„Ich habe wenig Hoffnung“
Iran-Experte Meir Javedanfar zu der Gesprächsrunde über das iranische Nuklearprogramm
Das Treffen sei „eine Chance, von der ich mir wünsche, dass Iran sie ergreift”, erklärte Bundesaußenminister Guido Westerwelle am Wochenende. Zu Optimismus gibt es allerdings wenig Anlass, erklärt der in Tel Aviv lebende Javedanfar im Gespräch mit der INTERNATIONALEN POLITIK. Der Westen könne das Regime in Teheran aber mit einer Umarmungstaktik schwächen.
IP: Herr Javedanfar, am Dienstag beginnt im kasachischen Almaty die nächste Runde der Atomgespräche zwischen den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats plus Deutschland und dem Iran. Gibt es Grund zur Hoffnung, dass sie anders endet als die vorherigen?
Meir Javedanfar: Ich bin da nicht sonderlich optimistisch. Die iranische Führung steht unter einem gewissen Druck, sich nicht allzu kompromissbereit zu zeigen. Andererseits glaube ich, dass sich eine Mehrheit innerhalb der Elite durchaus darüber im Klaren ist, dass man zu einer Einigung wird kommen müssen, vor allem mit den USA. Selbst Außenminister Salehi, der ja vor Kurzem Deutschland besucht hat, dürfte an besseren Beziehungen zu den Vereinigten Staaten interessiert sein.
IP: Bei seiner Rede vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik hat er sich nicht so ganz klar ausgedrückt ...
Javendafar: Das kann er auch gar nicht. Eine solche Entscheidung liegt allein beim obersten Religionsführer, Ayatollah Khamenei. Aber ich denke, nach 34 Jahren der Revolution wachsen die Zweifel innerhalb des Systems über den Kurs, den der Iran gegenüber den Vereinigten Staaten fährt. Und jeder Präsident, der unter Ayatollah Khamenei im Amt war, muss zu dem Schluss kommen, dass das Verhältnis zu den USA einer Korrektur bedarf. Akbar Hashemi Rafsanjani hat das nach der Hälfte seiner Präsidentschaft gemerkt, Mohammed Khatami schon vor dem Beginn, und Machmud Achmadinedschad zumindest gegen Ende seiner Amtszeit.
IP: Was sind die Haupthindernisse, um im Atomstreit weiterzukommen?
Javendafar: Solange die iranisch-amerikanischen Spannungen anhalten, wird es schwierig, den Konflikt zu entschärfen. Ein anderes Hindernis ist das iranische Verhältnis zur Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), das wiederum von dem zu Amerika beeinflusst wird. Dabei steht für mich fest: Der Iran hat das Recht auf eine friedliche Nutzung der Kernenergie. Zumal der Energiebedarf im Land jährlich um 7 bis 8 Prozent steigt. Der Iran ist darauf angewiesen, sein Öl als Devisenquelle zu exportieren. Öl und Gas für den Inlandsverbrauch einzusetzen, ist daher nicht sinnvoll. Es gibt also einen plausiblen Grund, Kernenergie zu nutzen. Aber solange der Iran sich weigert, die Fragen der IAEA nach seinen bisherigen nuklearen Aktivitäten zufriedenstellend zu beantworten, wird es sehr schwierig, Fortschritte zu erzielen. Ich habe da wenig Hoffnung.
IP: Sollte der Westen dem Iran stärker entgegenkommen?
Javendafar: Nun, von dem Angebot, das dem Iran in der vorherigen Runde unterbreitet wurde, war ich zumindest nicht sonderlich beeindruckt. Natürlich: Mit dem Bau der Urananreicherungsanlage in Fordo hat der Iran gegen internationale Regeln und Gesetze verstoßen. Man hat die Anlage gebaut, ohne das offen zuzugeben. Dass der Bau aufgedeckt wurde, ist den amerikanischen Geheimdiensten zu verdanken. Aber wenn wir erwarten, dass der Iran den Betrieb von Fordo einstellt, dann müssen wir schon bessere Angebote auf den Tisch legen. Und wenn Teheran sich auf einen Deal einließe, trüge das dazu bei, die moderaten Kräfte im Land zu stärken. Ich glaube, dass die Gruppe derjenigen, die in dieser Frage einen unversöhnlichen Standpunkt vertreten – im Wesentlichen sind das Ayatollah Khamenei und Teile der Revolutionären Garden – immer kleiner wird. Und wir müssen diesen Trend fördern, indem wir die Gemäßigten unterstützen. Aber dafür muss der Iran mit der IAEA zusammenarbeiten.
IP: Wie sieht die iranische Bevölkerung das Nuklearprogramm?
Javendafar: Ich glaube, wenn man eine Umfrage im Iran machen würde – eine Umfrage wohlgemerkt, bei der die Befragten wissen, dass sie für die falsche Antwort nicht ins Gefängnis kommen –, ob die Menschen der Ansicht sind, dass der Iran das Recht auf Atomenergie hat, dann würden sie mit „Ja“ antworten. Ebenso auf die Frage, ob der Iran das Recht auf Atombomben habe. Das hat mit der Erinnerung an den Iran-Irak-Krieg zu tun, als Saddam Hussein chemische Waffen gegen den Iran einsetzte. Ich war damals im Iran. Seinerzeit war jeder der Meinung: „Eine Schande, dass wir keine Atomwaffen haben“ – zur Abschreckung. Wenn man aber nun fragen würde: „Glauben Sie, dass dieses Ziel in einem Regime unter Ayatollah Khamenei und mit seiner Politik erreicht werden soll?“, dann würde die Mehrheit mit „Nein“ antworten. Meiner Meinung nach würden die Iraner lieber dem Vorbild Indiens nacheifern. Die Inder nutzen Atomenergie, sie verfügen über Atomwaffen, und dennoch pflegen sie freundschaftliche Beziehungen zu den meisten anderen Ländern, China und vor allem Pakistan vielleicht einmal ausgenommen. Je stärker die Menschen im Iran unterdrückt werden, umso weniger von ihnen werden das derzeitige Regime und sein Atomprogramm unterstützen.
IP: Tragen die Drohungen mit einem Militärschlag dazu bei, das Regime verhandlungsbereiter zu machen?
Javendafar: Ich bin davon überzeugt, dass das Regime im Iran weit mehr Angst vor Frieden als vor dem Krieg hat. Ein militärischer Angriff der Amerikaner würde das Atomprogramm um fünf, vielleicht sogar um zehn Jahre zurückwerfen. Aber Frieden ist eine existenzielle Bedrohung für die Regierung in Teheran. Das iranische Atomprogramm und Israel sind die letzten Trumpfkarten Ayatollah Khameneis, die Menschen um sich zu scharren. Denn die Revolution hat sich leer gelaufen, und Khamenei steht nicht gerade für einen Wandel. Für ihn geht es darum, Zeit zu gewinnen. Aber das sollte uns nicht davon abhalten, ein gutes Angebot zu machen, um die Hardliner zu schwächen – einschließlich Lockerungen bei der Sanktionspolitik. Das würde den Druck auf das Regime erhöhen und eine Ablehnung schwieriger machen. Und wenn Teheran doch ablehnt, dann wird es leichter sein, seine Isolation zu rechtfertigen. Und es wird auch leichter sein, den Iranern klar zu machen, dass es das Regime ist, das keinen Kompromiss will.
IP: Mit Ayatollah Khamenei wird es also keine Gespräche mit Amerika geben und keine Lösung des Atomkonflikts?
Javendanfar: Ich glaube, Herr Khamenei wird letztlich einlenken, wenn die Situation wirklich schwierig wird. Er ist wie ein Baum, der sich nicht unter dem Wind biegen will. Aber wenn er bemerkt, dass ein Sturm heranzieht, der so stark ist, dass er ihn zerbrechen würde, dann wird er es sich noch einmal überlegen.
IP: Nehmen wir einmal an, dass die Gespräche zu nichts führen werden: Ist die Option „Militärschlag“ dann wieder auf dem Tisch?
Javendanfar: Ich glaube nicht, dass die Amerikaner wirklich angreifen würden, aber ich denke in der Tat, dass die Option trotzdem wieder auf dem Tisch landen würde. Ayatollah Khamenei hat eine einzigartige Chance verpasst, als er Joe Bidens Verhandlungsangebot ablehnte. Das wird den Gegnern des Regimes weitere Munition liefern. Denn seine Ablehnung zeigt der ganzen Welt, dass es der Iran ist, der an Fortschritten bei den Verhandlungen nicht interessiert ist.
IP: Im vergangenen Jahr gab es eine Debatte in Israel darüber, ob man das iranische Atomprogramm militärisch angreifen sollte oder nicht. Es scheint zwei Lager zu geben: Die Politiker eher dafür, die Militärs und Geheimdienstler eher dagegen …
Javedanfar: In Israel haben wir jede Menge unterschiedlicher Meinungen, aber in einem sind wir uns einig: Wir wollen nicht, dass der Iran über Atomwaffen verfügt. Einige sind der Ansicht, dass der Iran keine existenzielle Bedrohung ist, dass dort ein sehr rationales Regime agiert, das nicht verrückt genug wäre, Atomwaffen einzusetzen. Dazu gehöre auch ich. Aber es gibt andere Leute, Premierminister Benjamin Netanjahu zum Beispiel, die glauben, dass wir es mit einem „apokalyptischen“ Regime zu tun haben. Ganz so, als wachten die Machthaber in Teheran jeden Morgen mit dem dringenden Wunsch auf, sich Atomwaffen zu beschaffen, die sie auf Israel feuern können.
IP: Und doch ist die Sorge in Israel groß….
Javedanfar: Natürlich. Nehmen wir einmal an, die Weltgemeinschaft wäre ein Mietshaus. In der ersten Etage wohnen Israelis und Palästinenser. Wir kommen nicht besonders miteinander klar, das ist kein Geheimnis. Und dann wohnt jemand in der vierten Etage, der ein entfernter Verwandter von dem Mieter ist, mit dem Sie Probleme haben. Und jedes Mal, wenn er die Treppe hinunterkommt und Sie sieht, sagt er zu Ihnen: „Du solltest tot sein.“ Seit 33 Jahren sagt also dieser Kerl zu Ihnen: „Du solltest tot sein.“ Wenn er dann morgen eine Pistole hat und er sagt, dass Sie tot sein sollten – und selbst wenn Sie wissen, dass er nicht genug Mumm hätte, Sie zu töten –, ist es nicht gerade beruhigend, das von jemandem zu hören, der eine Waffe hat. Auch wenn Sie selbst eine Waffe hätten, wäre es nicht beruhigend.
Netanjahus ständige Drohungen sind allerdings mehr und mehr innenpolitisch motiviert. Er will Stärke demonstrieren. Mir macht es Sorgen, dass wir viel zu oft auf die Pistole auf dem Tisch zeigen, wenn es um den Iran geht. Wenn man so oft die Pistole auf den Tisch legt und sagt: „Alle Optionen auf dem Tisch!“, dann kommt irgendwann der Punkt, wo man sie abfeuern muss, um zu zeigen, dass man es ernst meint. Wir sollten uns die Drohungen bei den Verhandlungen sparen. Ich bin überzeugt, dass die Menschen im Iran die Demokratie wollen, und zwar eine echte Demokratie. Aber für das iranische Regime ist die Demokratie natürlich eine existenzielle Bedrohung. Das Paradoxe am iranischen Regime ist: Der beste Weg, es zu schwächen, ist es, nett zu ihm sein.
IP: Ein „killing with kindness“, sozusagen – das Regime mit Nettigkeiten in die Knie zwingen?
Javedanfar: Stellen Sie sich einen Boxkampf vor. Anstatt Ihrem Gegner eine runterzuhauen, umarmen Sie ihn. Es ist die Umarmung, die Ihnen Punkte bringt und die andere Seite schwächt. Bei den Atomverhandlungen mit dem iranischen Regime ist es ähnlich. Nicht, dass ich dafür plädieren würde, Teheran alle Wünsche zu erfüllen. Aber doch dafür, dass man nicht müde wird, der anderen Seite Angebote zu machen. Und dann gibt es noch eines, um das ich – als israelischer Staatsbürger – Sie beziehungsweise Deutschland bitten möchte: Es ist völlig in Ordnung, Medikamente an den Iran zu verkaufen. Die Sanktionen erlauben das. Die Brasilianer verkaufen Nahrungsmittel an den Iran, die Inder liefern Medikamente. Aber bestimmte Medikamente gibt es nur im Westen.
Das Interview führten Henning Hoff und Joachim Staron.
Meir Javedanfar ist ein iranisch-israelischer Sicherheitsexperte und Kommentator. Zuletzt erschien von ihm „The Nuclear Sphinx of Tehran“ (mit Yossi Melman).