Essay

01. Nov. 2020

Jetzt erst recht!

Der Rückhalt für das transatlantische Verhältnis schwindet. Die Covid-19-Pandemie hat diese Entwicklung noch einmal beschleunigt. Deshalb muss man umso energischer dagegenhalten: unter anderem mit engeren Beziehungen zu den USA – nicht trotz, sondern wegen Donald Trump.

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Bild: Merkel und Trump am Rande der Feierlichkeiten zum D-Day in Portsmouth.
Mehr Distanz war selten – und gut kaschieren lässt sie sich auch nicht mehr. Merkel und Trump am Rande der Feierlichkeiten zum D-Day in Portsmouth.
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Stellen wir uns das Jahr 2040 vor. An der Spitze der Vereinigten Staaten steht eine Frau. Die Expansion in den Weltraum schreitet voran; Kriege werden auch dort ausgetragen. Die internationale Klimapolitik ist nachhaltig und entschlossen. China kontrolliert den Zugverkehr, Verkehrsknotenpunkte und das 5G-Netz in vielen europäischen Ländern.



Einige dieser Szenarien mögen unwahrscheinlicher klingen als andere, mehr oder weniger wünschenswert. Doch sie alle könnten in nur 20 Jahren Realität sein. Natürlich kennen wir die genauen Koordinaten unserer Zukunft nicht. Trotzdem wissen wir, dass bestimmte Trends, die die Politik der Gegenwart dominieren, vorübergehen werden. Im Jahr 2040 wird Bundeskanzlerin Angela Merkel ihr Amt vor fast 20 Jahren niedergelegt haben; US-Präsident Donald Trump vielleicht auch. Die Corona-Pandemie wird überwunden sein, Großbritannien den EU-Binnenmarkt und die Zollunion verlassen haben. In gewisser Weise veranschaulichen diese Voraussagen, dass unsere Perspektiven auf die Zukunft wesentlich von der Gegenwart beeinflusst werden.



Trotz der Fortschritte in der Risikoanalyse und auf dem Feld der Zukunftsstudien sowie der Gründung von Foresight-Teams auf beiden Seiten des Atlantiks fällt es uns nach wie vor schwer, für die Zukunft zu planen. Und dennoch ist eine langfristige Perspektive gerade für die transatlantischen Beziehungen von entscheidender Bedeutung. Fernab von utopischen Plänen und Visionen geht es hier vor allem um ein kontinuierliches gemeinsames Engagement. Nur wenn die transatlantische Kooperation auf eine gemeinschaftliche Krisenbekämpfung und auf die Wahrung gemeinsamer Werte hinarbeitet, wird sie auf Dauer erfolgreich sein – und auch in fünf, zehn oder noch mehr Jahren Bestand haben.



Haben wir es heute mit transatlantischen Krisen zu tun oder steckt der Transatlantizismus insgesamt in der Krise? Für die kollektive europäische Identität war das Jahr 2016 jedenfalls ein aufreibendes. Viele Europäerinnen und Europäer fühlten sich verraten durch das Brexit-Votum und die britische Bereitschaft, die EU zu verlassen. Wenig später hinterließ das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl ein Gefühl der Unsicherheit und der Entfremdung von den USA. Gleichzeitig ist der Rechtsextremismus auf beiden Seiten des Atlantiks auf dem Vormarsch, und Demokratie, liberale Werte und progressives Gedankengut sind unter Beschuss. Nicht zuletzt meldeten sich aufgrund der Corona-Pandemie in diesem Jahr mit 40 Millionen Amerikanerinnen und Amerikanern mehr Menschen in den USA arbeitslos als jemals zuvor.



Bis heute hat uns die Covid-19-Krise fest im Griff. Sie wird auch die nähere Zukunft prägen und dabei Probleme verschärfen, die bereits vor dem Ausbruch des Coronavirus unsere Aufmerksamkeit erforderten. Klar ist: In zehn oder 15 Jahren wird die Welt anders aussehen als heute – und auch die transatlantischen Beziehungen werden sich verändert haben. Und in volatilen Momenten ist das Potenzial für Veränderung besonders groß.



Doch wie uns die Krisenforschung lehrt, ist es nicht einfach, auf dem Höhepunkt einer Krise den Durchblick zu behalten und Chancen zu erkennen. Krisen nehmen für gewöhnlich unsere ungeteilte Aufmerksamkeit in Anspruch. Auch inmitten der Corona-Pandemie wird das mehr als deutlich. Sie beherrscht alle öffentlichen Debatten und politischen Pläne. Die australischen Waldbrände und die Klimakrise, von denen die meisten Menschen zu Beginn des Jahres noch dachten, sie würden 2020 die Schlagzeilen und die Politik dominieren, sind längst vergessen. Und was ist eigentlich mit den Kriegen in Syrien und im Jemen, was mit den Gräueltaten, die in Myanmar an den Rohingya verübt werden? All diese Themen sind vorerst aus der öffentlichen Debatte verschwunden.



Natürlich existieren sie weiter. Dass dem so ist, zeugt vom schwindenden geopolitischen Einfluss des Westens – und der Rückbesinnung auf Krisen innerhalb ihrer eigenen Grenzen. So wie sich die Staaten auf beiden Seiten des Atlantiks in einer Krise befinden, so befindet sich auch der Transatlantizismus selbst in einer Krise. Dies unterstrich zuletzt auch eine Umfrage des „Berlin Pulse“ der Körber-Stiftung, in der deutsche Bürgerinnen und Bürger gefragt wurden, was für Deutschland wichtiger sei: enge Beziehungen zu China oder zu den Vereinigten Staaten? 36 Prozent der Deutschen antworteten zu China, nur ein Bruchteil mehr (37 Prozent) zu den USA. Im Vergleich mit 2019 war das eine massive Verschiebung der öffentlichen Meinung. Damals hatten noch 50 Prozent der Deutschen die Beziehungen zu den USA für wichtiger gehalten.



Die Umfrageergebnisse sind ein alarmierender Beleg dafür, dass der Rückhalt für die transatlantischen Beziehungen in der Bevölkerung schwindet. Angesichts einer ganzen Reihe von anderen schwelenden Krisen muss deshalb schnell gehandelt werden. Viel zu lange wurde das transatlantische Verhältnis als Selbstläufer betrachtet. Jetzt ist es an der Zeit, es neu zu bewerten und vielleicht sogar zu überdenken. Denn nur wenn es uns gelingt, die gegenwärtigen Krisen als Chance für den Wandel zu begreifen, kann der Transatlantizismus am Ende gestärkt werden. Und die Voraussetzungen dafür sind besser, als man es vermuten mag.



Erstens sollte Kanada, das auf der Weltbühne gerne übersehen wird, als starker und progressiver Partner innerhalb der transatlantischen Beziehungen anerkannt werden. Zu oft haben die europäischen Bemühungen das Land zuletzt ausgeklammert. Dabei leistet Kanada auf vielen Gebieten, die für Europa und die USA von grundlegender Bedeutung sind, politische Pionierarbeit: Ottawa unterstützt die sogenannte Allianz für Multilateralismus, praktiziert eine feministische Entwicklungshilfe und hat das „Pan-Canadian Framework on Clean Growth and Climate Change“ auf den Weg gebracht.



Zweitens darf das Verhältnis zu den USA nicht auf Eis gelegt werden. Auch wenn die Vereinigten Staaten zuletzt von traditionellen Standpunkten und insbesondere vom Multilateralismus abrückten, sind sie noch immer die einzige Supermacht, die für Freiheit und Demokratie steht – und die transatlantischen Beziehungen sind weiterhin die Hauptachse für eine liberale Weltordnung. Selbst wenn der gegenwärtige Präsident der USA Freunde in Europa ignoriert, der Bundeskanzlerin mitunter respektlos begegnet und sogar mit Strafzöllen gegen Washingtons Partner vorgeht: Deutschland muss weiter engagiert bleiben – nicht trotz, sondern gerade wegen dieser besorgniserregenden Entwicklungen.



Vermutlich wurden die Ergebnisse der „Berlin Pulse“-Umfrage maßgeblich durch den Umgang Chinas und der USA mit der Corona-Pandemie beeinflusst. Während man die Krise in Peking in gewisser Weise als Startschuss für eine großangelegte Propagandakampagne verstanden hat, die durchaus erfolgreich war, präsentierte sich Washington auf dem ersten Höhepunkt der Pandemie – insbesondere auch in der Kommunikation mit Europa – katastrophal. Dies ist natürlich Wasser auf die Mühlen derjenigen beiderseits des Atlantiks, die das transatlantische Bündnis zuletzt offen infrage stellten und suggerierten, dass stärkere Beziehungen zu China oder Russland für Europa und die USA gar eine alternative diplomatische Route darstellen könnten. Diese Annahme bleibt jedoch absurd.



Russland hat sich in den vergangenen Jahren als expansionistische Großmacht auf die Weltbühne zurückgekämpft. Die Souveränität anderer Staaten wurde untergraben, so wie 2008 in Georgien, und Territorien wurden, wie 2014 in der Ukraine, einfach annektiert. Zudem wird das militärische Engagement in der Nachbarschaft zusätzlich durch Manipulationen ausländischer Wahlen und Cyberattacken unterstützt. Erst vor Kurzem warnte der deutsche Geheimdienst vor der Gefahr russischer Hackerangriffe.



Derweil versucht China, seinen globalen Einfluss durch starke Handelsbeziehungen und Kooperationen auf dem Gebiet der Infrastruktur auszuweiten. Ein Vorhaben, dem Europa angesichts der anhaltenden Unterdrückung der Uiguren, der kritischen Lage in Hongkong und der eingeschränkten Rechte und Freiheiten chinesischer Bürgerinnen und Bürger einen Riegel vorschieben sollte. Man darf China, das sich in der jüngeren Vergangenheit nicht als verantwortungsbewusster Akteur hervorgetan hat, nicht erlauben, kritische Infrastruktur wie das 5G-Netz zu kontrollieren.



Sowohl Russland als auch China beweisen seit Jahren in der Innen- und Außenpolitik, dass sie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie wenig wertschätzen. Davon zeugt nicht zuletzt auch ihre Blockadehaltung im UN-Sicherheitsrat. Die Frage ist demensprechend nicht, ob Russland oder China als alternative Partner taugen, für Europa oder die USA, sondern wohin sich die transatlantischen Beziehungen entwickeln müssen, um China und Russland in Zukunft bestmöglich gemeinsam zu begegnen.



Vor diesem Hintergrund sollten die Vereinigten Staaten auch wieder mehr Energie in ihre transpazifischen Partnerschaften stecken. Eine enge Kooperation mit Ländern wie Vietnam, Japan und Singapur ist für die Ausgrenzung Chinas von wesentlicher Bedeutung. Die EU sollte ihrerseits an einem Handelsabkommen mit den ASEAN-Mitgliedstaaten arbeiten. Das Freihandelsabkommen mit Vietnam war ein erster richtiger Schritt in diese Richtung. Für die Bekämpfung der chinesischen Ansprüche auf dem Feld der digitalen Infrastruktur sollte man sich derweil am Beispiel Australien orientieren. Dort wurde dem chinesischen Tech-Giganten Huawei durch entsprechende Gesetzgebung die Beteiligung am australischen 5G-Netz untersagt. Die transatlantischen Partner müssen sich einmal mehr nach innen ihrer Werte versichern und sie nach außen stark vertreten. Dafür ist es unerlässlich, die richtigen Partner an sich zu binden und sich keinen Illusionen über das Verhältnis zu China und Russland hinzugeben.



Im Februar 2020 erklärte Bundeskanzlerin Merkel nach dem rassistisch motivierten Terroranschlag von Hanau: „Die Bundesregierung und alle staatlichen Institutionen stehen für die Rechte und Würde eines jeden Menschen in unserem Land. ... Wir stellen uns denen, die versuchen, in Deutschland zu spalten, mit aller Kraft und Entschlossenheit entgegen.“ Ein Gedanke, der auch für das transatlantische Verhältnis von großer Bedeutung ist. Wir können nicht zulassen, dass Extremisten und Hassverbrechen unsere Partnerschaften und Kooperationen spalten.

Und am besten begegnen wir den Spaltern, indem wir unsere gemeinsamen Werte und Ideen unterstreichen. Gerade in einem Moment, in dem unsere Vorstellungen und Ideale auf beiden Seiten des Atlantiks von innen und außen attackiert sowie Unsicherheit und Misstrauen geschürt werden, müssen sich die USA und Europa für die Vision einer demokratischen und freien Welt stark machen.



Dazu müssen sie vor allem den antidemokratischen Tendenzen daheim mit voller Kraft entgegentreten. Das bedeutet beispielsweise auch, dass Brüssel und die EU-Mitgliedstaaten schärfere Worte für die Entwicklungen in Ungarn und Polen finden müssen. Die EU kann es nicht tolerieren, wenn Autokraten die Corona-Pandemie nutzen, um die eigene Macht mithilfe von Notstandsgesetzen zu festigen und auszubauen. Der Gedanke der Solidarität innerhalb der EU muss gestärkt werden, insbesondere nach dem Austritt Großbritanniens. Die europäischen Bürgerinnen und Bürger müssen wissen, dass die gemeinsamen Werte in jedem Mitgliedstaat verteidigt werden.



Ebenso ist es für die Vereinigten Staaten unerlässlich, systemischen Rassismus in den Behörden und in der Gesellschaft zu verurteilen und zu bekämpfen. Zu lange sind rassistisch motivierte Straftäterinnen und Straftäter in den Vereinigten Staaten davongekommen, ohne belangt zu werden. Die Zunahme rechtsextremer Hassverbrechen in den USA schadet nicht nur der amerikanischen Gesellschaft, sie untergräbt auch das Fundament des transatlantischen Bündnisses. Alle Partner, die sich für den Transatlantizismus stark machen, müssen Rechtsextremismus, Hassverbrechen und Verschwörungstheorien im eigenen Land entgegentreten und sich somit klar zu den grundlegenden Werten der Kooperation bekennen.



Darüber hinaus müssen neben den demokratischen und liberalen Werten auch die Partnerschaften selbst gestärkt werden. Im gegenwärtigen weltpolitischen Klima sind es vor allem auch persönliche Verbindungen, die ein Gefühl von Stabilität und Zugehörigkeit vermitteln können. Dementsprechend ist es heute wichtiger denn je, in Netzwerke und Kooperationsangebote zu investieren. Die Außenministerien sollten neue Kampagnen auf den Weg bringen und Lobbyarbeit für die transatlantischen Beziehungen im In- und Ausland betreiben. Zum Beispiel so, wie man es 2018/2019 zur Feier der deutsch-amerikanischen Beziehungen mit der Aktion #WunderbarTogether getan hat. Programme wie das German American Partnership Program (GAPP), das Parlamentarische Patenschaftsprogramm zwischen dem US-Kongress und dem Bundestag sowie das Fulbright-Programm müssen vertieft und ausgebaut werden. Nur so können die EU, die USA und Kanada den Austausch der Jugend anregen und Visionen für eine gemeinsame Zukunft entwickeln.



Auch die Zusammenarbeit auf dem Feld der Sicherheitspolitik muss dringend weiter verstärkt werden. Da sich die Vereinigten Staaten mehr und mehr aus der Weltpolitik zurückzuziehen scheinen, ist es die Aufgabe der EU, diese Lücke zu schließen. Die USA befanden sich bereits vor der Amtszeit von Donald Trump auf einem Rückzugskurs. Trump hat diesen Prozess beschleunigt, indem er die Finanzierung multilateraler Organisationen kürzte und eine Reihe von internationalen Verträgen – wie etwa das Atomabkommen mit dem Iran und das Open-Skies-Abkommen – aufkündigte.



Unabhängig davon, ob es sich dabei um gedankenlose Einzelaktionen des Präsidenten handelte oder ob diese Entscheidungen einen Paradigmenwechsel in der US-Sicherheitsstrategie ankündigen: Die EU muss dieser Entwicklung mit mehr Engagement begegnen. Denn eine Abkehr von den USA auf dem Feld der Sicherheitspolitik wäre nicht nur unklug, sondern nahezu unmöglich. Bis heute verfügen die Vereinigten Staaten über die größte und fortschrittlichste Armee der Welt – und die NATO verlässt sich in hohem Maße auf den politischen und finanziellen Beitrag der USA. Ohne Washington würde die NATO kaum mehr als Drohkulisse für Moskau taugen. Und gerade die baltischen und osteuropäischen Staaten sind auf amerikanische Unterstützung angewiesen.



Daher muss insbesondere Deutschland mehr Engagement für das Bündnis an den Tag legen. Eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts – so grotesk es inmitten einer weltweiten Rezession auch klingen mag – könnte dazu beitragen, dem 2-Prozent-Ziel der NATO näherzukommen. Immerhin ist die Sicherheitspolitik meist kein kurzfristiges, sondern ein langfristiges Projekt. Nicht umsonst blicken die Planer im Verteidigungsministerium und im Pentagon bei der Budgetierung meist zwei Jahrzehnte voraus. Wer künftig mit modernen Einsatztruppen auf Abruf agieren will, der muss schon heute Geld in die Hand nehmen. Mit „Defender Europe 2021“ steht immerhin eine wichtige Gelegenheit für die Bündnispartner vor der Tür, ihre Streitkräfte gemeinsam zu trainieren.



Deutschland muss sich aber auch klar positionieren, etwa zur nuklearen Teilhabe. Ein Abzug von atomaren Sprengkörpern mag auf den ersten Blick wünschenswert erscheinen, würde gleichzeitig aber für Misstrauen bei den deutschen Partnern und für Unruhe in der NATO sorgen. Wer die Entfernung nuklearer Sprengköpfe von deutschem Boden fordert, sollte dementsprechend auch die militärischen und politischen Kosten sowie den globalen Kontext in Betracht ziehen. Würden die USA und Russland sich etwa auf eine gemeinsame Reduzierung ihres atomaren Arsenals einigen, wäre eine deutsche Abkehr von der nuklearen Teilhabe logisch und sinnvoll. Doch in der gegenwärtigen Situation entfacht die Debatte über die Stationierung von Nuklearwaffen auf deutschem Boden sowohl im Innern als auch im Ausland vor allem Unverständnis.



Klar ist, dass nur ein starkes Europa ein attraktiver Partner für die USA ist. Nicht zuletzt deshalb gilt es, das europäische Interesse an einer gemeinsamen Sicherheitspolitik immer wieder zu unterstreichen.



Zugleich muss auch die Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern und den amerikanischen Bundesstaaten verbessert werden. In den vergangenen Jahren wurden hier immer wieder Kooperationschancen verpasst. Dabei können niedrigschwellige Lösungen und die kommunale und regionale Zusammenarbeit gerade dann ertragreich sein, wenn großangelegte Abkommen auf Bundesebene unrealistisch scheinen. Zudem ist ein politisches Verhältnis, das sich auf mehreren unterschiedlichen Kooperationsleveln abspielt, weniger anfällig für Veränderungen wie zum Beispiel einen Regierungswechsel.



Gleichzeitig werden durch diesen Ansatz auch immer Kommunikations- und Kooperationskanäle offengehalten, zum Beispiel in der Klimapolitik. Regionale Klimainitiativen stellen für die EU eine wichtige Verbindung zu den Vereinigten Staaten her. Denn auch in den USA schließen sich mitunter Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitiker in Klimawandelinitiativen zusammen. Obwohl sich Washington mit dem Rückzug aus dem Pariser Abkommen von einer konstruktiven Klimapolitik vorerst abgewandt hat, wird der Klimawandel innerhalb der transatlantischen Gemeinschaft weiter ein Kernthema sein – und konstruktive Maßnahmen können nicht für die Zeit nach Trump oder nach der Corona-Krise aufgehoben werden. Die EU und einzelne europäische Staaten sollten deshalb mit regionalen und lokalen Netzwerken in den USA in Kontakt treten und ihre Klimaschutzagenda auf diese Weise vorantreiben. Auch auf anderen Politikfelder könnten die transatlantischen Beziehungen von einem mehrschichtigen Engagement profitieren.



Schritte in Richtung eines wieder stärker belastbaren transatlantischen Verhältnisses sind möglich, auch wenn die gegenwärtige Corona-Krise allmächtig erscheint, die Zweifel an der Trump-Regierung stetig wachsen und China seinen Schatten vorauswirft. Doch die transatlantische Zusammenarbeit wird nicht wie von Geisterhand zu neuer Stärke finden. Wichtig wird es sein, das Spielfeld nicht den anderen zu überlassen und das eigene Engagement hochzufahren. Wir brauchen Solidarität statt Streit und Einheit statt Spaltung.



Nur so wird am Ende unserer Bemühungen ein stabiles transatlantisches Bündnis stehen, das dem rauen weltpolitischen Klima standhält, von Alleingängen ungetrübt bleibt und sicher durch den Morast politischer Meinungsverschiedenheiten navigiert. Wenn wir das politische Potenzial der Krise erkennen, können wir sie zu unserem Vorteil nutzen. Blicken wir auf das Jahr 2040 und setzen wir die richtigen Räder in Gang, schon heute.



Lisa Stappenbeck arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin für die Bundeswehr. Mit diesem Text hat sie den Sylke-Tempel-Essaypreis 2020 gewonnen.



Aus dem Englischen von Kai Schnier

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/Dezember 2020, S. 94-99

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