IP

01. Dez. 2005

Integration in ein neues Asien

Wie Chinas Aufstieg die internationale Architektur verändert

Chinas Aufstieg ist das wichtigste Ereignis unserer Zeit. Seine Teilnahme an der globalen Wirtschaft erhöht den Wettbewerb, übt Druck auf Industrie und Staaten aus und diktiert weltweit das Tempo von Veränderung und Umstrukturierung. Vor allem in Asien ist Chinas Einfluss gigantisch. Es wird eine große Herausforderung für die ganze Welt bedeuten, mit dieser tektonischen Verschiebung fertig zu werden.

Überall auf der Welt macht sich Chinas Aufstieg bemerkbar. Die Preise auf den Warenmärkten sind von der Nachfrage der chinesischen Industrie abhängig. An europäischen und amerikanischen Universitäten stellen chinesische Studenten die größte Gruppe ausländischer Studierender. In der Luftfahrtindustrie zum Beispiel hat Airbus mehr als 200 Flugzeuge nach China verkauft und erhält von dort ständig neue Aufträge.

In Asien ist Chinas Einfluss noch größer. China ist bereits Haupthandelspartner der meisten asiatischen Länder, so von Japan, Südkorea, Indien und mehreren ASEAN-Ländern. Die Ausfuhr dieser Länder nach China ist genauso gewachsen wie ihre Einfuhr aus China. China ist ein wichtiges Investitionsland speziell solcher Firmen aus Hongkong, Taiwan und Südostasien, die von Chinesen geleitet werden. Und umgekehrt operieren zunehmend Firmen aus der Volksrepublik China im Ausland, und Millionen chinesischer Touristen bereisen die gesamte Region.

Chinas Einfluss geht jedoch über den wirtschaftlichen Bereich weit hinaus. Viele wichtige internationale Belange können nicht mehr ohne Chinas konstruktive Teilnahme gelöst werden. Seien es die Sechsparteien-Gespräche über Korea oder die Reform der Vereinten Nationen, China hat eine Schlüsselrolle, kann zu Lösungen beitragen und seine Interessen müssen berücksichtigt werden. Auch Chinas „Soft Power“ ist im Wachsen begriffen – seine Kinofilme haben internationale Anerkennung gewonnen, die chinesische Sprache und Kultur sind beliebte Fächer an westlichen Universitäten.

Durch Chinas Teilnahme an der globalen Wirtschaft erfährt das Gravitätszentrum der Weltwirtschaft eine Verschiebung in Richtung Asien. Chinas Wachstum verändert die relative Stärke der wichtigsten Mächte und allmählich auch das globale strategische Gleichgewicht. Alle Länder machen sich darüber Gedanken, wie sie von Chinas Wohlstand profitieren und auf Chinas wachsende Macht reagieren können. Es wird eine große Herausforderung für die Welt bedeuten, mit dieser tektonischen Verschiebung fertig zu werden.

China selbst wird wichtige Korrekturen vornehmen müssen, auch wenn sein Aufstieg eine ungeheure Wettbewerbsherausforderung für andere bedeutet. China muss die Entwicklung in seinen inneren Regionen beschleunigen, damit sie mit den Küstenregionen Schritt halten können, seine ineffizienten, Verluste machenden staatlichen Unternehmen umstrukturieren und ein hohes Wachstum aufrechterhalten, um genügend Jobs entstehen zu lassen und einer drohenden sozialen Instabilität entgegenzuwirken. Als Mitglied der globalen Gemeinschaft wird China internationale Regelungen und Normen übernehmen müssen, seien es Handelsregelungen oder Richtlinien zur Kontrolle des Bankwesens oder der Unternehmensführung. Es wird mit anderen Ländern zusammenarbeiten müssen, um mit globalen Problemen (wie der Vogelgrippe), globaler Erwärmung oder Sicherheitsbedrohungen fertig zu werden. China wird auch in internationalen Organisationen wie den UN, dem IWF, der Weltbank oder der WTO eine aktive Rolle spielen müssen.

China muss das globale System unterstützen und die internationalen Spielregeln beachten, da sein Wachstum von Verbindungen mit der Außenwelt sowie von Frieden und Stabilität abhängig ist. China ist in der Tat schneller gewachsen als je ein Land seiner Größe in der Geschichte, weil es von ausländischem Kapital, Investitionen, Technologie und dem Zugang zu ausländischen Märkten profitiert hat. Diese Abhängigkeit wird in den nächsten Jahrzehnten weiter bestehen. Mit Chinas Entwicklung werden die Wechselbeziehungen mit anderen Ländern sogar noch zunehmen. Wie Präsident Hu Jintao es kürzlich ausgedrückt hat: „Chinas Entwicklung ist friedlich, offen und kooperativ … China wird weiterhin eine nationale Politik der Öffnung verfolgen, eine für alle Seiten gewinnbringende Strategie einführen und ein breites Spektrum an Kooperation und Interaktion mit der gesamten Welt unterhalten. Chinas Entwicklung wird niemanden blockieren oder bedrohen, sondern dem Frieden, der Stabilität und der Entwicklung der Welt dienen.“1

Es ist entscheidend für China wie für die ganze Welt, dass China diesen Pfad weiter verfolgt. Um dies erfolgreich umsetzen zu können, muss China gute Beziehungen zu den wichtigsten Mächten, besonders zu den USA, Japan, Indien und der EU unterhalten. China wird auch mit anderen Ländern an der passenden Architektur für regionale und internationale Kooperation zusammenarbeiten müssen. Als einer der Hauptakteure auf der globalen Bühne wird die EU eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielen.

Amerika und China

Die wichtigste bilaterale Beziehung für China ist die mit den USA, der mächtigsten Nation der Welt. Amerika wird noch für viele Jahrzehnte die dominierende wirtschaftliche und militärische Macht bleiben, aber Chinas Aufstieg wird das strategische Gleichgewicht zwischen beiden Ländern verändern. Amerika wird es nicht leicht haben, sich auf diese neue Realität einzustellen. Aber Amerikas Interessen liegen in der Entwicklung von konstruktiven Beziehungen zu China und nicht in der Schaffung eines neuen Krisenherds oder eines langfristigen Gegners in Asien. Amerika wird von einem florierenden und stabilen China, das ein wichtiger Handels- und Wirtschaftspartner sowie ein konstruktiver Partner für Gespräche über gemeinsame Probleme wie Nordkorea oder die Nichtverbreitung von Atomwaffen sein wird, profitieren. Eine Konfrontationstrategie gegenüber China wird lediglich bleibende Feindschaft hervorrufen, ohne letztlich Chinas Aufstieg zu verhindern, während eine Eindämmungspolitik fehlschlagen würde: Kein Land in Asien möchte zwischen den USA und China wählen müssen. Ein Kalter Krieg, oder, schlimmer noch, ein Konflikt mit der Hypermacht USA würde Chinas Modernisierung um viele Jahre zurückwerfen. China kann sein benötigtes stabiles äußeres Umfeld nur erreichen, wenn es eine konstruktive Beziehung zu den USA aufbaut.

Aber Chinas wachsende nationale Macht auf politischer, wirtschaftlicher wie auch militärischer Ebene ist ein ständiges Thema in den USA. Amerikanische Arbeitnehmer fürchten, dass billige Importe aus China ihre Jobs bedrohen, und die Stimmung im Kongress ist, was China anbelangt, äußerst negativ. Sogar der erfolgreiche Start der Raumfähre Shenzhou VI hat bei einigen Amerikanern Bedenken hinsichtlich einer chinesischen Herausforderung der US-Dominanz im Weltraum ausgelöst, ähnlich wie vor 50 Jahren der Start des sowjetischen Sputnik die amerikanische Nation wachgerüttelt hatte.

Laut einer kürzlichen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Harris denken zwei Drittel (67 Prozent) der Amerikaner, dass China sich in den nächsten zehn Jahren zu einer wirtschaftlichen Großmacht entwickeln wird. Gleichzeitig gaben mehr als ein Drittel der Befragten an, sehr oder höchst beunruhigt über Chinas Wirtschaftsstärke zu sein. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) meinten, dass China einen negativen Einfluss auf die Zukunft der amerikanischen Wirtschaft haben werde. Mehr als die Hälfte (52 Prozent) zeigten sich sehr oder höchst beunruhigt darüber, dass Chinas Militärmacht innerhalb der nächsten zehn Jahre wachsen wird.2

Amerikanisch-chinesische Differenzen zeigen sich in einer ganzen Reihe von Bereichen – beim Handel, Wechselkurs, Schutz des geistigen Eigentums, bei den Menschenrechten etc. Dennoch sollten die Probleme in den Beziehungen nicht überbetont werden. Die gegenwärtige US-Regierung hat, wie alle ihre Vorgänger, verstanden, dass die USA wenig gewinnen würden, wenn sie sich China zum Feind machten. Wie Präsident Bush sagte: „Es ist wichtig für die Regierung, gute Beziehungen auf allen Arbeitsebenen zu unterhalten. Und das tun wir auch. Und das ist nicht nur im Interesse der Bevölkerung unserer beiden Länder, sondern im Interesse der ganzen Welt.“3 Die beiden Länder statten sich weiterhin gegenseitig hochrangige Besuche ab, wie jüngst der Besuch Präsident Bushs in China.

Ein potenziell kritischer Punkt in den amerikanisch-chinesischen Beziehungen ist Taiwan. China beobachtet ganz genau jene Gruppen in Taiwan, die für eine Unabhängigkeit eintreten, und hat sehr klar gemacht, dass es nicht zögern wird, militärisch einzugreifen, wenn Taiwan auf die Unabhängigkeit zusteuert. Wie sich die Situation beiderseits der Straße von Taiwan entwickeln wird, hängt von der Haltung der USA ab. Letztes Jahr schien es ein reales Risiko zu geben, dass Taiwan sich zu weit vorwagen und einen Konflikt provozieren würde, der sowohl die USA als auch Japan mit hineingezogen hätte. Die Spannung hat nun nachgelassen. Die USA haben sowohl öffentlich als auch vertraulich im Gespräch mit der taiwanischen Führung ihr Festhalten an der Ein-China-Politik erklärt. Japan und die USA haben gemeinsam bekundet, dass sie die Straße von Taiwan als gemeinsames Sicherheitsanliegen verstehen. China hat das Antiabspaltungsgesetz verabschiedet. Taiwan weiß jetzt, dass die Unabhängigkeit keine Option ist. In diesem Jahr hat China klugerweise Taiwans Oppositionsführer, Lien Chan und James Soong, nach Peking eingeladen. Das zeigte Flexibilität und erinnerte die Bevölkerung Taiwans daran, dass es für sie vorteilhaft ist, wenn sie mit China kooperiert. All dies hat die Situation stabilisiert.

Eine kontinentale Macht wie China strebt naturgemäß nach der vollen Palette des militärischen Potenzials, um für seine eigene Verteidigung zu sorgen und seine grundlegenden Interessen zu schützen. Sogar US-Analytiker haben dies anerkannt.4 Sie widersprechen der Ansicht von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, dass China sein militärisches Potenzial nicht zu verbessern braucht. Auch wenn ein Konflikt um Taiwan inzwischen unwahrscheinlicher geworden ist, bleiben die USA in Sorge über Chinas wachsende Kapazitäten, weshalb sie konsequent ihr Waffenembargo gegenüber China aufrechterhalten und dezidiert gegen Europas Pläne für das Aufheben des EU-Waffenembargos sind. Deshalb ist es wichtig, dass China die anderen Mächte seiner konstruktiven Rolle bei der Erhaltung von Friedens und Stabilität in der Region versichert, in dem es größere Transparenz in seinen Aktionen an den Tag legt und sich an Sicherheitsdialogen und vertrauensbildenden Maßnahmen beteiligt.

Die eigentliche Herausforderung in den Beziehungen zwischen den USA und China ist, dass beide Seiten sich ihrer strategischen Interessen in einer kooperativen Beziehung bewusst werden und gleichzeitig mit den von Zeit zu Zeit unausweichlich aufkommenden Reibereien fertig werden. Der begonnene strategische Dialog der beiden Regierungen ist eine positive Entwicklung. Beide Seiten sollten weiterhin nach konstruktiven Wegen des Meinungsaustauschs suchen und Probleme offen ansprechen, um Missverständnisse zu vermeiden.

Chinas Verhältnis zu Japan

Innerhalb Asiens sind Chinas Beziehungen zu Japan am empfindlichsten. Chinas Aufstieg wird einen noch drastischeren Einfluss auf Japan als auf die USA haben. In 20 Jahren wird die chinesische Wirtschaft auf das Vierfache ihrer heutigen Größe angewachsen sein und wahrscheinlich Japan als größte Volkswirtschaft in Asien überholt haben.

Eines der wichtigsten ungelösten Problemfelder zwischen China und Japan betrifft das Erbe des Zweiten Weltkriegs. Eine neue Generation von Japanern möchte, dass Japan ein „normales“ Land ist und eine größere Rolle in der Welt spielt. Ministerpräsident Koizumi und sein neues Kabinett sind Ausdruck dieser Stimmung. Aber Japan hat, anders als Deutschland, seine Vergangenheit noch nicht aufgearbeitet. Jedes deutsche Schulkind erfährt im Unterricht von den Kriegsverbrechen der Nazis und dem Holocaust. Auf diese Weise hat sich Deutschland mit seinen früheren Feinden versöhnt und eine neue Basis für Kooperation in Europa geschaffen. Doch zwischen Japan und den Ländern, in die es einmarschiert ist, hat es eine solche Aufarbeitung oder Versöhnung nicht gegeben. Wann immer also japanische Regierungsstellen neue Lehrbücher, welche die japanische Kriegsvergangenheit ausklammern, für den Schulgebrauch genehmigen, oder wenn japanische Politiker den Yasukuni-Schrein besuchen, wo die sterblichen Überreste der Hauptkriegsverbrecher aufgebahrt sind, öffnet dies alte Wunden, nicht nur für China, sondern auch für Südkorea und alle anderen Länder, die unter der Brutalität der japanischen Militärbesatzung zu leiden hatten.

Das Problem der Geschichte lässt sich nicht über Nacht lösen, doch keines der beiden Länder ist auf Konfrontation aus. Wie eine führende japanische  Persönlichkeit sagte, wenn die USA gegen China kämpfen, werden die Beziehungen beider Länder nach 20 oder 30 Jahren wieder hergestellt, doch wenn Japan gegen China kämpft, werden die beiden 100 Jahre lang Feinde bleiben. Ein großer Teil der japanischen Öffentlichkeit versteht dies. Selbst was Ministerpräsident Koizumis Besuche des Yasukuni-Schreins betrifft, zeigen Umfragen, dass sich in Japan Zustimmung und Kritik die Waage halten.

Doch die heutige Situation unterscheidet sich grundlegend von der der dreißiger und vierziger Jahre. 60 Jahre sind seit dem Kriegsende vergangen. China ist nun vereinigt, stark und eine Nuklearmacht. Japan hat heute die japanisch-amerikanische Sicherheitsallianz als zusätzliche Sicherheit. Es ist unvorstellbar, dass Japan jemals die tragische Geschichte des japanisch-chinesischen Krieges oder des Krieges im Pazifik wiederholt. Beide Seiten müssen einen Weg finden, um dieses Kapitel abzuschließen und vorwärts zu schreiten. Dies ist unerlässlich für die Stabilität Asiens und die künftige Zusammenarbeit und Integration in der Region.

Trotz der politischen Spannungen in den bilateralen Beziehungen wächst die wirtschaftliche Zusammenarbeit. China hat inzwischen die USA überholt und ist Japans größter Handelspartner geworden. Japan ist eine Hauptquelle für Investitionen und Technologien in Richtung China. Auch die menschlichen Beziehungen untereinander haben sich verstärkt. So bevorzugen chinesische Studenten japanische Universitäten gegenüber den amerikanischen. Einer dieser Studenten bemerkte: „Die Beziehung zwischen Japan und China wird in Zukunft enger werden … Ich würde gerne als Brücke zwischen den beiden Ländern fungieren.“5 Im Laufe der Zeit können solche Austausche zum besseren gegenseitigen Verständnis führen und beiden Seiten dabei helfen, die Vergangenheit zu bewältigen.

China und Indien

China ist nicht die einzige große aufstrebende Volkswirtschaft in Asien. Auch Indien befindet sich im Aufstieg. Zwar begann es seine Reformen und die Öffnung seiner überregulierten und abgeschotteten Wirtschaft erst in den neunziger Jahren, also mehr als ein Jahrzehnt nach China. Anfangs ging es langsam, aber in den letzten Jahren hat Indien große Fortschritte gemacht – zum Teil, weil die Inder die Herausforderung durch China erkannt und festgestellt haben, dass sie keine Wahl haben.

Für Indien wird es schwieriger sein als für China, sich zu entwickeln und seine Wirtschaft zu reformieren. Indien ist eine sehr heterogene Gesellschaft mit vielen Sprachen und Volksgruppen, die auf 35 Bundesstaaten und Territorien mit den unterschiedlichsten Interessen verteilt sind. Sein politisches System mit verschiedenen Parteien, die zusammen eine Koalition bilden, ist klaren Richtungsentscheidungen und effektiver Politikgestaltung abträglich. Die ausgeprägte Bürokratie ist fest verwurzelt und widersteht dem Wechsel.

Doch Indien kann sich auch auf eine Reihe von Vorteilen stützen. Das Land hat eine junge Bevölkerung – langfristig gesehen ist dies ein wichtiger Wachstumsfaktor – und viele Inder sprechen Englisch. Auch hat Indien ein bewährtes und effektives Rechtssystem. Es gibt viele talentierte Unternehmer und dynamische Firmen im privaten Sektor, die schon in den Startlöchern stehen und nur darauf warten, dass Reformen umgesetzt werden. Auf bundesstaatlicher Ebene gibt es einige auf Entwicklung bedachte Regierungen. Westbengalen zum Beispiel hat eine kommunistisch-marxistische Regierung, die jedoch pragmatisch und unternehmerfreundlich agiert. Der Chefminister versteht, dass Indien mit China und einer sich rapide verändernden Welt Schritt halten muss. Er sagte, „dass die Lektion, die (Indien) aus dem Kollaps der Sowjetunion und von China lernen muss, ‚Reform‘ heißt – Leistung oder Untergang“.6

Insgesamt kann man davon ausgehen, dass sich Indien weiter öffnen und als ein wichtiger Partner erweisen wird, regional wie international. Die chinesisch-indischen Beziehungen werden weiter ausgebaut. Der bilaterale Handel ist schnell gewachsen – eine steigende Anzahl Güter wird aus China importiert, darunter die qualitativ hochwertigen Ganeshas (indische Elefantengötter). Beide Seiten erwägen mittlerweise die Möglichkeit eines Freihandelsabkommens. Auch wurde ein Memorandum of Understanding unterzeichnet, um schon länger anstehende Grenzstreitigkeiten beizulegen. Dies hat bei allen Ländern in Asien zu Erleichterung geführt, weil man nicht will, dass zwei Nuklearmächte im Streit miteinander liegen.

Auch die USA kultivieren ihre Beziehungen zu Indien, als Ergänzung ihrer Beziehungen zu China. Als der indische Premierminister Manmohan Singh im Juli 2005 die USA besuchte, wurde er dort stürmisch begrüßt, beide Länder unterzeichneten ein Abkommen über die zivile Nutzung der Atomkraft. Einige Kommentatoren haben vermutet, dass sich Indien und die USA stärker aneinander anlehnen, um China einzudämmen, aber Indien hat sicher eigene Pläne. Wie es Premierminister Singh ausdrückte, „ist die Welt groß genug und kann das Wachstum und die Ambitionen unserer beiden Länder verkraften. Ich sehe unsere Beziehung zu den USA nicht als Konkurrenz zu China an. Ich freue mich auf den Ausbau unserer Beziehungen zu China.“7

Chinas Rolle in Südostasien

Die zehn Länder der ASEAN bilden einen wichtigen Teil Asiens. Als Staatengruppe macht ASEAN mit 550 Millionen Einwohnern etwa zehn Prozent der Weltbevölkerung aus und hat, zusammengenommen, das drittgrößte Bruttoinlandsprodukt Asiens. Die ASEAN-Länder haben gesehen, wie China und Indien sich verändern und sind im Begriff, ihre Bindungen an beide Länder zu intensivieren, um vom Wachstum beider zu profitieren. Gleichzeitig verstärken die ASEAN-Staaten auch die Kooperation innerhalb der Gruppe, damit die einzelnen Mitglieder effektivere Partner Chinas und Indiens werden, statt durch deren Aufschwung an den Rand gedrängt zu werden.

Chinas Politik gegenüber ASEAN offenbart das Geschick und die Beharrlichkeit dieses Landes, unter Anwendung von „Soft Power“ Beziehungen zu kultivieren, die längerfristige Interessen im Sinne haben. China arrangiert sich systematisch und aktiv mit ASEAN. Im Südchinesischen Meer, wo China und mehrere ASEAN-Staaten überlappende Ansprüche haben, ist China diesen Streitigkeiten auf zurückhaltende Weise begegnet. China hat einer gemeinsamen Erklärung mit ASEAN zugestimmt, das Risiko einer Konfrontation zu reduzieren und ist mit weiteren Anspruchstellern individuelle bilaterale Abkommen über eine gemeinsame Nutzung des Gebiets eingegangen. Was den Handel angeht, so ist China im Begriff, ein Freihandelsabkommen mit ASEAN zu schließen, nicht nur, um selbst von diesem Handel zu profitieren, sondern auch, um gute und langfristige Beziehungen in einer Region zu begründen, die reich an Ressourcen ist und sich als nützlich erweisen könnte. Das „Kapitel über Güter“ dieses Freihandelsabkommens greift bereits, während ähnliche Abkommen mit Indien und Japan sich noch im Verhandlungsstadium befinden. Auch beteiligt sich China aktiv an verschiedenen Regionalforen, einschließlich des „ASEAN Plus“-Prozesses und des „ASEAN-Regionalforums“ (ARF).

Alle ASEAN-Staaten begrüßen engere Beziehungen zu China. Sie wollen jedoch nicht, dass dies eine exklusive Partnerschaft ist. Sie wollen eine unabhängige Außenpolitik, die verschiedene Stoßrichtungen hat und dabei die wirtschaftlichen und politischen Bindungen mit anderen wichtigen Ländern kultiviert. Dies ist eine robustere Grundlage für Wohlstand als eine Konstellation, wo jeder Bezugspunkt bei China anfängt oder endet. Deshalb baut ASEAN seine Beziehungen zu Indien aus, vertieft zugleich aber auch seine traditionellen Bande mit den USA, Japan und der EU. Insgesamt favorisiert ASEAN einen offenen Rahmen für eine regionale Zusammenarbeit in Asien.

Ein offener Rahmen für regionale Zusammenarbeit

Neben stabilen Beziehungen zu China und den Großmächten braucht Asien die richtige Architektur für regionale und internationale Zusammenarbeit. Chinas Aufstieg stärkt die interne Zusammenarbeit in Südostasien. Aber Asien ist Teil der größeren Region Asien-Pazifik und der globalen Wirtschaft. Es ist für Asien nicht wünschenswert, ein geschlossener Block auf der Westseite des Pazifiks zu bleiben, dem ein Gegenblock mit den USA als Zentrum auf der östlichen Seite gegenübersteht. Dies würde unweigerlich zu Rivalitäten und Konflikten führen. Die USA sind ein wichtiger und konstruktiver Player in der asiatisch-pazifischen Region, unabhängig von ihren bilateralen Beziehungen zu China. In Südostasien sind die USA unerlässlich im Krieg gegen den islamistischen Terror. Hinzu kommt, dass amerikanische multinationale Firmen Investitionen und Arbeitsplätze in einer Weise fördern, wie es chinesische und indische Firmen bislang nicht tun können.

Peking hat betont, dass es eine offene regionale Architektur unterstützt und nicht die Absicht hat, eine geschlossene Gruppe zu bilden, die von China selbst dominiert wird. Chinas Staatsrat Tang Jiaxuan sagte jüngst, „eine Zusammenarbeit in Ostasien sollte nicht, und wird nicht, andere Länder oder Regionen ausklammern. Sonst wäre sie nicht im Interesse Ostasiens. Wir sollten unsere Zusammenarbeit in offener Weise angehen und uns zusammentun mit anderen regionalen, subregionalen und internationalen Formen der Zusammenarbeit, so dass wir uns einander mit unseren Stärken ergänzen und uns in unserer jeweiligen Entwicklung hilfreich zur Seiten stehen können.“8 Die USA und die asiatischen Länder werden genau beobachten, auf welche Weise China diese Politik umsetzt. Dies ist ein Hauptansatzpunkt, um alle Länder einer stabilen und wohlwollenden Umgebung zu versichern, in der es Wachstum und Wohlstand gibt.

Im Laufe dieses Jahres wird ASEAN eine neue Gruppierung für die regionale Zusammenarbeit initiieren, den so genannten Ostasiengipfel (EAS). In der regionalen Architektur gehört EAS zwischen ASEAN als regionale Untergruppierung und APEC, die beide Seiten des Pazifiks umfasst. EAS wird zunächst ASEAN einschließen, seine drei Dialogpartner in Nordostasien (China, Japan und Südkorea) plus Indien, Australien und Neuseeland. Diese breite Teilnahme reflektiert das Muster der regionalen Zusammenarbeit, das in Asien im Entstehen begriffen ist. Sie verringert auch die Gefahr, dass EAS sich zu einer Gruppierung entwickelt, die den USA feindlich gesinnt ist, denn mehrere Mitglieder unterhalten enge Beziehungen zu den USA.

Zusammengenommen bilden ASEAN, EAS und APEC die Bestandteile einer offenen, regionalen Architektur, die allen wichtigen Mächten in Asien gerecht wird. ASEAN ist der Schlüssel zu all diesen Strukturen. ASEAN bedroht niemanden und wünscht sich gute Beziehungen zu allen wichtigen Mächten. ASEAN stellt gewissermaßen den Kern, um den herum sich die anderen multiregionalen Gruppen aufbauen können.

Die Europäische Union: das fehlende Stück im Puzzle

Es ist ebenfalls wichtig, dass Europa am Wachstum und Wohlstand Asiens teilhaben kann. Wenn nun die neue asiatische Architektur langsam Form annimmt, muss Europa seiner Größe und wirtschaftlichen Stärke entsprechend eine größere Rolle in der Region spielen. Dies wird beiden Kontinenten Anteile am Erfolg des anderen ermöglichen und zu einer stabileren und besser integrierten Form der globalen Kooperation führen.

Als 1989 APEC gegründet und der Europäische Binnenmarkt bald darauf eingeführt wurde, gab es Sorgen, dass Europa sich nach innen wenden und die neue APEC-Gruppe Europa aus dem Asien-Pazifik-Raum auschließen würde. Glücklicherweise ist keine der beiden Befürchtungen eingetreten. Stattdessen förderte die Bildung der APEC-Gruppe die Beschleunigung der Wirtschaftliberalisierung und wirkte durchaus als Ermutigung für die großen Wirtschaftsmächte, die Verhandlungen zur Uruguay-Runde erfolgreich zu Ende zu führen.

Asiens rasante Entwicklung und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten, speziell in China, haben Europa bereits erfasst. Der Handel wächst schnell, die EU ist Chinas größter Handelspartner und China ist der zweitgrößte Handelspartner der EU. Im September hat die EU Gipfeltreffen mit China in Peking und mit Indien in Neu Delhi abgehalten. Kulturelle Beziehungen werden auch wichtiger – letztes Jahr feierte Frankreich ein „China-Jahr in Frankreich“ und in diesem Jahr antwortete China mit dem „Frankreich-Jahr in China“.

Europas umfassende Antwort auf Asiens Wandlung muss jedoch über die Förderung der Ausfuhr und des kulturellen Austauschs hinausgehen. Um die Möglichkeiten in Asien voll auszunutzen und Europas Stellung in einer veränderten Welt weiterzuentwickeln, muss Europa eine offene Einstellung zur Globalisierung haben. Die europäischen Länder müssen zur Anpassung, zur Umstrukturierung und zum internationalen Wettbewerb bereit sein. Dies hat große Auswirkungen auf Europas Sozialgefüge. Betrachtet man das französische Referendum, bei dem die neue EU-Verfassung abgelehnt wurde, das nicht eindeutige Ergebnis der deutschen Bundestagswahlen oder den starken Widerstand gegen eine weitreichende Marktliberalisierung in der Doha-Runde der WTO-Verhandlungen, so verhalten sich Europas Bürger bestenfalls zwiespältig, wenn es um die Themen Globalisierung sowie wirtschaftliche und soziale Reformen geht. Die Bürger der EU haben zu entscheiden, welches gesellschaftliche Modell eingeführt wird und wie weit Globalisierung und Wandel übernommen werden. Falls Europa sich entscheidet, den Status quo beizubehalten – zu einer Zeit, in der Asien im Wachsen begriffen ist und die USA ihre Beziehungen zur Region ausbauen –, wird es einen hohen Preis bezahlen und nicht nur wirtschaftliches Wachstum und Vitalität, sondern auch internationalen Einfluss einbüßen.

Neben China im Zentrum der Aufmerksamkeit sollte Europa auch seine Beziehungen zu anderen wichtigen Teilen Asiens ausweiten, in der ASEAN- Region, zu Indien und Japan. So kann es an den Möglichkeiten in der ganzen Region voll teilhaben. Europa hat viele historische Verbindungen zu ASEAN und ist jetzt schon ein bedeutender Handels- und Investitionspartner der Gruppe. ASEAN ihrerseits hat bereits 1978 einen partnerschaftlichen Dialog mit der EU begonnen, der dann, mit Deutschlands entscheidender Unterstützung, etabliert wurde. Europa kann auf dieser Grundlage seine Aktivitäten mit ASEAN weiter ausbauen und vertiefen.

Ein Thema, das die Kooperation zwischen Europa und ASEAN behindert, ist Myanmar. Aufgrund der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) werden alle wichtigen EU-Treffen mit ASEAN von diesem einzigen Thema beherrscht. Während Myanmar zweifellos wichtig ist, sollten die ASEAN-EU-Beziehungen nicht von diesem Thema in Geiselhaft genommen werden. ASEAN bildet das Zentrum der verschiedenen Bausteine der asiatischen Wirtschaftskooperation. Europa sollte ein breiteres strategisches Interesse an ASEAN definieren und bekunden, wie es andere Großmächte bereits tun, und ASEAN-Länder stärker einbinden, sowohl individuell wie auch als Gruppe. Sollte Europa sich zu diesem entscheidenden Zeitpunkt nicht in der ASEAN Gruppe engagieren wollen, riskiert es, politisch irrelevant zu werden, während die neue Architektur der Region Gestalt annimmt.

Chinas Entwicklung ist ein bedeutendes Projekt – einzigartig und beispiellos in der Geschichte. Die weltweite Anpassung an diese neue asiatische Landschaft wird nicht frei von Schwierigkeiten sein, aber es steht zu viel auf dem Spiel, als sie scheitern zu lassen. China befindet sich zurzeit in einer historischen Phase des Wandels, die das Leben von mehr als einer Milliarde Menschen verbessern und enorme Vorteile für die Region und die Welt bedeuten wird. Die Schwierigkeiten können und müssen besiegt werden, und ein aufsteigendes China kann friedlich in ein neues Asien integriert werden.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 12, Dezember 2005, S. 72 - 81.

Teilen