Iran: Auf dem Trockenen
Extremwetter, politische Radikalisierung, Kampf um Ressourcen: Wie der Klimawandel als Brandbeschleuniger im Iran und in der Region wirkt.
Vor mehr als 20 Jahren war er der sechstgrößte Salzwassersee der Welt und der größte See in Nah- und Mittelost: der Urmiasee im äußersten Nordwesten des Iran. Heute hat er rund 90 Prozent seines ursprünglichen Volumens verloren. Umwelt- und Klimaforscher gehen davon aus, dass der See in weniger als zehn Jahren komplett ausgetrocknet sein wird.
Der Urmiasee ist kein Einzelfall. Die Durchschnittstemperatur im Iran ist im Laufe des vergangenen Jahrhunderts um rund ein Grad Celsius gestiegen, in weiten Teilen des Landes herrscht Wasserknappheit. Schuld daran ist nicht allein der Wassermangel: Seit Jahren ist der Wassersektor des Landes geplagt von strukturellem Missmanagement. Schlecht geplante Dämme legen ganze Flussbetten trocken; die wachsende Bevölkerung, Landwirtschaft und Industrie benötigen immer mehr Wasser als Flüsse und Grundgewässer auf Dauer hergeben.
Sollte der Iran seine Wasserressourcen weiter in diesem Maße überstrapazieren, werden zwölf der 31 Provinzen ihre Grundwasserspeicher innerhalb der kommenden 50 Jahre vollständig aufgebraucht haben. Schon heute sind in weiten Teilen des Landes bei ausfallendem Regen keine Wasserreserven mehr vorhanden. Eine über Wochen anhaltende Dürre nahe der irakischen Grenze führte im Sommer 2021 zu regelmäßigen Stromausfällen und ließ die Bewohner der Provinzhauptstadt Ahvaz oft stundenlang ohne jeglichen Wasserzugang zurück – bei Rekordtemperaturen von über 54 Grad Celsius.
Dazu prognostiziert die Klimaforschung immer mehr Extremwetterereignisse wie Überschwemmungen oder Staubstürme. Bereits die heftigen Regenfälle im Frühjahr 2019 lieferten einen ersten Eindruck davon. Sintflutartig wurde ein Großteil des Landes unter Wasser gesetzt. Am Ende starben mehr als 60 Menschen; die wirtschaftlichen Schäden beliefen sich auf mehrere Milliarden US-Dollar.
Aufstand und Radikalisierung
Besonders für die Landwirtschaft sind solche extremen Wetterphänomene ein harter Schlag. Der Agrarsektor macht rund 9 Prozent des iranischen Bruttoinlandsprodukts aus und beschäftigt fast 17 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung. Aufgrund der weitreichenden Isolation des Iran und der eingeschränkten Verfügbarkeit von Lebensmitteln setzt die Staatsführung auf Selbstversorgung und subventioniert den Ausbau des landwirtschaftlichen Sektors, der inzwischen fast 90 Prozent der nationalen Wasserreserven beansprucht. Gleichzeitig führt die Kombination aus Misswirtschaft von Ressourcen und klimawandelbedingter Trockenheit auf lange Sicht zum Wegfall landwirtschaftlich urbarer Flächen – mit dramatischen Folgen für die innere Stabilität des Landes. Die Lebensmittelproduktion würde drastisch reduziert, wodurch die Lebensmittelpreise dramatisch ansteigen würden.
Darüber hinaus bedeutet der Wegfall landwirtschaftlicher Produktion oft den wirtschaftlichen und sozialen Ruin für iranische Bauern, die den Auswirkungen des Klimawandels mit am stärksten ausgesetzt sind. Mangels finanzieller Kapazitäten haben sie nur geringe Möglichkeiten, sich gegenüber den wandelnden Umweltbedingungen krisenfest zu machen. Stattdessen dürften sie nach Alternativen in den urbanen Zentren des Landes suchen. Schon heute lebt ein Großteil der iranischen Bevölkerung in Großstädten; diese konnten das rasante Bevölkerungswachstum der vergangenen Jahrzehnte kaum verkraften – Wasserknappheit und Stromausfälle sind in Teheran, Isfahan und Maschhad zum Alltag geworden.
Das Zusammenspiel dieser Entwicklungen schafft die Grundlage für sozioökonomische Unsicherheit und politische Unzufriedenheit. Zum Ausdruck kommt das immer öfter in Form von Unruhen und Protesten gegen das Regime. Die monatelange Dürre in Khuzestan – einst eine der wasserreichsten Provinzen des Iran – entzündete im Sommer 2021 eine wochenlange Protestwelle. Die Regierung reagierte mit Gewalt, acht Menschen starben.
Derweil weiteten sich die Proteste auf andere Regionen des Landes aus: Auch in Teheran, Isfahan, Tabriz, Bojnourd, Saghez und anderen großen Städten gingen die Menschen auf die Straße, um ihre Solidarität mit den Menschen in Khuzestan kundzutun. Solche Ausschreitungen werden durch die Wasserknappheit im Land immer wahrscheinlicher.
Sollte es die Regierung unter Ebrahim Raissi nicht schaffen, die Missstände in der Landwirtschaft und Infrastruktur zu beheben, so drohen nicht nur Aufstände. Immer mehr Menschen werden sich radikalisieren; Entwicklungen wie in Pakistan oder der Sahelzone, wo radikale Gruppen wie Falah-e-Insaniat oder Boko Haram die sozioökonomischen Missstände für Missionierung oder Anwerbung ausnutzen, sind auch im Iran zu beobachten. Insbesondere in den von Sunniten bevölkerten Regionen Khuzestan und Sistan, die zuletzt von heftigen Extremwetterereignissen heimgesucht wurden, gewinnen radikalislamische Gruppierungen wie Jaish ul-Adl an Zulauf.
Zudem könnten die Auswirkungen des Klimawandels die Beziehungen des Iran zu seinen Nachbarstaaten beeinflussen. Schon mehrmals hat Teheran den Zufluss vier seiner Flüsse so reduziert, dass es Auswirkungen auf den Wasserzulauf im flussabwärts gelegenen Irak hatte. Der Irak – selbst unter Wassermangel und dadurch bedingte soziale Unruhen leidend – drohte daraufhin, den Fall vor die Vereinten Nationen zu bringen. Die klimabedingte Lage könnte im Irak zur Massenmigration führen, auch in Nachbarstaaten wie den Iran. Die dadurch wachsende Nachfrage nach Wasser und Strom würde den Druck auf die knappen Ressourcen in den Städten erhöhen und die Lage verschärfen.
Ebenso problematisch gestaltet sich die Beziehung zum östlichen Nachbarn Afghanistan. Seit Jahren herrscht zwischen Teheran und Kabul Streit über die grenzüberschreitenden Flüsse Harirud und Helmand. Für iranische wie für afghanische Bauern ist der Helmand die zentrale Wasserader. Die zuletzt wachsende Nutzung durch Afghanistan wird im Iran als Bedrohung seiner Wassersicherheit wahrgenommen. Ähnlich verhält es sich mit dem Harirud. Als Teil mehrerer großer Infrastrukturprojekte wird der Fluss sowohl von Afghanistan als auch vom Iran verstärkt genutzt. Afghanistan erhofft sich so einen Aufschwung der regionalen Entwicklung und eine größere Lebensmittel- und Energieunabhängigkeit vom Iran. Dieser wiederum sieht darin eine Gefahr nicht nur für die Versorgungssicherheit, sondern auch für seine Energieexport-Einnahmen.
Der Klimawandel als Chance?
Die Vulnerabilität des Iran und seiner Nachbarn gegenüber den Folgen des Klimawandels könnte die ohnehin angespannte Situation noch verschärfen. Um hier gegenzusteuern, muss Teheran weitaus umfassendere Maßnahmen zur Anpassung an die klimatische Zukunft unternehmen. Bestehende Mechanismen zur Konfliktbewältigung auszubauen, wird nicht genügen. Es gilt, neue finanzielle Mittel für die Bevölkerung unter Kopplung an einen nachhaltigen Einsatz zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig müssen die besonders verwundbaren Gruppen durch staatliche Unterstützungsprogramme aufgefangen werden, will man neue politische Unruhen und eine weitergehende Radikalisierung vermeiden. All das kann allerdings nur gelingen, wenn der Klimawandel auch in den ultrakonservativen Teilen von Regierung und Gesellschaft als Problem wahrgenommen wird.
Nimmt man die aktuellen Szenarien des Weltklimarats als Grundlage, so sind allerdings auch die innerstaatlichen Maßnahmen kaum noch ausreichend. Will der Iran seine Stabilität bewahren und die bewohnbaren Zonen sichern, so schafft er dies, wie fast jeder Staat in der Region, nicht mehr aus eigenen Kräften. Darin liegt die größte Chance des Klimawandels für den Nahen und Mittleren Osten: Nur internationale Kooperationen können zur Sicherung der Lebensräume führen. Auch für die EU besteht hier eine Chance, zur Stabilität vor Ort beizutragen, wenn man dem Iran neue Perspektiven der Kooperation auf Umweltebene anbietet und zwischen den Regierungen vermittelt. Zudem hätte man im Rahmen der nuklearen Abrüstung neue Angebote für Teheran.
Bereits jetzt ist absehbar, dass die Folgen des Klimawandels die Region hart treffen werden. Mit einer richtigen Anpassungspolitik kann dort jedoch nicht nur Lebensraum bewahrt, sondern auf lange Sicht können auch neue Friedensinitiativen ermöglicht werden. Sollten solche Initiativen allerdings ausbleiben, müsste sich Europa auf absehbare Zeit auf eine noch instabilere Peripherie einstellen.
Inga Carry ist Forschungsassistentin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und arbeitet unter anderem zu den Auswirkungen des Klimawandels auf Lieferketten und wirtschaftliche Prozesse.
Stefan Lukas ist Nahost-Analyst in Berlin und seit 2019 Gastdozent an der Führungsakademie der Bundeswehr zu Hamburg. Er forscht und publiziert insbesondere zu den Folgen des Klimawandels für die sicherheitspolitischen Strukturen in der Region.
Internationale Politik 1, Januar/Februar 2022, S. 12-14
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