formen seit der Jahrtausendwende immer mal wieder diskutiert worden ist – verweisen darauf, dass Russland und China bereits vor einigen Jahren die weltraumrelevanten Teile ihrer Streitkräfte in eigenen Strukturen zusammengefasst haben. Es gehe darum, richtig aufgestellt und vorbereitet zu sein, wenn ein Gegner einen Konflikt in den Weltraum ausdehne, sagen amerikanische Verteidigungspolitiker.

Eine Konfliktaustragung im Weltraum hätte aber fatale Folgen. Denn anders als in den anderen Dimensionen gibt es im Weltraum keine nationalen Hoheitsgebiete – vielmehr hätte ein Konflikt im All per definitionem globale Auswirkungen, allein schon, weil Satelliten auf niedrigen Umlaufbahnen die Erde alle 90 Minuten umrunden. Sollte im Weltraum geschossen werden, wären also zumindest potenziell auch unbeteiligte Staaten durch die dabei entstehenden Trümmerwolken unmittelbar betroffen. Zudem lassen sich militärische und zivile Raumfahrtaktivitäten nicht trennen: Sie finden zur gleichen Zeit und in den gleichen Orbits statt; der Weltraum kennt kein Äquivalent zur Flugverbotszone über einem Krisengebiet. Vor diesem Hintergrund müssen die kommerziellen, zivilen und militärischen Entwicklungen in der Raumfahrt zusammengedacht werden. Weltraumsicherheit kann längst nicht mehr rein militärisch definiert werden, sondern muss in gesamtstaatlichen und internationalen Kategorien gefasst werden. In den nächsten Jahren werden enorme politische Anstrengungen nötig sein, um den Weltraum als globales Gemeingut zu erhalten.

Marc Becker studierte International Affairs an der Hertie School of Governance in Berlin und verfasste seine Masterarbeit zur deutschen Weltraumpolitik.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2019, S. 62-67

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