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16. Sep 2006

Im Visier des Kremls

Wie das neue russische NGO-Gesetz „bunte“ Revolutionen verhindern soll

Um das Gesetz Nr. 18-FZ vom 10. Januar 2006 „zur Änderung verschiedener Rechtsvorschriften der Russländischen Föderation“1 ist es still geworden. Hinter dieser technischen Bezeichnung verbirgt sich ein umfängliches Regelwerk zur Kontrolle der Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) auf russischem Boden. Das allgemein so genannte NGO-Gesetz ist Mitte April 2006 – drei Monate nach der amtlichen Verkündigung – in Kraft getreten.

Hohe Wellen hatte das Vorhaben Ende 2005 geschlagen. Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah nämlich vor, dass ausländische NGOs dazu gezwungen sein sollten, sich als juristische Personen russischen Rechts registrieren zu lassen. So hätten zum Beispiel die parteinahen politischen Stiftungen aus Deutschland eigenständige Tochterorganisationen gründen müssen, die der umfassenden Kontrolle durch die russische Exekutive unterworfen gewesen wären.

Nach internationalen Protesten strich die Staatsduma diese Bestimmung aus dem Entwurf. Für diese Entscheidung fiel wohl auch ins Gewicht, dass Russland 2006 den Vorsitz der G-8 innehat und seine Führung deshalb darauf bedacht ist, Imageschäden in Grenzen zu halten. Gleichwohl enthält das NGO-Gesetz immer noch eine Fülle problematischer Bestimmungen,2 die über die nach Art. 11 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention zulässigen Eingriffe in die Vereinigungsfreiheit hinausgehen dürften.

So können nichtkommerziellen ausländischen Körperschaften bestimmte Programme und die Finanzierung bestimmter russischer Partner verboten werden. Das „Bevollmächtigte Organ“, also die Genehmigungsbehörde, kann ihnen die Zulassung verweigern, wenn ihre Ziele „eine Bedrohung für die Souveränität, die politische Unabhängigkeit, die territoriale Integrität, die nationale Einheit, den einzigartigen Charakter, das kulturelle Erbe und die nationalen Interessen der Russländischen Föderation“ darstellen.

Schon heute verfügen russische Steuerbehörden über wirksame Instrumente, ausländischen Organisationen wie dem British Council das Leben schwer zu machen. Britische Diplomaten lassen keinen Zweifel daran, dass die seit Herbst 2004 gegen diese Einrichtung geführten Nadelstiche London dazu bewegen sollen, den tschetschenischen Rebellenführer Achmed Sakajew, der in Großbritannien Asyl genießt, an Russland auszuliefern.

Gegenüber inländischen NGOs räumt das Gesetz Nr. 18-FZ dem Staat weitreichende Überwachungsbefugnisse ein. So erlaubt es Behördenvertretern, als Beobachter an Vorstandssitzungen privater Körperschaften teilzunehmen, und es bürdet den NGOs umfangreiche Auskunftspflichten über finanzielle Interna auf. Vor allem aber gewährt es dem „Bevollmächtigten Organ“ bei der Rechtsanwendung Interpretationsspielräume, die den Geboten der Rechts-sicherheit zuwiderlaufen. Hier setzt denn auch die schärfste Kritik russischer NGOs an: Sie sind „mehr beunruhigt über die Frage, wie das Gesetz in der Praxis angewandt wird, als über seinen Inhalt“.3 In der Tat scheint das neue Regelwerk auf der Linie bisheriger Bemühungen zu liegen, die Vertikale der Macht nicht nur zu Lasten parlamentarischer und justizieller Kontrollinstanzen, sondern auch medialer und zivilgesellschaftlicher Wächter auszubauen. Aus diesem Grunde wurde es von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Antrittsbesuch in Russland Anfang 2006 öffentlich kritisiert.4

Im Licht der Europäischen Menschenrechtskonvention ist gewiss nicht zu beanstanden, dass ein Rechtsstaat sich vorbehält, auf gesetzlicher Grundlage die Aktivitäten von NGOs zu kontrollieren. Das deutsche Vereinsgesetz etwa regelt, unter welchen Voraussetzungen Vereine verboten werden können. Auch die ausländische Finanzierung politischer Aktivitäten in Deutschland ist nicht unbegrenzt möglich: Das deutsche Parteiengesetz verbietet – von engen Ausnahmen abgesehen – Parteispenden aus Ländern, die nicht der EU angehören.

So gesehen, klingt die amtliche Begründung für das russische NGO-Gesetz zum größten Teil unverfänglich: Es gehe darum, die Finanzierung staatsfeindlicher oder gar terroristischer Vorhaben, Geldwäsche durch so genannte Mangos (Mafia-NGOs) und die Veruntreuung von Vereinsmitteln zu unterbinden. Problematisch ist hingegen das erklärte Ziel, die ausländische Unterstützung „unzulässiger politischer Aktivitäten“ auf russischem Boden zu verhindern. Was „unzulässig“ ist, definiert die Exekutive. Dieser unbestimmte Gesetzeszweck schießt weit über das legitime Verbot ausländischer Parteispenden hi-naus. Dahinter steckt offenbar die Vorstellung, die „bunten“ Revolutionen in Georgien (2003), der Ukraine (2004) und Kirgisien (2005) seien eine Folge massiver Unterstützung durch amerikanische Geldgeber gewesen. Jedenfalls bietet das Gesetz Nr. 18-FZ genügend Handhaben, im Blick auf die Wahlen zur Staatsduma 2007 derlei Aktivitäten im Keim zu ersticken.

Dass russische Sicherheitsbehörden ihr Augenmerk verstärkt auf in- und ausländische Menschenrechtsorganisationen richten, erhärtet die Skepsis gegenüber bestimmten Aspekten des NGO-Gesetzes. Im Visier der russischen Exekutive stehen nicht nur ausländische Geldgeber oder Organisationen wie das „Open Society Institute“ des US-Milliardärs George Soros, sondern auch russische Aktivisten wie der einstige Yukos-Chef Michail Chodorkowskij. Von dessen politischen Ambitionen war am Ende nur noch die Stiftung „Offenes Russland“ übrig geblieben – doch deren Bankkonten wurden Mitte März 2006 beschlagnahmt.

Am 23. Januar bestätigte der russische Inlandsgeheimdienst FSB eine Meldung des staatlichen Fernsehsenders Rossija, zwei britische Diplomaten hätten mit Unterstützung russischer Staatsbürger Spionage getrieben. Das Corpus Delicti erinnerte an die Requisiten eines alten James-Bond-Films: Es bestand aus einem als Feldstein getarnten Behältnis. Darin befand sich ein Minicomputer, auf den ein russischer Landesverräter geheime Daten überspielt haben soll. Was diesen Fall über das Anekdotische hinaushob, war seine Einbettung in eine Kampagne gegen unliebsame Menschenrechtsorganisationen wie die angesehene Moskauer „Helsinki-Gruppe“. Den Briten warf der FSB vor, sie hätten solche Vereinigungen finanziell unterstützt. Und die Moscow Times zitierte Präsident Putin mit den Worten, jetzt sei vielen klar geworden, weshalb Russland ein Gesetz verabschiedet habe, das die Aktivitäten von NGOs reguliere.5

MICHAEL MERTES, geb. 1953, ist Partner beim Politikunternehmen dimap consult, Bonn/Berlin, und ständiger freier Mitarbeiter der Wochenzeitung Rheinischer Merkur.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7, Juli 2006, S. 56‑57

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