IP

01. Juli 2006

Israel in die NATO? Was dagegen spricht

Eine Replik auf Ralf Fücks’ Vorschlag in der IP 6/2006

Als Möglichkeit zur Lösung des israelisch-arabischen Konflikts fordert Ralf Fücks im Juni-Heft der IP die Aufnahme Israels in die NATO. Es ist jedoch zu fragen, ob und in welcher Weise eine Mitgliedschaft Israels im Atlantischen Bündnis zu einer Lösung des Konflikts im Nahen Osten beitragen und welche Konsequenzen eine solche haben würde. Zunächst ist dem Verfasser aber ausdrücklich zuzustimmen, wenn er eine Kooperation zwischen der EU und den Vereinigten Staaten als Voraussetzung für eine Lösung der Konflikte in der nah- und mittelöstlichen Region nennt und dabei eine aktive Rolle der Europäer fordert. Er schlägt dann konkret die Einladung Israels zur NATO-Mitgliedschaft, eine Initiative zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Mittleren Osten und das Angebot eines Marshall-Plans für die wirtschaftliche und soziale Modernisierung der Region vor. Diese Vorschläge enthalten eine Reihe beachtenswerter Gedanken. Sie sind aber in ihrem Zusammenhang wenig praktikabel, eher kontraproduktiv.

Vor allem drei Gründe sprechen gegen eine NATO-Mitgliedschaft Israels, wie sie Fücks vorschlägt. Sie legen folgende kritische Fragen nahe:

  • Könnte die NATO Israel wirklich eine glaubwürdigere Sicherheitsgarantie bieten, als sie das Land bereits seit langem seitens der USA besitzt? Der Art. 5 des Washingtoner Vertrags stellt keine Beistandsgarantie dar, sondern sagt nur aus, dass sich die Bündnispartner im Fall eines Angriffs auf ein Mitglied gegenseitig konsultieren werden und nach eigenem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu seiner Verteidigung ergreifen sollen.
  • Würde Israel wirklich dem Atlantischen Bündnis beitreten wollen, wenn eine der Voraussetzungen die Aufgabe seiner Kernwaffen wäre? Ohne einen derartigen Schritt ist die von Fücks mit der NATO-Mitgliedschaft Israels verknüpfte Schaffung einer kernwaffenfreien Zone im Mittleren Osten nicht möglich.
  • Würden bei einem NATO-Beitritt Israels die Palästinenser nicht ähnliche Sicherheitsgarantien verlangen, ehe sie die staatliche Existenz Israels im Rahmen einer Zweistaaten-Lösung akzeptieren? Ohne Zweifel ist auch die Existenz Israels für die Palästinenser ein Sicherheitsrisiko. Für sie wird jedoch weder eine Mitgliedschaft im Atlantischen Bündnis noch eine andere Garantie vorgesehen.

Eine NATO-Mitgliedschaft für einen der arabischen Staaten schließt Fücks so lange aus, wie diese nicht rechtsstaatliche und demokratische Strukturen entwickelt haben. Er sieht das Atlantische Bündnis als „globale Sicherheits-allianz demokratischer Staaten“ und schreibt: „Die NATO sollte sich künftig ohnehin für Mitglieder in anderen Kontinenten öffnen.“ Doch was wären die Konsequenzen einer derartigen Ausweitung der Allianz? Würde sie sich damit nicht in Konkurrenz zu den Vereinten Nationen begeben, und welche Wirkung hätte dies auf das Bündnis selbst?

Die NATO wurde 1949 als kollektives Verteidigungsbündnis gegründet. Über diese Aufgabe ist sie mit dem Ende des Ost-West-Konflikts hinausgewachsen. Heute nimmt sie vielfältige Aufgaben des militärischen Krisenmanagements sowie der prä- und postmilitärischen Stabilisierung von Problemstaaten wahr. Dazu hat sie sich in den vergangenen Jahren geeignete Instrumente geschaffen. Die NATO hat außerdem zehn neue Mitgliedsstaaten aus Mittel- und Osteuropa aufgenommen, die sich über Jahre hinweg nach einem konkreten Plan auf die Mitgliedschaft vorbereitet haben. Drei weitere Länder – Albanien, Kroatien und Mazedonien – werden diesen in einigen Jahren ebenfalls durchlaufen haben. Mit anderen Staaten arbeitet die NATO in Form von bilateralen Vereinbarungen – so mit Russland und der Ukraine – oder im Rahmen der multilateralen „Partnerschaft für den Frieden“ eng zusammen. Andere Formen der Kooperation gibt es mit den Mittelmeer-Ländern und den Staaten der Golf-Region.

Nach den demokratischen Revolutionen in Georgien und der Ukraine haben die Vereinigten Staaten nachdrücklich die Aufnahme dieser Länder sowie anderer interessierter Staaten aus der Kaukasus-Region in die Atlantische Allianz gefordert. Anfang des Jahres gab es in Washington sogar Überlegungen, den bevorstehenden NATO-Gipfel im November 2006 in Riga zu einem Erweiterungsgipfel zu machen und dort ein nachhaltiges Signal zugunsten der Aufnahme weiterer Mitglieder zu geben. Dieser Schritt ist jedoch von den meisten europäischen Mitgliedern mit Nachdruck abgelehnt worden, da er vielfältige negative Auswirkungen auf das Bündnis hätte:

  • Eine neue „große“ Erweiterung würde die Heterogenität der sicherheitspolitischen und geostrategischen Interessen unter den Mitgliedern verstärken und die Entscheidungsprozesse noch schwieriger gestalten, als sie es heute bereits sind – zumal das Bündnis Beschlüsse nur einstimmig treffen kann.
  • Eine derart erweiterte NATO könnte zur Destabilisierung ihres geostrategischen Umfelds führen und starke Gegenreaktionen, zum Beispiel Moskaus, auslösen, falls das Bündnisgebiet noch weiter an die Grenzen Russlands heran ausgedehnt wird. Die russischen Reaktionen auf die zunehmende Westorientierung der Ukraine geben darauf einen Vorgeschmack. Dies bedeutet zwar nicht, dass Moskau eine Mitsprache über die NATO-Mitgliedschaft gegeben werden soll, aber eine Partnerschaft mit Russland verlangt die Berücksichtigung seiner Sicherheitsinteressen.
  • Eine über den euro-atlantischen Raum hinaus erweiterte NATO müsste notwendigerweise ihre Rolle und Funktion neu bestimmen. Sie würde in Konkurrenz zu den Vereinten Nationen treten und diese tendenziell entwerten – oder aber zu einem Anhängsel amerikanischer Bündnispolitik werden. Nur durch einen – wie auch immer gütigen – Hegemon könnte den zentrifugalen Tendenzen in der Allianz Einhalt geboten und sie vor dem Zerfall bewahrt werden. Derartige Entwicklungen liegen jedoch nicht im Interesse der NATO-Mitglieder.

Wichtiger als neue Erweiterungsrunden ist es, die politische Rolle des Bündnisses zu vertiefen, seine Strukturen effektiver zu gestalten und diesem seitens der Mitgliedsstaaten die Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen, die es zur Bewältigung seiner Aufgaben benötigt.

Dr. HELGA HAFTENDORN, geb. 1933, ist emeritierte Professorin der FU Berlin und leitete bis 2000 die Arbeitsstelle Transatlantische Außen- und Sicherheitspolitik. 2004 arbeitete sie als Gastwissenschaftlerin an der Studie „Das Atlantische Bündnis in der Anpassungskrise“ bei der
Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7, Juli 2006, S. 83‑83

Teilen

Mehr von den Autoren