Hört auf Peter Lustig!
Einfach mal ausschalten: eine Replik auf Thomas L. Friedman
Eine intelligente Box regelt den Verbrauch elektrischer Geräte. Computernutzer speichern ihre Daten nicht mehr auf Festplatte, sondern in einer „Datenwolke“ – zwei Aspekte des Energie-Internets, durch das Thomas L. Friedman auf ökologische Weise unseren Lebensstandard erhalten will. Wie wünschenswert ist seine Vision? Eine kritische Replik.
In meiner ersten Studenten-WG hatten wir sie in jedem Zimmer: hässliche Kästen unter dem Fenster, die sich im Winter nachts aufheizten und den Tag über dann die Wärme in den Raum abgaben. Meist gegen Mitternacht begann das Elektrizitätswerk durch ein Verfahren, das in schönstem Amtsdeutsch „Tonfrequenz-Rundsteuertechnik“ heißt, sie aufzuladen: Nachtspeicheröfen.
Es ist nichts neues, dass Elektrizitätswerke versuchen, den Verbrauch über den Tag hinweg möglichst gleichmäßig zu verteilen. Die meisten Techniken, die sie dazu heute einsetzen, wurden schon Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt, als mit dem Fortschritt der Elektrifizierung auch die technischen Probleme immer offensichtlicher wurden. Das erste Patent zur Rundsteuertechnik stammt aus dem Jahre 1901, die ersten Pumpspeicherkraftwerke, die im Überschuss produzierte Energie speichern können, entstanden ab 1920.
Friedmans Idee einer „Smart-Black-Box“, eines „persönlichen Energiekontrollzentrums“, mag also verschiedene Neuerungen mit sich bringen – die technische Möglichkeit, verbrauchsintensive Geräte immer dann zu betreiben, wenn es für den Energieversorger am angenehmsten ist, gehört mit Sicherheit nicht dazu.
Wie intelligent ist die Energie-Box?
Neu hingegen ist, wie detailliert der Energieanbieter mittels einer solchen Box über den Verbrauch einzelner Geräte Bescheid weiß, und auch, wie genau er einzelne Geräte ab- und wieder einschalten kann. Neben technischen Aspekten, wie etwa der verringerten Lebensdauer eines Kühlschranks, der jeden Tag mehrfach kurz ab- und wieder angestellt wird, wirft das sehr viele Fragen auf, die nichts mit Technikdetails zu tun haben. Vor allem werden hier die Fragen der Benutzbarkeit, einiger psychologischer Aspekte und auch das ungeliebte Stiefkind der modernen vernetzten Welt, der Datenschutz, interessant.
Es kann durchaus vorkommen, dass es sinnvoll ist, die Spülmaschine oder den Trockner nicht erst in der Nacht zu starten, sondern sofort: Vielleicht kommen am Abend noch Gäste und bis dahin müssen gutes Geschirr und gebrauchtes Kochgerät noch gespült oder die frisch gewaschene Bluse noch getrocknet werden, auch wenn das nicht besonders energiesparend wäre. Ein Aspekt, der interessante Herausforderungen an die Bedienbarkeit der Smart-Box stellt – und vermutlich nicht einfach zu lösen ist. Man stelle sich vor: Die Spülmaschine soll erst um zwei Uhr nachts gestartet werden, die Klimaanlage ist für zwei Minuten abgeschaltet, weil gerade eine Last-Spitze herrscht, und die Heizung befindet sich im Sparbetrieb. Wie muss eine Menüsteuerung aussehen, die der Smart-Black-Box mitteilt, ob der Benutzer mit dem Knopfdruck die Spülmaschine starten, die Klimaanlage anschalten oder die Heizung ganz ausschalten möchte?
Gute Ideen scheitern auch, wenn die Benutzer sich eingeschränkt oder bevormundet fühlen. Das Tempolimit auf deutschen Autobahnen, Energiesparlampen oder die Bildung von Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr sind nur ein paar Maßnahmen, die unter umwelt- und energiepolitischen Gesichtspunkten sinnvoll sind. Trotzdem bringen sie massive Akzeptanzprobleme mit sich, gleich, welche Gründe angeführt werden: die Freude an Geschwindigkeit, das kalte Licht der Energiesparlampen oder einfach die Bequemlichkeit, Auto zu fahren, wann und wo man will. Spätestens, wenn der neue Flachbildfernseher wegen seines hohen Energieverbrauchs in der 80. Minute des Fußball-Finalspiels abgeschaltet wird, dürfte der Besitzer einer Smart-Box das Bedürfnis verspüren, das Gerät sofort zu zertrümmern.
Der Nachtspeicherofen unserer Wohngemeinschaft hatte übrigens einen Schalter, um ihn auch außerhalb der Nachttarifzeiten aufzuladen. Die nächste Stromrechnung und die damit verbundene Konsequenz, nicht mehr über das notwendige Kleingeld für Kneipenbesuche mit Kommilitonen zu verfügen, war Anreiz genug, diesen Schalter nur noch in Ausnahmefällen zu benutzen. Ohne intelligente Box.
Gier auf Daten
Ein derart mitdenkendes Energiekontrollzentrum generiert eine Unmenge von Informationen über die Benutzer: Seit vier Tagen war die Spülmaschine nicht mehr im Betrieb – der Kunde ist offensichtlich im Urlaub. Im Schlafzimmer sind Heizung und Stereoanlage im Betrieb, aber das Licht ist nach Einbruch der Dunkelheit ausgeschaltet? Die Schlussfolgerung dürfte klar sein. Die Existenz von Daten weckt Begehrlichkeiten, eine der Grundregeln im Datenschutz. Datamining – die Analyse beliebiger Daten, um Personen, Wohngebiete oder Städte möglichst genau hinsichtlich ihrer Lebensweise, Zahlungskraft und Interessengebiete einzuschätzen – ist eine hochprofitable und wachsende Branche. Ob sich der Energiekonzern selbst durch eine Klausel in den AGB durch Datamining ein Zubrot verschafft oder die Informationen versehentlich in falsche Hände gelangen – spätestens seit dem Telekom-Skandal sollte klar sein, dass persönliche Informationen nie sicher sind. Wussten Sie zum Beispiel, dass die Deutsche Post anbietet, Adressen von Kunden so zu filtern, dass es möglich ist, nur noch Gebiete mit hoher Mercedes-Dichte anzuschreiben?
Kluge Nutzer statt kluge Technik
Auch andere, von Friedman erwähnte Neuerungen sind bereits im Gebrauch: Terminal Clients wie das „Sun Ray Terminal“, das jeden Nutzer mit einer „Datenwolke“ verbindet, existieren schon länger als Personal Computer. Ursprünglich wurden sie eingeführt, weil Großrechner zu teuer waren und Terminals vielen Benutzern Zugriff auf einen zentralen Rechner ermöglichten. Sie waren als schreibmaschinenähnliche Fernschreiber gestaltet; später stattete man sie mit monochromen Displays und Tastatur aus. Durch den Siegeszug der ersten Heimcomputer gerieten die grün oder orange flimmernden Terminals aus dem Blickfeld. In großen Unternehmen und Universitäten sind sie jedoch nie ganz verschwunden; in jüngster Zeit werden sie sogar wieder populär. Die Idee, sie zum Energiesparen einzusetzen, ist durchaus attraktiv. Gerade für Heimarbeitsplätze oder ähnliche firmennahe Bereiche bietet sich eine solche Option an.
Auch sonst ist der Trend zur Energieersparnis in der Informationstechnologie omnipräsent – ob nun Google auf dem Gelände des neuen Rechenzentrums Windräder zur Stromversorgung baut oder der Buchversand Amazon unter dem Namen „Elastic Cloud“ eine Dienstleistung anbietet, mit der man sehr schnell die Anzahl Rechner, die für den Betrieb einer Homepage nötig sind, an die aktuelle Last anpassen kann. Die Idee des Rechenzentrums am Staudamm, wie Friedman sie für Server entwickelt, die allgemein nutzbar sind, wurde übrigens schon weiter getrieben: Google hat bereits 2007 ein Patent für ein schwimmendes Rechenzentrum eingereicht.
Es gibt viele Ideen und Herausforderungen auf dem Weg zu einer umweltfreundlicheren Welt. Nur sollten wir dabei nicht vergessen, dass Kontrolle, Analyse und Hightech nicht die richtigen Mittel sein müssen – denn eine ökologische Welt sollte auch eine lebenswerte Welt bleiben. Daher dürfte der Königsweg zu einer energiefreundlichen Umgebung weniger im Einsatz von noch mehr Technik liegen, sondern eher in der Verbrauchererziehung. Was schlug Peter Lustig in seiner Sendung „Löwenzahn“ schon vor Jahren vor? „Einfach abschalten!“
In seinem Buch „Was zu tun ist“ entwirft der amerikanische Publizist Thomas L. Friedman die Vision eines „Zeitalters der Energie und des Klimas“. In der Januar-Ausgabe der IP erschien Friedmans Vorschlag eines „Energie-Internet“, das unseren Stromverbrauch intelligent steuert.
FLORIAN HOLZHAUER arbeitet als IT-Entwickler und beschäftigt sich mit der Realisierbarkeit und Sicherheit von technischen Anwendungen.
Internationale Politik 2, Februar 2009, S. 85 - 88.