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01. März 2003

Kein Blut für Wasser

Wasserknappheit muss nicht zu Kriegen führen

Viele Regionen und Länder der Welt leiden heute unter Wasserknappheit; der strategische Wert von Wasser ist deshalb gestiegen. Die Autorinnen untersuchen mögliche Verteilungskonflikte und Abhängigkeiten und fordern von den Politikern ein „effizientes und nachhaltiges Wassermanagement“.

Wasserressourcen sind im Unterschied zu Ölressourcen erneuerbar und gehen nach der Nutzung wieder in den Wasserkreislauf ein. Da global gesehen die verfügbaren Wasserressourcen ausreichen, um eine wachsende Weltbevölkerung zu versorgen, geht es bei der Betrachtung der Wasserknappheit und des strategischen Wertes von Wasser weniger um absolute Einsparungen. Vielmehr ist das Ziel eine effiziente und nachhaltige Nutzung sowie eine gleichmäßigere Verteilung der Ressource zwischen wassernutzenden Sektoren und Staaten. Das Wasser soll für die Sektoren Trinkwasser, Landwirtschaft und Umwelt nutzbar gemacht werden, bevor es im Untergrund versickert oder verdunstet. Natürlich muss Wasser auch möglichst rein gehalten werden, damit seine Nutzbarkeit erhalten und seine Wiedergewinnung ökonomisch realisierbar bleibt.

Rund 70% der genutzten Wasserressourcen werden heute für die landwirtschaftliche Bewässerung aufgewendet, in ariden Ländern sind es sogar bis zu 90%. Im Bewässerungssektor besteht jedoch nicht nur der höchste Wasserbedarf, hier liegen auch die größten Einsparmöglichkeiten – vorausgesetzt, man würde effiziente Managementsysteme einführen.

Viele Regionen und Länder können bereits heute als „Wasserstress-Ökonomien“ bezeichnet werden, auch wenn die Indikatoren zur Bewertung von Wasserknappheit keineswegs einheitlich sind. Gebräuchliche, von hydrologischer Seite entwickelte Indikatoren der Wasserknappheit orientieren sich entweder an dem Verhältnis Bevölkerung zur verfügbaren Wassermenge (demographische Dimension), oder sie setzen die genutzte zur gesamten – aber nicht notwendigerweise verfügbaren – Wassermenge ins Verhältnis (technische Dimension). Für die demographische Dimension gilt die Faustregel:

–Wenn in einem Land mehr als 1700m3 pro Kopf und Jahr zur Verfügung stehen, liegt Knappheit selten vor und tritt eher lokal auf;

–unter 1000 m3/Kopf/Jahr ist eine kritische Grenze erreicht, ab der die wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigt wird;

–unter 500 m3/Kopf/Jahr erreicht die Wasserknappheit bedrohliche Ausmaße.

Die Kommission der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (CSD) definiert Wasserknappheit in ihrer technischen Dimension: Länder sind dann von einem mittleren bis hohen „Wasserstress“ betroffen, wenn die jährlich entnommene Menge 20% des gesamten inländisch erneuerbaren Süßwasservorrats übersteigt; bei über 40% wird von einem eindeutigen Wasserstress gesprochen.

Bei dieser Betrachtung werden jedoch nur die „blauen“ Wasservorräte in Flüssen, Seen und im Untergrund einbezogen – das im Boden gebundene „grüne“ Wasser wird nicht berücksichtigt.1 Von „grünen Wasserressourcen“, die im Regenfeldbau und in der Weidewirtschaft genutzt werden, hängt jedoch durchschnittlich weit mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Leistung eines Landes ab.

Auch der Wasserbedarf hat in den letzten Jahrzehnten stetig zugenommen. Zusätzlich zum Bevölkerungswachstum steigt der Bedarf pro Person auch proportional mit dem Einkommen stark an. Er ist nicht nur zwischen den Ländern, sondern auch auch zwischen Stadt- und Landbevölkerung sehr unterschiedlich. Neben der Effizienz der Bewässerungssysteme, die in den meisten Ländern noch weit unterhalb der technischen Möglichkeiten liegt, ist für den Wasserbedarf die Ernährungsweise der entscheidende Faktor. Eine fleischreiche Ernährung erfordert bis zu hundert Mal mehr Wasser pro Kilogramm erzeugte Nahrung als eine vegetarische Ernährung. Aber auch bei der vegetarischen Kost gibt es große Unterschiede: Während Edelgemüse bewässert werden muss, können lokale Getreidesorten und Feldgemüse oft im Regenfeldbau produziert werden. Der anspruchsvolle Lebensstil wohlhabender und städtischer Bevölkerungsgruppen ist daher für einen hohen Wasserverbrauch und die weitere Ausdehnung der Bewässerungslandwirtschaft im hohen Grade mit verantwortlich. Dieser Sachverhalt wird nicht nur in der wissenschaftlichen Debatte vernachlässigt, sondern auch bei der Suche nach Lösungen.

Auf Grund der zunehmenden Wasserknappheit steigt auch der strategische Wert von Wasser. Da die Durchführung von nationalen Wasserreformen ein langsamer und mühevoller Weg ist, ist die Option, den Wasserbedarf aus Quellen exogenen Ursprungs zu decken, sehr attraktiv, denn auf den ersten Blick scheint er auch ohne grundlegende politische Umorientierungen realisierbar zu sein.

Prinzipiell gibt es zwei Wege, nationale Defizite durch zwischenstaatliche Umverteilungen auszugleichen:

1. durch die gemeinsame Nutzung grenzüberschreitender Wasservorkommen;

2. durch Handel mit realen oder virtuellen Wasserressourcen.

Gemeinsame Nutzung

Ägypten, Sudan, Syrien und Irak gehören zu den Ländern, die zur Deckung ihres Wasserbedarfs (v.a. dem der Bewässerungslandwirtschaft) auf Wasservorkommen angewiesen sind, die außerhalb ihres Staatsgebiets am Oberlauf generiert werden. Ägyptens Landwirtschaft ist zu 97% von importiertem Nil-Wasser abhängig, die Sudans zu 77%; vom Euphrat deckt Syrien seinen landwirtschaftlichen Bedarf zu 79%, Irak von Euphrat und Tigris zu 66%.2 Die CSD schätzt, dass insgesamt etwa ein Drittel der Weltbevölkerung von importiertem Wasser abhängt.3 Diese Abhängigkeit wird als ein wichtiger Indikator für die Anfälligkeit von Volkswirtschaften betrachtet, weil ihr Verbrauch den der intern erneuerbaren Wasservorkommen überschreitet. Da diese Länder das Ziel der nationalen Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln über eine Ausdehnung des Bewässerungsfeldbau erreichen wollen, wären zusätzliche Wassermengen nötig, die aus grenzüberschreitenden Flüssen stammen.

Länder, deren sich erneuernde Wasservorräte zu mehr als der Hälfte von Zuflüssen aus anderen Ländern abhängen

Land

Menge des sich erneuernden Wassers von außerhalb der Grenzen

Verdopplungszeit der Bevölkerung bei der heutigen natürlichen Wachstumsrate (ohne Migration)

Ägypten

         97 Prozent

  30 Jahre

Niederlande

         89 Prozent

139 Jahre

Kambodscha

         82 Prozent

 28 Jahre

Syrien

        79 Prozent

 18 Jahre

Sudan

        77 Prozent

 22 Jahre

Irak

        66 Prozent

 25 Jahre

Quellen: Peter H. Gleick, Effects of Climate Change on Shared Freshwater Resources, in: Confronting Climate Change: Risks, Implications and Responses 1992; United Nations, World Population Prospects: The 1998 Revision, New York 1998.

In vielen Fällen ist jedoch der Verhandlungsspielraum in bestehenden Abkommen über Wassernutzungsrechte an grenzüberschreitenden Vorkommen gering; ein Nettogewinn an Wasser kann hierdurch nur von wenigen Staaten erwartet werden. Entweder wird um jeden Kubikmeter Wasser gerungen, da die betreffenden Anrainerstaaten alle von Wasserstress betroffen sind, oder politische Interessen, die Verhandlungen blockieren und Zugeständnisse erschweren, einer Umverteilung entgegenstehen. Auch die Vielzahl von sich gegenseitig blockierenden Rechtsregelungen kann die Ursache für Verhandlungsstillstand sein. Hier fehlt es an geeigneten Verfahrensinstrumenten, um wieder Bewegung in die Verhandlungen zu bringen.

Ägypten (Unteranrainerstaat) und Sudan (Mittelanrainerstaat) haben 1959 in einem Abkommen eine Aufteilung der gesamten Abflussmenge des Nils (84 Milliarden m3) beschlossen, das Ägypten 55,5 Milliarden m3 zuspricht und Sudan 18,5 Milliarden m3; die restlichen 10 Milliarden verdunsten im Nasser-See. Das Abkommen sieht vor, dass Ansprüche anderer Nil-Anrainstaaten (u.a. Äthiopien, Kenia, Tansania) nur gemeinsam verhandelt werden; mögliche Mengenreduzierungen sollen zu gleichen Teilen von den jeweiligen Anteilen beider Länder abgezogen werden.4 Bei den gegenwärtigen Neuverhandlungen zwischen den Nil-Anrainerstaaten geht es nicht um zusätzliche Ressourcen für Ägypten oder Sudan, sondern um Äthiopiens Ansprüche auf 5,4 bis 6,4 Milliarden m3. Allerdings gewährt der Vertrag von 1959 Ägypten einen eindeutigen Vorteil, denn sein Anteil an einer abzugebenden Menge wäre drei Mal geringer als der Sudans (Ägypten nutzt zwei Drittel des Nils).

Zwischen den Euphrat-Anrainerstaaten sind dagegen Verhandlungsergebnisse denkbar, die die zur Verfügung stehende Menge beträchtlich erweitern könnten, wenn politische Konflikte nicht im Wege stünden. Das Protocol on Matters Pertaining to Economic Cooperation (1987) zwischen der Türkei und Syrien garantiert Syrien im Jahresdurchschnitt 500 m3 an der syrisch-türkischen Grenze; das syrisch-irakische Abkommen (1990) spricht Syrien 42% und Irak 58% zu (vom Abfluss gemessen an der türkisch-syrischen Grenze).

Beide Vereinbarungen sind vorläufig. Eine schwere Krise in den syrisch-türkischen Beziehungen in den neunziger Jahren behinderte jedoch die Aufnahme von Verhandlungen. In Bezug auf die umstrittenen Wasservorkommen favorisieren die Staaten abweichende Verhandlungsstrategien: Syrien und Irak fordern von der Türkei 700 m3/Sekunde (ca. zwei Drittel der jährlichen Gesamtmenge); die Türkei bevorzugt einen Drei-Phasen-Plan, der den Tigris einschließt. Letzterer würde die Verhandlungen erleichtern und die Ansprüche aller Beteiligten wahrscheinlich befriedigen. Alle Euphrat-Anrainerstaaten können sich auf geltendes Völkerrecht berufen: Irak auf sein Erstnutzungsrecht; Syrien auf seine Abhängigkeit von exogenen Wasserressourcen; die Türkei darauf, dass über 90% des Wassers des Euphrats auf ihrem Territorium generiert werden.

Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über das Recht der nichtschifffahrtlichen Nutzung internationaler Wasserläufe von 1997 bietet aber für die angesprochenen Dilemmata keine Lösung. Es verankerte das Prinzip der gerechten und billigen Nutzung und der Partizipation (Art. 5) sowie der Verpflichtung, keinen erheblichen Schaden zu verursachen (Art. 7). Nach Art. 6 sind bei der Abwägung der gerechten und billigen Nutzung verschiedene Faktoren zu berücksichtigen, wie der Grad der Abhängigkeit von exogenen Wasserressourcen, alternative Wasservorkommen, klimatische sowie hydrologische Faktoren usw.5

Verteilungskonflikte

Derartige Konstellationen gaben zu der Vermutung Anlass, dass die Nutzung grenzüberschreitender Flüsse ein hohes sicherheitspolitisches Konfliktpotenzial in sich berge. Der steigende Wasserverbrauch würde zu Verteilungskonflikten führen, die eine gewaltsame Konfliktaustragung wahrscheinlich machten. Da Verteilungskonflikte um Wasser aus spieltheoretischer Sicht den Charakter eines Nullsummenspiels haben (die in Land A konsumierte Menge steht Land B nicht mehr zur Verfügung), wird in der Fachöffentlichkeit teilweise angenommen, dass sie an grenzüberschreitenden Flüssen tendenziell zur Eskalation führen: Oberanrainerstaaten seien durch ihre Lage naturgemäß in einer Position des Stärkeren, und Eingriffe am Oberlauf wirkten sich in der Regel negativ auf die „ohnmächtigen“ Unteranrainer aus. Auf Grund dieser Annahmen wurde in den neunziger Jahren immer wieder prophezeit, dass im 21. Jahrhundert Wasserkriege wahrscheinlich würden.

Die düstere Prognose: Wasserknappheit = Konflikt = Krieg ist jedoch nur auf den ersten Blick plausibel: Allein in den letzten fünfzig Jahren wurden weltweit Nutzungskonflikte an grenzüberschreitenden Gewässern  in 1800 Abkommen geregelt. Grenzüberschreitende Wasservorkommen waren oft ein Katalysator für Kooperationen zwischen Anrainerstaaten, die wegen territorialer oder anderer, nicht auf das Wasser bezogene Streitfragen Kriege oder Scharmützel austrugen. Das bekannteste Beispiel ist der Indus-Vertrag von 1961 zwischen Indien und Pakistan, der in Zeiten extremer politischer Spannungen geschlossen wurde und inzwischen mehrere Kriege um Kaschmir „überstanden“ hat.6

Oft sind es Staaten am Unterlauf, wie Ägypten und Irak, die zuerst Flusswasser nutzten und daher ein Erstnutzungsrecht beanspruchen. Ägypten machte sein militärisches Drohpotenzial geltend und konnte bisher Nutzungen am Oberlauf blockieren; Irak sperrte kurzerhand Öllieferungen an die Türkei. Da sich zudem nicht alle Nutzungen am Oberlauf negativ auswirken (Dämme schützen stromabwärts gelegene Staaten vor Hochwasser; Staubecken garantieren die Verfügbarkeit von Wasser in Trockenperioden auch für Unteranrainer) ist durchaus ein Interesse an einer Zusammenarbeit vorhanden.7

Mythos: Wasserkriege

Eine Gruppe amerikanischer Wissenschaftler der Oregon State University veröffentlichte 1997 die Transboundary Freshwater Dispute Data Base,8 die mit einem spektakulären Ergebnis aufwartete: Wasserkriege sind ein Mythos. Die Studie dokumentiert, dass der letzte Wasserkrieg 4500 Jahre zurückliegt: der Krieg zwischen den zwei mesopotamischen Stadtstaaten Lagasch und Umma. Bei aktuellen, nicht beigelegten Wasserkonflikten um den Jordan, den Nil und den Euphrat, sind es vor allem andere Faktoren, die bisher kooperative Lösungen verhinderten, so z.B. territoriale Streitigkeiten und Fragen des Status zwischen Israel und Palästina, oder Sicherheitsfragen zwischen der Türkei und Syrien. In einer weiteren Untersuchung von 460 Ober-/Unteranliegerkonstellationen diagnostizieren deutsche Wissenschaftler9 dreißig kritische Interessenlagen, von denen wiederum nur sieben ein hohes Konfliktpotenzial erreichten – einige davon sind inzwischen vertraglich beigelegt.

Auch bei den grenzüberschreitenden Flüssen, bei denen noch keine zwischenstaatlichen Abkommen zustande kamen – mit Ausnahme des Jordans –, zeichnen sich kooperative Entwicklungen ab.10 Foren zur Konfliktaustragung, wie gemeinsame technische Komitees und gemeinsame Wasserkommissionen, verdeutlichen, dass die Anrainerstaaten andere Lösungen favorisieren als den Zugewinn von Wasser über Kriege.

Der simple hydrologische Determinismus, der der These der Wasserkriege zugrunde liegt, ist damit widerlegt: Wasserkriege haben keine empirische Relevanz. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich in Zukunft das Konfliktpotenzial erhöht. Streitigkeiten um grenzüberschreitende Wasservorkommen und -knappheiten können aktuelle und zukünftige Konflikte verstärken. Aber auch, wenn friedliche Verhandlungen zu gerechteren Lösungen führen, kann der Nettogewinn an Wasser über die Umverteilung aus grenzüberschreitenden Wasservorkommen nur in einzelnen Fällen das Problem des Wasserstresses lösen. Für die meisten Länder sind andere Mechanismen notwendig, um den wachsenden Bedarf zu decken oder dessen ungebremsten Anstieg zu mindern.

Virtuelles Wasser

Da zur Produktion eines Kilogramms Weizen 1000 Liter Wasser und mehr benötigt werden, besteht für wasserarme Länder neben der Option, Wasser direkt zu importieren, auch die Möglichkeit, das Ziel der Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln aufzugeben und das Wasserdefizit über den Nahrungsmittelimport auszugleichen („virtuelles Wasser“). Beide Optionen werden von vielen Ländern in zunehmendem Maße genutzt. Bisher erfolgen Nahrungsmittelimporte jedoch nicht etwa als aktive Strategie zur Einsparung von Wasser, sondern eher als Notmaßnahme nach Missernten und Dürreperioden.

Der direkte Import von Wasser erzeugt hohe Transportkosten und erfordert den Bau transnationaler Leitungen, künstlicher Verbindungen zwischen grenzüberschreitenden Wasserspeichern oder teure Transporte mit Tankschiffen. Zwar sind solche Großprojekte bereits durchgeführt worden; viele Projekte bleiben jedoch auf Grund der hohen Kosten eine Vision oder sind wegen unterschiedlicher politischer Interessen der beteiligten Länder nicht zu verwirklichen (z.B. eine Verbindung vom Roten Meer oder Mittelmeer zum Toten Meer). Auch aus ökologischer Sicht erscheint der Import von Getreide vielfach sinnvoller als der direkte Import von Wasser, denn hier müssen viel größere Mengen bewegt werden.

Einige Wasserexperten11 argumentieren, man solle den Import virtuellen Wassers als Lösungsstrategie einsetzen, um Bewässerungswasser einzusparen und anderen Sektoren, wie dem Trinkwassersektor oder der Industrie, zuzuführen. Bei näherem Hinsehen ist jedoch auch der virtuelle Wasserhandel nur begrenzt praktikabel und birgt zudem viele Risiken.

Dazu gehört, dass der Substitutionswert von Getreideimporten für Bewässerungswasser zumeist überschätzt wird. Es wird nicht berücksichtigt, dass der Bewässerungslandbau vornehmlich dem Intensiv- und Dauerkulturanbau vorbehalten ist und Getreide (außer Reis) auch in wasserarmen Ländern vornehmlich im Regenfeldbau angebaut wird. Für das im Regenfeldbau genutzte „grüne“ Wasser gibt es jedoch keine alternativen Nutzungsmöglichkeiten: Ließe man die Flächen brach liegen, würde das Regenwasser entweder wild wachsenden Pflanzen dienen oder ungenutzt verdunsten, versickern bzw. abfließen.

Das wichtigste Hindernis besteht jedoch darin, dass der Nahrungsmittelimport Devisen kostet und daher Einkommensüberschüsse aus nicht landwirtschaftlichen Erwerbsquellen voraussetzt. Die meisten wasserarmen Länder ohne bedeutende Ölvorkommen können jedoch entgegen wirtschaftlicher Wachstumsprognosen keine positive Zahlungsbilanz aufweisen. Ein Anstieg an Nahrungsmittelimporten geht daher direkt zulasten anderer Handelsgüter, die ebenfalls wichtig für eine gute Lebensqualität und weitere Wachstumschancen sind.

Auf Grund der vergleichsweise geringen Wasseransprüche des Industriesektors und wegen der niedrigen (weil subventionierten) Wassertarife des Trinkwassersektors sind die alternativen Möglichkeiten, Wasser gewinnbringend in nichtlandwirtschaftlichen Sektoren einzusetzen, bis heute sehr viel geringer als häufig angenommen. Der virtuelle Wasserimport ist daher an niedrige Importpreise für Getreide gebunden; hohe Getreidepreise würden sofort dazu führen, dass die eigenen Produktionsmöglichkeiten weiter ausgeschöpft würden.

Die von den USA und der EU subventionierten Getreidepreise auf dem Weltagrarmarkt kommen diesem Bedarf entgegen. Wie erneut beim Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg im September 2002 von den betroffenen Ländern herausgestellt, schwächen verzerrte Agrarpreise die Wettbewerbsfähigkeit der Agrarexportländer (zumeist Entwicklungsländer), die sich solche Subventionen nicht leisten können. Diese Länder geraten dadurch unter Druck, nun indirekt wieder ihre eigene Agrarproduktion zu subventionieren, z.B. durch niedrige Wasserpreise. Hier entsteht ein Teufelskreis, denn angemessene Wassertarife sind ein Kernelement einer effizienten Bewässerung und somit Grundlage jeder nachhaltigen nationalen Wasserpolitik.

Abhängigkeiten

Nicht vergessen werden sollte zudem der politische Aspekt von Nahrungsmittelimporten. Wird ein wachsender Anteil des Grundnahrungsbedarfs aus dem Ausland gedeckt, wird die Abhängigkeit gegenüber den wasserreichen Exportländern erhöht, und dies ist zwangsläufig mit einer höheren Verletzlichkeit in Zeiten wirtschaftlicher oder politischen Krisen verbunden. Rein faktisch wird es jedoch für aride Länder zukünftig auch nicht möglich sein, Selbstversorger mit Nahrungsmitteln zu bleiben oder gar zu werden. Dieses Ziel bleibt für sie unerreichbar, denn hierzu sind ihre Wasservorräte und ihr Einsparpotenzial zu gering. Der internationale virtuelle Wasserhandel wird daher zwangsläufig in der Zukunft eine wachsende Rolle für diese Länder spielen. Er wird, strategisch betrachtet, jedoch auf Grund der oben genannten Punkte reaktiv bleiben. Denn im Vorfeld eines konkreten Mangels subventioniertes Getreide zu importieren, hat die Zerstörung der eigenen Agrarmärkte zur Folge, führt zwangsläufig zu Landflucht und fördert die Verstädterung, die mit einem Anstieg des Wasserkonsums durch anspruchsvollere Nahrungsmittel einhergeht.

Das Problem der nationalen Wasserknappheit kann von den betroffenen Ländern nur in geringem Maße exogen gelöst werden. In der Regel ist eine endogene Lösung unausweichlich. Die Politiker müssen daher nationale Wasserreformen durchführen, die geeigneten wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen für ein effizientes und nachhaltiges Wassermanagement schaffen und die wachsende Nachfrage nach Wasser eindämmen. Solche Reformen sollten sich neben Maßnahmen zur Effizienzsteigerung der Bewässerungs- und Siedlungswasserwirtschaft vornehmlich auf einen nachhaltigen Regenfeldbau und auf die Weidewirtschaft beziehen, die die landwirtschaftliche Grundlage eines jeden Landes darstellen. Damit hier breitflächig wasser- und bodenkonservierende Maßnahmen umgesetzt werden, sind dringend ökonomische Anreize und in manchen Fällen auch Reformen im Boden- und Wasserrecht sowie Investitionshilfen notwendig.

Anmerkungen

1  Vgl. Malin Falkenmark/Gunnar Lindh, Water and economic development, in: Peter H. Gleick (Hrsg.), Water in Crisis, Oxford 1993, S.80–91; auch Falkenmark, Feeding Eight Billion People: Time to Get out of Past Misconcepts, Stockholm 2001.

2  Robert Engelmann/Bonnie Dye/Pamela LeRoy, Mensch, Wasser. Report über die Entwicklung der Weltbevölkerung und die Zukunft der Wasservorräte, Hannover (Deutsche Stiftung Weltbevölkerung) 2000, S.40.

3  United Nations Commission on Sustainable Development, Comprehensive assessment of the freshwater resources of the world, Report of the Secretary General, New York 1997.

4  Agreement between the Republic of Sudan and the United Arab Republic for the Full Utilization of the Nile Water, Fifth General Provisions, 2.

5  Scheumann/Axel Klaphake, Freshwater Resources and Transboundary Rivers on the International Agenda: From UNCED to Rio+10, Bonn (German Development Institute) 2001, S. 25–35.

6  Asit K. Biswas, Management of Asian Rivers, in: Ismail Al Baz/Volkmar Hartje/Scheumann (Hrsg.), Co-operation on transboundary rivers, Baden-Baden 2002, S. 133–148.

7  Axel Klaphake/Scheumann, Politische Antworten auf die globale Wasserkrise: Trends und Konflikte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 48-49/2001, S. 3–12.

8  Heather L. Beach u.a., Transboundary freshwater dispute resolution. Theory, practice and annotated references, Tokio, New York, Paris 2000.

9  Frank Biermann/Gerhard Petschel-Held/ Christoph Rohloff, Umweltzerstörung als Konfliktursache? Theoretische Konzeptualisierung und empirische Analyse des Zusammenhangs von „Umwelt“ und „Sicherheit“, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, Jg. 5, Nr. 2, 1998, S.273–308.

10 Zum Beispiel die Nile Basin Initiative der Nil-Anrainerstaaten; das Kooperationsabkommen zwischen der Türkei und Syrien über gemeinsame Projekte zur Wassernutzung in der Landwirtschaft; das Wasserprotokoll der Staaten der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC), das Grundlage der Verhandlungen um den Sambesi und Maputo ist.

11 Vgl. J.A. Allan, The Middle East Water Question, New York 2000.